Urteil des KG Berlin vom 04.09.2001

KG Berlin: versicherungsnehmer, private krankenversicherung, ambulante behandlung, versicherer, niedergelassener, niederlassung, entlastung, heilbehandlung, hinweispflicht, vollstreckbarkeit

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Gericht:
KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 262/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 2 S 1 MB/KK 1994, § 9
Abs 2 Nr 2 AGBG
Krankenversicherung: Wirksame Ausschlussklausel über
Behandlung durch niedergelassene Ärzte
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin
vom 4. September 2001 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer wird auf 7.409,77 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, weil das Landgericht ihn mit
Recht gemäß § 812 BGB zur Rückzahlung der Versicherungsleistungen verurteilt hat.
Diese hatte er von der Beklagten ohne Rechtsgrund empfangen, weil sowohl der Arzt V
als auch Frau Dr. O – nach dem Sprachgebrauch des ärztlichen Berufsrechts (vgl. dazu
BGH, VersR 1978, 267, 268; OLG Düsseldorf, VersR 1994, 207; OLG Karlsruhe, VersR
1994, 1459; OLG Hamm, VersR 1993, 427; OLG Münster, VersR 1993, 428, 429) und
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, ausgehend von den Verständnismöglichkeiten
eines Durchschnittskunden (vgl. OLG München, VersR 1990, 614; OLG Köln, r + s 1991,
31, 32) – keine niedergelassenen Ärzte – also solche mit eigener Praxis – im Sinne des §
4 Nr. 2 Satz 1 MBKK 94 waren und solchen auch nicht gleichgestellt werden können;
denn sie haben nicht als bestimmte Personen ihre ärztlichen Leistungen der
Öffentlichkeit angeboten, vielmehr war Anbieter allein der ärztliche Notdienst, in dessen
Rahmen die beiden Ärzte – für die Öffentlichkeit zufällig – gerade tätig wurden. Anders
wäre es, wenn das Krankenhaus durch die beiden Ärzte eine der Öffentlichkeit
angebotene ambulante Behandlung vorgenommen hätten; für einen solchen – hier nicht
vorliegenden – Fall wird die Ansicht vertreten, dass der Versicherer leistungspflichtig sei
(Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 4 MBKK 94 Rdn. 9).
Entgegen der in der Berufungsbegründung geäußerten Auffassung ist die Klausel des § 4
Nr. 2 Satz 1 MBKK 94 nicht gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG a. F. unwirksam, weil
tatsächlich ein sachlicher Grund für die Einschränkung der Leistungspflicht besteht. Der
von der Klausel verfolgte Zweck liegt entgegen der Auffassung des Klägers nicht allein
darin, dass sichergestellt werden soll, dass ein niedergelassener Arzt den
Versicherungsnehmer nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst behandelt,
sondern es wird auch unterstellt, dass kraft Berufsrechts ein niedergelassener Arzt die
hohe Gewähr dafür bietet, dass nur notwendige Heilbehandlungen vorgenommen
werden (Prölss, a. a. O., § 4 MBKK 94, Rdn. 8 m. N.). Während der Versicherungsnehmer
in der Praxis eines solchen Arztes nur einer unter anderen Patienten ist, denen der Arzt
mit gleichartig objektivierter Einstellung gegenübertritt, kann bei einem nicht
niedergelassenen Arzt die Gefahr nicht ausgeschlossen werden, dass auch medizinisch
nicht notwendige Behandlungen vorgenommen werden. Im Hinblick auf diesen
sachlichen Grund wird das Niederlassungserfordernis in der vorbezeichneten Klausel von
der herrschenden Meinung für unbedenklich gehalten (Prölss, a. a. O., § 4 MBKK 94, Rdn.
12 m. N.; Schoenfeldt/Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 4
MBKK Rdn. 26; a. A. Dreher, VersR 1995, 245, 250/251). Durch diese Klausel soll der
Versicherer einer Einzelfallprüfung der medizinisch notwendigen Behandlung gerade
enthoben sein (vgl. BGH, VersR 1978, 267, 268; Prölss, a. a. O., § 4 MBKK 94 Rdn. 9).
Einen Notfall in Form eines Akutfalls, der die Behandlung durch die beiden Ärzte
unumgänglich gemacht hätte, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er schildert lediglich, die
Behandlungen durch die in Rede stehenden Ärzte hätten an Wochentagen oder zu
Tageszeiten stattgefunden, an denen Arztpraxen gewöhnlich geschlossen gewesen
seien. Er sagt aber nicht, dass er nicht ebenso die Öffnungszeiten hätte abwarten
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seien. Er sagt aber nicht, dass er nicht ebenso die Öffnungszeiten hätte abwarten
können.
Das Rückforderungsverlangen höhlt entgegen seiner Auffassung auch nicht die
Krankheitskostenversicherung aus. Da das Merkmal der "Niederlassung" eines Arztes in
Anlehnung an das ärztliche Berufsrecht und an den allgemeinverständlichen
Sprachgebrauch als "Arztpraxis" zu lesen ist, besteht für den Versicherungsnehmer kein
Anlass zu Zweifeln, welche Art von Ärzten für eine Leistungspflicht des Versicherers in
Betracht kommt. Er trägt daher kein unzumutbares Risiko, von der Leistungspflicht
ausgeschlossen zu sein, und braucht bei Einhaltung der Klausel nicht in Sorge zu leben,
Arztkosten nicht erstattet zu bekommen oder zurückzahlen zu müssen. Im Übrigen gibt
es so viele niedergelassene Ärzte, zwischen denen der Versicherungsnehmer wählen
kann, dass es ihm zuzumuten ist, sich im Fall einer medizinisch notwendigen
Heilbehandlung auf niedergelassene Ärzte zu beschränken, die ihre Leistungen der
Allgemeinheit anbieten (vgl. OLG München, VersR 1990, 614). Die Frage, ob ein
Versicherungsnehmer, der sich von einem niedergelassenen "Schwindelarzt" hat
behandeln lassen, die Leistungen des Versicherer zurückzuzahlen hat, bedarf hier keiner
Entscheidung.
Der Versicherer hat zwar gemäß § 5 Nr. 1 c MBKK 94 die Möglichkeit, sich als
unzuverlässig herausstellende niedergelassene Ärzte bekannt zu geben und deren
Rechnungen von der Erstattung auszuschließen, jedoch kommt diese Möglichkeit erst in
Betracht, wenn grundsätzlich ein Erstattungsanspruch gemäß § 4 MBKK 94 besteht.
Hingegen kann aus dieser Regelung nicht die Folgerung abgeleitet werden, der
Versicherer müsse auch auf die Nichterstattung von Rechnungen nicht niedergelassener
Ärzte des ärztlichen Notdienstes hinweisen; eine Hinweispflicht besteht jedenfalls
solange nicht, wie dem Versicherer keine Anhaltspunkte dafür bekannt sind, dass der
Versicherungsnehmer zu solchen Ärzten geht oder Rechnungen solcher Ärzte zur
Erstattung einreicht. Er braucht von sich aus nicht zu prüfen, ob der
Versicherungsnehmer einen niedergelassenen Arzt in Anspruch genommen hat; die
Entlastung von dieser Prüfungspflicht ist vielmehr gerade der Sinn der Ausschlussklausel
des § 4 Nr. 2 Satz 1 MBKK 94, durch die die Prüfung, ob der in Anspruch zu nehmende
Arzt über eine Niederlassung verfügt, – wie dargelegt, zulässigerweise – dem
Versicherungsnehmer auferlegt wird. Es ist dem Versicherer jedenfalls nicht zuzumuten,
eingereichte Einzelbelege sofort daraufhin zu prüfen, ob etwa einzelne der täglich in
einer großen Zahl bei ihm eingehenden Rechnungen und Rezepte nicht von einem
niedergelassenen Arzt stammen (vgl. OLG München, VersR 1990, 614). Daher darf sich
der Versicherungsnehmer, der gleichwohl die Dienste eines nicht niedergelassenen
Arztes in Anspruch genommen und eine von diesem ausgestellte Rechnung erstattet
bekommen hat, nicht darauf verlassen, im Vertrauen auf die Endgültigkeit dieser
Erstattung den Arzt weiterhin in erstattungsfähiger Weise zur Behandlung aufsuchen zu
können.
Mangels eines solchen Vertrauens kann der Kläger auch nicht unter Hinweis auf § 818
Abs. 3 BGB mit Erfolg geltend machen, er habe einen Vermögensnachteil dadurch
erlitten, dass er die nicht niedergelassenen Ärzte weiter in Anspruch genommen habe.
Die Entscheidung über die Kosten, die Vollstreckbarkeit und den Wert der Beschwer
beruht auf §§ 3 ff., 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).
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