Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: ohne aussicht auf erfolg, versorgung, körperverletzung, schmerzensgeld, einfluss, form, quelle, sammlung, entstehung, link

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Gericht:
KG Berlin 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 U 221/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 249 S 2 BGB, § 280 Abs 1
BGB, § 823 Abs 1 BGB
Leitsatz
1. Im Arzthaftungsprozess gelten die allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze zum
"Prognoserisiko"; der schädigende Behandler muss ohne Schuld des Geschädigten
verursachte Mehrkosten für unsachgemäße Maßnahmen tragen.
2. Ein Behandler kann für vorübergehend im Mund des Patienten verbleibende Teile seiner
Leistung (hier: Implantatpfosten, auf die das Langzeitprovisorium, nicht jedoch die
prothetische Neuversorgung befestigt werden konnte) kein Entgelt und keine
Nutzungsentschädigung verlangen.
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. November 2008 verkündete Urteil der
Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.
Das Landgericht hat den Beklagten, der den Kläger mit einer aufwendigen
implantatgetragenen prothetischen Versorgung versah, wegen Behandlungsfehlers zur
Zurückzahlung des geleisteten Honorars und zu Schadensersatzzahlung u.a. für das
vom Nachbehandler gefertigte Langzeitprovisorium (5.861,41 EUR) und zu
Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 1.000 EUR verurteilt.
Der Beklagte nimmt die landgerichtliche Verurteilung in Höhe von 7.734,13 EUR hin und
verfolgt im Übrigen seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er meint, das Landgericht
habe fehlerhaft ein Schmerzensgeld ausgeurteilt und die Kosten des
Langzeitprovisoriums ihm auferlegt.
Der Kläger hat inzwischen alle vom Beklagten gesetzten Implantatpfosten an diesen
zurückgegeben.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
1. Soweit das Landgericht ein Schmerzensgeld von 1.000 EUR ausgeurteilt hat, ist dies
angesichts der Unannehmlichkeiten, die allgemein bekannt mit einer umfangreichen
prothetischen Arbeit inklusive Implantatsetzung verbunden sind und die der Kläger
wegen der Unbrauchbarkeit der Leistungen des Beklagten nun zweimal (durch den
Beklagten und den Nachbehandler) erdulden musste, nicht zu beanstanden. Entgegen
der Ansicht des Beklagten stellt eine fehlerhafte prothetische Versorgung mit
Implantatsetzung zweifelsfrei eine Körperverletzung dar, die schmerzensgeldpflichtig ist;
dass der Heileingriff tatbestandlich eine Körperverletzung darstellt, ist st. Rspr. seit RGSt
25, 375, 378f., RGZ 68, 431, 433f.
2. Soweit der Beklagte sich gegen die Kosten des Langzeitprovisoriums richtet, ist die
Berufung bereits rechnerisch nicht nachvollziehbar; ausweislich der Feststellungen des
Landgerichts betrugen die Kosten des Langzeitprovisoriums 5.861,41 EUR. Zieht man
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Landgerichts betrugen die Kosten des Langzeitprovisoriums 5.861,41 EUR. Zieht man
diese von der Gesamturteilssumme des Tenors zu 1 (15.877,42 EUR + 1.589,16 EUR)
ab, ergibt sich die hingenommene Verurteilungssumme von 7.734,13 EUR nicht. Der
Senat vermutet, dass der Beklagte die angeblich vom Nachbehandler verwendeten
Laborleistungen etc. von 3871,04 EUR noch abzieht; allein ist dies schon deshalb nicht
nachvollziehbar, da diese Leistungen auch nach den Behauptungen des Beklagten für
ein Langzeitprovisorium verwendet wurden, das per definitionem durch eine endgültige
Versorgung ersetzt wird, so dass dem Kläger diese Leistungen – die Behauptung des
Beklagten als wahr unterstellt - nicht als endgültige zugeflossen sind. Ein dem Beklagten
ggfls. vorschwebendes „Nutzungshonorar“ für die vergangene Zeit kennt das
Dienstvertragsrecht nicht.
3. Aber auch hinsichtlich der Kosten des Langzeitprovisoriums von 5.871,41 EUR ist die
Berufung ohne Aussicht auf Erfolg. Dem Kläger steht insoweit ein
Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB (Schlechterfüllung des Dienstvertrages)
bzw. § 823 Abs. 1 BGB wg. Körperverletzung iVm den schadensrechtlichen Grundnorm
des § 249 Abs. 2 BGB zu.
Die Ersetzungsbefugnis, die das Gesetz in § 249 Satz 2 BGB dem Geschädigten (bei
bestimmten Schäden: Verletzung seiner Person oder einer Sache) gewährt, soll ihn
davon befreien, die Schadensbeseitigung dem Schädiger anvertrauen zu müssen; sie
soll ferner das Abwicklungsverhältnis von dem Streit darüber entlasten, ob die
Herstellung durch den Schädiger gelungen ist und vom Geschädigten als Ersatzleistung
angenommen werden muss (Prot I 296, 297). Im Übrigen lässt diese Regelung die
Verpflichtung des Schädigers, den Geschädigten wirtschaftlich so weit wie möglich so zu
stellen, als ob der Schadensfall nicht eingetreten wäre, unberührt. Deshalb müssen die
nach § 249 Satz 2 BGB zur Verfügung zu stellenden Mittel so bemessen sein, dass der
Geschädigte durch die Ausübung der Ersetzungsbefugnis, sofern er nur wirtschaftlich
vernünftig verfährt, nicht reicher, aber auch nicht ärmer wird, als wenn der Schädiger
den Schaden nach § 249 Satz 1 BGB beseitigt. Der danach "erforderliche"
Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen
und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis-
und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine
Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Wiederherstellung seiner körperlichen
Unversehrtheit heranziehen muss. In diesem Sinne ist der Schaden nicht "normativ" zu
bestimmen, sondern subjektbezogen: Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Satz 2
BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz
eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit
Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem
Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, daß die Schadensbeseitigung in
einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren
Einflusssphäre stattfinden muss. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das
"Behandlerrisiko" abzunehmen. Die dem Geschädigten durch § 249 Satz 2 BGB
gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf
ihn (so bereits BGH 29.10.1974 – VI ZR 42/73 – NJW 1975, 1609).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Landgericht zuzustimmen, dass hier
ungeklärt bleiben kann, ob das Langzeitprovisorium in der vom Nachbehandler
gewählten Form medizinisch erforderlich war, da es sich dem Kläger angesichts des
fachlichen Rats des Nachbehandlers nicht ersichtlich aufdrängen musste, dass ein
Langzeitprovisorium überhaupt oder eines dieser Art medizinisch ggfls. nicht erforderlich
gewesen sein könnte. Nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen, die auch für
den Arzthaftungsprozess gelten, trägt der Schädiger insoweit das Prognoserisiko
(Palandt-Grüneberg, § 249, Rn. 13; § 254 Rn. 55; siehe bereits RGZ 72, 219).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf
§ 708 Nr. 10 ZPO,
Einer Revisionszulassung bedurfte es nicht, da es sich vorliegend um die Anwendung
höchstrichterlich geklärter schadensrechtlicher Grundsätze auf einen Einzelfall handelt (§
543 Abs. 2 ZPO).
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