Urteil des KG Berlin vom 29.09.2004

KG Berlin: geschäftsführer, kontrolle, abmahnung, ordnungswidrigkeit, verantwortlichkeit, sondernutzung, einverständnis, abrede, aufzählung, bezahlung

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Gericht:
KG Berlin 5. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 238/04 - 5 Ws
(B) 647/04, 2 Ss
238/04, 5 Ws (B)
647/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 1 StrG BE, § 26 Abs 1
Nr 2 StrG BE
Bußgeldbewehrte Zuwiderhandlung gegen das Berliner
Straßengesetz: Unerlaubtes Plakatieren von Verteilerkästen von
Versorgungsunternehmen
Leitsatz
Fahrlässiger Gebrauch einer öffentlichen Straße zur Sondernutzung durch Plakatieren der
Verteilerkästen von Versorgungsunternehmen
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in
Berlin vom 29. September 2004 wird verworfen.
Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat mit Urteil vom 29. September 2004 gegen die
Betroffene wegen fahrlässigen Gebrauchs einer öffentlichen Straße zur Sondernutzung
ohne die erforderliche Genehmigung (§§ 11 Abs. 1, 26 Abs. 1 Nr. 2 des Berliner
Straßengesetzes - BerlStrG -) eine Geldbuße von 2.000,- EUR verhängt. Die
Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie allein die Verletzung materiellen Rechts
rügt, hat keinen Erfolg.
Für die Entscheidung ist der Bußgeldsenat gemäß § 80a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2
Satz 1 OWiG nur mit einem Richter besetzt, weil die festgesetzte Geldbuße nicht mehr
als 5.000,- EUR beträgt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel, soweit mit ihm die
Zugehörigkeit oberirdischer Verteilerkästen von Versorgungsunternehmen zum
öffentlichen Straßenland im Sinne von § 2 BerlStrG in Abrede gestellt worden ist, wie
folgt Stellung genommen:
„Bei den mit Plakaten der Diskothek „L.“ beklebten „oberirdischen
Verteilerkästen“ (UA S. 2) handelt es sich um Teile des öffentlichen Straßenlandes i.S.d.
§ 2 BerlStrG. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die in dieser Bestimmung
enthaltene Aufzählung derjenigen Einrichtungen, die zur „öffentlichen Straße“ gehören,
nicht abschließend. Dies ergibt sich zwanglos aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 BerlStrG,
nach der die dort genannten Einrichtungen „insbesondere“ und damit nur beispielhaft
aufgeführt sind, und der zusammenfassenden Beschreibung von „sonstigen Anlagen
aller Art ...“. Zu diesen sonstigen Anlagen gehören auch die hier beklebten
Verteilerkästen.
Der Begriff „Verteilerkasten“ bezeichnet die von der Betroffenen in Anspruch
genommenen Flächen noch ausreichend. Zwar teilt das Amtsgericht nicht mit, ob es
sich um Einrichtungen der - wie es die Rechtsbeschwerde versteht - Bewag und/oder
Post handelte. Darauf kommt es jedoch hier nicht entscheidend an, weil sowohl die
Energieversorgung als auch die Fernmeldetechnik für die Bedürfnisse der Verbraucher
von wesentlicher Bedeutung sind. Die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den
Verteilerkästen sind entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde für deren
Qualifizierung als Teil der öffentlichen Straße ohne Bedeutung. Denn die Verteilerkästen
befinden sich auf öffentlichen Straßenflächen, die dem Gemeingebrauch nicht etwa
dadurch entzogen sind, weil sie durch die Verteilerkästen faktisch nicht benutzbar sind.
Eine derartige Aufspaltung des öffentlichen Straßenraumes wäre lebensfremd (vgl. VG
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Eine derartige Aufspaltung des öffentlichen Straßenraumes wäre lebensfremd (vgl. VG
Frankfurt, Beschluß vom 29. September 2000 - 15 E 994/99 - juris). Zudem
vernachlässigt die Rechtsbeschwerde, daß für die Aufstellung der Verteilerkästen den
Betreibern jeweils ein Sondernutzungsrecht nach § 12 BerlStrG eingeräumt ist, das die
Nutzung für Plakatanschläge nicht beinhaltet (vgl. Hess.VGH GewA 1998, 437). Für einen
anderen als den erlaubten Zweck darf die durch Gestattung des Sondernutzungsrechts
errichtete Anlage jedoch nicht in Anspruch genommen werden (vgl. BVerwG, Beschluß
vom 12. November 1998 - 3 BN 2/98 - juris), und zwar weder von dem Betreiber selbst
noch etwa von einem Dritten.“
Das Gericht schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen, die auch durch das
ergänzende Vorbringen in der Gegenerklärung vom 15. Dezember 2004 nicht entkräftet
werden, an. Ergänzend ist anzumerken, daß die hier in Rede stehenden oberirdischen
Verteilerkästen insbesondere auch in einem funktionalen Zusammenhang (vgl. dazu
allgemein Sauthoff, Straße und Anlieger, Rdn. 168) mit der Straße als
Gemeingebrauchsfläche stehen. Denn die Verteileranlagen sind nach gegenwärtigem
Stand technisch notwendiger Bestandteil des der Allgemeinheit dienenden
Stromversorgungsnetzes, und die mit den Verteilerkästen verbundenen
Versorgungsleitungen folgen unterirdisch regelmäßig dem jeweiligen Straßenverlauf.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldvorwurf richtet, hat die
Generalstaatsanwaltschaft folgendes ausgeführt:
„Die Beschuldigte hat auch schuldhaft, jedenfalls - wie vom Amtsgericht
angenommen - fahrlässig gehandelt (UA S. 2). Nach dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe ist das Amtsgericht rechtsbedenkenfrei davon ausgegangen, daß nur die
Betroffene als „Betreiberin und Konzessionsträgerin“ der Diskothek (UA S. 2) und der
Zeuge als Geschäftsführer (UA S. 3) die Plakataktion veranlaßt haben können. Aus den
Feststellungen, daß sich die Betroffene trotz der Tätigkeit ihres Geschäftsführers
jedenfalls mit der „Finanzierung“ beschäftigt (UA S. 2) und der Zeuge „lediglich die
Aufgaben abends“ übernimmt, durfte das Amtsgericht die nahe liegende, jedenfalls
mögliche Schlußfolgerung ziehen, daß die Betroffene für die Plakataktion verantwortlich
war.
Auf die von der Rechtsbeschwerde vermißte Feststellung, wer die Plakate geklebt
hat, kommt es nicht an, weil der Verstoß gegen § 11 Abs. 1 BerlStrG kein eigenhändiges
Delikt ist. Die Ansicht der Betroffenen, sie sei nicht verantwortlich, weil sie einen
Geschäftsführer bestellt habe, und das Schweigen des Zeugen zur Verantwortlichkeit
mußte das Amtsgericht nicht zu einer der Betroffenen günstigen Entscheidung
veranlassen. Der Tatrichter muß nicht alles glauben, was ihm ein Betroffener erzählt,
auch wenn die Unrichtigkeit der Einlassung nicht im Einzelnen bewiesen werden kann
(vgl. BGHSt 34, 29, 34). Erst recht muß der Tatrichter nicht die Rechtsansichten eines
Betroffenen teilen. Nur weil die Betroffene - wie die Rechtsbeschwerde hervorhebt -
„hinsichtlich der Bestellung und Bezahlung der Plakate keine Angaben gemacht hat“,
waren dem Amtsgericht Feststellungen zur Verantwortlichkeit der Betroffenen nicht
verwehrt. Dabei hat das Amtsgericht auch zu Recht erwogen, daß - sofern der Zeuge die
Plakataktion mitverantwortet hat - die Betroffene die ihr obliegende Verpflichtung zur
Beaufsichtigung und Kontrolle des Geschäftsführers nicht nachgekommen ist. Dafür
bestand hier deshalb besonderer Anlaß, weil die Betroffene bereits am 6. November
2003 wegen einer vergleichbaren Plakataktion verurteilt worden war (UA S. 2). Die von
ihr behauptete „Abmahnung“ hat der Zeuge - für das Amtsgericht glaubhaft -
dahingegen relativiert, daß er mit der Beschuldigten über die unzulässige Plakatierung
„gesprochen“ habe (UA S. 3). Daß die Betroffene den Zeugen auch - etwa durch
gelegentliche Kontrollen im Stadtbild - überwacht hat, hat sie selbst nicht behauptet. Der
Zeuge hat jede Überwachung durch die Betroffene ausgeschlossen (UA S. 3). Bei dieser
Sachlage kommt es auf die von der Rechtsbeschwerde hervorgehobene Entbehrlichkeit
der Schriftform einer Abmahnung nicht entscheidend an.
Die hilfsweise Erwägung des Amtsgerichts, daß der Zeuge - sofern er die
Plakataktion in Auftrag gegeben haben sollte - „für die Betroffene i.S.v. § 9 OWiG“
gehandelt hätte (UA S. 4), war zwar entbehrlich, ist aber bei verständiger Würdigung der
Urteilsgründe nur dahingehend zu verstehen, daß in diesem Fall der Zeuge nur für die
Betroffene und im Einverständnis mit ihr gehandelt hätte. Ob der Zeuge als Beteiligter
i.S.d. § 14 OWiG zu beurteilen ist, war in diesem Verfahren nicht abschließend zu
entscheiden. Daß er allein die Ordnungswidrigkeit begangen hat, ist vom Amtsgericht
rechtsbedenkenfrei ausgeschlossen worden: Da die Betroffene „auch die Gehälter
auszahl(t)“ (UA S. 2) und damit auch die Plakatkleber entlohnt hat, war ihr die
Plakataktion jedenfalls bekannt, so daß die Betroffene aufgrund der Vorverurteilung vom
6. November 2003 - die hier zu beurteilende Aktion begann nach den Urteilsgründen
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6. November 2003 - die hier zu beurteilende Aktion begann nach den Urteilsgründen
etwa drei Wochen später (vgl. UA S. 2) - gesteigerten Anlaß zur Kontrolle des Verlaufs
der Plakatierung und ihres Geschäftsführers hatte.“
Auch diese zutreffenden Ausführungen macht sich das Gericht zu eigen und legt sie
seiner Entscheidung zugrunde. Die Gegenerklärung nötigt auch insoweit zu keiner
anderen Sichtweise. Insbesondere beruhen die Feststellungen des Amtsgerichts zum
Fahrlässigkeitsvorwurf der Betroffenen entgegen der Behauptung in der Gegenerklärung
nicht auf bloßen Vermutungen und Unterstellungen, sondern auf nahe liegenden,
jedenfalls möglichen (vgl. BGHSt 26, 56, 63) Schlußfolgerungen aus den Feststellungen
über den betrieblichen Tätigkeitsbereich der Betroffenen und die Aufgabenverteilung
zwischen dieser und dem Geschäftsführer.
Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, daß das Amtsgericht die Betroffene als
(Fahrlässigkeits-)Täterin (§ 14 OWiG) der unerlaubten Plakatierung und nicht nur wegen
Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG belangt hat. Denn die Pflicht, derartige
Handlungen ohne die erforderliche Erlaubnis nicht durchzuführen, oblag ihr als
Betriebsinhaberin selbst (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 130 Rdn 27). Dies gilt nicht
zuletzt angesichts des Umstandes, daß die Betroffene erst etwa drei Wochen vor Beginn
der neuerlichen Plakatierung, am 6. November 2003 (Rechtskraft: 14. November 2003),
wegen einer vollkommen gleichgelagerten Ordnungswidrigkeit von dem Amtsgericht
Tiergarten - 316 OWi 1675/03 - mit einer Geldbuße von 750,- EUR belegt worden war,
bezüglich der sie bei derlei Werbemaßnahmen treffenden Verpflichtungen also
sensibilisiert war.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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