Urteil des KG Berlin vom 02.06.2010

KG Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, sitz im ausland, neues recht, berufungsfrist, gerichtsbarkeit, fax, reform, bekanntgabe, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 61/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 40 GVGEG
Leitsatz
Legt ein Rechtsanwalt verspätet beim Kammergericht Berufung ein, weil er die
Übergangsvorschrift des § 40 EGGVG übersehen hat und daher zunächst von der
Zuständigkeit des Landgerichts ausgegangen ist, ist die Versäumung der Berufungsfrist nicht
als unverschuldet anzusehen.
Tenor
1. Der Antrag des Klägers vom 2. Juni 2010 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumung der Berufungsfrist wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das am 14. August 2009 verkündete Urteil der
Zivilprozessabteilung 16 des Amtsgerichts Lichtenberg – 16 C 152/08 – wird auf seine
Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Lichtenberg hat der Klage mit am 14. August 2009 verkündetem Urteil
nur teilweise stattgegeben.
Der Kläger hat gegen das ihm am 31. August 2009 zugestellte Urteil durch einen bei
dem Landgericht Berlin am 21. September 2009 per Fax eingegangenen Schriftsatz
Berufung eingelegt und die Berufung durch einen weiteren am 28. Oktober 2009 per Fax
bei dem Landgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz begründet.
Das Landgericht hat Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und die Beklagte
aufgefordert, auf die Berufungsbegründung zu erwidern. Die Beklagte hat mit Schriftsatz
vom 6. Januar 2010 beantragt, die Berufung zurückzuweisen und hat diesen Antrag mit
Schriftsatz vom 22. März 2010 unter anderem damit begründet, dass die Berufung
unzulässig sei, weil sie, da die Beklagte ihren Geschäftssitz in der Slowakei habe, bei
dem Kammergericht hätte eingereicht werden müssen. Der Kläger hat darauf hin mit
Schriftsatz vom 30. März 2010 vorgetragen, dass die Zuständigkeit des Landgerichts
gegeben sei, weil die Vorschrift des § 119 GVG a.F., nach welcher in Fällen mit
Auslandsbezug das Kammergericht die zuständige Berufungsinstanz gewesen sei, zum
1. September 2009 geändert worden sei. Da die Berufung am 21. September 2009
eingelegt worden sei, sei das Landgericht für die Berufung zuständig.
Das Landgericht hat den Kläger darauf hin mit einem dem Kläger am 19. Mai 2010
zugegangenen Schreiben vom 14. Mai 2010 darauf hingewiesen, dass die Berufung
unzulässig sein dürfte, weil sie entgegen § 119 Abs.1 Nr.1b GVG a. F. nicht zum
Kammergericht eingelegt worden sei, obwohl die Beklagte ihren Sitz im Ausland habe. §
119 Abs.1 Nr.1 b GVG a.F. finde gemäß der „Übergangsvorschrift zu Art. 21 § 40 FGG-
RG“ noch auf solche Urteile Anwendung, die vor dem 31. August 2009 erlassen worden
seien. Mit Beschluss vom 4. Juni 2010 hat das Landgericht die Berufung des Klägers als
unzulässig verworfen.
Der Kläger hat daraufhin mit einem bei dem Kammergericht am 2. Juni 2010
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der
Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Der Kläger begründet seinen Antrag auf Wiedereinsetzung wie folgt:
Er habe in Kenntnis dessen, dass die in § 119 Abs.1 Nr.1 b GVG a.F. enthaltene Regelung
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Er habe in Kenntnis dessen, dass die in § 119 Abs.1 Nr.1 b GVG a.F. enthaltene Regelung
aufgehoben worden sei, ganz bewusst bei dem Landgericht Berlin Berufung eingelegt.
Dabei habe er Art. 21 Ziffer 4 FGG-RG, wonach die Übergangsvorschrift des § 40 EGGVG
eingeführt worden sei, übersehen.
In Art. 22 FGG-RG, der unter Ziffer 14 die Änderung des § 119 GVG regele, sei eine
Übergangsvorschrift nicht zu finden. Vielmehr befinde sich am Ende des FGG-RG unter
Art. 111 eine Übergangsvorschrift. Genau dort vermute der Jurist eine
Übergangsregelung auch regelmäßig. Nach dieser Regelung sei für die Frage, ob altes
oder neues Recht anzuwenden sei, der Zeitpunkt der Einlegung der Berufung
maßgeblich. Diese Lesart habe sich auch in dem zu diesem Thema ohnehin spärlichen
juristischen Schrifttum wieder gefunden. Auch das Landgericht habe die
Übergangsvorschrift falsch zitiert.
Es sei nicht zu klären, was den Gesetzgeber bewogen habe, die Übergangsvorschrift
derart versteckt im FGG-RG unterzubringen. Sie sei dort nicht zu vermuten und es sei
mehr als fraglich, ob es wirklich zu den grundlegenden Pflichten eines durchschnittlichen
Anwaltes gehöre, das FGG-RG in seiner Gänze durchzulesen, wenn er keine
Schwerpunkttätigkeit im Familienrecht habe.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das am 14. August 2009 verkündete und am 31.
August 2009 zugestellte Urteil der Zivilprozessabteilung 16 des Amtsgerichts
Lichtenberg war nach § 522 Abs.1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Berufung ist am
2. Juni 2010 beim Kammergericht als dem zuständigen Berufungsgericht eingegangen
und damit nicht innerhalb der Frist nach § 517 ZPO eingelegt worden. Gemäß § 40
EGGVG findet im vorliegenden Fall § 119 Abs.1 Nr. 1b GVG a.F. Anwendung, da das
angefochtene Urteil vor dem 1. September 2009 erlassen worden ist. Gemäß § 119
Abs.1 Nr.1b GVG a.F. ist das Kammergericht das zuständige Berufungsgericht, da die
Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster
Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte.
Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der
entsprechende Antrag vom 2. Juni 2010 ist zwar zulässig, aber unbegründet, weil die
Fristversäumung nicht als unverschuldet anzusehen ist. Die Versäumung der
Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers,
das sich der Kläger gemäß § 85 Abs.2 ZPO zurechnen lassen muss.
Gesetzeskenntnis des Anwalts wird grundsätzlich vorausgesetzt. Das gilt jedenfalls für
diejenigen Bundesgesetze, die in der Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen
(Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage, § 233, Rdnr.23, Stichwort: „Gesetzeskenntnis“, BGH,
NJW 1993, 2538, OLG Rostock, OLGR Rostock 2005, 1010). Hierzu gehören zweifelsohne
auch das GVG und das EGGVG. Der Rechtsanwalt muss sich über die Änderung solcher
Gesetze in angemessener Frist informieren (OLG Rostock, a.a.O.). Nach dem Grundsatz
der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen, der seinen Niederschlag in
Art.82 GG gefunden hat, gelten die Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als
bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie tatsächlich von ihnen Kenntnis
genommen haben. Mit diesem Grundsatz ist es in der Regel unvereinbar, wegen der
Unkenntnis von einem gesetzlichen Formerfordernis Nachsicht zu gewähren, denn
dadurch wäre die Wirkung der Bestimmung nicht mehr von der Bekanntgabe des
Gesetzes, sondern auch wesentlich davon beeinflusst, ob und wann der jeweilige
Normadressat von der gesetzlichen Regelung Kenntnis erlangt hat (Thüringer
Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Mai 2002 – 2 EO 76/02).
Der Kläger hat auch keine Umstände dargelegt, die die Unkenntnis der
Übergangsregelung des § 40 EGGVG entschuldigen könnten. Insbesondere wird seine
Unkenntnis nicht dadurch entschuldigt, dass der Gesetzgeber, wie er meint, diese
Übergangsregelung versteckt hat. Die Übergangsregelung zum abgeänderten § 119
GVG befindet sich genau da, wo sie hingehört, nämlich im EGGVG. Dass die in Art.111
FGG-RG aufgeführte Übergangsregelung auf den vorliegenden Fall keine Anwendung
findet, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Vorschrift. Danach gilt diese
Übergangsregelung für Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform
des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des
Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurden. Vorliegend handelt es sich weder um ein
Verfahren in Familiensachen noch um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dass
nicht nur der Kläger, sondern auch andere Juristen sich über die Übergangsregelung im
Irrtum befunden haben und diese irrige Ansicht sogar veröffentlicht haben, entschuldigt
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Irrtum befunden haben und diese irrige Ansicht sogar veröffentlicht haben, entschuldigt
den Kläger nicht und entbindet ihn insbesondere auch nicht von einer eigenständigen
Prüfung der Gesetzeslage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.
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