Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: vorzeitige entlassung, amnestie, link, fürsorge, sammlung, urlaub, quelle, kontrolle, strafvollzug, beihilfe

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 1506/06 - 5 Ws
690/06, 1 AR
1506/06, 5 Ws 690/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 68f Abs 1 S 1 StGB
Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes: Vorzeitige
Entlassung des Verurteilten aufgrund einer Weihnachtsamnestie
Leitsatz
Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB tritt dann nicht ein, wenn der Verurteilte
aufgrund einer „Weihnachtsamnestie“ vorzeitig (hier: etwa zwei Monate) entlassen wird.
Das gilt auch dann, wenn die Amnestie einem Verurteilten gewährt worden ist, der nicht unter
sie hätte fallen dürfen. Denn die Gerichte sind nicht berechtigt, eine den Verurteilten
belastende Rechtsfolge über den Wortlaut der Vorschrift hinaus festzusetzen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin
– Strafvollstreckungskammer - vom 6. November 2006 aufgehoben.
Mit der Entlassung der Verurteilten aus dem Strafvollzug ist keine Führungsaufsicht
eingetreten; die ihr erteilten Weisungen entfallen.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und die im
Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen der Verurteilten zu tragen.
Gründe
Die Beschwerdeführerin verbüßte bis zum 24. Oktober 2006 eine Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und vier Monaten, zu der das Landgericht Berlin sie am 9. Mai 2001
wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
und zugleich zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge (Einsatzstrafe: zwei Jahre und zwei Monate Freiheitsstrafe) sowie wegen
unerlaubten Erwerbes von Betäubungsmitteln verurteilt hat. Als voraussichtliches
Strafende war der 19. November 2006 vorgesehen. Die Verurteilte wurde aufgrund des
Gnadenerweises der Senatsverwaltung für Justiz zu Weihnachten 2006 - IIIC-4250–III.2 –
vom 25. Juli 2006 bereits am 24. Oktober 2006 aus der Haft entlassen.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, die
Führungsaufsicht entfallen zu lassen oder ihre Dauer abzukürzen. Sie hat die Verurteilte
der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihr ergänzende
Weisungen erteilt. Gegen diesen Beschluß richtet sich ihr als Beschwerde bezeichnetes
Rechtsmittel, mit dem sie sich dem Wortlaut nach nur gegen die Dauer der
Führungsaufsicht und gegen einzelne Weisungen wendet, das aber als sofortige
Beschwerde (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 300 StPO) zu behandeln ist, weil
das rechtliche Begehren der Beschwerdeführerin nur so in seiner gesamten Tragweite
erfaßt und ihr substantieller Anspruch auf wirksame gerichtliche Kontrolle der
angefochtenen Entscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 300 Rdn. 1) zum
Tragen gebracht werden kann. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.
Dem angefochtenen Beschluß fehlt die rechtliche Grundlage. Die Voraussetzungen des §
68 f Abs. 1 Satz 1 StGB für den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes liegen nicht
vor. Die Verurteilte hat die Strafe nicht, wie in der genannten Vorschrift vorausgesetzt,
„vollständig“ verbüßt. Vollständig vollstreckt ist eine Strafe, wenn nach den gesetzlichen
Vorschriften ihr Ende erreicht ist, wobei auch einzelne Tage, in denen sich der Verurteilte
nicht in der Haftanstalt aufhält (Urlaub, Sonderurlaub etc.), als verbüßt gelten (vgl. BGH
MDR 1982, 766, 767). Das Strafende ist nicht erreicht, wenn der Gefangene aufgrund
eines Gnadenerweises oder einer Amnestie vorzeitig entlassen wird; denn eine solche
Entlassung beruht nicht auf dem Gesetz, sondern auf einem politischen Gnadenakt (vgl.
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Entlassung beruht nicht auf dem Gesetz, sondern auf einem politischen Gnadenakt (vgl.
KG JR 1979, 293; Senat ZfStrVo 2004, 112-114 = NStZ 2004, 228-229).
Zwar ist die Weihnachtsamnestie der Verurteilten zu Unrecht gewährt worden. Der
vorbezeichnete Gnadenerweis der Senatsverwaltung für Justiz bestimmt: „Von der
vorzeitigen Entlassung sind Gefangene ausgeschlossen, gegen die ... b) nach § 68 f Abs.
1 Satz 1 StGB die Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt.“ Unter diese Gruppe fiel die
Verurteilte. Das ändert aber nichts. Denn die Rechtsfolgen des § 68f StGB setzen die
tatsächlich erfolgte Vollverbüßung voraus. Darauf, ob die Strafe bei ordnungsgemäßem
Vorgehen hätte vollständig vollstreckt werden müssen, kommt es nicht an. Zwar
geböten die Zwecke der Vorschrift, die sowohl in der Fürsorge für den langzeitig
Inhaftierten als auch in der Überwachung des noch Gefährdeten und möglicherweise
noch gefährlichen Rechtsbrechers bestehen (vgl. Senat NStZ-RR 2005, 42, 43) die
Anwendung auch auf diesen Fall. Die Gerichte sind aber nicht berechtigt, eine für den
Verurteilten belastende Rechtsfolge über den Wortlaut der Vorschrift hinaus
festzusetzen (vgl. BVerfG MedR 2006, 586-588).
Da mit der Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Strafhaft keine Führungsaufsicht
eintreten wird, haben auch die Weisungen zu entfallen.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung
des § 467 Abs. 1 StPO.
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