Urteil des KG Berlin vom 15.04.2004

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Gericht:
KG Berlin 9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 U 134/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 34 GG, § 839 BGB
(Amtshaftung: Pflicht zur Beseitigung von Laub auf Straßen und
Gehwegen
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. April 2004 verkündete Urteil des
Landgerichts Berlin - 13 O 192/03 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin verlangt von der Beklagten in dem vorliegenden Rechtsstreit
Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für alle zukünftig noch
eintretenden materiellen Schäden aus einem Unfall vom 29. Oktober 2002. An diesem
Tage stürzte die Klägerin auf der B...straße in Höhe der Hausnummer ... in ... Sie erlitt
einen Oberschenkelhalsbruch links und einen Bruch des rechten Handgelenks.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihrer Straßenreinigungspflicht
nicht in dem erforderlichen Umfang nachgekommen, insbesondere sei im Bereich der
B...straße wochenlang das Laub nicht entfernt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten
des unstreitigen Sachverhalts, des widerstreitenden Parteivorbringens erster Instanz und
der daraufhin überwiegend der Klage stattgebenden Entscheidung des Landgerichts wird
auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
Die Beklagte hat gegen das landgerichtliche Urteil Berufung eingelegt. Sie rügt, dass
sich das Berufungsgericht in Widerspruch zur ober- und höchstrichterlichen
Rechtsprechung gesetzt habe, indem es der Beklagten auferlege, dem jeweiligen
Bedürfnis entsprechend die Straßenreinigung durchzuführen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 15. April 2004 verkündeten Urteils des Landgerichts
Berlin - 13 O 192/03 - die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt ihre Behauptung, Ursache des
Sturzes seien auf dem Gehweg befindliche Laubhaufen gewesen.
Zur Vervollständigung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die zulässige, insbesondere den Form- und Fristvorschriften entsprechende Berufung
der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat zu Unrecht eine Verletzung
der der Beklagten obliegenden Straßenreinigungspflicht als Ursache des Sturzes der
Klägerin bejaht.
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1. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch kann allein aus den Vorschriften über
die Amtshaftung (§ 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG) hergeleitet werden. Die Pflicht zur
Bekämpfung von Schnee- und Eisglätte sowie der Beseitigung von Laub auf öffentlichen
Straßen und Gehwegen obliegt dem Land Berlin als hoheitliche Aufgabe (§ 4 Abs. 1 S. 1
StrReinG) und wird von der Beklagten hoheitlich durchgeführt (Satz 4 a.a.O.).
a) Der Umfang der auf Straßen und Gehwegen erforderlichen Maßnahmen zur
Bekämpfung von Schnee- und Eisglätte sowie der Beseitigung von Laub ergibt sich,
soweit die Beklagte reinigungspflichtig ist, gemäß § 2 Abs. 4 StrReinG aus einem
Straßenreinigungsverzeichnis und Reinigungsklassen. Die B...straße ... wird im
Straßenverzeichnis A des Stadtbezirks Steglitz in der Reinigungsklasse 4 geführt. Der
Senat von Berlin hat dazu verordnet, dass die Straßen der Reinigungsklasse 4 in einem
Reinigungsturnus von einmal wöchentlich gereinigt werden müssen (Verordnung über die
Straßenreinigungsverzeichnisse und die Einteilung der Reinigungsklassen, GVBl. 41.
Jahrgang Nr. 51 vom 15. August 1985, Seite 1794). Wie die Beklagte zutreffend ausführt,
erfolgt die Eingruppierung der Straßen durch den Senat nach entsprechender Zuarbeit
einer Straßeneingruppierungskommission, die die Straßen alle zwei Jahre bewertet,
wobei dieser Bewertung eine ständige Beobachtung der Straßen vorhergeht.
b) Der Senat geht auf Grund der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme
davon aus, dass wegen herabgefallener Blätter der Gehweg an der Sturzstelle rutschig
gewesen sein kann. Dies stellt aber entgegen der Auffassung des Landgerichts keine
besondere, die Beklagte zu Maßnahmen veranlassende Gefahrenstelle dar, da Gehwege
im Bereich von Laubbäumen beim Abfall von Blättern und ggf. hinzukommendem
Regenwasser stets eine gewisse Rutschgefahr aufweisen, auf die sich Fußgänger
einstellen müssen. Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist nicht
erreichbar, so dass vom Träger der Verkehrssicherungspflicht nur diejenigen
Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen sind, die nach den Sicherheitserwartungen
des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind,
Gefahren möglichst abzuwenden (BGH NJW 1985, 1076). Den vorgenannten
Erfordernissen hat die Beklagte Genüge getan. Denn nach den Feststellungen des
Landgerichts hat die Beklagte den Gehweg noch am 23. Oktober 2002 - mithin 6 Tage
vor dem Unfall und entsprechend den Festsetzungen im Straßenreinigungsverzeichnis -
gereinigt. Dass in der Zwischenzeit bis zum Unfall vom 29. Oktober 2002 erneut Laub
von den Bäumen herabfiel, ist jahreszeitlich bedingt und kann die Beklagte entgegen der
Rechtsauffassung des Landgerichts nicht dazu verpflichten, außerplanmäßige
Reinigungseinsätze nach Bedarf zu veranlassen. Soweit das Landgericht ausführt, es sei
auf Grund der Aussage des Zeugen H... zu der Überzeugung gelangt, dass es in der
B...straße sehr viele Windecken gebe, in denen der Wind das gefallene Laub an
bestimmten Stellen - u. a. der Unfallstelle - sammele, rechtfertigt dies nicht den Schluss
auf das Erfordernis eines erhöhten Reinigungsbedarfs und damit einhergehend erhöhten
Reinigungsturnusses. Denn auch wenn die Beklagte nur einen Tag vorher oder in den
frühen Morgenstunden des Unfalltages den Gehweg vom Laub befreit hätte, hätte allein
durch eine Windböe innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden erneut feuchtes Laub in
großem Umfang auf den jahreszeitlich bedingt ebenfalls regelmäßig feuchten bzw.
glatten Gehweg herabfallen können, was zu einer Glättebildung und Rutschgefahr im
Bereich der Unfallstelle führen würde. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn im
Bereich der Sturzstelle eine konkrete verkehrswidrige Gefahrenstelle vorhanden
gewesen wäre, die die Beklagte dazu hätte veranlassen müssen, auch außerplanmäßig
den Gehweg zu reinigen. Derartiges ist jedoch nicht festzustellen. Die Beklagte war
daher nicht verpflichtet, herabfallende Blätter jeweils sofort zu entfernen, da dies den
Rahmen des tatsächlich aber auch wirtschaftlich zumutbarem überspannen würde (vgl.
OLG Nürnberg NZV 1994, 68). Unabhängig davon hätte die Klägerin der erkennbaren
Gefahrenstelle auf dem genügend breitem Gehweg ausweichen können.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97; der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Eine Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen dafür nicht
vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage
der rechtlichen Voraussetzungen der Räumpflicht auf Gehwegen hat der Senat im
Einklang mit der Rechtsprechung entschieden; die tatsächlichen Voraussetzungen dafür
hängen von den Umständen des konkreten Falles ab und sind somit eine
Einzelfallentscheidung.
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