Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: vergütung, beweiswürdigung, ausnahmefall, link, sammlung, quelle, gespräch, vertretung, gesetzesänderung, gebühr

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 443/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 52 Abs 1 BRAGebO, § 91 Abs 1
ZPO
Kostenerstattungsanspruch: Erstattungsfähigkeit der Kosten
eines im Berufungsverfahren tätig gewordenen Verkehrsanwalts
Leitsatz
Für das Berufungsverfahren sind Verkehrsanwaltskosten - auch bis zur HÖhe der ersprarten
Kosten einer Informationsreise der auswärtigen Partei zu ihrem Prozessbevollmächtigten -
nur ausnahmsweise dann erstattungsfähig, wenn sich die tatsächliche Grundlage des
Rechtsstreits in der Berufungsinstanz gegenüber der 1. Instanz wesentlich geändert hat.
Tenor
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem nunmehr
rechtskräftigen Urteil des Kammergerichts vom 16. August 2002 – 9 U 223/01 – von der
Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten über den bereits festgesetzten Betrag
hinaus auf weitere 3,89 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 22. August 2002 festgesetzt. Im Übrigen wird die sofortige
Beschwerde zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert bis 300 Euro
zu tragen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 11 Abs.1 RPflG i.V.m. §§ 104 Abs.3 S.1, 567 ff.
ZPO zulässig; insbesondere ist der erforderliche Beschwerdewert erreicht. Maßgebend
ist insoweit § 567 Abs.2 S.2 ZPO, denn der Kostenfestsetzungsbeschluss ist keine
Kostengrundentscheidung i.S.v. § 567 Abs.2 S.1 ZPO, sondern setzt diese gerade
voraus (Baumbach/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 104 Rn. 54). Der Wert des
Beschwerdegegenstands übersteigt 50 Euro; nach dem Inhalt der Schriftsätze vom 31.
Oktober 2002 und 6. Januar 2003 wendet sich die Klägerin gegen die Kürzung der
Vergütung ihres Hauptbevollmächtigten um 3,89 Euro auf die seit dem 1. Januar 2002
geltenden Beträge und gegen die Absetzung der Korrespondenzanwaltsgebühr i.H.v.
86,41 Euro.
Die sofortige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die
Vergütung des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist gemäß § 134
Abs.1 S.1 BRAGO nach dem bis zum 1. Januar 2002 geltenden Recht zu berechnen, da
ihm der Auftrag vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilt worden ist. Die
entsprechenden Angaben der Klägerin sind mit der Vertretungsanzeige vom 30.
November 2001 (Bl. 182 d.A.) glaubhaft gemacht, § 104 Abs.2 S.1 ZPO. Danach kann
die Klägerin die Erstattung weiterer 3,89 Euro (= 175,99 Euro – 172,10 Euro) verlangen,
denn die zutreffend geltend gemachte Vergütung nach einem Gegenstandswert von
1.712,03 DM beträgt 175,99 Euro (= 344,20 DM) wie folgt:
90% Prozessgebühr §§ 11, 31 Abs.1 Nr.1 BRAGO
13/10152,10 DM
90% Verhandlungsgebühr §§ 11, 31 Abs.1 Nr.2 BRAGO13/10152,10 DM
Pauschale § 26 BRAGO
40,00 DM
344,20 DM
Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde nicht begründet. Die Kosten für den von der
Klägerin in zweiter Instanz beauftragten Verkehrsanwalt sind nicht – auch nicht in Höhe
ersparter Informationsreisekosten – erstattungsfähig. Maßgebend für die Beurteilung der
Erstattungsfähigkeit der Verkehrsanwaltskosten ist die Rechtslage vor der am 1. August
2002 in Kraft getretenen Änderung des § 78 Abs.1 ZPO durch das OLG-
Vertretungsänderungsgesetz vom 23. Juli 2002 (BGBl. I, 2850) und die hierzu ergangene
Rechtsprechung des Senats, weil die Gebühr nach § 52 Abs.1 BRAGO vor diesem
Zeitpunkt entstanden ist.
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Die Kosten eines neben dem Hauptbevollmächtigten mit der Wahrnehmung einzelner
Angelegenheiten beauftragten Rechtsanwalts sind nach der allgemeinen Vorschrift des §
91 Abs.1 S.1 ZPO zu beurteilen (vgl. BGH NJW 2003, 898, 899), d.h. sie sind zu erstatten,
soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
notwendig waren. Die Einschaltung eines Verkehrsanwalts neben dem
Prozessbevollmächtigten ist nur ausnahmsweise dann als notwendig i.S.v. § 91 Abs.1
S.1 ZPO anzuerkennen, wenn es der auswärtigen Partei aus besonderen Gründen nicht
zumutbar war, ihren Prozessbevollmächtigten selbst unmittelbar zu informieren. Die
Kosten eines im ersten Rechtszug ohne besondere Notwendigkeit eingeschalteten
Verkehrsanwalts sind jedoch regelmäßig in Höhe der ersparten Kosten für eine
Informationsreise der auswärtigen Partei zu ihrem Prozessbevollmächtigten zu
erstatten, sofern eine solche Reise nicht im Einzelfall wegen des besonders einfachen
Sachverhalts oder aus sonstigen Gründen entbehrlich gewesen wäre (vgl. Senat JurBüro
1970, 1092).
Für das Berufungsverfahren sind Verkehrsanwaltskosten nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats (JurBüro 1978, 1206; 1983, 1401) dagegen auch bis zur
Höhe der ersparten Kosten einer Informationsreise nur ausnahmsweise dann
erstattungsfähig, wenn sich die tatsächliche Grundlage des Rechtsstreits in der
Berufungsinstanz gegenüber der ersten Instanz wesentlich geändert hat. Ist die
tatsächliche Grundlage des Rechtsstreits hingegen im Wesentlichen gleich geblieben, ist
eine zusätzliche Informationsreise zum Berufungsanwalt nicht erforderlich, denn es liegt
schon eine tatsächliche und rechtliche Würdigung durch die erste Instanz vor und die
Partei kann auf dem erstinstanzlichen Sachvortrag aufbauen (vgl. Senat, a.a.O.; OLG
Hamburg, MDR 2002, 542; Baumbach/Hartmann, a.a.O., § 91 Rn. 229;
Gerold/Schmidt/v.Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 52 Rn. 43; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8.
Aufl., § 52 Rn. 45 m.w.N.). Hier reicht es beim Wechsel des Prozessbevollmächtigten aus,
dass der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte dem Berufungsanwalt seine
Handakten zur Information überlässt.
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Erstattung der Kosten eines
Unterbevollmächtigten (NJW 2003, 898 ff.) ergibt sich nichts Abweichendes. Nach der
genannten Entscheidung, die der Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. bereits
NJW-RR 2001, 1002), ist die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der
auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten in der ersten
Instanz regelmäßig als notwendig i.S.v. § 91 Abs.2 S.1 Hs.2 ZPO anzuerkennen. Eine
Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist, wird in der
Regel einen Rechtsanwalt in ihrer Nähe aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu
nehmen und ihn ggf. mit der Prozessführung zu beauftragen. Sie darf diese Maßnahme
auch als sachdienlich ansehen, da der Rechtsanwalt für eine sachgemäße Beratung und
Vertretung zunächst auf die Tatsacheninformation der Partei angewiesen ist, die in aller
Regel nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen kann (BGH, a.a.O., S.
900). Diese Grundsätze gelten jedoch nur für die Instanz, in der die Partei erstmals einen
Rechtsanwalt beauftragt; sie lassen sich aus den oben genannten Gründen wegen der
Vorarbeit des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht auf die Information des
Rechtsanwalts übertragen, der die Partei vor dem Oberlandesgericht vertritt. Auch geht
es in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs um die nach § 91 Abs.2 S.1 ZPO zu
beurteilenden Mehrkosten der Hinzuziehung eines nicht am Prozessgericht ansässigen
Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten, nicht um die Kosten der Hinzuziehung eines
zusätzlichen Anwalts nach § 91 Abs.1 S.1 ZPO. Diese sind nach der genannten
Entscheidung nur in Höhe der ersparten Kosten des Hauptbevollmächtigten (§ 91 Abs.2
S.1 ZPO) erstattungsfähig (vgl. BGH, a.a.O., S. 899).
Vorliegend war die Notwendigkeit einer persönlichen mündlichen Information des
Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin nicht gegeben: Die tatsächliche Grundlage
des Rechtsstreits war gegenüber der ersten Instanz im Wesentlichen gleich geblieben;
hinsichtlich der Hauptforderung ging es allein um die vom Landgericht vorgenommene
Beweiswürdigung der Zeugenaussagen. Soweit sich der Streitstoff im Hinblick auf die
Nebenforderung geringfügig geändert hatte, hätte die Klägerin die Zinsbescheinigung
der Kreissparkasse Weilburg vom 8. April 2002 ohne weiteres schriftlich übermitteln
können.
Schließlich ist auch der Umstand, dass es sich bei Rechtsanwalt ... um den "ständigen
Hausanwalt" der Klägerin handelt, der diese in der ersten Instanz als
Prozessbevollmächtigter vertreten hatte, nicht geeignet, die Notwendigkeit seiner
Zuziehung als Korrespondenzanwalt in der Berufungsinstanz zu begründen. Das
Vertrauen der Partei in die persönlichen oder fachlichen Qualitäten eines bestimmten
Rechtsanwalts ist kein hinreichender Gesichtspunkt zur Begründung der
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Rechtsanwalts ist kein hinreichender Gesichtspunkt zur Begründung der
Erstattungspflicht, weil die Frage, ob eine zusätzliche Kosten auslösende Maßnahme
notwendig i.S.v. § 91 Abs.1 ZPO war, nur nach objektiven Kriterien zu beantworten ist
(Senat, JurBüro 1981, 568, 569 f.; vgl. auch BGH NJW 2003, 901, 902 f.). Der
Ausnahmefall, dass es sich bei dem Verkehrsanwalt im Wesentlichen um die einzige
vorhandene Erkenntnisquelle für den (neuen) Prozessbevollmächtigten handelte,
insbesondere keine schriftlichen Unterlagen über entscheidungserhebliche Vorgänge
existierten (vgl. dazu OLG München, JurBüro 1991, 554, 555), ist ersichtlich nicht
gegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs.1, 92 Abs.2 Nr.1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs.2
ZPO nicht vorliegen.
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