Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: verbraucher, angriff, privatsphäre, persönlichkeitsrecht, ausgabe, unterlassen, sucht, unternehmer, sammlung, quelle

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Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 3/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 ZPO, § 8 Abs 3 Nr 3 UWG, §
12 Abs 4 UWG
Streitwert bei unerbetener Telefonwerbung und unterbliebener
Widerrufsbelehrung
Leitsatz
1. Klagt ein Verbraucherverband auf Unterlassung unerbetener Telefonwerbung, so ist bei der
Streitwertbemessung in Rechnung zu stellen, dass ein massiver Angriff auf
Verbraucherinteressen in Rede steht, welcher das - auch verfassungsrechtlich - geschützte
allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angerufenen und dessen Privatsphäre in schlechterdings
nicht hinzunehmender Weise missachtet (im Streitfall 30.000,-- Euro).
2. Soll der Fernabsatz mit gänzlich fehlender Widerrufsbelehrung unterbunden werden, so
liegt normalerweise in Anwendung von § 12 Abs. 4, 1. Alt. UWG die Reduzierung des an sich
festzusetzenden Streitwerts um die Hälfte nahe (im Streitfall von 15.000,-- Euro auf 7.500,--
Euro).
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers wird - unter
Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - der Beschluss der Kammer für
Handelssachen 101 des Landgerichts Berlin vom 23. November 2009 - 101 O 92/09 -
geändert:
Der Streitwert wird auf 37.500 € festgesetzt.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
Die gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 2 x 5.000 € = 10.000 € mit dem Ziel der
Heraufsetzung auf 2 x 30.000 € = 60.000 € eingelegte Beschwerde der
Verfahrensbevollmächtigten des Klägers ist gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 68 Abs. 1
GKG zulässig. Teilweise hat sie auch in der Sache Erfolg.
1. Der Sache nach ist um unerbetene Telefonwerbung des Beklagten, einem
Weinhändler, sowie um dessen Fernabsatz ohne Widerrufsbelehrung gestritten worden,
was der Kläger, eine gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG qualifizierte Einrichtung
(Verbraucherzentrale), beides unterbunden wissen wollte und dies in der Klageschrift mit
je 30.000 € bewertet hat.
2. Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu
bestimmen. Maßgeblich für die Schätzung ist bei einer auf Unterlassung von
Lauterkeitsrechtsverletzungen gerichteten Klage das Interesse, das der Kläger an der
Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße hat. Dieses Interesse wird maßgeblich
durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit für den Wettbewerber
oder Verbraucher anhand des drohenden Schadens bestimmt. Dabei sind u. a. die
Unternehmensverhältnisse bei dem Verletzer (Umsätze, Größe, Wirtschaftskraft,
Marktstellung und deren voraussichtliche Entwicklung), die Auswirkungen zukünftiger
Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, insbesondere durch die
bereits begangene Verletzungshandlung) und die Intensität der Wiederholungsgefahr
(Verschuldensgrad, späteres Verhalten) zu berücksichtigen (vgl. zu Vorstehendem BGH
GRUR 1990,1052, 1053 - Streitwertbemessung; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm,
Wettbewerbsrecht, 28. Aufl., § 12 UWG Rdn. 5.3, m. w. N.).
Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des Interesses nach vorstehenden Grundsätzen
bildet nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Angabe des Streitwerts in der
Klage- bzw. Antragsschrift; denn diese Angabe erfolgt grundsätzlich noch unbeeinflusst
vom Ausgang des Rechtsstreits. Sie kann daher der Streitwertfestsetzung regelmäßig
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vom Ausgang des Rechtsstreits. Sie kann daher der Streitwertfestsetzung regelmäßig
zugrunde gelegt werden, es sei denn, dass sich aus den Umständen die Fehlerhaftigkeit
der Angabe ergibt. Die Streitwertangabe enthebt das Gericht daher nicht der
Notwendigkeit, diese anhand der Aktenlage und sonstiger Gegebenheiten unter
Berücksichtigung seiner Erfahrung und in vergleichbaren Fällen erfolgter
Wertfestsetzungen selbständig nachzuprüfen (vgl. Senat KG-Report 1998, 170, 171).
Klagt - wie hier - ein Verbraucherverband (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG), so ist das
satzungsmäßig wahrgenommene Verbraucherinteresse zu schätzen, was unter
Umständen – etwa bei Gesundheitsgefährdung der Verbraucher – auf einen wesentlich
höheren Betrag hinauslaufen kann als beim zu bewertenden Interesse eines
Mitbewerbers (Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 230 m.w.N.).
3. Nach Maßgabe vorstehender Grundsätze erweist sich der vom Landgericht wegen der
unerbetenen Telefonwerbung festgesetzte Wert von 5.000 € unter Berücksichtigung der
maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falls als deutlich untersetzt, und rückt diese
Verletzung wertmäßig zu Unrecht in die Nähe des Bagatellbereichs. Bei unerbetener
Telefonwerbung handelt es sich um einen massiven Angriff auf Verbraucherinteressen,
der das - auch verfassungsrechtlich - geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Angerufenen und dessen Privatsphäre in schlechterdings nicht hinzunehmender Weise
missachtet.
Unter Berücksichtigung alles Vorstehenden rechtfertigt sich im Streitfall - dem
klägerischen Interesse an wirklich nachhaltiger Unterbindung dieses Grundübels
Rechnung tragend - in der Tat eine Bewertung des ersten Begehrens mit 30.000 € (vgl.
auch Senat, Beschl. v. 16.2.2010 - 5 U 26/09 sowie - noch weiter gehend: 50.000 € -
Senat, Beschl. v. 9.2.2010 - 5 U 200/07 [beides unveröffentlicht]).
Die vom Landgericht zur Begründung herangezogene Entscheidung des 9. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 12. September 2006 - 9 U 176/06 (KGR 2007, 206) steht dem
nicht entgegen (und dürfte ohnehin schon infolge BGH a.a.O. jetzt nur noch mit Vorsicht
heranzuziehen sein). Der dortige Fall war anders gelagert: Es wurde kein Verbraucher
privat angerufen, und es klagte der angerufene und sich belästigt fühlende Unternehmer
mit dem Begehren, es zu unterlassen, ihn nochmals zu Werbezwecken anzurufen.
4. Die landgerichtliche Bemessung der Unterbindung von Fernabsatz ohne jegliche
Widerrufsbelehrung mit nur 5.000 € ist gleichfalls - wenn im Ergebnis auch nur
geringfügig - untersetzt (insoweit freilich bundesweit sehr stark differierende Streitwerte,
vgl. dazu die Nachweise bei Hess a.a.O. Rdn. 229 und [Online-Ausgabe 2010] Rdn.
229.1). Soweit sich das Landgericht hier auf KG v. 5.12.2006 - 5 W 295/06 - (juris) zu
stützen sucht und ausführt, der Streitfall gebe zur Abweichung keinen Anlass, ist dem
aus drei Gründen zu widersprechen: Erstens wurden dort 6.500 € (a.a.O. - juris - unter
"Tenor") und nicht wie hier nur 5.000 € festgesetzt. Zweitens ging es dort um ein
Eilverfahren und nicht wie hier um eine Hauptsachenklage (zur diesbezüglichen "2/3-
Rechtsprechung" vgl. Senat GRUR-RR 2007, 63, 64; Hess a.a.O. Rdn. 233). Und drittens
ging es dort nur um eine in einem Detail unrichtige Widerrufsbelehrung und nicht wie hier
um eine gänzlich fehlende Widerrufsbelehrung, was aber der Senat normalerweise und
so auch hier im Ausgangspunkt mit 15.000 € bewertet, diesen Betrag jedoch bei - auch
hier - erfüllten Voraussetzungen des § 12 Abs. 4, 1. Alt. UWG auf die Hälfte, also 7.500 €
reduziert (dazu Senat a.a.O.; Hess a.a.O. Rdn. 245 ff., 248).
5. Nach allem ist der Streitwert in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung auf
30.000 € + 7.500 € = 37.500 € festzusetzen.
II.
Die Nebenentscheidungen zu den Kosten beruhen auf § 68 Abs. 3 GKG.
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