Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: pflichtverteidiger, wahlverteidiger, mandat, vergütung, sicherheit, öffentlich, rechtskraft, verfahrenskosten, leistungsfähigkeit, fürsorge

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 1407/05 - 5 Ws
563/05, 1 AR
1407/05, 5 Ws 563/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 140 StPO, § 141 StPO, § 138
StPO, § 142 StPO, § 296 StPO
Pflichtverteidigerbestellung: Nachträgliche und rückwirkende
Bestellung eines Pflichtverteidigers für das im Rechtszug
abgeschlossene Verfahren
Leitsatz
Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren
ist schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin ausgeschlossen, und zwar auch dann,
wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden
Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte.
Tenor
Die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Bestellung seines
Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger durch den Vorsitzenden der Strafkammer 46 -
Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Berlin wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.
Gründe
Das Schwurgericht des Landgerichts Berlin hat den Beschwerdeführer am 22. Dezember
1988 wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit
Vergewaltigung, wegen Mordes und wegen Computerbetruges zu lebenslanger
Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung angeordnet. Durch Beschluss vom 14. Juni 1999 hat die
Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass die Schuld des Beschwerdeführers
besonders schwer wiegt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Der Verurteilte wendet sich
mit seiner Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden der
Strafvollstreckungskammer, seinen bisherigen Wahlverteidiger in einem
abgeschlossenen Verfahren nach §§ 458 Abs. 2, 455 Abs. 4 StPO nachträglich zum
Pflichtverteidiger zu bestellen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Im Vollstreckungsverfahren kam es - soweit hier von Belang - zu folgendem Verlauf:
Am 27. August 2003 beantragte der Beschwerdeführer die Unterbrechung der
Vollstreckung gemäß § 455 Abs. 4 Nr. 1 StPO. Die Staatsanwaltschaft lehnte diesen
Antrag mit Bescheid vom 20. November 2003 ab.
Am 20. Februar 2004 erneuerte der Beschwerdeführer seinen Unterbrechungsantrag;
gleichzeitig beantragte er bei der Strafvollstreckungskammer seine Überweisung in den
Maßregelvollzug. Über den erneuten Unterbrechungsantrag entschied die
Staatsanwaltschaft zunächst nicht. Mit Beschluss vom 16. März 2004 lehnte die
Strafvollstreckungskammer die Überweisung in den Maßregelvollzug ab. Den für das
Überweisungsbegehren gestellten nachträglichen Antrag des Verteidigers auf
Beiordnung als Pflichtverteidiger vom 18. März 2004 lehnte diese am 25. März 2004 u.a.
unter Hinweis darauf ab, dass wegen des am 16. März 2004 ergangenen Beschlusses
derzeit keine gerichtliche Entscheidung anstehe. Gegen den Beschluss vom 16. März
2004 legte der Beschwerdeführer am 3. April 2004 sofortige Beschwerde ein, die sein
Verteidiger mit einem erneuten Antrag auf Beiordnung verband. Der Senat bestellte
diesen am 29. April 2004 für das Beschwerdeverfahren zum Pflichtverteidiger und
verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 8. Juni 2004.
Auf den auf § 455 Abs. 4 StPO gestützten Unterbrechungsantrag vom 20. Februar 2004
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Auf den auf § 455 Abs. 4 StPO gestützten Unterbrechungsantrag vom 20. Februar 2004
kam die Staatsanwaltschaft nach der Erledigung des Beschwerdeverfahrens über die
Überweisung in den Maßregelvollzug zurück. Sie lehnte ihn mit Bescheid vom 6. August
2004 ab. Am 23. August 2004 suchte der Beschwerdeführer daraufhin um gerichtliche
Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO nach und beantragte gleichzeitig wiederum die
Beiordnung seines bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger, nunmehr für das
Verfahren nach §§ 458 Abs. 2, 455 Abs. 4 StPO. Mit Beschluss vom 17. September 2004
verwarf die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung,
entschied jedoch bis zum Abschluss dieses Rechtszuges nicht über die Beiordnung.
Gegen die ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer legte der
Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Für das Beschwerdeverfahren bestellte der
Vorsitzende des Senats den bisherigen Wahlverteidiger auf seinen Antrag vom 29.
September 2004 zum Pflichtverteidiger. Mit Beschluss vom 31. Januar 2005 - 5 Ws
606/04 - verwarf der Senat das Rechtsmittel.
Erst am 26. August 2005, also etwa ein Jahr nach Abschluss des erstinstanzlichen
Verfahrens, lehnte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer die Bestellung ab.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde
vom 5. September 2005.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft, da die Ablehnung der
Pflichtverteidigerbestellung nach einhelliger Ansicht grundsätzlich mit diesem
Rechtsmittel anfechtbar ist (vgl. OLG Köln MDR 1990, 461; OLG Celle NStZ 1985, 519;
KG StV 1986, 239; 1985, 448; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 141 Rdn. 10 mit weit.
Nachweisen).
Der Verteidiger hat zwar kein eigenes Beschwerderecht (vgl. Meyer-Goßner, aaO mit
weit. Nachw.). Vorliegend ergibt sich jedoch aus der Zusammenschau des
Beiordnungsantrages und der Beschwerdeschrift noch hinreichend deutlich, dass die
Beschwerde für den Beschwerdeführer eingelegt worden ist.
2. Die Beschwerde ist aber unzulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden
Rechtsmittels ist unter anderem das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers
(vgl. BGHSt 28, 327, 330; 16, 374; Meyer-Goßner, vor § 296 StPO Rdn. 8 mit weit.
Nachw.). Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die ergangene (oder abgelehnte)
Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den Betroffenen enthält, seine Rechte
und geschützten Interessen eine unmittelbare Beeinträchtigung erfahren haben und
wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwägung dem Beschwerdeführer die Aussicht auf
eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; 7, 153;
BGH wistra 1999, 347). Daran fehlt es hier. Denn das Verfahren war mit der
Entscheidung der Strafvollstreckungskammer am 17. September 2004 im ersten
Rechtszug und am 31. Januar 2005 mit der Verwerfung der sofortigen Beschwerde durch
den Senat endgültig abgeschlossen. Für die Führung der Verteidigung besteht demnach
kein Bedürfnis mehr (vgl. OLG Düsseldorf JZ 1984, 756). Zu berücksichtigen ist dabei,
dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten
oder seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen
Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen
rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf
gewährleistet wird (vgl. BVerfGE 39, 238, 242; OLG Düsseldorf StV 1984, 66; wistra 1992,
320; Senat, Beschluss vom 11. Februar 2005 - 5 Ws 656/04 - in www.burhoff.de -). Diese
Interessenlage ist entfallen.
3. a) Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug - hier sogar
darüber hinaus rechtsbeständig - abgeschlossene Verfahren ist schlechthin unzulässig
und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der
Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden
Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte (vgl. BGH StV 1997,
238; StV 1989, 378; OLG Köln NJW 2003, 2038; OLG Düsseldorf StraFO 2003, 94; NStZ-
RR 1996, 171; StV 1984, 66; JurBüro 1984, 718; OLG Hamm StraFO 2002, 397; OLG
Koblenz - 2. Strafsenat - NStZ-RR 1997, 384; OLG Celle NdsRpfl, 19; OLG Karlsruhe RPfl
1986, 149; std. Rspr. aller Beschwerde- und Revisionssenate des KG, vgl. KG RPfl 1994,
226; Beschlüsse vom 23. August 2005 - 4 Ws 121/05 -; 2. August 2005 - (5) 1 Ss 236/05
(42/05) -; 7. Juni 2004 - 3 Ws 182/04 -; 20. Februar 2004 - 3 Ws 39/04 -
www.strafverteidiger-berlin.de/rechtsprechung/entscheidung.php?id=1134 -; 16. Januar
2003 - 5 Ws 4/03 -; 14. März 2002 - 5 Ws 156/02 -; 5. November 2001 - 3 Ws 510/01 -;
30. November 1999 - 4 Ws 285/99 - www.strafverteidiger-
berlin.de/rechtsprechung/entscheidung.php?id=638 ; 13. Januar 1995 - 5 Ws 8/95 -; 12.
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berlin.de/rechtsprechung/entscheidung.php?id=638 ; 13. Januar 1995 - 5 Ws 8/95 -; 12.
Juni 1991 - 3 Ws 112/91 -; Lüderssen in LR, StPO 25. Aufl., § 141 Rdn. 11; Meyer-Goßner,
§ 141 Rdn. 8; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 141 Rdn. 3, 4).
b) Die rückwirkende Bestellung wird allerdings - unter verbaler Wahrung des
Grundsatzes, wonach sie regelmäßig unwirksam ist (vgl. Wohlers in SKStPO, § 141 Rdn.
24) - in Teilen des Schrifttums und in dem bevorzugt veröffentlichten Teil der
(überwiegend landgerichtlichen) Rechtsprechung dann für geboten gehalten, wenn der
Antrag auf Beiordnung - wie hier - rechtzeitig gestellt und vom Gericht nicht, nicht
rechtzeitig, ohne Gründe (vgl. LG Potsdam StraFO 2004, 381 = StV 2005, 83) oder
fehlerhaft (vgl. LG Magdeburg StraFO 2003, 420 = StV 2005, 84 Ls) beschieden worden
ist und die Voraussetzungen der Beiordnung vorgelegen hätten (vgl. OLG Koblenz - 1.
Strafsenat - StV 1995, 537; LG Schweinfurt StraFO 2006, 25; LG Hamburg StV 2005, 207
mit Anm. Rogosch; LG Aachen StraFO 2004, 96; StV 2004, 125; LG Bremen StV 2004,
126; StraFO 2002, 329; LG Magdeburg StraFO 2003, 420; LG Köln StraFO 2003, 311; LG
Heilbronn StraFO 2003, 199; LG Osnabrück StV 2001, 447; LG Braunschweig StV 2001,
447; LG Hamburg StV 2000, 16; LG Berlin StV 1997, 517 = NStZ-RR 1998, 116; LG
Braunschweig StV 1997, 70; LG Frankfurt am Main StV 1992, 315; Laufhütte in KK, StPO
5. Aufl., § 141 Rdn. 12; Julius in HK, StPO 3. Aufl., § 141 Rdn. 10; Müller, NStZ-RR 2005,
131, NStZ-RR 2004, 100). Der Antrag des Verteidigers habe, als er ihn rechtzeitig stellte,
nicht dem Zweck gedient, ihm einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu
verschaffen, sondern die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sicherstellen
sollen. Der gerichtsinterne Fehler dürfe sich nicht zum Nachteil des Angeklagten
auswirken. Lasse man das mit der herrschenden obergerichtlichen Ansicht zu, so müsse
der Angeklagte die Sorge haben, von einem Rechtsanwalt verteidigt zu werden, der
seinerseits befürchtet, keine Vergütung zu erhalten, was sich strukturell und inhaltlich
auf den effektiven Rechtsschutz auswirke (vgl. LG Bremen StV 2004, 126, 127). Auch der
Vergleich mit der Rechtsprechung zur nachträglichen Beiordnung eines anwaltlichen
Beistandes (§ 397a Abs. 1 Satz 2 StPO) oder der nachträglichen Gewährung von
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 397a Abs. 2 StPO
spreche dafür, die nachträgliche Bestellung auch in den Fällen der Pflichtverteidigung
zuzulassen (vgl. LG Bremen aaO).
4. Der Senat verbleibt bei seiner Ansicht. Für ein abgeschlossenes Verfahren darf ein
Pflichtverteidiger unter keinen Umständen rückwirkend bestellt werden, weil eine solche
Bestellung auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist. Der Verteidiger hat seine Leistung
bereits als Wahlverteidiger aufgrund eines Mandatsverhältnisses abschließend erbracht.
Die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger einsetzende öffentlich-rechtliche Pflicht
zum Tätigwerden kann er nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr erfüllen (vgl. OLG
Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 Ws 206/00 -
www.burhoff.de/rspr/texte/q_00022.htm mit weit. Nachw.).
a) Zwischen der Tätigkeit als Wahlverteidiger und der als Pflichtverteidiger bestehen
wesensmäßige Unterschiede, die eine rückwirkende Änderung seiner Rechtsstellung
verbieten. Der vom Angeklagten gewählte Verteidiger (§ 138 StPO) ist aufgrund eines
Auftragsverhältnisses und der sie ausweisenden Vollmacht tätig, weil der Mandant ihn
beauftragt und er den Auftrag angenommen hat. Er kann wirksam eine Untervollmacht
erteilen, ohne die Zahl der gewählten Verteidiger zu erhöhen (vgl. Laufhütte in KK, StPO
5. Aufl., vor § 137 Rdn. 14) und das Mandat jederzeit wirksam niederlegen. Sein Mandat
reicht über die Rechtskraft des Urteils hinaus. Auch nach dem Abschluss des
Rechtszuges gilt es fort und ermächtigt ihn - sofern in der Vollmachtsurkunde enthalten
- zur wirksamen Annahme von Zustellungen. Sein Vergütungsanspruch richtet sich
gegen den Auftraggeber, was dieser bei Abschluss des Dienstvertrages weiß. Erst mit
der Mandatsniederlegung endet der zivilrechtliche Auftrag des Rechtsanwalts. Wird er -
wie meistens, so auch hier - von der Bestellung abhängig gemacht, wirkt er fort.
Erst die Bestellung als Pflichtverteidiger gibt einem öffentlich-rechtlichen
Rechtsverhältnis Raum, auf deren Grundlage der Rechtsanwalt fortan arbeitet. Die
gerichtliche Bestellung zum Verteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme
Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238, 241 = NJW 1975, 1015). Der
nach § 141 Abs. 1 StPO bestellte Verteidiger muss die Verteidigung übernehmen (§ 49
BRAO); nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Indienstnahme beantragen
(vgl. BVerfG NJW 2001, 1269). Er ist - gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer
beruflicher Interessen - verpflichtet, das Mandat persönlich zu führen; wirksam kann er
weder einen Unterbevollmächtigten bestellen noch das Mandat niederlegen (vgl. BVerfG
aaO). Denn er ist nicht aufgrund des mit seinem eigenen Willen übereinstimmenden
Willens des Angeklagten tätig, sondern im öffentlichen Interesse, das der Rechtsstaat an
der wirksamen Verteidigung des Angeklagten hat (vgl. BVerfGE aaO; Meyer-Goßner, §
140 StPO Rdn. 1 mit weit. Nachw.). Seine Bestellung endet (mit geringen Ausnahmen)
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140 StPO Rdn. 1 mit weit. Nachw.). Seine Bestellung endet (mit geringen Ausnahmen)
mit der Rechtskraft des Urteils (vgl. Laufhütte in KK, § 141 StPO Rdn. 10). Seine
Vergütung, die unter den als angemessen anzusehenden Rahmengebühren des
Wahlverteidigers liegt (vgl. BVerfGE 68, 237, 255 = NJW 1985, 727), trägt dem Umstand
Rechnung, dass der Gesetzgeber die Indienstnahme nicht als kostenlos zu erbringende
Ehrenpflicht ausgestaltet hat (vgl. BVerfG NJW 2001, 1269). Die Vergütung ist das
notwendige Gegenstück zur Auferlegung einer Verpflichtung (vgl. Hartmann,
Kostengesetze 33. Aufl., § 97 BRAGO Rdn. 2). Sie ist folglich aus der Staatskasse zu
leisten; den verurteilten Angeklagten trifft sie nur mittelbar, wenn er die zu den
Verfahrenskosten zählenden Auslagen der Staatskasse zu tragen hat (§§ 465 Abs. 1,
464 Abs. 1, 464a Abs. 1 Satz 1 StPO) und wenn die Ansetzung nicht nach § 10 KostVfG
unterbleibt. Nur wegen dieser wesensmäßigen Unterschiede war es möglich und
geboten, in „Kippfällen“, in denen das Mandatsverhältnis vor dem Inkrafttreten des RVG
am 1. Juli 2004 begründet, die Bestellung zum Pflichtverteidiger aber danach angeordnet
worden war, nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG die Vergütung nach den Vorschriften des RVG
zu berechnen (vgl. OLG Schleswig RVGreport 2005, 29; KG RVGreport 2005, 100; Senat,
Beschluss vom 11. Februar 2005 - 5 Ws 656/04 -). § 48 Abs. 5 RVG (vormals § 97 Abs. 3
BRAGO) ordnet lediglich eine kostenrechtliche Rückwirkung an und führt nicht zu einer
rückwirkenden Bestellung (vgl. OLG Köln NJW 2003, 2038; KG RPfl 1994, 226; Hartmann,
Kostengesetze 35. Aufl., § 48 RVG Rdn. 99).
b) Diese Systematik darf auch nicht deswegen durchbrochen werden, weil das Gericht
auf einen rechtzeitigen und begründeten Antrag des bisherigen Wahlverteidigers untätig
geblieben ist. Nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der §§ 140 ff. StPO
steht immer nur die Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung im Vordergrund
(vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 Ws 206/00 - www.burhoff.de mit weit.
Nachw.). Der Beschwerdeführer war indes ständig durch Rechtsanwalt Dr. H. als
Wahlverteidiger ordnungsgemäß verteidigt. Ein Verteidiger wird nur demjenigen
Beschuldigten, Angeklagten oder Verurteilten bestellt, der in den Fällen des § 140 StPO
noch keinen Verteidiger hat (§ 141 Abs. 1 StPO).
aa) Die Auffassung, wonach der rechtzeitige und unbeschieden gebliebene Antrag des
Verteidigers ausreichen solle, um eine rückwirkende Beiordnung zu rechtfertigen,
verändert die Vorschriften über die Pflichtverteidigung in ihrem Wesenskern. Sie verkehrt
eine Vorschrift, die ausschließlich im öffentlichen Interesse die Verteidigung des
unverteidigten Beschuldigten gewährleisten soll, in eine Sozialregelung für mittellose
Beschuldigte, denen sie eine gewisse finanzielle Sicherheit verschaffen soll (so
ausdrücklich LG Schweinfurt, StraFO 2006, 25). Wer einen Anspruch auf einen
Pflichtverteidiger habe, solle sich darauf verlassen können, dass er nicht am Ende für die
Verteidigerkosten aufkommen müsse (so OLG Koblenz StV 1995, 537, 538). Diese
Ansicht steht in einem diametralen Gegensatz zum gesetzlichen Leitbild der
Pflichtverteidigung. Sie ist gerade nicht als Sozialleistung ausgestaltet. Denn sie hängt
nie von den Vermögensverhältnissen oder der finanziellen Leistungsfähigkeit des
Beschuldigten ab. Zur Fürsorge für die unbemittelte Partei dient die Prozesskostenhilfe.
Aus diesem Grunde ist in diesem Bereich die rückwirkende Beiordnung zur Korrektur
eines gerichtlichen Versäumnisses zugelassen (vgl. Meyer-Goßner, § 397a Rdn. 15 mit
Nachw.). Diesen Unterschied verkennen LG Bremen StV 2000, 126, 127 und OLG
Frankfurt am Main StV 1992, 315.
bb) Es ist auch nicht richtig, dass sich der Beschuldigte darauf verlassen können muss,
dass „er nicht am Ende für die Verteidigerkosten aufkommen muss“ (vgl. OLG Koblenz
aaO). Denn diese Sicherheit hat er auch im Falle der Beiordnung nicht. Sofern er die
Verfahrenskosten tragen muss (§§ 465 Abs. 1, 464 Abs. 1 StPO), zählen nach § 464a
Abs. 1 Satz 1 StPO die Auslagen der Staatskasse für die Pflichtverteidigergebühren dazu
und werden gegen ihn festgesetzt (vgl. BGH RPfl 1979, OLG Hamm NStZ-RR 2000, 160;
Meyer-Goßner, § 464a StPO Rdn. 1).
cc) Solange der von dem Mandanten beauftragte Rechtsanwalt als Wahlverteidiger tätig
bleibt, beruht sein Vergütungsanspruch auf dem mit dem Beschuldigten geschlossenen
Vertrag. Wer miteinander einen Vertrag schließt und auf dessen Grundlage handelt,
muss sich vertragsgemäß verhalten und damit rechnen, dass die daraus resultierenden
gegenseitigen Ansprüche erfüllt werden müssen und können. Allein die - gesetzlich
gestützte - Aussicht, mittels der Beiordnung die Beendigung des eingegangenen
Vertragsverhältnisses zu erlangen, begründet weder für den Beschuldigten bereits zum
Zeitpunkt des Antrages einen Anspruch, von seinen vertraglich mit dem Rechtsanwalt
vereinbarten Zahlungsverpflichtungen loszukommen, noch für den Rechtsanwalt eine
Sicherheit, statt des Vertragspartners die Staatskasse als (noch) solventen Schuldner in
Haftung nehmen zu können. Erst die Beiordnung beendet dieses Stadium.
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Dass der Verteidiger entgegen der ihm vertraglich obliegenden Pflicht, den Mandanten
bestmöglich zu verteidigen, eine weniger engagierte und damit schlechtere Leistung
erbringen könnte, weil er an der Vertragstreue seines Mandanten zweifelt, kann nicht
ernsthaft in Erwägung gezogen werden, weil diese Überlegung ein vertragswidriges
Verhalten des Verteidigers unterstellt.
5. Will der Rechtsanwalt wegen der Vermögenslosigkeit des Mandanten oder anderer
Gründe, an dessen Zahlungskraft oder Zahlungswillen zu zweifeln, sicherstellen, dass er
nur als Pflichtverteidiger, aber nicht als Wahlverteidiger auftritt, so darf er sein Mandat
nicht erst unter der Bedingung der Beiordnung niederlegen, sondern muss das
bedingungslos tun und klarstellen, dass er nur als Pflichtverteidiger auftreten werde oder
er muss ausschließlich den Antrag auf Beiordnung stellen, ohne sich zuvor als
Wahlverteidiger zu melden (vgl. KG RPfl 1994, 226). Nur dann ist - im Falle der
notwendigen Verteidigung - sichergestellt, dass das Gericht, das versäumt, den
Verteidiger beizuordnen, verfahrensfehlerhaft handelt und das Risiko eingeht, dass die
Sache im Falle einer für den Beschuldigten nachteiligen Entscheidung zurückverwiesen
wird (vgl. die in KG StV 1990, 298 geschilderte Fallgestaltung). Verzögert das Gericht die
Bearbeitung des Antrages (vgl. die Beispiele in LG Bremen StV 2000, 126, 127), so steht
dem Beschuldigten, der wegen der Auswahlregelung des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO auch
nicht Gefahr läuft, dass ein anderer Rechtsanwalt bestellt wird, alsbald die Möglichkeit
der Untätigkeitsbeschwerde (§ 304 StPO) zur Verfügung, weil das Unterlassen einer
Entscheidung in diesem Falle einer ablehnenden Entscheidung gleich zu achten wäre
(vgl. Meyer-Goßner, § 304 StPO Rdn. 3).
6. So lagen die Dinge übrigens hier. Weshalb eine Entscheidung über den Antrag auf
Beiordnung als Pflichtverteidiger unterblieben ist, erhellt sich dem Senat nicht. Denn
angesichts der Schwierigkeit des vorliegenden Falles und des Umstandes, dass der
Beschwerdeführer unter paranoider Schizophrenie leidet, hätte eine
Pflichtverteidigerbestellung durchaus nahe gelegen. Dass die
Strafvollstreckungskammer zunächst überhaupt keine Entscheidung getroffen hat, ist
nicht nachvollziehbar. Denn auf diese Weise war der Beschwerdeführer, dem der von
dem Senat oben unter 5. gewiesene Weg unbekannt war, gehindert, die ihm nach dem
Gesetz zustehende Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung rechtzeitig
einzulegen. An dieser Einschätzung ändert auch der Vermerk des Vorsitzenden der
Strafvollstreckungskammer vom 17. Dezember 2004 nichts.
Aus diesem Grunde hat der Senat die Kosten des Beschwerdeverfahrens, die nach § 473
Abs. 1 Satz 1 StPO auf den Beschwerdeführer entfallen wären, gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1
GKG nicht erhoben.
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