Urteil des KG Berlin vom 27.10.2003

KG Berlin: allgemeine geschäftsbedingungen, anschlussberufung, klageerweiterung, waffengleichheit, disposition, auflage, agb, bürgschaftsurkunde, link, quelle

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Gericht:
KG Berlin 24.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 U 311/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 AGBG, § 9 AGBG, §
765 BGB, § 768 BGB, § 770 BGB
Bauvertrag: Voraussetzungen des Aushandelns einer
Vertragsbedingung/Sicherheitsabrede; Unwirksamkeit
formularmäßiger Vereinbarung der Ablösung eines
Sicherheitseinbehalts durch Gewährleistungsbürgschaft auf
erstes Anfordern
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober
2003 - 30 O 372 /03 - wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 26.419,87
EUR zuzüglich der bereits festgesetzten und künftig noch festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Wegen der Verwerfung der Anschlussberufung wird die Revision zugelassen.
Gründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen
und ergänzend ausgeführt (§ 540 Abs. 1 ZPO):
Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 27. Oktober 2003, der Beklagten
zugestellt am 5. November 2003 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der
Beklagten.
Sie rügt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, das Landgericht habe
übersehen, dass es sich bei der vereinbarten Bürgschaft um eine Individualvereinbarung
und nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen handele. Die Rechtsprechung des BGH
sei daher nicht anwendbar. Im Übrigen lägen Mängel vor.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2003, die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.574,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Wegen des weitergehenden Antrages nimmt er die Klage zurück.
Die Beklagte beantragt,
die Klageerweiterung insgesamt abzuweisen.
Der Kläger nimmt im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des
erstinstanzlichen Urteils und seinen Vortrag in erster Instanz Bezug. Er ist der Ansicht,
dass die Klageerweiterung zu jeder Zeit schon aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit
zulässig sei. Die Avalkosten seien dem Kläger in der begehrten Höhe entstanden.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klage ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung begründet.
Die Anschlussberufung ist unzulässig.
1. Vorliegend handelt es sich um eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern
unter Ausschluss der Einreden gemäß §§ 768,770, 771 und 776 BGB. In ständiger Rspr.
hat der BGH entschieden, dass eine Klausel in AGB, die vorsieht, dass von der
Schlussrechnungssumme ein Gewährleistungseinbehalt in Abzug gebracht wird, der
durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, unwirksam ist. Eine
geltungserhaltende Reduktion dieser Klausel, kommt anders als bei der
Vertragserfüllungsbürgschaft, nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 22. November 2001 -
VII ZR 208/00 - = BauR 2002, 463 ff, BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 – VII ZR 494/00 - =
BauR 2002, 1392 ff, BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 – VI ZR 502/99 - = BGHZ 151, 229).
Die streitgegenständliche Bürgschaft unterfällt der Kontrolle durch das AGBG. Die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG liegen nicht vor. Es handelt sich nicht um eine
Individualvereinbarung. Soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im
Einzelnen ausgehandelt sind, ist das AGBG unanwendbar. Aushandeln im diesem Sinne
setzt voraus, dass der Verwender zu Verhandlungen über den Vertragsinhalt bereit ist.
Aushandeln bedeutet mehr als bloßes Verhandeln. Der Verwender muss den
gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB als inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen
und dem anderen Teil Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen.
Der Kunde muss die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der Vertragsbedingungen zu
beeinflussen (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Auflage, Rz 17 zu § 1 AGBG m.w.N.).
Die Beklagte verwendet die Formel und das Bürgschaftsformular standardisiert in all
ihren Bauverträgen. Die Vereinbarung wird nicht dadurch zu einer
Individualvereinbarung, dass die Parteien vorliegend für die 19 Bauvorhaben, für welche
der Kläger als Nachunternehmer tätig war und für welche die Gewährleistungsbürgschaft
auf erstes Anfordern zu stellen war, die Bürgschaften in einer Bürgschaftsurkunde
zusammengefasst haben. Dies geschah, wenn man sich die Anlage zur
Bürgschaftsurkunde und die zum Teil geringen Sicherheitseinbehalte in Höhe von 103,00
DM bis ca. 6.000 DM pro Bauvorhaben ansieht, aus Gründen praktischer Vernunft. Ein
Aushandeln in dem Sinne, dass die Beklagte als Verwender dem Kläger die Möglichkeit
eingeräumt hätte auf das Vertragswerk Einfluss zu nehmen, ist darin nicht zu sehen. Die
Beklagte hat die Art der zu stellenden Sicherheit nicht zur Disposition gestellt. Sie
bestand auf einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Dass sie zu keiner weiteren
Verhandlung als zu einer Zusammenfassung der Gewährleistungseinbehalte aus
verschiedenen Bauvorhaben in einer Urkunde bereit war, wird auch durch das Schreiben
der Dresdner Bank vom 27. September 1996 belegt. Demzufolge lehnte die Beklagte es
ab, „einen Bürgschaftstext zu akzeptieren, wonach sich die Bürgschaft automatisch um
die Sicherheitseinbehalte am Ende des jeweiligen Gewährleistungszeitraums
ermäßigte“.
2. Die Anschlussberufung des Klägers mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2004 ist unzulässig
(§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Der Kläger, der selbst nicht Berufung gegen das Urteil des Landgericht Berlin eingelegt
hat, muss sich der Berufung der Beklagten innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2
ZPO anschließen, wenn er mehr erreichen will, als die Verwerfung oder Zurückweisung
der Berufung. Die Anschlussberufung ermöglicht ihm die Stellung eigener Sachanträge.
Gründe der Waffengleichheit der Parteien (Piekenbrock MDR 2002, 675) rechtfertigen im
vorliegenden Fall keine andere Entscheidung. Der Kläger hat sich bereits in der
Klageschrift die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche für den Zeitraum
ab dem 17. Juli 2002 in Höhe der Kosten, die durch die verspätete Herausgabe der
Bürgschafturkunde entstehen, vorbehalten. Es war ihm somit durchaus zumutbar
innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine weitergehenden Ansprüche
gegenüber der Beklagten im Rahmen einer Anschlussberufung zu verfolgen.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2, 708 Nr.
10, 711 ZPO.
4. Die Zulassung der Revision gegen die Entscheidung des Senats, die
Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen, war gemäß § 543 Abs. 2 Nr.1 ZPO
Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen, war gemäß § 543 Abs. 2 Nr.1 ZPO
wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Klageerweiterung nur innerhalb
der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO oder jederzeit auch in der Berufungsinstanz aus
Gründen der Waffengleichheit und Prozesswirtschaftlichkeit erfolgen kann, selbst wenn
der Kläger selbst keine Berufung eingelegt hat, geboten (s.a. OLG Hamm OLGR 2004,
51; OLG Oldenburg Nds Rpfl 2004, 104 zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, OLGR 2003,
331; Gerken NJW 2002, 1095; Zöller/Gummer/Heßler, 24. Auflage, ZPO, Rz 37 zu § 524;
vergleiche auch BGH NJW 2004, 2152).
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