Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: einzelrichter, wirtschaftliches interesse, bedürftigkeit, rangrücktritt, minderung, sammlung, link, quelle, sozialleistung, anfang

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Gericht:
KG Berlin 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 W 202/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 568 S 1 ZPO, § 574 Abs 2 Nr 2
ZPO, § 574 Abs 3 S 1 ZPO
Leitsatz
1. In Beschwerdesachen ist gemäß § 568 Satz 1 ZPO auch dann der vollständig besetzte
Spruchkörper des Beschwerdegerichtes zur Entscheidung berufen, wenn zwar die
angegriffene Entscheidung von einem Einzelrichter stammt, die Nichtabhilfeentscheidung
aber von dem vollständig besetzten Spruchkörper des erstinstanzlichen Gerichts.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch dann nicht zur Wahrung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Abs. 3 Satz 1 ZPO zuzulassen, wenn das
Beschwerdegericht zwar abweichend von der Entscheidung eines anderen Gerichtes durch
den vollständig besetzten Spruchkörper entschieden hat, wenn aber aufgrund von
Entscheidungen des Einzelrichters des Beschwerdegerichtes in Parallelsachen mit
hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Einzelrichter nicht anders entschieden hätte, als
der vollständig besetzte Spruchkörper.
3. a) Verfügt eine Partei, die die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehrt, über eine
titulierte Forderung gegenüber einem Dritten, von dem sie behauptet, er sei aktuell nicht in
der Lage, die Forderung auszugleichen, so ist diese Behauptung im Regelfall als nicht
glaubhaft gemacht anzusehen, wenn seit der Behauptung mehr als 3 Wochen verstrichen
sind, ohne dass dem Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des
Drittschuldners nachgewiesen wurde.
b) Die Verwertbarkeit der Forderung ist im Übrigen nicht deshalb zu verneinen, weil die
prozesskostenhilfebegehrende Partei ohne Not einen Rangrücktritt hinsichtlich ihrer
Forderung erklärt hat.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2. gegen den Beschluss der Zivilkammer 10
des Landgerichts Berlin vom 8. September 2010 - Geschz.: 10 O 226/10 - wird
zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Beklagte zu 2. begehrt Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Verfahren vor
dem Landgericht Berlin, das eine Zahlungsklage in Höhe von 5.150 EUR sowie
Freistellungs- und Kostenerstattungsansprüche mit geringem Wert zum Gegenstand
hat.
Zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen trägt der Beklagte zu 2. in
diesem sowie in diversen Parallelverfahren vor, er sei Eigentümer von Immobilien.
Gleichwohl sei er bedürftig im Sinne von § 114 Satz 1 1. Halbsatz ZPO. Denn die
Immobilien seien mit Grundpfandrechten zur Sicherung von Bankdarlehen belastet.
Dem Senat ist aus der Parallelsache 2 W 124/10 sowie dem Verfahren 2 U 14/10, das bei
ihm ebenfalls anhängig war, des weiteren Folgendes dienstlich bekannt: Am 23. August
2010 schloss der Beklagte zu 2. einen Prozessvergleich vor dem Kammergericht -
Geschz. 2 U 14/10 - ab, in dem sich die J. GmbH, Berlin, verpflichtete, an ihn 750.000
EUR zu zahlen. Nachdem die J. GmbH ihm mit Schreiben vom 20. September 2010
mitgeteilt hatte, „aktuell nicht in der Lage zu sein, die Forderung auszugleichen“,
erklärte der Beklagte zu 2) tags darauf, mit seiner Forderung hinter sämtliche andere
Forderungen etwaiger anderer Gläubiger zurückzutreten. Der Beklagte zu 2. meint,
infolge des Rangrücktrittes sei seine Bedürftigkeit weiterhin zu bejahen.
Das Landgericht hat mit Beschluss des Einzelrichters vom 8. September 2010, dem
Beschwerdeführer zugestellt am 29. September 2010, den Prozesskostenhilfeantrag des
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Beschwerdeführer zugestellt am 29. September 2010, den Prozesskostenhilfeantrag des
Beklagten zu 2) zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des
Beklagten zu 2), bei Gericht eingegangen am 13. Oktober 2010. Das Landgericht hat mit
Beschluss der vollbesetzten Kammer vom 25. Oktober 2010 der sofortigen Beschwerde
nicht abgeholfen und sie dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
a)
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 127 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz, 567 Abs. 1 Nr. 2,
127 Abs. 1 Satz 1, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig, insbesondere ist sie statthaft und
wurde fristwahrend eingelegt.
b)
Über die sofortige Beschwerde hat nach § 568 Satz 1 ZPO der Senat in voller Besetzung
zu entscheiden.
Denn die angefochtene Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift ist auch dann nicht von
einem Einzelrichter erlassen worden, wenn die nach § 572 Abs. 1 ZPO erlassene
Nichtabhilfeentscheidung von der Kammer in voller Besetzung erlassen wurde (ebenso
, OLGR 2007, 372 Rdnr. 2 zit. nach Juris; gegenteiliger Auffassung
hingegen: , OLGR 2003, 187 Rdnr. 5 zit. nach Juris; , OLGR
2004, 115 Rdnr. 1 zit. nach Juris; in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 568 Rdnr. 2).
Das folgt vor allem aus dem Sinn und Zweck des § 568 Satz 1 ZPO. Sinn und Zweck des
§ 568 Satz 1 ZPO ist es nämlich, es im Interesse der Akzeptanz der
Beschwerdeentscheidung zu vermeiden, dass ein Einzelrichter eine
Kollegialentscheidung aufhebt oder abändert (so ausdrücklich BT-Drucksache 14/4722,
S. 111). Mit der Nichtabhilfeentscheidung übernimmt der für diese Entscheidung
zuständige Richter vollständige Verantwortung für die angefochtene Entscheidung: Er
hat sie nicht nur auf Plausibilität zu überprüfen und ist in keiner Weise an Feststellungen,
die in der angefochtenen enthalten sind, gebunden; vielmehr hat er den von den
Parteien vorgetragenen Sachverhalt erneut und vollständig einer rechtlichen Beurteilung
zu unterziehen und sogar zwischenzeitlich zusätzlich vorgetragenen Sachverhalt zu
berücksichtigen (vgl. in Zöller, ZPO, 28,. Aufl. 2010, § 572 Rdnr. 7, m.Rspr.N.). Mit
der Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung bringt der
Beschwerderichter daher notwendigerweise auch seinen Widerspruch gegenüber der
Nichtabhilfeentscheidung zum Ausdruck. Dieser Widerspruch belastet seine
Entscheidung - falls er als Einzelrichter tätig wurde und die Nichtabhilfeentscheidung
hingegen von mehreren Richtern getroffen wurde - mit demselben Risiko verminderter
Akzeptanz wie wenn die bereits angefochtene Entscheidung von einer vollständig
besetzten Kammer getroffen worden wäre. Auf die eher formale Frage, ob mit der
Nichtabhilfeentscheidung eine eigenständige Belastung des Beschwerdeführers bewirkt
wird, gegen die der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde ankämpft (so im Ansatz
und , a.a.O.), kommt es in diesem Zusammenhang nicht
an. Hinzu tritt die Überlegung des (a.a.O.), dass nicht sinnvoll wäre,
wenn für die Beschwerde im Falle einer teilweisen Abänderung des angefochtenen
Beschluss durch die Nichtabhilfeentscheidung ein anders besetzter
Beschwerdespruchkörper zuständig wäre als für die in diesem Fall etwaig
entgegengerichtete Beschwerde des nunmehr erstmals belasteten, bisherigen
Beschwerdegegners.
2.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
Denn der Beklagte hat seine Bedürftigkeit nicht dargetan bzw. glaubhaft gemacht. Die
ihm gegen die J. GmbH zustehende Forderung von 750.000 EUR ist nämlich gemäß §
115 Abs. 3 Satz 1 ZPO als verwertbare Vermögen anzusetzen. Zweifel an der
Verwertbarkeit der Forderung bestehen nicht. Denn der Beklagte zu 2. hat seiner
insofern bestehenden Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast (vgl. in Zöller,
ZPO, 28. Aufl. 2010, § 115 Rdnr. 49) nicht genügt. Hierzu im Einzelnen:
a)
Der schlichte Vortrag, die J. GmbH sei „aktuell nicht in der Lage, die Forderung
auszugleichen“, ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.
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Denn wenn die J. GmbH tatsächlich nicht zahlungsfähig ist, hat sie gemäß § 15a Abs. 1
Satz 1 InsO spätestens binnen drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. Ein
Insolvenzantrag wurde jedoch - soweit es dem Senat bekannt gemacht wurde - nicht
gestellt. Da immerhin 7 Wochen seit der Mitteilung der J. GmbH, nicht zahlen können,
verstrichen sind, hat der Senat davon auszugehen, dass sich die J. GmbH entweder aus
ihrer Krise herausbegeben konnte oder die Mitteilung, nicht zahlen zu können, von
Anfang an unzutreffend war. Dahinstehen kann daher, ob der Vortrag des Beklagten zu
2. hinreichend substanziiert und damit überhaupt beachtlich ist.
b)
Die Tatsache des Rangrücktrittes des Beklagten zu 2. bietet aus Rechtsgründen keine
Grundlage dafür, die Verwertbarkeit der Forderung zu verneinen.
Denn der Rangrücktritt stellt eine vom Beklagten zu 2. bewusst selbst verursachte
Minderung seines Vermögens dar. Der Beklagte zu 2. war nämlich - auch bei
Wahrunterstellung einer temporären Zahlungsunfähigkeit der J. GmbH am 20. und 21.
September 2010 - weder verpflichtet, einen Rangrücktritt, zumal binnen Tagesfrist zu
erklären, noch gebot ihm sein wirtschaftliches Interesse, derartiges zu tun. Vielmehr
wäre es wirtschaftlich sinnvoll gewesen, auf die Mitteilung der J. GmbH hin entweder
umgehend Vollstreckungsmaßnahmen gegen die J. GmbH einzuleiten oder die weitere
Entwicklung der Vermögensverhältnisse der J. GmbH abzuwarten, ohne vorschnell eine
Erklärung, die jedenfalls auch nachteilhafte Rechtswirkungen für den Beklagten zu 2.
entfaltet, abzugeben. Für die bewusst selbst verursachte Minderung seines Vermögens
hat der Beklagte zu 2. selbst einzustehen; sie führt nicht zu einem Recht auf staatliche
Sozialleistung (vgl. in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 115 Rdnr. 126; in
Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 115 Rdnr. 58).
Auf die Frage, ob die Bedürftigkeit des Beklagten zu 2. auch aufgrund seines
Immobilienvermögen zu verneinen ist, kommt es demnach nicht mehr an. Der Senat
verweist jedoch auf seinen Beschluss vom 8. April 2010 in der Parallelsache 2 W 40/10,
wonach die Bedürftigkeit des Beklagten zu 2. jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt wegen
des Immobilienvermögens zu verneinen war.
3.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen.
Soweit der Senat mit diesem Beschluss über die Frage der Zuständigkeit des
Einzelrichters im Beschwerdeverfahren gemäß § 568 Satz 1 ZPO entschieden hat, ergibt
sich das aus Folgendem: In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist anerkannt,
dass nur Entscheidungen über Vorfragen, auf denen die streitgegenständliche
Entscheidung beruht, Grundlage für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sein können
(vgl. NJW 2006, 776 Rdnr. 8 zit. nach Juris; MDR 2004, 226 Rdnr. 2 zit. nach
Juris). Vorliegend war die Entscheidung über die Frage der Zuständigkeit des
Einzelrichters nicht entscheidungserheblich. Hätte nämlich der Einzelrichter entschieden,
wäre inhaltlich keine Entscheidung ergangen, die von der heute durch den Senat
getroffenen Entscheidung abweicht; auch der Einzelrichter hätte die Beschwerde des
Beklagten zu 2) mangels Bedürftigkeit zurückgewiesen. Dies ist - ohne Verletzung des
Beratungsgeheimnisses - dem Umstand zu entnehmen, das der zuständige
Einzelrichter am gestrigen Tage in diversen Parallelverfahren mit gleichem Sachverhalt
im Kern wortidentische Beschlüsse erlassen hat.
Soweit der Senat mit diesem Beschluss über die Beschwerde in der Sache entschieden
hat, ergibt sich dies daraus, dass weder die Beschwerdesache grundsätzliche Bedeutung
hat noch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
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