Urteil des KG Berlin vom 26.05.2004

KG Berlin: fahrverbot, kreuzung, sachschaden, ermessen, sachbeschädigung, ordnungswidrigkeit, fahrzeugführer, gefährdung, marke, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws (B) 481/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 BKatV, § 25 StVG
Rechtsfolgenausspruch nach Verkehrsordnungswidrigkeit:
Anforderungen an die Feststellung einer vom Regelfall des
Bußgeldkatalogs abweichenden Ausnahme
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in
Berlin vom 26. Mai 2004 im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, daß die Geldbuße
auf 250,– Euro und das Fahrverbot auf einen Monat herabgesetzt werden.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein des Betroffenen in amtliche
Verwahrung gelangt, spätestens jedoch vier Monate nach Erlaß dieses Beschlusses.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit der Maßgabe zu
tragen, daß die Gebühr um die Hälfte ermäßigt wird und die Hälfte der notwendigen
Auslagen der Landeskasse Berlin auferlegt wird. Die Landeskasse Berlin trägt die Hälfte
der dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen – wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist
– fahrlässigen "Rotlichtverstoßes in Tateinheit mit fahrlässiger Schädigung eines anderen
Verkehrsteilnehmers" gemäß §§ 1 Abs. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 3 Nr. 2 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 300,– Euro verurteilt und nach
§ 25 StVG ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet. Die Rechtsbeschwerde des
Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und die – wie ihre
Begründung, die sich nicht gegen das Vorliegen eines Rotlichtverstoßes mit daraus
folgender Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer, sondern lediglich gegen die
Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes und die darauf beruhende Bemessung
der Höhe der Geldbuße und die Anordnung eines Fahrverbotes wendet – wirksam auf
den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, hat zum Teil Erfolg.
1. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde tragen die Feststellungen des
angefochtenen Urteils die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, bei dem der
Betroffene nach länger als einer Sekunde andauernder Rotphase eines
Wechsellichtzeichens in den Kreuzungsbereich eingefahren ist. Soweit die
Rechtsbeschwerde die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils mit der Behauptung
fehlender Auseinandersetzung mit Widersprüchen in der Aussage der Unfallgegnerin des
Betroffenen, der Zeugin ..., angreift, geht sie von falschen Voraussetzungen aus. Denn
die Bekundung der Zeugin, sie habe mit dem Überqueren der vom Betroffenen
benutzten Richtungsfahrbahn des M Dammes erst begonnen, als sie das Aufleuchten
des Grünpfeils für Linksabbieger in ihrer Fahrtrichtung gesehen habe, und ihre
Feststellung, der Wagen des Betroffenen sei für sie "urplötzlich" aufgetaucht, so daß sie
gar nicht verstanden habe, wo dieser auf einmal hergekommen sei, stehen nach der im
angefochtenen Urteil geschilderten Verkehrssituation nicht in Widerspruch. Denn vor der
Kreuzung hielt danach bereits der mit Milchscheibenverglasung ausgestattete
Krankentransportwagen des Zeugen ... und rollte mit geringer Geschwindigkeit der
Krankentransportwagen des Zeugen ... heran, die beide die Sicht auf den aus
Blickrichtung der Zeugin ... dahinter auf die Kreuzung zufahrenden Pkw des Betroffenen
verstellten. Da die Aussage der Zeugin ... auch wenn die Zeugen ... und ... keine
Angaben zur Länge der Rotlichtphase beim Einfahren des Betroffenen in die Kreuzung
machen konnten, mit den Angaben dieser beiden unbeteiligten Zeugen durchaus in
Übereinstimmung zu bringen ist, bestand für das Amtsgericht auch keine Veranlassung,
sich, wie die Rechtsbeschwerde verlangt, aufgrund deren zivilrechtlichen Interesses am
Ausgang des Bußgeldverfahrens ausführlicher mit deren Glaubwürdigkeit und der
Glaubhaftigkeit ihrer Aussage auseinanderzusetzen.
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2. Die Höhe der verhängten Geldbuße und des angeordneten Fahrverbots halten
allerdings rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Für den vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt sieht Nr. 132.2.1 der Anlage zu §
1 Abs. 1 BKatV die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 200,– Euro und die
Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat vor. Zwar liegt die Bußgeldbemessung
grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, so daß sich die Überprüfung des
Rechtsbeschwerdegerichts darauf zu beschränken hat, ob er von rechtlich zutreffenden
Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht
hat. Sind jedoch – wie im Straßenverkehrsrecht – Bußgeldkataloge vorhanden, sind dem
richterlichen Beurteilungsspielraum der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit
wegen enge Grenzen gesetzt, und die Feststellungen müssen daher die Annahme eines
Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21. April
2004 – 3 Ws (B) 158/04 – und 30. September 1998 – 3 Ws (B) 486/09 –). Nur wenn der
Sachverhalt zu Ungunsten des Betroffenen so erheblich vom Regelfall abweicht, daß er
als Ausnahme zu werten ist, kann die Anwendung der Regelbeispieltechnik des
Bußgeldkataloges unangemessen sein.
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Regelbuße um 50 % erhöht. Diese
erhebliche Erhöhung hat es damit begründet, daß es sich nicht nur um einen "einfachen"
Rotlichtverstoß gehandelt habe, sondern der Betroffene bei bereits deutlich länger als
einer Sekunde währender Rotlichtphase in die Kreuzung eingefahren sei. Außerdem
hätten vor der Ampel auf zwei der drei Fahrspuren bereits haltende Fahrzeuge
gestanden, die den Betroffenen besonders darauf hätten aufmerksam machen müssen,
daß für seine Fahrtrichtung die Einfahrt in den Kreuzungsbereich nicht mehr durch
grünes Ampellicht freigegeben gewesen sei. Zudem hätte sich der entstandene
Sachschaden in der Hauptverhandlung als "durchaus beträchtlich" herausgestellt. Der
Betroffene als Fahrer eines "potentiell auch besonders schadensträchtigen Lkw's" habe
sich seine Pflichten als Fahrzeugführer in besonderem Maße bewußt machen müssen.
Ferner hat das Amtsgericht auf die durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in
Berlin vom 11. August 2003 gegen den Betroffenen wegen verbotswidrigen Telefonierens
während der Fahrt mit einem Lkw verhängte Geldbuße in Höhe von 45,– Euro
hingewiesen und in diesem Zusammenhang auf den kurzen Zeitraum zwischen der
Verhängung dieser Geldbuße und der vorliegenden Ordnungswidrigkeit (Tatzeit: 8.
Oktober 2003). Diese Erwägungen halten nur zum Teil einer rechtlichen Überprüfung
stand. Nicht zu beanstanden ist der Hinweis auf die durch haltende Fahrzeuge vor der
Ampelanlage gekennzeichnete Verkehrssituation und die daraus abzuleitende erhöhte
Unaufmerksamkeit des Betroffenen sowie die kurz zuvor verhängte Geldbuße.
Rechtsfehlerhaft ist dagegen das Abstellen auf das Vorliegen eines qualifizierten
Rotlichtverstoßes, denn die Regelbuße nach Nr. 132.2.1. der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV
setzt einen solchen unter zusätzlicher Gefährdung oder Sachbeschädigung voraus. Daß
es sich bei einem Fahrzeug der Marke VW-Transporter T 4 mit Pritschenaufbau um
"einen besonders schadensträchtigen Lkw" handelt, erschließt sich aus den
Urteilsgründen nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Der eingetretene Sachschaden
in Höhe von 5.000,– Euro ist zwar hoch, weicht aber nicht derart vom Durchschnittsfall
ab, daß er in Verbindung mit den rechtsfehlerfreien Erwägungen zur Bemessung der
Geldbuße die vom Amtsgericht vorgenommene erhebliche Erhöhung rechtfertigen
könnte.
b) Auch die Verdoppelung des Regelfahrverbots hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Denn die Anordnung eines den Regelfall übersteigenden Fahrverbots setzt die
ungünstige Prognose voraus, das Regelfahrverbot würde selbst bei erhöhter Geldbuße
nicht ausreichen, um den Betroffenen von weiteren Verkehrsverstößen abzuhalten,
wobei es hierfür nicht genügt, daß der Tatrichter sich auf Vorbelastungen stützt, wenn
bisher kein Fahrverbot angeordnet worden war (vgl. Senat, Beschluß vom 27. Juni 1998 –
3 Ws (B) 398/98). Allein aus der relativ geringfügigen Vorbelastung, mit der auch die
Anordnung eines Fahrverbotes nicht verbunden war, und den oben genannten
rechtsfehlerfreien Erwägungen ergibt sich daher kein Anhalt für eine ungünstige
Prognose bei dem Betroffenen.
3. Die genannten Fehler nötigen jedoch nicht dazu, die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da der Senat auf der Grundlage
der getroffenen Feststellungen nach § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden kann. Die
Festsetzung der Regelgeldbuße, die gemäß § 1 Abs. 2 BKatV nur für unbelastete Täter
bei gewöhnlichen Tatumständen gilt, erschien hier allerdings nicht ausreichend. Aus den
oben genannten Erwägungen erschien vielmehr die Verhängung einer Geldbuße von
250,– Euro angemessen. Daß das angefochtene Urteil keine näheren Feststellungen zu
den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthält, steht dieser
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den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthält, steht dieser
Entscheidung des Senats nicht entgegen. Denn dem Urteil ist zu entnehmen, daß der
Betroffene über geregelte Einkommensverhältnisse als angestellter Kraftfahrer in einer
Dachdeckerei verfügt und die Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2
OWiG, bis zu der die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in der Regel
unberücksichtigt bleiben können, ist mit 250,– Euro zu bemessen (vgl. Senat, Beschluß
vom 12. September 2003 – 3 Ws (B) 151/03 –).
Gegen den Betroffenen war ferner das Regelfahrverbot von einem Monat zu verhängen.
Anhaltspunkte dafür, daß dieses Fahrverbot den Betroffenen als Berufskraftfahrer
unzumutbar hart treffen würde, sind dem Urteil nicht zu entnehmen und werden auch
von der Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Die Bestimmung über das Wirksamwerden
dieses Fahrverbots beruht auf § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 4 StPO.
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