Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: mangel des verfahrens, kündigung, aufrechnung, leistungsverweigerung, vorfrage, erfüllung, verhinderung, quelle, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 28/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 301 ZPO
Zulässigkeit einer Entscheidung durch Teilurteil: Mangelnde
Substanz des Beklagtenvortrags
Leitsatz
Das Gericht darf nicht durch Teilurteil entscheiden, wenn es dabei auf mangelnde Substanz
des Vortrages abstellt, obwohl der Rechtsstreit wegen einer weitergehenden Klageforderung
fortzusetzen ist. Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und
das Urteil nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der
Beklagten die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. Februar 2005 verkündete Teilurteil der
Kammer für Handelssachen 104 des Landgerichtes Berlin – 104 O 51/04 – aufgehoben
und der Rechtsstreit, soweit das Landgericht ihn durch Teilurteil entschieden hat, zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens
an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden gemäß § 21 GKG
niedergeschlagen.
Gründe
I.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort
gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das
angefochtene Urteil der Kammer für Handelssachen 104 des Landgerichts Berlin Bezug
genommen, das der Beklagten am 7. Februar 2005 zugestellt worden ist. Die Beklagte
hat gegen dieses Urteil am 8. Februar 2005 Berufung eingelegt und diese nach
(zweifacher) Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 3. Juni 2005 am 27. Mai 2005
begründet.
Die Beklagte rügt insbesondere, dass der Erlaß des Teilurteils deshalb unzulässig
gewesen sei, weil ihr die Möglichkeit zu weiterem Vortrag – zumal ohne vorherigen
Hinweis - abgeschnitten worden sei. Auch bestehe hinsichtlich mehrerer Vorfragen die
Gefahr widerstreitender Entscheidungen. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte
ihren erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere sei der Gemeinschuldnerin aufgrund der
gemeinsamen Verhandlungen und Besichtigungen des Geländes sowie der gestellten
Bodenanalysen und sonstigen Vorkorrespondenz bekannt gewesen, dass mit dem Anfall
stark kontaminierter Böden in großen Mengen zu rechnen gewesen sei.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und verweist unter Vertiefung auf seinen
erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird ansonsten auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und wegen der in der
Berufungsinstanz gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 3. Februar 2006
Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das
angefochtene Teilurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht
zurückzuverweisen war.
Das Verfahren des Landgerichtes leidet unter wesentlichen Mängeln (§ 538 Abs. 3 S. 1
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Das Verfahren des Landgerichtes leidet unter wesentlichen Mängeln (§ 538 Abs. 3 S. 1
ZPO).
Das Landgericht hätte nicht durch Teilurteil entscheiden dürfen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7
ZPO). Das Landgericht hat unbeachtet gelassen, dass die Beklagte zu den Nachträgen
die abgerechneten Mengen und die Ortsüblichkeit der angesetzten Preise bestritten hat
(Seite 9 UU.). Es hat dabei auf mangelnde Substanz des Vortrages abgestellt, obwohl
der Rechtsstreit wegen der weitergehenden Klageforderung aus dem (Grund-) Vertrag
fortzusetzen war.
Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und das Urteil
nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der Beklagten
die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen (OLG Celle OLGR 2004, 433 unter
Hinweis auf BGHZ 77, 306).
Hinzu tritt, dass das Landgericht gegen § 139 Abs. 2 ZPO verstoßen hat, indem es hier
in einem Rechtsstreit von ungewöhnlich großem tatsächlichen Umfang (Abrechnung der
Erdarbeiten bei einem Großbauvorhaben) und erheblichem rechtlichen
Schwierigkeitsgrad durch Teilurteil entschieden hat, ohne die Beklagte zuvor auf seine
Bedenken hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, ihren Sachvortrag insoweit zu
ergänzen. Weder das Protokoll der (ersten) mündlichen Verhandlung vom 18. November
2004, auf die das Teilurteil erging, noch die Gründe des Urteils lassen erkennen, ob
überhaupt und ggf. welche Hinweise ergangen sind (vgl. hierzu BGH Urteil vom 22.
September 2005 – VII ZR 34/04). Jedenfalls ist in keiner Weise ersichtlich, dass das
Landgericht der Beklagten angemessen Gelegenheit gegeben hat, ihren Sachvortrag
insoweit zu ergänzen.
Dieser Mangel des Verfahrens erfaßt auch den gesamten Streitstoff des Teilurteils.
Zunächst ist das Nichtbeachten des bestreitenden Vortrages der Beklagten
unmittelbare Grundlage der Verurteilung zur Zahlung von 635.501,74 Euro aus den
Nachtragsaufträgen.
Dabei ist anzumerken, dass die angefochtene Entscheidung noch nicht einmal klar
erkennen läßt, aufgrund welcher Anspruchsgrundlage die angeblichen
Nachtragsaufträge zugesprochen worden sind (unmittelbarer Anspruch aus dem
Grundvertrag, § 2 Nr. 6 oder § 2 Nr. 8 VOB/B). Insgesamt läßt sich insoweit auch keine
Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Tatsachenvortrag der Parteien zu den
einzelnen Nachträgen erkennen.
Des Weiteren hat das Landgericht die im Teilurteil festgestellte angeblich offene
Forderung von zumindest 671.337,31 Euro (635.501,74 Euro zuzüglich 35.835,57 Euro
aus der Schlussrechnungsprüfung der Beklagten) zum Ausgangspunkt seiner Prüfung
gemacht, ob die Insolvenzschuldnerin am 7. Juli 2003 berechtigt war, ihre Arbeit
einzustellen. Die Arbeit durfte die Insolvenzschuldnerin aber nur nach Maßgabe des §
648 a BGB einstellen. Das setzt voraus, dass überhaupt eine Forderung in der geltend
gemachten Höhe bestand, zumal der Schuldner bei einer unverhältnismäßig hohen
Zuvielforderung nicht in Verzug gerät (vgl. BGH ZIP 2003, 110, 114). Das Landgericht
hätte mithin vorab klären müssen, ob der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch auf den
Werklohn aus den Nachträgen dem Grund nach und in der geltend gemachten Höhe
zustand, bevor es die Frage nach dem Recht zur Arbeitseinstellung beantwortet.
Hinzu tritt, dass die Formulierung des Schreibens der Insolvenzschuldnerin vom 27. Juni
2003 (Anlage B 11), „sind wir gezwungen unsere vertraglichen und gesetzlichen Rechte
auszuschöpfen" kaum der Warnfunktion des nach § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB erforderlichen
Hinweises auf die beabsichtigte Leistungsverweigerung genügen dürfte. Die
Ankündigung der Leistungsverweigerung muss unmissverständlich zum Ausdruck
kommen (Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl., § 648 a Rdnr. 6).
Zugleich läßt sich die Frage, ob die Beklagte ihrerseits am 9. Juli 2003 (Anlage K6) zur
Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund berechtigt war, abschließend nur aus
einer Gesamtschau der festzustellenden Vertragssituation unter Beachtung der
wechselseitigen Ansprüche und deren Erfüllung beantworten, sodass auch insoweit die
Höhe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Forderungen der Insolvenzschuldnerin
Vorfrage ist. Denn sollte die Beklagte zur außerordentlichen Kündigung berechtigt
gewesen sein, könnten auch ihre mit einem Betrag von insgesamt 945.997,54 Euro
inzwischen bezifferten Gegenforderungen, die hilfsweise zur Aufrechnung gestellt worden
sind und die das Landgericht der Beklagten mit dem Teilurteil aberkannt hat, zumindest
zum Teil begründet sein. Dies hätte ggf. zur Folge, dass die zunächst eigentlich
unstreitige Teilforderung aus der Schlussrechnungsprüfung in Höhe von 35.835,57 Euro
infolge der Aufrechnung erloschen wäre.
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Nur vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass das Schreiben der Beklagten vom 9. Juli
2003 (Anlage K 6) an sich keine Kündigung des Vertrages ausspricht, sondern diese nur
androht. Offenbar sind aber beide Vertragsparteien davon ausgegangen, dass die
Beklagte der Insolvenzschuldnerin den Vertrag entzogen hat, was als einverständliche
Vertragsauflösung zu verstehen wäre. In einer solchen Situation richten sich die
wechselseitigen Ansprüche nach der materiellen Rechtslage, die zum Zeitpunkt der
Vertragsauflösung tatsächlich bestand (BGH BauR 1976, 139 f.). Auch wird der Kläger
klarzustellen haben, ob die der Klage zugrunde gelegte Schlussrechnung vom 15.
Oktober 2003 noch unter dem in der Klage gemachten Vorbehalt der Geltendmachung
weiterer Ansprüche steht. Sollte dies der Fall sein, wäre die Schlussrechnung in der Tat
als Abschlagsrechnung anzusehen, was die Klage unbegründet machte, da der Vertrag
nun endgültig abzurechnen wäre (BGH BauR 1987, 453).
Demnach war das gesamte Teilurteil und das seinen Erlaß betreffende Verfahren
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen, denn eine eigene Sachentscheidung des Senats kommt in der
gegebenen Prozesslage zur Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen nicht
in Betracht (vgl. hierzu Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 538 Rdnr. 55).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
hat und weder die Fortbildung des Rechtes noch die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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