Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: beweiswürdigung, mietvertrag, aufzählung, gespräch, haus, verzicht, vertretung, gebäude, abgabe, vermieter

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 25/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 133 BGB, § 157 BGB, § 286
ZPO
Mietvertrag: Erfolgsaussicht einer Berufung im Zusammenhang
mit der behaupteten mündlichen Änderung eines Mietvertrages
Leitsatz
An die Feststellung einer mündlichen Vertragsänderung zum Nachteil des Mieters (Verzicht
auf Mietminderung für den Fall einer Vermietung von Räumen in einem „Ärztehaus“ an Nicht-
Mediziner) anlässlich einer Besprechung mit dem Vermieter zu einem anderen Zweck in
einem Imbiss sind hohe Anforderungen zu stellen.
Lässt sich nicht feststellen, welche Person welche Willenserklärungen ausdrücklich oder
konkludent abgegeben hat, kann ein Vertragsschluss nicht festgestellt werden.
Tenor
1. Es wird gemäß § 522 Abs.2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach
Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine
Aussicht auf Erfolg hat.
2. Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Nach § 513 Abs.1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist hier nicht der Fall.
Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch
die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Im Hinblick auf das Vorbringen in der Berufung wird ergänzend auf Folgendes
hingewiesen:
1. Der Beklagte wendet sich auf S. 1 f. seiner Berufungsbegründung gegen die
Auffassung des Landgerichts, die vom Mieter V. betriebene physiotherapeutische Praxis
sei keine „ärztliche bzw. fachärztliche oder homöopathische Praxis“ im Sinne der Nr. 8
der Anlage zum Mietvertrag; denn diese Begriffe seien so weit auszulegen, dass alle
Berufszweige erfasst seien, die eine medizinische Versorgung der Bevölkerung zum
Gegenstand hätten und dadurch Synergieeffekte für die im Haus angesiedelten Ärzte
bewirken könnten.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen:
Die Auslegung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und
überzeugt auch inhaltlich:
Es handelt sich bei der Aufzählung in Nr. 8 nämlich nicht - wie der Beklagte in seinem
vorprozessualen Schreiben an den Kläger vom 21. Dezember 2004 (Anlage K 5) geltend
gemacht hat - um „eine beispielhafte Aufzählung“. Dem steht schon die Vereinbarung in
„ausschließlich“
fachärztliche und homöopathische Praxen angesiedelt.
Die Aufzählung nach §§ 133, 157 BGB ist dahin zu verstehen, dass nur („ausschließlich“)
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Die Aufzählung nach §§ 133, 157 BGB ist dahin zu verstehen, dass nur („ausschließlich“)
von Ärzten betriebene Behandlungspraxen erfasst sein sollen, was sich im Übrigen auch
aus dem in Nr. 8 verwendeten Begriff “Ärztehaus“ ergibt.
Dies hat der Beklagte auch so verstanden, der auf S. 2 seines Schriftsatzes vom 16.
September 2005 vorgetragen hat, sein Sohn habe den Beklagten darauf hingewiesen,
dass “Herr V. kein Arzt sei und im Mietvertrag eine Vereinbarung getroffen worden sei,
dass das Haus an Ärzte vermietet werden müsse, andernfalls sich der Mietzins
reduziere“.
Entsprechendes hat der Sohn des Klägers als Zeuge vor dem Landgericht bestätigt.
Darauf hat das Landgericht auf S. 5 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen
und richtig ausgeführt, dass der Mieter P. V. kein Arzt sei.
2. Auch die Angriffe des Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts (S. 2 ff.
der Berufungsbegründung) verhelfen der Berufung nicht zum Erfolg.
Nach § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom
Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrundezulegen, soweit nicht
konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
a) Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der
Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO
gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der
Beweiswürdigung abzuweichen (so Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - DAR
2004, 387 = VRS 106, 443 = KGR 2004, 282 = NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar
2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269; vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 9. März 2005 -
VIII ZR 266/03 - NJW 2005, 1583).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das
bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und
ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess
gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf
er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz
mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung
feststellen (vgl. Zöller/ Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rdnr.13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine
Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es
nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich
einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende
Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2006, § 286 Rdnr.3,5;
Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 - 12 U 211/02 - DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291 =
VRS 106, 189 = VersR 2004, 799 L).
Da sich das Landgericht an diese Regeln gehalten hat, ist seine Beweiswürdigung aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
b) Der Senat hat auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen,
sondern folgt der Beweiswürdigung des Landgerichts auch inhaltlich.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kann eine rechtsgeschäftliche Erklärung des
Klägers der Zeugenaussage des Sohnes des Klägers, Thomas Z., am 5. Januar 2006 vor
dem Landgericht nicht entnommen werden.
Darauf hat das Landgericht auf S. 6 f. des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen.
Der Beklagte beanstandet auf S. 5 der Berufungsbegründung, dass Landgericht habe
seiner Entscheidung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt, weil es auf S. 7 seines
Urteils - neben dem zutreffenden Hinweis auf eine fehlende schriftliche Fixierung einer
Vereinbarung - darauf hingewiesen, der Zeuge habe als Immobilienkaufmann nach dem
Gespräch auch in der Mieterakte keinen Vermerk über eine mündliche
Abänderungsvereinbarung niedergelegt, ohne dass eine der Parteien dies vorgetragen
habe oder die Mieterakte beigezogen worden sei.
Diese - eher beiläufige - Bemerkung des Landgerichts ist offensichtlich eine
Schlussfolgerung aus dem Inhalt der Aussage des Zeugen Z. l, welcher sich eine
irgendwie geartete schriftliche Fixierung einer mündlichen Vereinbarung nicht
entnehmen läßt.
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entnehmen läßt.
Da ein jeder Vertrag die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen voraussetzt, ist
zur Feststellung eines Vertragsschlusses zumindest erforderlich, dass vorgetragen oder
vom Zeugen erklärt wird, welche Personen welche Willenserklärungen ausdrücklich oder
konkludent abgegeben haben; ist dies nicht der Fall, so fehlt dem Gericht die Grundlage
für die Prüfung der Frage, ob Tatsachen vorliegen, aus denen auf Willenserklärungen im
Sinne des Abschlusses eines Änderungsvertrages geschlossen werden kann (vgl. Senat,
urteil vom 18. Dezember 2003 - 12 U 54/02 - KGR 2005, 29; Nichtzulassungsbeschwerde
zurückgewiesen, BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2004 - XI ZR 23/04 -).
Entscheidend dafür, dass letztlich eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Beklagten im
Sinne einer - ihm nachteiligen - Änderung seines Mietvertrages der Aussage des Zeugen
Z. nicht entnommen werden kann, ist also auch der Umstand, dass der Zeuge nicht
mehr wußte, was der Kläger im Sommer 2003 wörtlich im Einzelnen gesagt hat; dass
derartiges von einem Zeugen nach etwa 2 ½ Jahren erwartete werden kann, trifft zwar
zu, geht aber letztlich zu Lasten des Klägers, der entsprechend der Vereinbarung in Nr.
22 des Mietvertrages der Parteien für eine eindeutige schriftliche Änderung des
Vertrages hätte sorgen können, die angeblich durch das Gespräch herbeigeführt werden
sollte.
Auch die Frage des Zeugen an den Kläger, „ob er sich vorstellen könnte, dass Herr Vi.
als Mieter in das Gebäude einzieht“ (Protokoll S. 2, Absatz 5), belegt nicht einen Antrag
des Zeugen - in Vertretung des Beklagten - auf Abschluss eines Änderungsvertrages
zum Mietvertrag der Parteien. Dasselbe gilt für die vom Zeugen bekundete Antwort
„erklärte der Kläger, dass er mit Herrn V. als Mieter kein Problem hätte“ (Protokoll,
Absatz 6).
Daraus läßt sich eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Klägers im Sinne der Annahme
eines Angebots zu einer - ihm nachteiligen - Änderung seines Mietvertrages nicht
entnehmen.
Der Aussage des Zeugen Z. kann auch nicht ansatzweise ein plausibles Motiv des
Klägers dafür entnommen werden, dass er mit einer ihm finanziell nachteiligen Änderung
seines Mietvertrages einverstanden war, zumal sich der Zeuge nicht einmal erinnern
konnte, ob V. dem Kläger das Zuführen von Patienten in Aussicht gestellt habe.
Der Sache nach käme die vom Beklagten behauptete, dem Kläger nachteilige
Vertragsänderung einem Verzicht des Klägers auf eine ihm günstige Rechtsposition
gleich.
Es ist ein Erfahrungssatz, dass derartiges nicht zu vermuten ist und Erklärungen, die
nach Auffassung der begünstigten Partei darauf hindeuten sollen, kritisch zu würdigen
und im Zweifel eng auszulegen sind (st. Rspr., vgl. BGH NJW 1984,1346; NJW 1996, 588;
NJW 2000, 130; Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 397 Rn 4).
Auch vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu
beanstanden, sondern wird vom Senat geteilt.
3. Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.
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