Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: markt, unternehmen, empfehlung, theater, kino, finanzkraft, werbung, karte, spielfilm, besucher

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Gericht:
KG Berlin Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 U 8/02 Kart
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 20 Abs 4 GWB
Wettbewerbsbeschränkung durch unbillige Behinderung:
Überlegene Marktmacht eines von zwei Großbild-Filmtheatern;
"Half-Price-Day" an einem bestimmten Wochentag
Leitsatz
1.Bieten auf einem Markt überhaupt nur zwei Unternehmen eine gewerbliche Leistung an
(hier: Großbild-Fimvorführungen am P-Platz), kann demjenigen von beiden, dessen
Marktanteil nur halb so groß ist wie der des anderen ungeachtet sonstiger Faktoren keine
überlegene Marktmacht i. S. v. § 20 Abs. 4 GWB zugeschrieben werden.
2. Der Umstand, dass das Angebot des "Half-Price-Day" bei herkömmlichen 35-mm-
Kinofilmen auf eine vom Bundeskartellamt tolerierte Empfehlung der Filmtheaterverbände
zurückgeht, indiziert auch für den benachbarten Markt der Großbild-Filmvorführungen, dass
der Eintritt zum halben Preis an allen Dienstags-Vorstellungen keine Maßnahme jenseits
jeglicher seriöser und vertretbarer kaufmännischer Kalkulation darstellt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Januar 2002 verkündete Urteil der
Kammer für Handelssachen 102 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2-fachen des Betrages abwenden, der insgesamt aus
dem Urteil beigetrieben werden kann, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe des 1,2-fachen des jeweils beizutreibenden Betrages Sicherheit
leistet.
Gründe
A. Beide Parteien betreiben in enger nachbarschaftlicher Nähe im Bereich P-Platz in
Berlin ein IMAX-Großbild-Filmtheater, und zwar die Klägerin ein solches mit 440
Sitzplätzen und die Beklagte ein IMAX-Kino im S.-C. mit 534 Plätzen, integriert in ein
Multiplex-Kinocenter mit acht Leinwänden für herkömmliche 35-mm-Filme. Bei den IMAX-
Kinos werden mit besonderer Technik in einem Großbildformat (15/70 mm) speziell
hergestellte Filme auf Leinwände projiziert, die erheblich größer sind als die
herkömmlicher Filme. So misst die Leinwand im Theater der Klägerin 27 m in der Breite
und 21 m in der Höhe, diejenige im Kino der Beklagten 27,5 x 21,5 m gegenüber einer
durchschnittlichen Leinwandgröße für 35-mm-Filme von 16 bis 18 m Breite und 8,5 bis 9
m Höhe. Die Klägerin kann 2-D-Filme außerdem in eine Kuppel projizieren; beide Häuser
verfügen außerdem über die Möglichkeit, 3-D-Filme vorzuführen.
Im Frühjahr 2001 richteten die Verbände der Filmwirtschaft an die Betreiber der Kinos für
herkömmliche Filme die Empfehlung, Dienstags nur die Hälfte des üblichen
Eintrittspreises zu verlangen (so genannter „Half-Price-Dienstag“), um den bereits seit
Jahren praktizierten so genannten verbilligten Kinotag zu vereinheitlichen und einen
generellen Anreiz für den verstärkten Kinobesuch zu schaffen. Die Beklagte griff diese
Empfehlung nicht nur für ihre Filmvorführungen im 35-mm-Format auf, sondern auch für
ihr IMAX-Kino und bietet seither dienstags den Besuch ihrer Vorführungen zur Hälfte des
an anderen Tagen geforderten Eintrittspreises an (zur Zeit: 3-D-Vorführungen für 3,95 €
[Kinder: 3,35 €]; 2-D-Vorführungen für 3,20 € [Kinder: 2,45 €]).
Die Klägerin hat in dieser geschäftlichen Maßnahme einen gegen § 20 Abs. 4 Satz 1
GWB und gegen § 1 UWG verstoßenden Verkauf unter Selbstkosten gesehen. Die
Beklagte betriebe mit diesen Kampfpreisen einen gegen sie, die Klägerin, gerichteten
Vernichtungswettbewerb zum Ziel der Erringung einer Monopolstellung am Berliner
Standort und hat diesen Vorwurf mit umfangreichen Tatsachenvortrag unterlegt. Wegen
der Einzelheiten wird auf die Klageschrift und die Schriftsätze vom 5. und 11. Dezember
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der Einzelheiten wird auf die Klageschrift und die Schriftsätze vom 5. und 11. Dezember
2001 Bezug genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu
unterlassen, in ihrem IMAX-Theater mit dem Angebot „Dienstag Half Price bzw. 1/2-
Price-Day, IMAX 2D 6,25 DM (Kinder 4,75 DM), IMAX 3D 7,75 DM (Kinder 6,50 DM)“ zu
werben und Filmvorführungen zu diesen Eintrittspreisen anzubieten.
Das Landgericht hat die Klage, der die Beklagte entgegengetreten ist, durch sein am 29.
Januar 2002 verkündetes Urteil abgewiesen.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die
Klägerin ihr erstinstanzliches Unterlassungsbegehren - unter Anpassung an die aktuelle
Werbung der Beklagten und die neuen Preise - und unter wiederholender Vertiefung und
Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie wirft dem landgerichtlichen
Urteil vor, es gehe am Kern ihres Angriffs, nämlich dem Verkauf unter Selbstkosten als
alleinigem Gegenstand der Klage, vorbei.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, in ihrem IMAX-Theater, jeweils am
Dienstag alle Filmvorführungen für die Hälfte des normalen Eintrittspreises, derzeit 3-D-
Vorführungen zum Eintrittspreis von 3,95 € (Kinder 3,35 €) und 2-D-Vorführungen zum
Eintrittspreis von 3,20 Euro (Kinder 2,45 €) anzubieten und mit diesen Preisen zu
werben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die
eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B. Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen,
weil der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch weder aus § 20 Abs. 4
Satz 1 in Verbindung mit § 33 GWB, noch aus § 1 UWG als den beiden einzig in Betracht
kommenden Anspruchsgrundlagen zusteht.
I. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 20 Abs. 4 GWB liegen nicht vor.
Die Klägerin ist bei horizontalem Vergleich der Unternehmensgrößen als dem
maßgeblichen Parameter zwar ein im Verhältnis zur Beklagten „kleiner oder mittlerer
Wettbewerber“. Die Beklagte ist aber bereits kein gegenüber der Beklagten mit
überlegener Marktmacht agierendes Unternehmen und somit kein Normadressat im
Sinne von § 20 Abs. 4 Satz 1 GWB.
1. Ob ein Unternehmen über überlegene Marktmacht verfügt, ist einzelmarktbezogen
festzustellen (vgl. Markert in : Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Auflage, § 20 Rdnr. 282),
setzt also eine Abgrenzung des relevanten Marktes voraus. Der Klägerin kann im
Ausgangspunkt grundsätzlich darin beigepflichtet werden, dass die Vorführung von IMAX-
Großbildfilmen gegenüber dem herkömmlichen 35-mm-Spielfilmen einen
eigenständigen sachlichen Markt bildet. Zumindest gegenwärtig sprechen mehrere der
von der Klägerin eingehend dargestellten Umstände dagegen, beide Gattungen einem
einheitlichen sachlichen Markt zuzurechnen. Herkömmliche Spielfilme sind, wie die
Klägerin zutreffend ausführt, durch eine Handlungsdramaturgie (Story, Plot)
gekennzeichnet und haben üblicherweise eine Länge von mindestens 87 Minuten. Bei
den regelmäßig nur halb so langen IMAX-Filmen steht demgegenüber das visuelle
Erlebnis auf der überdimensionierten Leinwand im Vordergrund, während das Element
der Handlungsdramaturgie nur eine relativ geringere, ursprünglich sogar überhaupt
keine Rolle spielte, weil die Großbildfilme anfänglich ganz dem Dokumentarfilm-Genre
aus dem Bereich der Natur, Technik und Wissenschaft verhaftet waren. Wegen weiterer
für die Marktabgrenzung maßgeblicher Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der
Berufungsbegründungsschrift Seite 10 ff. (Bl. 134 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin sind zwischen den Gattungen der Großbildfilme auf
der einen und der herkömmlichen Spielfilme auf der anderen Seite aber zunehmende
Substitutionsbeziehungen entstanden. Der Themenbereich der Großbildfilme hat sich
erweitert und insbesondere Elemente der herkömmlichen Spielfilme übernommen. Bei
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erweitert und insbesondere Elemente der herkömmlichen Spielfilme übernommen. Bei
dem zur Zeit der Einreichung der Berufungsbegründungsschrift besucherstärksten Film
der Klägerin handelte es sich um den Titel „Haunted Castle“, in dem es darum ging,
dass der dämonartige Schlossherr einem aufstrebenden Rockstar anbietet, seine Seele
gegen unvergleichlichen Ruhm zu tauschen. Dieser Film verbindet also offensichtlich die
Vorzüge der Großbildtechnik mit den Handlungs- und Spannungsmomenten
herkömmlicher Spielfilme. Ausweislich der Kurzbeschreibungen der ab dem 31. Mai 2002
im Großbildkino der Beklagten vorgeführten Filme spielen solche Elemente auch in
anderen Filmen eine zunehmende Rolle (Anlage BK 1 zur Berufungsbegründung).
Es liegt auf der Hand, dass diese tendenzielle Annäherung an das Spielfilm-Genre nicht
ohne Auswirkungen auf das Auswahlverhalten der Kinobesucher bleibt und
Substitutionsbeziehungen zwischen den beiden Märkten begründet, die in Zukunft sogar
zu einem völligen Verschmelzen der beiden Märkte führen können. Solche Beziehungen
sind im Übrigen aus räumlichen Gründen gerade beim Berliner Standort ausgeprägt,
und zwar deshalb, weil die Verbraucher am P-Platz in unmittelbarer Nähe nicht nur die
beiden Großbildkinos der Parteien vorfinden, sondern daneben das Multiplex-Kino der
Beklagten mit acht Leinwänden, in welches ihr Großbildkino integriert ist, sowie das
CineMaxx-Multiplexkino mit 19 Leinwänden. Es liegt nahe, dass Besucher, die einen
gewünschten herkömmlichen Spielfilm nicht sehen können, weil die entsprechende
Vorstellung bereits ausverkauft ist, unter diesen Umständen zunehmend geneigt sein
können, auf ein spielfilmähnliches Angebot in einem der Großbildkinos auszuweichen.
Die - von der Klägerin bejahte - Frage, ob bei den Großbildfilmen sogar zwischen 2-D-
und 3-D-Filmen unterschieden werden muss, ist für die wettbewerblichen Beziehungen
der Parteien im Streitfall ohne Bedeutung, weil beide solche Filme anbieten und weder
vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die der Beklagten vorgeworfene Preisgestaltung
sich in beiden Bereichen unterschiedlich auswirkt. Auch die Frage der räumlichen
Marktabgrenzung kann offen bleiben, weil vorliegend nur um den Wettbewerb der
Parteien um dieselben Zuschauer geht, nicht aber darum, ob diese auch auf ein drittes
IMAX-Lichtspielhaus ausweichen könnten, was in Anbetracht der geringen Dichte dieser
Vorführstätten in Deutschland auch fern liegend wäre.
Auf dem relevanten Markt steht der Beklagten keine überragende Marktmacht zu
Gebote. Ihr Marktanteil beläuft sich nämlich nur auf rund 1/3, während Marktführerin mit
den übrigen 2/3 die Klägerin ist. In Anbetracht dieser Verteilung der Marktanteile kann
nicht festgestellt werden, dass die Beklagte über einen vom Wettbewerb nicht mehr
hinreichend kontrollierten und kontrollierbaren Verhaltensspielraum verfügte. Vielmehr
reichen die wettbewerblichen Möglichkeiten der Klägerin offensichtlich aus, ihre -
ersichtlich durch die zeitlich frühere Eröffnung ihres Großbild-Filmtheaters begründete -
führende Position erfolgreich zu behaupten.
Angesichts der Verteilung der Marktanteile kann eine überlegene Marktmacht der
Beklagten auch nicht aufgrund der sonstigen Umstände, insbesondere nicht wegen ihrer
Ressourcen angenommen werden. Zwar trifft es zu, dass es für die Überlegenheit im
Sinne des § 20 Abs. 4 GWB auf eine Gesamtbetrachtung der für die horizontale
Marktstellung eines Unternehmens bestimmenden Umstände ankommt (vgl. Markert
aaO § 20 GWB Rdnr. 286). Das bedeutet jedoch nicht, dass einem Marktteilnehmer eine
überlegene Marktmacht im Sinne der Vorschrift zugeschrieben werden könnte, wenn
sich die wettbewerblichen Möglichkeiten dieses Unternehmens überhaupt nicht im
Marktanteil niederschlagen. Bei einem so singulären Marktgeschehen wie vorliegend, bei
dem die gewerbliche Leistung der Großbild-Filmvorführungen überhaupt nur von zwei
Unternehmen angeboten wird, liegt es, ohne dass dies abschließender Entscheidung
bedürfte, nahe, die wettbewerbliche Beziehung dieser Unternehmen als ein
(asymmetrisches) Duopol aufzufassen. Jedenfalls aber kann dasjenige beider
Unternehmen, das nur über die Hälfte des Marktanteils des anderen verfügt, nicht als
das mit der überlegenen Marktmacht angesehen werden. Aus den weiteren
Ausführungen von Markert aaO ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Beklagten
nichts Gegenteiliges. Vielmehr wird dort - zutreffend - dargelegt, es sei regelmäßig nicht
gerechtfertigt, daraus, dass ein Unternehmen bei einem Kriterium wie der absoluten
Unternehmensgröße als Indiz für Finanzkraft einen großen Vorsprung hat, zu
schlussfolgern, dass es am Markt einen durch den Wettbewerb nicht mehr hinreichend
kontrollierten Verhaltensspielraum hat. Genauso verhält es sich im vorliegenden Fall und
ungeachtet der im Verhältnis zur Klägerin deutlich größeren Finanzkraft der Beklagten.
Soweit die Klägerin allerdings im Zusammenhang mit der Finanzkraft der Beklagten
wegen des behaupteten Erlasses von Mietzinsen eine Verflechtung dieses
Unternehmens mit der Vermieterin S. i. S. v. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB anführt, erscheint es
- trotz der weiten Fassung des Tatbestands der Verflechtung (vgl. BGH WuW/E 3040 -
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- trotz der weiten Fassung des Tatbestands der Verflechtung (vgl. BGH WuW/E 3040 -
Raiffeisen) und unabhängig davon, dass dies zwischen den Parteien streitig ist -, fraglich,
ob von einer Verflechtung zwischen S. und der Beklagten bereits deshalb die Rede sein
kann, weil erstere der letzteren Mietzinsen erlässt. Unabhängig davon lässt sich aber
bereits nicht feststellen, dass sich die Dinge so verhielten. Die Beklagte bestreitet diesen
Erlass nämlich und behauptet, sie habe sich mit S. um die Höhe der Mietzinsen
gerichtlich gestritten und letztendlich verglichen. Für ihren gegenteiligen
Tatsachenvortrag bietet die Klägerin keinen Beweis an, weil er auf vertraulich erlangten
Informationen beruht. Sie würde mit ihrer Behauptung, käme es auf sie an, beweisfällig
bleiben, denn der Sachverhalt bietet insoweit keine hinreichende Grundlage dafür, der
Beklagten nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast einen
substantiierteren Vortrag aufzubürden.
Was die Finanzkraft der Klägerin, käme es darauf an, anbelangt, so könnte allerdings
auch nicht gänzlich außer Betracht bleiben, dass zu ihren Gesellschaftern - mit einem
Anteil von 25,1 % - die M.-F. GmbH & Co. gehört, deren Inhaber F. Hauptaktionär der C.
AG ist. Auch wenn es sich dabei nach dem Vorbringen der Klägerin nur um eine
Finanzbeteiligung ohne unternehmerischen Einfluss handelt, so verkörpert diese
Gesellschafterin gleichwohl Finanzkraft und branchenspezifisches Know-how.
2. Aber selbst wenn unterstellt würde, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin über
eine überlegene Marktmacht verfügt, lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte
letztere unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert.
Ob eine Wettbewerberbehinderung unbillig ist, ist im Rahmen einer sämtliche Umstände
des Einzelfalles berücksichtigenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der auf
die Freiheit des Wettbewerb gerichteten Zielsetzung des GWB zu ermitteln.
Geht es, wie hier, um den Vorwurf, eine gewerbliche Leistung unter Selbstkosten
anzubieten und damit eine wettbewerbswidrige Kampfpreisunterbietung zu dem Zweck
zu betreiben, einen Wettbewerber unter Missachtung kaufmännischer Grundsätze aus
dem Markt zu drängen, kommt es auf die objektiven Umstände des Einzelfalls und
hierbei in erster Linie darauf an, ob in dem fraglichen Preisverhalten eine nach
kaufmännischen Grundsätzen noch vertretbare Kalkulation erkennbar ist (vgl. Markert a.
a. O. Rdnr. 194 mit weiteren Nachweisen).
Die Klägerin stützt sich beim Vorwurf des Angebots unter Selbstkosten auf eine
Kalkulation der Fixkosten des IMAX-Kinos der Beklagten (Anlage K 7), die in sich selbst in
einem wesentlichen Punkt unzuverlässig erscheint. Der mit annähernd 50 % größte
Einzelposten darin betrifft die Miete mit x Mio. DM. Die Klägerin selbst geht aber
gleichzeitig davon aus, dass die Mietkosten der Beklagten deutlich geringer sind und
erhebt in diesem Zusammenhang sogar den Vorwurf, die Beklagte sei mit S.
verflochten. Die Beklagte hat zwar diese Verflechtung bestritten, von Anfang an aber
geltend gemacht, ihre Mietkosten lägen sehr deutlich unterhalb des Betrages von x Mio.
DM. Da die von der Klägerin behauptete Verflechtung - wie oben ausgeführt - nicht
festgestellt werden kann, ergibt sich für die Modellrechnung der Fixkosten eines IMAX-
Kinos entsprechend der Anlage K 7, dass die Mietkosten nur mit einem deutlich
geringeren Betrag zu Buche schlagen dürften. In der Anlage K 5 betreffend die
durchschnittlichen Fixkosten eines IMAX-Theaters auf der Basis ihres eigenen
Etablissements geht die Klägerin bei der Position Miete auch nur von einem Betrag von y
Mio. DM aus.
Auch die Berechnungen der Klägerin hinsichtlich der Nettoerlöse pro Kinokarte sind mit
nicht unerheblichen Unwägbarkeiten behaftet. So hat sie die Lizenzgebühr für den
Filmverleih in der Klageschrift auf 23 % beziffert und auf den Einwand der Beklagten,
diese Gebühr sei verhandelbar und deshalb teilweise niedriger als 23 %, eingeräumt,
dass dieser Wert ein von ihr selbst ermittelter Durchschnittswert sei. Die Erlöse pro
Kinokarte können allein aufgrund der Schwankungen der Filmlizenzgebühren deutlich
über dem Betrag von 10,00 DM pro Karte (Schriftsatz der Klägerin vom 5. Dezember
2001) liegen. Für den - sehr erfolgreichen - Film „Haunted Castle“ war beispielsweise für
beide Theater der Parteien zunächst derselbe Mindestbetrag von 2,40 Dollar pro Karte
vereinbart, seit September 2001 wegen Erreichens einer bestimmten Verkaufszahl aber
auf den Mindestbetrag von 1,50 Dollar herabgesetzt worden. Gerade bei einem sehr
erfolgreichen Film können - auch wenn die Grundgebühr hier relativ hoch sein sollte - aus
solchen Schwankungen temporär also beträchtliche Mehreinnahmen pro Karte
erwachsen. Die Klägerin hat - was ihre Vorwürfe weiter relativiert - im Übrigen auch nicht
die Einnahmenseite vollständig erfasst, weil sie das Konzessionsgeschäft (Verkauf von
Getränken und Speisen) sowie die Werbeeinnahmen ausgeklammert hat. Mögen beide
Positionen auch nicht dieselbe Rolle spielen, wie im herkömmlichen Vorführbetrieb, so
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Positionen auch nicht dieselbe Rolle spielen, wie im herkömmlichen Vorführbetrieb, so
sind die Einnahmen gleichwohl nicht gänzlich zu vernachlässigen.
Unabhängig von diesen die Stichhaltigkeit des Vortrags der Klägerin beeinträchtigenden
Überlegungen lässt sich aber auch sonst nicht feststellen, dass dem Preisgebaren der
Beklagten eine nach kaufmännischen Grundsätzen nicht mehr vertretbare Kalkulation
zugrunde liegt.
Bei der vorliegend streitigen geschäftlichen Maßnahme des „Half-Price-Day“ handelt es
sich um eine spezielle Variante von Niedrigpreispolitik und Mischkalkulation, die ihren
Platz ansonsten typischerweise im Einzelhandel hat. Dort entspricht es einer
verbreiteten Geschäftsstrategie, einzelne Artikel des gesamten Angebots auf der
Grundlage einer Mischkalkulation „billig“ (gegebenenfalls unter Einstandspreis) und in
der Erwartung anzubieten, die entsprechenden Mindereinnahmen durch den Verkauf
anderer, höher kalkulierter Waren zu kompensieren. Davon unterscheidet sich der
vorliegende Fall dadurch, dass nur eine einzige Leistung angeboten wird und die
Mischkalkulation darin besteht, diese an einem Tag billiger als an den anderen
anzubieten. Das dahinter stehende wirtschaftliche Kalkül spekuliert zum einen darauf,
nominell mehr und dabei vor allem auch solche Zuschauer anzulocken, die ohne
verbilligte Eintrittspreise nicht hätten interessiert werden können - und die zugleich durch
Konsum im Konzessionsgeschäft (Getränke, Eiskrem, Snacks) sowie mittelbar, durch
Verbesserung der Bemessungsgrundlage für die Werbeeinnahmen (IVW)
Deckungsbeiträge liefern; zum anderen soll der „Half-Price-Day“ allgemein für Aufwind in
der unter rückläufigen Zuschauerzahlen leidenden Branche sorgen.
Ein gewichtiges Argument gegen die Annahme, das Half-Price-Angebot der Beklagten
beruhe auf einer nach kaufmännischen Regeln nicht mehr vertretbaren Kalkulation, ist
nach Ansicht des Senats, dass es auf die seit Mai 2001 von den Filmtheaterverbänden
für die herkömmlichen 35-mm-Spielfilme ausgesprochene und vom Bundeskartellamt
nach wie vor tolerierte Empfehlung zurückgeht. Es ist nicht anzunehmen, dass die
Verbände den ihnen angeschlossenen Unternehmen, deren Interessen sie wahrnehmen,
kollektiv und flächendeckend eine solche wettbewerbliche Aktion ohne Rücksicht auf ihre
kaufmännische und kalkulatorische Vertretbarkeit ansinnen würden und es ist,
korrespondierend dazu, auch nicht zu erwarten, dass die Unternehmen selbst diese
Empfehlung auf Dauer befolgen würden, wenn sie so defizitär wäre, dass sie mit den
Regeln kaufmännischer Vernunft nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Soweit die
Klägerin in der Klageschrift vorgetragen hat, die Empfehlung werde nur von 25 % der
Filmtheaterbetriebe befolgt und dabei gerade nicht von den mittelständischen, ist zu
berücksichtigen, dass dieser Einwand im August 2001 und damit zu einer Zeit erhoben
wurde, zu dem die Empfehlung erst drei Monate in Kraft war. Dass sie auch mehr als
zwei Jahre nach ihrer Einführung vom Bundeskartellamt weiter gestattet wird, spricht
dagegen, dass sie die wettbewerblichen Möglichkeiten der Marktteilnehmer
überstrapaziert und dass damit etwa ein Preiswettbewerb zum Zwecke der
Marktbereinigung geführt würde.
Auch wenn es vorliegend nicht um ein Geschehen auf dem nämlichen Markt für 35-mm-
Spielfilmvorführungen geht, so ist die Verbändeempfehlung dennoch ein ganz
erhebliches Indiz dafür, dass auch die Einbeziehung des Großbild-Filmangebots in das
Half-Price-Angebot keine Maßnahme jenseits jeglicher seriöser und vertretbarer
kaufmännischer Kalkulation darstellt. Wie ausgeführt ist der Markt für Großbild-
Filmvorführungen dem traditionelle Spielfilm-Vorführmarkt benachbart und zwischen
beiden Märkten bestehen, speziell in Berlin, partielle und zunehmende
Substitutionsbeziehungen. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass dieselbe
Maßnahme, die auf dem einen Markt von den Verbänden empfohlen wird, auf dem
anderen als nicht mehr auf einer wirtschaftlich vertretbaren Kalkulation beruhend und
deshalb kartellrechtlich untersagungswürdig ist. Dem lässt sich nicht mit Erfolg
entgegenhalten, dass die Programm-, Kosten- und Preisstruktur der Großbild-
Filmtheater auf der einen und der herkömmlichen Kinos auf der anderen Seite
grundverschieden sei. Richtig ist, dass sich das Angebot der Letzteren auf eine deutlich
geringere Anzahl von Einzelvorstellungen pro Tag beschränkt, als bei den Ersteren,
denen die kürzere Dauer der Großbildfilme Vorstellungen im Stundentakt ermöglicht. Die
relative Anzahl von Vorführungen kann indes nicht maßgeblich sein, wenn und solange
die Preissenkungen konstant und einheitlich an einem gesamten Spieltag vorgenommen
werden. Wenn nicht angenommen werden kann, dass der mit dem Half-Price-Angebot
verbundene Einnahmenverzicht pro Eintrittskarte bei einem 35-mm-Filmkinos mit
wenigen Vorführungen pro Leinwand an einem Tag kaufmännisch nicht mehr vertretbar
ist, dann kann für die IMAX-Theater nicht ohne weiteres Gegenteiliges gelten. Soweit die
Klägerin geltend gemacht hat, die Eintrittspreise in herkömmlichen Kinos seien auf einer
ganz anderen Basis kalkuliert, als im Großbildbereich, ist nicht nachvollziehbar dargelegt,
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ganz anderen Basis kalkuliert, als im Großbildbereich, ist nicht nachvollziehbar dargelegt,
dass sich dies im Ergebnis betriebswirtschaftlich so unterschiedlich auswirkt, dass das
Half-Price-Angebot im Großbildbereich nicht mehr als auf einer kaufmännisch
vertretbaren Kalkulation beruhend angesehen werden kann.
Im Übrigen kann nicht ganz außer Betracht bleiben, dass die Klägerin selbst mit ihrem
verbilligten Montagsangebot einen im Grundsatz gleichartigen (Preis-
)Wettbewerbsimpuls setzt, wie die Beklagte im Rahmen des „Half-Price-Day“. Sie bietet
nämlich am Montag den Besuch aller Vorstellungen einheitlich zu dem für Kinder
geltenden Tarif an. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine rechnerische Halbierung
des Preises, aber immerhin ebenfalls um einen spürbaren Nachlass, der hinreichend
Anreiz zu einem ansonsten nicht in Erwägung gezogenen Besuch des Filmtheaters der
Klägerin geben soll und kann.
Im Rahmen der die Interessen der Beteiligten berücksichtigenden Abwägung kann im
Übrigen die Einbindung des IMAX-Kinos der Beklagten in ein Multiplex-Filmtheater mit
weiteren acht Leinwänden für herkömmliche Filme nicht unberücksichtigt bleiben. Wenn
das Angebot des Half-Price-Dienstags für 35-mm-Spielfilme auf keine durchgreifenden
kartellrechtlichen Bedenken stößt, ist es kaufmännisch wie rechtlich nicht zu
beanstanden, wenn die Beklagte im Interesse der Einheitlichkeit ihres Angebots die
Großbildfilme einbezieht, auch wenn sie dabei möglicherweise nicht auf eine
Verdopplung ihrer Zuschauerzahlen und damit auf eine vollständige Kompensation der
Mindereinnahmen pro Eintrittskarte rechnen kann. Die Beklagte kann darauf setzen, mit
dem einheitlichen Angebot Imagepflege für ihr Filmtheater im Ganzen zu treiben oder,
konkreter, betriebswirtschaftlich erhoffen, mit dem halben Preis solche Besucher für eine
Vorstellung in ihrem Großbildkino zu interessieren, die eigentlich herkömmliche
Spielfilme ansehen wollen, welche aber am verbilligten Dienstag schneller ausverkauft
sind, als an anderen Tagen. Solche Besucher sind möglicherweise nicht bereit,
„ersatzweise“ den Besuch einer Großbildvorführung zum vollen Preis in Erwägung zu
ziehen, wohl aber zum halben. Mit dem verbilligten Preis kann sich im Übrigen, wie
bereits ausgeführt, die Hoffnung verbinden, gänzlich neue Interessentenkreise für das
Großbildgenre zu akquirieren, die auf einen Besuch zum regulären Eintrittspreis von
vornherein verzichten würden. Inwieweit sich solche geschäftlichen Hoffnungen letztlich
verwirklichen und ob der Geschäftsverlauf ohne solche Maßnahmen gleichartig,
günstiger oder schlechter gewesen wäre, lässt sich naturgemäß kaum zuverlässig
prognostizieren, zumal das Zuschauerinteresse am Großbildkino in Berlin nach dem
Vortrag der Parteien von zahlreichen und ganz unterschiedlichen Einflüssen abhängt und
deutlichen Schwankungen unterliegt. Jedenfalls erscheint die Übernahme des „Half-
Price-Day“ für das Großbild-Filmangebot seitens der Beklagten nach den gesamten
Umständen keineswegs als eine kaufmännisch von vornherein abwegige Strategie,
deren Verfolgung allein den Schluss zulassen würde, dass es der Beklagten dabei allein
um die Eliminierung der Klägerin aus dem Wettbewerb gehen kann. Das gilt umso mehr,
als die Beklagte ersichtlich Anlass hat, erhöhte Anstrengungen zur besseren Auslastung
ihres Großbildkinos zu unternehmen. Die Klägerin selbst schätzt dieses als relativ
schlecht gehend ein. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass es der
Beklagten, abgesehen von vertragsrechtlichen Verwicklungen, als kaum zu wagender
Ansehensverlust erscheinen müsste, das IMAX-Kino an ihrem prominenten Standort im
S.-C. am P-Platz unter Aufrechterhaltung des konventionellen Vorführbetriebs als
unrentabel stillzulegen. Selbst Quersubventionierungen aus ihrem 35-mm-
Vorführbetrieb zur Verringerung der Verluste, die die Beklagte allerdings bestreitet,
wären nachvollziehbar und im Übrigen, wovon auch die Klägerin ausgeht, als
unternehmensinterne Vorgänge wettbewerbsrechtlich prinzipiell nicht zu beanstanden.
Nach alledem besteht ein Unterlassungsanspruch nach § 20 Abs. 4 in Verbindung mit §
33 GWB nicht, wobei ergänzend zu bemerken ist, dass nach den gesamten Umständen
auch die Voraussetzungen für den Eintritt der Beweislastumkehr in § 20 Abs. 5 GWB
nicht gegeben sind.
Auch § 1 UWG ist nicht verletzt. Soweit die Klägerin sich in diesem Zusammenhang au
den Aspekt des Verkaufs unter Selbstkosten betrifft, gilt das vorstehend Ausgeführte
entsprechend.
Der von ihr außerdem herangezogene Tatbestand des übertriebenen Anlockens liegt
nicht vor. Diese Fallgruppe von § 1 UWG bezieht sich auf die verschiedenen Formen des
Kundenfangs (vgl. etwa Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage § 1 UWG
Rn. 90 ff,. 109 ff.). Das Half-Price-Angebot ist - auch vor dem Hintergrund der
Verbändeempfehlung - unter keinen Umständen als sittenwidriges übertriebenes
Anlocken einzuordnen.
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Soweit die Klägerin in anderem Zusammenhang ausführt, dass die Werbung der
Beklagten mit exakt dem halben Preis bei den 35-mm-Filmen widersprüchlich sei, weil
sie an den verschiedenen sonstigen Wochentagen außer dienstags unterschiedliche
Preise hat und der halbe Preis nicht auf alle diese Preise als Bezugsgröße zutreffe,
sondern sich rechnerisch auf die höchsten Wochenendpreise beziehe, betrifft dies allein
den hier nicht interessierenden Bereich der 35-mm-Filme. Für IMAX-Filme ist die
Werbung mit dem halben Preis jedenfalls numerisch richtig.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 in Verbindung
mit § 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Gründe dafür nicht vorliegen.
Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie keine Rechtsfragen
aufwirft, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten können. Der Streit der
Parteien betrifft mit dem Angebot von Großbild-Filmvorführungen einen singulären Markt
und ist auch hinsichtlich des Wettbewerbsverhältnisses zweier Anbieter solcher Filme an
einem Ort einzigartig. Die Frage der Verflechtung mit S. wegen des Erlasses von
Mietschulden bedarf keiner revisionsgerichtlichen Überprüfung, weil ein solcher Erlass
nicht festgestellt werden kann und die Klage auch unabhängig davon unbegründet ist, ob
die Beklagte Normadressat von § 20 Abs. 4 GWB ist oder nicht.
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