Urteil des KG Berlin vom 09.07.2010

KG Berlin: beweismittel, entlastung, lügendetektor, beweisführung, zivilprozess, gerichtsbarkeit, beweiswert, link, sammlung, quelle

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Gericht:
KG Berlin Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19 WF 136/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 3 KostO, § 14 Abs 7
KostO, § 16 KostO, § 244 Abs 3
StPO
Leitsatz
Zur Nichterhebung der Kosten (§16 KostO) eines Polygraphentests (sog. Lügendetektor) im
Sorgerechtsverfahren.
Tenor
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-
Kreuzberg vom 9. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
Das Rechtsmittel des Bezirksrevisors ist gemäß § 14 Abs. 3 KostO zulässig, hat aber in
der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat mit Recht die Kostenrechnung um die
Kosten für das Gutachten des Sachverständigen ... reduziert.
Diese Kosten können gemäß § 16 KostO nicht gegen den Vater angesetzt werden, da sie
durch unrichtige Sachbehandlung verursacht und bei richtiger Sachbehandlung durch
das Gericht nicht entstanden wären. Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinn
liegt dann vor, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften verstoßen
hat und dieser Verstoß offen zutage tritt (vgl. z.B. OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662;
Hartmann, Kostengesetze 40. Auflage § 16 KostO Rz. 4). Dies gilt auch für die Kosten
einer Beweisaufnahme, die gesetzwidrig (BayObLG JurBüro 1999, 377), ersichtlich
überflüssig (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 1367)
oder mit untauglichen Mitteln durchgeführt wird. Um eine solche Beweisaufnahme
handelt es sich – auch zum Zeitpunkt der Beweisanordnung im Dezember 2003 deutlich
erkennbar – bei dem Gutachten des Sachverständigen ....
Der Sachverständige hat aufgrund des Beweisbeschlusses des Amtsgerichts ein
physiopsychologisches Gutachten unter Verwendung eines Polygraphentests (sog.
Lügendetektor) erstellt. Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass es sich dabei
um ein untaugliches Beweismittel handelt. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
bereits mit Urteil vom 17. Dezember 1998 die polygraphische Untersuchung mittels
Kontrollfragentest, wie sie auch hier durchgeführt wurde, mit ausführlicher Begründung
und nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten als völlig ungeeignetes
Beweismittel im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO angesehen, da ihr keinerlei Beweiswert
zukomme (BGHSt 44, 308). Da das Kontrollfragenverfahren konzeptionell nicht
abgesichert und seine Funktionsweise nicht belegbar sei, komme einem unter seiner
Verwendung gewonnenen Ergebnis grundsätzlich weder ein Beweiswert noch auch nur
eine „(minimale) indizielle Bedeutung“ zu.
Dem hat sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 10. Februar 1999
(NStZ-RR 2000, 35) angeschlossen. Für den Zivilprozess ist eine abweichende
Beurteilung ebenso wenig gerechtfertigt (BGH NJW 2003, 2527) wie für ein
Sorgerechtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (OLG Bremen, Beschluss vom
28.5.2001 – 5 UF 70/00, juris). Abweichende Entscheidungen, die einen Polygraphentest
zur Entlastung in Sorgerechts- und Umgangssachen als zulässig erachtet haben (vgl.
OLG München FamRZ 1999, 674; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.6.1998 – 4 UF
60/96, juris), stammen aus der Zeit vor Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom
17. Dezember 1998. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten
Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen wird, gilt dies
in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozess und im Verfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (vgl. BGH NJW 2003, 2527). Insbesondere die vom Bundesgerichtshof im
Urteil vom 17. Dezember 1998 näher begründeten Gesichtspunkte, dass eine erhebliche
Gefahr der Fehlinterpretation der Testergebnisse besteht und das von dem
Sachverständigen gewonnene Ergebnis für das Gericht nicht überprüfbar ist, stehen
einer Eignung auch in diesen Verfahren entgegen. Ein solches Gutachten ist daher auch
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einer Eignung auch in diesen Verfahren entgegen. Ein solches Gutachten ist daher auch
zu einer Entlastung des Probanden nicht geeignet; die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1998 ist auf die Revision des Angeklagten
ergangen, der den Polygraphentest zu seiner Entlastung beantragt hatte.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich nicht, dass das Amtsgericht von dieser Rechtsprechung
bewusst aufgrund vertretbarer anderer Rechtsauffassung abgewichen ist, was ggf. der
Nichterhebung entgegenstehen würde. Vielmehr hat es nach Hinweis auf diese
Rechtsprechung erklärt, das Gutachten nicht verwerten zu wollen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet, § 14 Abs. 7 KostO.
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