Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: aushändigung, brief, nahestehende person, ausländer, anstalt, foto, postsendung, werbung, absender, sicherheit

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 Ws 480/06 Vollz und
605/06 Vollz, 5 Ws
480/06 Vollz, 5 Ws
605/06 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 28 StVollzG, § 31 StVollzG, §
33 StVollzG, § 70 StVollzG, Art 2
Abs 1 GG
Briefkontrolle im Strafvollzug: Einbehaltung von Briefeinlagen in
Form von ausländerfeindlichen Aufklebern
Leitsatz
1. Briefeinlagen zählen dann zum nach §§ 28, 31 StVollzG privilegierten Schriftwechsel und
unterliegen nicht den §§ 33, 70 StVollzG, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit
dem Gedankenaustausch zwischen dem Absender und dem Empfänger stehen.
2. Strafgefangene haben keinen Anspruch auf die Aushändigung von einer Postsendung
beiliegender ausländerfeindlicher Aufkleber.
Tenor
1. Die Verfahren 5 Ws 480/06 Vollz und 5 Ws 605/06 Vollz werden verbunden.
2. Auf die Rechtsbeschwerden des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel werden die
Beschlüsse des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer - vom 31. Juli 2006 und
vom 22. September 2006 aufgehoben.
3. Die Anträge des Gefangenen, ihm sechs Aufkleber der NPD sowie ein Foto
auszuhändigen, werden zurückgewiesen.
4. Der Gefangene hat die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Am 30.
Januar 2006 ging für ihn eine von einem privaten Absender herrührende, postalisch als
Brief behandelte Sendung ein. Die Vollzugsbehörde händigte ihm sie aus, behielt aber
die als Beilagen in demselben Umschlag übersandten sechs Aufkleber der NPD und ein
Foto ein und gab sie zur Habe.
Die Aufkleber haben folgenden Inhalt:
- Berlin bleibt deutsch! NPD Die Nationalen, npd.de,
- Deutschland über alles! Hintergrundbild: Reichstag mit Inschrift „Dem deutschen
Volke“. NPD Die Nationalen (zwei Varianten),
- Jeder ist Ausländer. Nur nicht dort, wo er hingehört. NPD Die Nationalen,
- Gute Heimreise. Jetzt NPD Die Nationalen. Hintergrundbild: links: vier Frauen mit
viel Gepäck, davon drei mit Kopftüchern, vor einem Gittertor stehend, rechts: ein
Minarett,
- Stoppt den Weltbrandstifter USA und seine deutschen Handlanger! NPD Die
Nationalen.
Das ebenfalls angehaltene Foto zeigt einen Mann mit nacktem Oberkörper, der ein
Gewicht stemmt. Sein Gesicht ist schwarz geschminkt. Der kahle Schädel, die Brust, die
Arme, der Bauch und die Finger sind tätowiert. Die auffälligste Tätowierung ist auf der
Brust aufgebracht: Sie zeigt einen Adler mit einem zackig verformten S in der Mitte. Auf
den Fingern befindet sich die Buchstabenfolge NAZ; das auf dem nächsten Finger
tätowierte Symbol (Buchstabe oder Zahl) ist nicht ausreichend lesbar.
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Mit den angefochtenen Beschlüssen hat die Strafvollstreckungskammer den Leiter der
Justizvollzugsanstalt Tegel verpflichtet, die Aufkleber und das Foto an den Antragsteller
herauszugeben. In den Gründen der Entscheidung (Beschluß vom 31. Juli 2006) hat das
Landgericht die Einbehaltung der Briefeinlagen nach §§ 28, 31 StVollzG beurteilt und
ausgeführt, daß es sich bei den Aufklebern um Material einer politischen Partei handele,
die bisher durch das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt
worden sei. Die für die Gefährdung sowohl des Vollzugszieles als auch der Sicherheit und
Ordnung der Anstalt relevante Einschätzung des Leiters der Justizvollzugsanstalt, daß
die Aufkleber gegen Ausländer „hetzten“, sei nicht nachvollziehbar. Aus den Aufklebern
spreche weder eine nationalsozialistische noch eine rassistische Agitation. Auch andere
– im Bundestag vertretene - Parteien wendeten sich gegen den Multikulturalismus und
träten für eine deutsche Leitkultur ein. Das Aufenthaltsgesetz sei als Artikel 1 des
„Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ verkündet worden. Der
Inhalt der Aufkleber überschreite nicht das im allgemeinen politischen Diskurs Übliche;
nur sein intellektuelles Niveau sei geringer. Daß der Antragsteller auch wegen
Gewaltdelikten inhaftiert sei, ändere nichts. Das Vollzugsziel sei nicht gefährdet, weil die
Aufkleber keine gewaltverherrlichende Tendenz hätten.
Bezüglich des Fotos hat das Landgericht im Beschluß vom 22. September 2006
ausgeführt, daß dieses auf den ersten Blick unverfänglich erscheine und weder die
Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt noch das Vollzugsziel gefährde. Mit seinen
Rechtsbeschwerden rügt der Anstaltsleiter die Verletzung materiellen Rechts.
Die form- und fristgerecht eingelegten Rechtsmittel des Leiters der Justizvollzugsanstalt
Tegel erfüllen die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG.
Der Senat hält es für geboten, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (beide Beschlüsse) und zur Fortbildung des Rechts (Beschluß vom 31.
Juli 2006) zuzulassen. Die Rechtsmittel haben auch Erfolg. Da die Sachen spruchreif sind,
entscheidet der Senat gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG an Stelle der
Strafvollstreckungskammer. Er hebt die angefochtenen Beschlüsse auf und weist die
Anträge des Gefangenen zurück; denn die Vollzugsbehörde hat die Aushändigung der
Gegenstände zu Recht abgelehnt.
I.
Herausgabe der NPD-Aufkleber (Beschluß vom 31. Juli 2006)
1. Für das Anhalten der in dem Schreiben enthaltenen Anlagen hat die
Strafvollstreckungskammer als Eingriffsnorm allein § 31 StVollzG in Betracht gezogen.
Hinsichtlich der Aufkleber hat sie die Auffassung der Vollzugsbehörde zurückgewiesen,
die Sendung sei insoweit als Paket (§ 33 StVollzG) zu bewerten. Denn die
Justizvollzugsanstalt habe den Brief insgesamt und einheitlich nach § 31 StVollzG als
Schriftverkehr und nicht der Regel des § 33 Abs. 2 Satz 1 StVollzG entsprechend in
Anwesenheit der Gefangenen behandelt. Der Antragsgegner dürfe seine ursprüngliche
Einschätzung nicht ändern. Das sei rechtsmißbräuchlich. Denn es sei Sache des
Antragstellers, wofür er seine „jährlich drei Paketmöglichkeiten“ ausnutze. Die - jeweils
nur einzeln übersandten - Aufkleber dienten allein dem Gedankenaustausch und nicht
dem Warenaustausch wie kommerzielle Werbeträger. Der Senat teilt diese Bewertung
durch die Strafvollstreckungskammer nicht.
a) Die Regelungen der §§ 28, 31 StVollzG einerseits und §§ 33, 70 StVollzG andererseits
prägen die Rechtsstellung des Gefangenen unterschiedlich stark aus. Schreiben dürfen
nur aus den in § 31 Abs. 1 Nrn. 1-6 StVollzG enumerativ aufgezählten Gründen
angehalten werden. Damit trägt der Gesetzgeber hinsichtlich der ausgehenden
Schreiben dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Grundrecht auf
Meinungsfreiheit Rechnung sowie hinsichtlich der eingehenden Privatpost dem durch Art.
2 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (vgl. BVerfG
ZfStrVO 1996, 174, 175). § 33 Abs. 1 Satz 3 StVollzG verschafft dem Gefangenen für
Paketsendungen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. KG
ZfStrVO 1983, 59 –Ls; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 33 Rdn. 2 mit weit.
Nachw.), bei der freilich bei der Ausübung des Ermessens die Bedeutung des
Paketverkehrs für die Kommunikation mit der Außenwelt und das Interesse des
Gefangenen am Erhalt von Werbung beachtet werden muß (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR
2002, 315, 317; Calliess/Müller-Dietz, § 33 StVollzG Rdn. 1, S. 307).
aa) Für die Abgrenzung, ob der Inhalt einer Postsendung nach den rechtlichen
Voraussetzungen des durch §§ 28, 31 StVollzG privilegierten Schriftverkehrs oder gemäß
den allgemeinen Regeln für die Erlaubnis der Annahme von Gegenständen (§§ 19, 33,
70, 83 StVollzG) zu beurteilen ist, kommt es nicht auf die Einordnung der Postsendung
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70, 83 StVollzG) zu beurteilen ist, kommt es nicht auf die Einordnung der Postsendung
nach postalischen Gesichtspunkten – Brief, Päckchen, Paket – an, sondern allein darauf,
ob der Gegenstand dem schriftlichen Gedankenaustausch dient (vgl. OLG Karlsruhe
NStZ-RR 2002, 315, 316; OLG Nürnberg NStZ 1997, 382 bei Matzke; HansOLG Hamburg
ZfStrVO 1987, 247, 248; OLG Koblenz NStZ 1991, 304; ZfStrVO 1985, 121; KG ZfStrVO
1983, 59 –Ls; Senat, Beschlüsse vom 21. August 2002 – 5 Ws 426/02 Vollz – und 26.
April 1999 – 5 Ws 196/99 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, Rdn. 1; Arloth/Lückemann,
StVollzG, Rdn. 3; Schwind in Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl., Rdn. 3;
Joester/Wegner in AK-StVollzG 5. Aufl., Rdn. 2 – jeweils zu § 28 StVollzG). Denn die §§ 28,
31 StVollzG gewährleisten nur den schriftlichen Gedankenaustausch mit der Außenwelt
und geben dem Gefangenen nicht das Recht, unbeschränkt Briefeinlagen zu empfangen
(vgl. Senat a.a.O.).
bb) Briefeinlagen zählen dann zum Schriftwechsel, wenn sie in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Gedankenaustausch zwischen dem Absender und dem
Empfänger stehen (vgl. Joester/Wegner a.a.O.).
Zum individuellen Schriftverkehr gehören die Broschüre „Positiv in Haft“ der Deutschen
Aids-Hilfe (vgl. BVerfG NJW 2005, 1341), Kopien von Zeitungsausschnitten (vgl. OLG
Frankfurt am Main NStE Nr. 3 zu § 68 StVollzG = ZfStrVO 1993, 118 –Ls; einem von der
Partnerin des Gefangenen verfaßten pornographischen Brief beigelegte pornographische
Fotos von sich (vgl. OLG Dresden NStZ 1998, 320) und einem Brief beigelegte
Druckschriften geringen Umfangs des „Vereins zur Förderung eines Gesetzmäßigen
Strafvollzuges“ (vgl. KG, Beschluß vom 16. Dezember 1981 – 2 Ws 212/91 Vollz).
cc) Nicht unter den Begriff „Schriftwechsel“ fallen: Warenkataloge (vgl. OLG Karlsruhe
NStZ-RR 2002, 315, 316; OLG Koblenz NStZ 1991, 304), unbeschriebene Postkarten
(vgl. OLG Nürnberg ZfStrVO 1997, 372), Versandtaschen, Werbedrucksachen, mehrere
Zeitschriften (vgl. HansOLG Hamburg ZfStrVO 1987, 247); in Schnellheftern
gesammeltes Schriftmaterial (vgl. OLG Koblenz ZfStrVO 1985, 121), Plakate politischen
Inhalts (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ 1985, 353 bei Franke), Warenproben (vgl. KG
ZfStrVO 1983, 59 –Ls; Senat, Beschluß vom 26. April 1999 – 5 Ws 196/99 Vollz -),
Kalender (vgl. Senat, Beschluß vom 21. August 2002 – 5 Ws 426/02 Vollz -), werbendes
Informationsmaterial von Verlagen und Fremdenverkehrsämtern (vgl. Senat, Beschluß
vom 29. November 1991 – 5 Ws 277/91 Vollz -).
dd) Es fällt auf, daß sich auch unter den nicht zum Schriftwechsel gezählten Beilagen
solche befinden, die einen geistigen Inhalt aufweisen, der einem Gedankenaustausch
zugänglich ist: gesammelte Schriften, Kalender, Informationsmaterial, mehrere
Zeitschriften. Auch Werbebeilagen in Zeitschriften sind nicht frei von geistigem Inhalt,
der zur Kommunikation dienen kann (vgl. Senat, Beschluß vom 13. Juni 1983 – 5 Ws
162/83 Vollz -). Ganz deutlich wird der kommunikative Bezug bei politischen Plakaten
(vgl. OLG Frankfurt am Main aaO). Die gegenüber den §§ 28, 31 StVollzG stärkeren
Eingriffsmöglichkeiten der Vollzugsbehörde können indes nicht dadurch umgangen
werden, daß umfangreiche Druckschriften oder sonstige Materialien Briefen an
Gefangene beigefügt werden und der Bezug zu dem Brief nur noch darin besteht, daß
dort auf die beigefügte Sendung hingewiesen wird. Entscheidend sind der Umfang und
die Art der Druckschrift und ihr Bezug zum individuellen Schreiben (vgl. KG, Beschluß
vom 16. Dezember 1981 – 2 Ws 212/81 Vollz -).
Betrachtet man die seither ergangenen Entscheidungen, so ist der Gesichtspunkt des
Umfangs der Beilage etwas in den Hintergrund getreten (vgl. BVerfG NJW 2005, 1341).
Das verbindende Element aller Beilagen, die zum Schriftverkehr gezählt worden sind, ist
es, daß es ihre alleinige Bestimmung war, der Kommunikation zu dienen. Entsprechend
dieser Bestimmung hätten sie unmittelbar Gegenstand der brieflichen Mitteilung sein
können, ohne ihre Form zu verändern. Immer wieder ist von den Gerichten darauf
hingewiesen worden, daß sie die Beilagen zum Schriftwechsel zählen, weil der Absender
den Inhalt theoretisch auch hätte abschreiben können. So liegt es bei
Zeitungsausschnitten und sonstigen Druckschriften. Sie lassen sich abschreiben oder
einscannen, ohne daß sie ihre Funktion verlieren. Letzteres gilt ebenso für Fotos.
Einem Brief beigelegte
Aufkleber sind Werbematerial und zählen als solches auch dann nicht zum
Schriftverkehr, wenn in dem Begleitbrief ein kommunikativer Bezug auf sie
enthalten ist.
enthaltenen Botschaft an den Empfänger. Vielmehr dienen sie der Verbreitung mittels
Aufklebens und sind daher ebenso zu behandeln wie die im Verfahren des OLG Frankfurt
am Main von der Vollzugsbehörde einbehaltenen Plakate (vgl. oben). Wären sie dazu
bestimmt, die ihnen innewohnende Botschaft nur dem Empfänger mitzuteilen, wären sie
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bestimmt, die ihnen innewohnende Botschaft nur dem Empfänger mitzuteilen, wären sie
auf dem Brief aufgeklebt und mithin Teil desselben gewesen. Dann wäre die
grundsätzlich zutreffende Bewertung der Strafvollstreckungskammer, die Wirkung der
politischen Parteien auf die politische Willensbildung des Volkes und der öffentlichen
Meinung (§ 1 Abs. 2 PartG) erfolge durch Gedankenaustausch, auch für den Streitfall
richtig. So aber steht die dem Aufkleber eigene Zweckgebundenheit, der Verbreitung
des Werbematerials an eine Vielzahl anderer zu dienen, im Vordergrund. §§ 28, 31
StVollzG schützen indes ausschließlich den Gedankenaustausch des Absenders mit dem
Empfänger.
c) Daraus, daß die Postsendung von den Vollzugsbediensteten insgesamt als Brief
behandelt worden ist, folgt nichts anderes. Denn das äußere Erscheinungsbild der
Sendung ließ nicht erkennen, daß es Inhalt enthalten würde, der sich bei näherer
Betrachtung nicht als Schriftwechsel im Sinne des Gesetzes darstellt. Die Behandlung
der Einlagen als Paketsendung gemäß §§ 33, 70 StGB bringt den Gefangenen auch nicht
ohne dessen Willen um eine der in § 33 Abs. 1 Satz 1 StVollzG genannten drei Pakete.
Denn diese von der Strafvollstreckungskammer erwähnte Beschränkung gilt nur für
Nahrungs- und Genußmittel. Der Streitfall unterfällt § 33 Abs. 1 Satz 3 StVollzG.
d) aa) §§ 33, 70 StVollzG schränken als allgemeine Gesetze die Grundrechte auf
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG hinsichtlich des Werbens für eine Partei) und der
allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich des Erhalts der Einlagen)
ein. Hieraus ergibt sich, daß diese Vorschriften im Lichte der beschränkten Grundrechte
auszulegen und anzuwenden sind, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der
Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommen kann (vgl. BVerfG ZfStrVO 1996, 111,
112; BVerfG NJW 1994, 244; OLG Karlsruhe, Beschluß vom 27. April 2004 – 1 Ws 12/04 -
Juris). Das erfordert eine im Rahmen der Anwendung des einfachen Rechts
vorzunehmende einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der
Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, dem das grundrechtseinschränkende Gesetz
dient.
bb) Bei Abwägung des Interesses des Gefangenen an der Aushändigung der Aufkleber
gegenüber den Gefahren, die von ihnen ausgehen, gebührt der Wahrung von Sicherheit
und Ordnung der Anstalt der Vorrang. Die Anstalt kann nicht gezwungen werden, die
dem Propagandazweck entsprechende Verwendung der Aufkleber durch ihre
Aushändigung zu fördern. Werden sie außerhalb des Haftraums des Gefangenen geklebt
und damit bestimmungsgemäß zur Agitation verwendet, beeinträchtigt dies das
friedliche und geordnete Zusammenleben in der Anstalt erheblich. Mit der
Fürsorgepflicht, die dem Anstaltsleiter gegenüber allen ihm anvertrauten Gefangenen
obliegt, ist es nicht zu vereinbaren, durch Aushändigung hierfür geeigneten Materials der
politischen Agitation seitens eines Gefangenen Vorschub zu leisten, die anderen
Gefangenen gegen ihren Willen etwa durch Aufkleben an die Tür des Haftraums
aufgedrängt werden kann. Die Justizvollzugsanstalt Tegel ist eine Anstalt höchster
Sicherheitsstufe, in der viele Gefangene mit geringer Frustrationstoleranz untergebracht
sind. Im Streitfall kommt hinzu, daß viele der Insassen ausländischer
Staatsangehörigkeit oder Herkunft sind und durch das Aufkleben der gegen sie
gerichteten Parolen in – begreiflichen - Aufruhr versetzt werden können. Zu den
Aufgaben der Vollzugsbehörde gehört es, die negative Informationsfreiheit (vgl.
Jarass/Pieroth, GG 8. Aufl., Art. 5 Rdn. 17) der ihr anvertrauten Gefangenen zu schützen;
denn die Gefangenen können sich den ihnen aufgedrängten Informationen nicht in
gleicher Weise entziehen wie in Freiheit lebende Menschen.
2. Das Werbematerial wäre dann, wenn es sich nicht zum Aufkleben eignete – etwa als
Handzettel – im Falle der (wie hier) Übersendung als Einzelstücke als Schriftverkehr (§§
28, 31 StVollzG) zu bewerten. Auch in diesem Fall dürfte es wegen seines Inhalts nicht
ausgehändigt werden. Bei der Beurteilung, ob die Aushändigung der NPD – Aufkleber die
Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden können (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG), ist
nicht auf jeden einzelnen Aufkleber, sondern auf deren Gesamteindruck abzustellen.
Diese erwecken bei der gebotenen Gesamtschau einen agitatorischen und
programmatisch-feindseligen, gegen Teile der Bevölkerung Deutschlands gerichteten
Eindruck. Betrachtet man die darauf enthaltenen Aussagen in ihrem Zusammenhang,
so sind die Aufkleber geeignet, Ausländerfeindlichkeit zu erwecken und zu verbreiten.
Denn ihre Botschaft läßt sich zusammenfassen in den Parolen: „Deutschland den
Deutschen“ – „Alle Ausländer raus„. Die von der Strafvollstreckungskammer
herangezogenen Beobachtungen, wonach auch im Bundestag vertretene Parteien
Maßnahmen unterstützten und im Falle des Aufenthaltsgesetzes sogar gesetzlich
verankert hätten, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen, liegt – abgesehen von dem
erkennbaren und vom Senat mißbilligten Versuch, diese Parteien an den Pranger zu
stellen – neben der Sache. Denn „Ausländer“ im Sinne des genannten Gesetzes sind
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stellen – neben der Sache. Denn „Ausländer“ im Sinne des genannten Gesetzes sind
Angehörige anderer Staaten, nicht aber Deutsche anderer Herkunft. Integraler
Bestandteil der aus den übersandten Aufklebern hervortretenden Ideologie ist indes ein
dem Rassedenken verhafteter Begriff. Ausländer ist danach jeder Nichtarier, unabhängig
von seiner Staatsangehörigkeit.
Der Aufkleber „Jeder ist Ausländer. Nur nicht, wo er hingehört“, enthält nicht nur diese
Aussage als Worthülse, sondern macht deutlich, daß Ausländer im vorgenannten Sinne
grundsätzlich nicht nach Deutschland gehören. Verstärkt wird diese Aussage durch den
Aufkleber „Gute Heimreise“, der mehrere Frauen – zum Teil mit Kopftuch – und viel
Gepäck zeigt. Da es sich bei dem Gepäck keineswegs um herkömmliche Reisekoffer
handelt, entsteht der Eindruck einer überstürzten Ausreise unter unwürdigen
Umständen – Bilder, die aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Vertreibung
unerwünschter Menschen bekannt sind. Sie bedeuten, daß „Ausländer“ ohne jede
Differenzierung nicht erwünscht sind und verschwinden sollen. Dies sind entgegen der
Auffassung der Strafvollstreckungskammer allgemein bekannte Parolen der Neonazis.
Auffällig ist ebenfalls die Parole „Berlin bleibt deutsch“. Sie ist wortgleich mit einem Titel
eines Liedes der vom Kammergericht in dem Verfahren – (2) 3 StE 2/02 – 5 (1) (2/02) –
mit Urteil vom 22. Dezember 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuften Musikgruppe
„Landser“ und jedenfalls für die zahlreichen in die Szene der rechtsradikalen Musik
Eingeweihten als solches und damit als Werbung zur Unterstützung jener Band zu
erkennen. Das ist eine gerichtsbekannte Tatsache, die als solche bei der Entscheidung
über eine Revision oder eine Rechtsbeschwerde berücksichtigt werden darf (vgl. BGH,
Beschluß vom 9. Mai 1996 – 1 StR 256/96 -; Senat, Beschluß vom 21. August 2001 – 5
Ws 340/01 Vollz -; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 337 Rdn. 25; ders. in Festschrift für
Tröndle, S. 563, 565). Diese Werbung verletzt zwar nicht das gesetzliche Verbot des §
129 Abs. 1 StGB, weil die Gruppe als solche nicht mehr besteht (vgl. Tröndle/Fischer,
StGB 53. Aufl., § 129 Rdn. 26). Das – überwiegend strafbare Inhalte transportierende
(vgl. KG aaO) - Liedgut ist indes noch vorhanden und nach wie vor Gegenstand des
verdeckten Handels. Einer Justizvollzugsanstalt ist es aufgrund ihres
Resozialisierungsauftrags untersagt, Werbung – wenn auch indirekt - dafür zu dulden.
II.
Aushändigung eines Fotos (Beschluß vom 22. September 2006)
Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ist auch das Anhalten des
Fotos durch § 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG gedeckt. Denn die Aushändigung des Fotos würde
das Vollzugsziel gefährden. Die Abbildung erscheint keineswegs unverfänglich, sondern
vermittelt den Eindruck eines seine Kraft demonstrierenden Mannes, dessen Gesicht
durch schwarze Schminke kaum zu erkennen ist. Die Verbindung zwischen der
sichtbaren Kraftentfaltung, der Maskierung und der auf dem Oberkörper, den Armen und
dem kahlen Schädel befindlichen - oben näher beschriebenen – Tätowierungen
vermittelt dem Betrachter die Gewaltbereitschaft des Abgebildeten. Die Tätowierungen
legen zudem eine Zugehörigkeit zur rechtsradikalen Szene zumindest nahe. Da der
Gefangene nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer insbesondere unter
Alkoholeinfluß zur Anwendung von Gewalt neigt und er diese Problematik noch nicht
hinreichend bearbeitet hat, wäre die Aushändigung des Fotos geeignet, dem Vollzugsziel
zuwiderzulaufen. Zudem muß auch hier der Gesamtzusammenhang berücksichtigt
werden. Der Gefangene verbüßt Freiheitsstrafen, nicht nur weil er Gewaltdelikte
begangen hat, sondern auch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen. Das Foto ist mithin geeignet, seine tatursächliche Verstrickung in die
rechtsradikale Szene zu fördern. Zur Vorbereitung des Gefangenen auf ein
gesetzestreues Leben gehört es indes, ihn von Einflüssen fernzuhalten, die seine
Wiedereingliederung gefährden. Dazu gehört bei Gewalttätern auch, sie von
extremistischer Propaganda fernzuhalten, wenn sie – wie hier – geeignet ist, die Neigung
zur Gewaltanwendung gegenüber anderen Menschen anzustacheln (vgl. Senat, Beschluß
vom 9. Mai 2006 - 5 Ws 140/06 Vollz -).
Ein Recht auf Besitz des Fotos folgt auch nicht aus § 19 Abs. 1 StVollzG. Denn der
Gefangene hat nicht ausgeführt, daß es sich bei dem darauf abgebildeten Mann um eine
Verwandten oder eine ihm sonst nahestehende Person handelt. Ein „guter Bekannter“
genügt dieser Voraussetzung jedenfalls dann nicht, wenn er – wie hier – durch die
Maskierung nicht erkennbar ist.
III.
Da die Sache entscheidungsreif ist, bedarf es keines Beschlusses nach § 114 Abs. 2
StVollzG.
32 Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StVollzG in Verbindung mit
§ 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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