Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: tötung von tieren, kunstfreiheit, tierschutzgesetz, hirt, motiv, gewährleistung, rechtfertigung, wesensgehalt, ernährung, form

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Gericht:
KG Berlin 4.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(4) 1 Ss 235/09
(150/09)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 5 Abs 3 GG, Art 20a GG, § 17
Nr 1 TierSchG
Tierschutzdelikt: Töten von Kaninchen als Kunstaktion; Güter-
und Pflichtenabwägung zwischen Tierschutz und Kunstfreiheit
Leitsatz
Das Töten zweier Kaninchen durch Genickbrechen und Abschlagen der Köpfe im Rahmen
einer Kunstinszenierung kann bei Vorliegen weiterer Umstände, die den Akt der Tötung in den
Vordergrund stellen, indem diese gleichsam zelebriert und dem Publikum die Leichtigkeit der
bewussten Tötung von Tieren der betroffenen Art vor Augen geführt wird, zur Bewertung des
Vorgangs als sinnlose Tötung im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG führen.
Auch mit Blick auf die Kunstfreiheit ist eine Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen. Das
in Art. 20a GG vorgegebene und in § 17 Nr. 1 TierSchG konkretisierte Ziel, einen
verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu erreichen, ist legitimer Zweck einer
Einschränkung der Kunstfreiheit.
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24.
Februar 2009 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1
StPO).
Gründe
Die Gegenerklärung des Verteidigers des Angeklagten X vom 6. Juli 2009 hat vorgelegen;
sie führt zu keiner von der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin
abweichenden Beurteilung. Der Senat bemerkt dazu und zu den Revisionsbegründungen
Folgendes:
1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Angeklagten in
mittäterschaftlichem Zusammenwirken die beiden Kaninchen „ohne vernünftigen
Grund“ im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG getötet haben. Als vernünftig ist ein Grund
anzusehen, der triftig, einsichtig sowie von einem schutzwürdigen Interesse getragen ist
und unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse an der
Unversehrtheit und am Wohlbefinden des Tieres (vgl. Metzger in Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 TierSchG Rdn. 24; Pfohl in MK-StGB, § 17 TierSchG
Rdn. 34).
Zwar kann in der Fleischgewinnung ein vernünftiger Grund für das Töten von Wirbeltieren
liegen (vgl. Ort/Reckewell in Kluge, Tierschutzgesetz, § 17 Rdn. 165f. m.w.N.;
Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz 6. Aufl., § 1 Anh. Rdn. 21, § 17 Rdn. 19;
Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz 2. Aufl., § 1 Rdn. 47; kritisch: Caspar NuR 1997,
577ff.); um eine solche ging es vorliegend aber nicht primär. Werden mit einem Eingriff
mehrere Zwecke verfolgt, so ist für die Rechtfertigung allein der - nach objektiver
Betrachtung zu bestimmende - Hauptzweck maßgeblich(vgl. Hirt/Maisack/Moritz aaO. §
1 Rdn. 39 m.w.N.). Nicht gerechtfertigt ist eine Tötung, wenn sie hauptsächlich um ihrer
selbst Willen erfolgt oder im Mittelpunkt des Interesses des Tötenden steht. So liegt bei
Jagd- oder Beuteerstreben auch dann kein vernünftiger Grund vor, wenn das Tier später
noch verzehrt werden soll (vgl. Lorz/Metzger aaO. § 1 Anh. Rdn. 21, § 17 Rdn. 19; OLG
Celle NStZ 1993, 291f.). Die hier zu betrachtenden Tötungshandlungen dienten in erster
Linie - daran besteht nach den Urteilsgründen kein Zweifel – einem anderen Zweck als
dem der Nahrungsgewinnung. Den Angeklagten ging es zwecks Umsetzung ihres
künstlerischen Projekts um eine möglichst publikumswirksame Tötung der beiden Tiere,
die zudem „speziell für die Kunstinszenierung (...) besorgt“ worden waren. Die gesamte
Vorführung, die entsprechend beworben wurde, war hierauf ausgerichtet, die Tötung war
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Vorführung, die entsprechend beworben wurde, war hierauf ausgerichtet, die Tötung war
gleichsam deren Hauptbestandteil. Dass die Tiere eine Woche später noch gegessen
wurden, ändert daran nichts; die Tötung der Kaninchen zur Nahrungsgewinnung hätte
schon vor der „Performance“ und insbesondere unter Beachtung der
lebensmittelrechtlichen Hygienebestimmungen erfolgen können. Bei der Prüfung, ob das
tatbestandsmäßige Verhalten „als im Lebenszusammenhang gerechtfertigt“ erscheint
(vgl. dazu OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 155 m.w.N.; Metzger aaO. Rdn. 23), zeigt sich,
dass das vorliegende Geschehen nicht als sozial adäquater Vorgang der
Fleischgewinnung zu betrachten ist. Dies erhellt auch das weitere vom Landgericht
festgestellte Geschehen. So wurde etwa der weiße Anzug des Angeklagten R. bewusst
mit Blut besudelt, ein abgehackter Kaninchenkopf - der zweite war beim Versuch des
Abtrennens vom Körper versehentlich zertrümmert worden - wurde in einem Glas mit
einer Formaldehydlösung zur Schau gestellt und (als „Hase in Phormol“) für 9.800 Euro
zum Verkauf angeboten. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden, dass das Landgericht – dem amtsgerichtlichen Urteil folgend – den Akt
des Tötens nicht als dem späteren Verzehr untergeordnet, sondern als im Vordergrund
stehend bewertet hat.
Eine andere Betrachtung ist durch den von den Revisionsführern vorgebrachten Hinweis
auf den Dokumentarfilmer, der über Schlachtbetriebe berichtet und dabei die dortigen
Arbeitsabläufe zeigt, nicht begründet. Die Konstellationen sind von vornherein nicht
vergleichbar. Bei den im Dokumentarfilm gezeigten Schlachtungen geht es um die
Fleischgewinnung. Die Tötung der Tiere geschieht dort nicht eigens zur Darstellung in
einem Film; vielmehr werden die ohnehin und allein zur Versorgung mit Fleischprodukten
stattfindenden Nutztierschlachtungen schlicht dokumentiert.
2. Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG - die weiteren von den Beschwerdeführern
angeführten Grundrechte können den Rechtsmitteln ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen
– schließt die Verurteilung entgegen der Ansicht der Revisionen nicht aus. Dies gilt
ungeachtet der Frage, ob die verfassungsrechtliche Gewährleistung auf der Ebene des
Tatbestands Bedeutung gewinnt oder bei der Rechtswidrigkeit.
a) Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG, der
untersagt, ein Tier zu einer Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung
heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden
sind, überhaupt eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz geboten
oder ob eine solche – wie teilweise vertreten wird (vgl. Caspar aaO.; Ort/Reckewell aaO.
Rdn. 160; Pfohl aaO. Rdn. 36; wohl auch Metzger aaO. Rdn. 28; LG Köln NuR 1991, 42;
zur Bedeutung des Verbotskatalogs des § 3 TierSchG für die Frage der Sozialadäquanz
s. auch OLG Hamm NStZ 1985, 275) - wegen dieser ausdrücklichen gesetzlichen
Grenzziehung entbehrlich ist.
b) Denn auch eine Güter- und Pflichtenabwägung unter Berücksichtigung der
Kunstfreiheit ergibt, dass die grundrechtliche Gewährleistung bei der Verurteilung der
Angeklagten nicht missachtet wurde. Das gesamte Tierschutzgesetz wird von dem mit
dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang stehenden Leitgedanken beherrscht, Tieren
nicht „ohne vernünftigen Grund“ Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (vgl.
BVerfGE36, 47, 57;48, 376, 389; OLG Koblenz aaO.). Entgegen der Ansicht der Revision
geht die schrankenlos gewährleistete Kunstfreiheit dem Tierschutz nicht von vornherein
vor. Anderslautende Einzelentscheidungen (etwa AG Kassel NStZ 1991, 443 mit abl.
Anm. Selk) lassen sich – wollte man sie überhaupt anerkennen – jedenfalls nicht mehr
aufrechterhalten (vgl. Pfohl aaO. Rdn. 111; Kloepfer in Bonner Kommentar zum GG, Art.
20a Rdn. 91f.). Jedes Grundrecht unterliegt vielmehr verfassungsimmanenten
Schranken; zu diesen gehören auch Staatszielbestimmungen, die den Grundrechten
gleichrangig sind (vgl. Kloepfer aaO. Rdn. 27). Jedenfalls seit der Aufnahme des
Tierschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz im Jahr 2002 bedarf es
deshalb auch bei schrankenlos gewährleisteten Grundrechten einer Abwägung mit den
Interessen des Tierschutzes und des Ausgleichs im Wege der praktischen Konkordanz
(vgl. Kloepfer aaO. Rdn. 27f.; Schulze-Fielitz in Dreier, GG 2. Aufl., Art. 20a Rdn. 88; Jarass
in Jarass/Pieroth, GG 10. Aufl., Art. 5 Rdn. 113f.; Hirt/Maisack/Moritz aaO., Art. 20a GG
Rdn. 8).
Diese Grundsätze hat das Landgericht vorliegend beachtet. Die Abwägung zwischen
dem Recht aus Art. 5 Abs. 3 GG und der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG führt
angesichts der dargestellten Erwägungen - auch unter Berücksichtigung der
schrankenlosen Gewährung der Kunstfreiheit durch den Verfassungsgeber (vgl. hierzu
Jarass aaO. Rdn. 114) - zu einer verfassungskonformen Inhaltsbestimmung der
Strafnorm. Die Grundrechtsbeschränkung im Interesse des Tierschutzes ist
insbesondere nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden. Das in Art.
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insbesondere nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden. Das in Art.
20a GG vorgegebene und in § 17 Nr. 1 TierSchG konkretisierte Ziel, einen
verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu erreichen, ist legitimer Zweck der
Einschränkung der Kunstfreiheit. Die Erforderlichkeit dieser Einschränkung ist zu bejahen.
Durch ein strafbewehrtes Verbot sinnloser Tötungen können die gesamtgesellschaftliche
Wirkung des Tierschutzanliegens verwirklicht und Umgehungsversuche, etwa durch die
Aufstellung von Schutzbehauptungen, verhindert werden. Das Landgericht hat auch die
Angemessenheit der Einschränkung zu Recht angenommen.
Zwar weisen die Revisionsführer zu Recht auf die Wechselwirkung zwischen Staatszielen
und Grundrechten hin (vgl. dazu Kloepfer aaO. Rdn. 27). Aber auch eine kunstfreundliche
Auslegung des Tierschutzes unter Berücksichtigung der Strukturmerkmale der hier
vorliegenden Kunstform (vgl. BVerfGE 81, 298, 306) führt nicht zu dem von ihnen
gewünschten Ergebnis. Motiv der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz war
die Anerkennung der Mitgeschöpflichkeit von Tieren im Verhältnis zu Menschen. Dieses
Motiv lässt die Staatszielbestimmung des Tierschutzes in der Abwägung mit der
Kunstfreiheit besonders schwer wiegen (vgl. Ort/Reckewell aaO., § 17 Rdn. 158). Die
vorliegende Form des künstlerischen Ausdrucks - Eventkunst, die in drastischer Weise
durch deutliche Präsentation, gleichsam durch das Zelebrieren der Tötungen, aufrütteln
sollte - war besonders geeignet, dem Ziel des Art. 20a GG zuwiderzulaufen. Dem
Publikum wurde die Leichtigkeit der bewussten Tötung von Tieren der betroffenen Art vor
Augen geführt. Hierdurch verletzte das Verhalten der Angeklagten ein kollidierendes
Verfassungsgut, um auf die (vermeintliche) Missachtung dieses Verfassungssatzes
durch Dritte – Menschen, die im Rahmen ihrer Ernährung Fleisch zu sich nehmen -
aufmerksam zu machen; dies widerspricht dem Schutz des Gesamtgefüges der
Verfassung (vgl. LG Köln NuR 1991, 42) und ist vom Tatrichter zu Recht als strafbewehrt
erachtet worden.
Diese Auslegung nimmt der Kunstfreiheit auch nicht ihren Wesensgehalt. Das
Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es den Angeklagten freistand, ihr
Anliegen auf andere Weise auszudrücken. Im Übrigen erforderte das künstlerische
Anliegen nicht die Tötung gleich zweier Tiere.
3. Jedenfalls unbegründet ist die Rüge, das Landgericht habe die Vermeidung unnötiger
Leiden durch die vorherige Betäubung der Tiere nicht hinreichend berücksichtigt. Ob es
sich – wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin meint - um urteilsfremdes Vorbringen
handelt, weil die beiden Tiere nach dem Urteilsfeststellungen noch „zappelten“, bevor
ihre Genicke gebrochen wurden, oder ob auch Reflexbewegungen in betäubtem Zustand
denkbar sind, mag dahinstehen. Denn für die Verwirklichung des Tatbestands des § 17
Nr. 1 TierSchG wäre ein solcher Gesichtspunkt nicht maßgeblich. Zwar ist die Tötung
eines Tieres unter Zufügung von Schmerzen entgegen den Vorgaben § 4 Abs. 1 Satz 1
TierSchG geeignet, das Vorliegen eines vernünftigen Grundes im Sinne von § 17 Nr. 1
TierSchG auszuschließen (vgl. Selk NStZ 1991, 443, 445; Ort/Reckewell aaO., § 17 Rdn.
166). Andererseits ist eine Tötung nicht bereits dann von einem vernünftigen Grund
getragen, wenn sie für das Tier schmerzfrei abläuft. Der vernünftige Grund entscheidet
über die Zulässigkeit des „Ob“ der Tötung, die Schmerzvermeidung über das „Wie“.
Bereits erstere war hier zu verneinen.
4. Kein Rechtsfehler findet sich endlich in der Annahme des Landgerichts, die
Angeklagten hätten einen (anzunehmenden) Verbotsirrtum vermeiden können. Mag die
Möglichkeit, Tiertötungen zu künstlerischen Zwecken zu rechtfertigen, vor Aufnahme des
Tierschutzes als Staatszielbestimmung umstritten gewesen sein (vgl. OLG Köln NStE Nr.
6 zu § 17 TierSchG), so wird eine derartige Rechtfertigung seit der Aufnahme des
Staatsziels in Art. 20a GG ganz überwiegend abgelehnt. Die Angeklagten hätten dies
durch Einholung von Rechtsrat erkennen können. Aufgrund sachkundiger Beratung
wären mindestens Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Vorhabens aufkommen, die sie
von der Durchführung hätten Abstand nehmen lassen (müssen). Von solcher
Erkundigung haben sie indessen von vornherein abgesehen.
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