Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: körperliche unversehrtheit, zwangsmedikation, materielles recht, paranoide schizophrenie, einwilligung, rechtsgrundlage, vertreter, zwangsbehandlung, unterbringung, medikament

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Gericht:
KG Berlin 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ws 66/07 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 136 StVollzG, § 138 StVollzG, §
30 Abs 2 S 1 PsychKG BE
Unterbringung: Zustimmung des Betreuers zu einer
psychopharmakologischen Behandlung im Land Berlin als
ausreichende Rechtsgrundlage für die behandelnden Ärzte;
Nachprüfung der Rechtmäßigkeit vom Vormundschaftsgericht
Leitsatz
Die erforderliche Zustimmung des Untergebrachten zu einer psychopharmakologischen
Behandlung kann im Land Berlin nach § 30 Abs. 2 Satz 1 BerlPsychKG durch die Zustimmung
des Betreuers als des gesetzlichen Vertreters ersetzt werden. Dessen Entscheidung stellt für
die behandelnden Ärzte eine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Ihre Rechtmäßigkeit kann
nicht vom Vollzugsgericht, sondern nur vom Vormundschaftsgericht nachgeprüft werden.
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluß des Landgerichts
Berlin – Strafvollstreckungskammer - vom 8. Dezember 2006 wird verworfen, soweit sie
den Antrag auf Feststellung betrifft, daß die Zwangsmedikation rechtswidrig war.
2. Das Verfahren wird für erledigt erklärt, soweit es den Antrag betrifft, das Krankenhaus
des Maßregelvollzugs zu verpflichten, die Zwangsmedikation einzustellen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Durch Urteil vom 12. August 1998 ordnete das Landgericht Berlin die Unterbringung des
Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er im Zustand der
Schuldunfähigkeit aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Psychose einen Totschlag
begangen hatte. Bereits seit dem 5. März 1998 war er gemäß § 126 a StPO einstweilen
untergebracht. Die behandelnden Ärzte im Maßregelvollzug diagnostizierten eine
paranoide Schizophrenie mit episodischen Verlauf und aktuell stabilem Residuum (ICD
10: F 20.02) sowie eine kontinuierlich deliktbezogene Alkoholabhängigkeit bei
gegenwärtiger Abstinenz in beschützender Umgebung (ICD 10: F 10.21). Der
Untergebrachte hält sich für psychisch gesund. Von einer Krankheits- und
Behandlungseinsicht ist er dem Votum seiner behandelnden Ärzte zufolge weit entfernt.
Deswegen ist der Untergebrachte nicht bereit, dauerhaft freiwillig Medikamente
einzunehmen. Die Ärzte des Krankenhauses des Maßregelvollzuges hielten – und halten
– jedoch eine antipsychotische Medikation für erforderlich, damit der Untergebrachte in
einen psychischen Zustand gerät, in dem er seine Erkrankung als solche wahrnehmen
kann. Nur so bestehe die Chance, daß langfristig ein therapeutisches Bündnis zustande
komme, aus dem heraus Rehabilitationsbemühungen erfolgreich sein könnten.
Sie holten daher von dem damaligen gesetzlichen Betreuer des Untergebrachten am
31. August 2006 die Genehmigung ein, ihrem Patienten dauerhaft in zweiwöchigem
Abstand, auch gegen den Willen des Patienten, das Depot-Präparat Fluanxol®, ein
Neuroleptikum, zu verabreichen. Am 6. und 20. September 2006 sowie am 4. und 19.
Oktober 2006 setzten Mitarbeiter des Krankenhauses des Maßregelvollzuges dem
Untergebrachten nach vorangegangener Fixierung gegen seinen Willen Spritzen mit dem
Präparat Fluanxol®, welches bei dem Untergebrachten auch unerwünschte
Nebenwirkungen verursachte. Gegen diese Behandlung wandte sich der
Beschwerdeführer mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung (§§ 109 Abs. 1, 138
Abs. 3 StVollzG)
1. festzustellen, daß die Zwangsmedikationen unzulässig waren und
2. das Krankenhaus des Maßregelvollzuges zu verpflichten, künftig eine
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2. das Krankenhaus des Maßregelvollzuges zu verpflichten, künftig eine
Behandlung gegen seinen Willen zu unterlassen.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin hat die Anträge durch den
angefochtenen Beschluß vom 8. Dezember 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Mit
seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde verfolgt der Untergebrachte seine
Anliegen weiter. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Während des Verfahrens über die Rechtsbeschwerde ist der bisherige Betreuer
abberufen worden. Der nunmehrige Betreuer hat die Zustimmung zur
Zwangsmedikation am 30. März 2007 widerrufen. Daraufhin haben die Ärzte des
Krankenhauses des Maßregelvollzugs die Zwangsmedikation eingestellt.
Die Rechtsbeschwerde ist teils unbegründet, teils erledigt.
A.
Die form- und fristgemäß eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig, um die Fortbildung
des Rechts zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 138 Abs. 3 StVollzG).
Der Einzelfall gibt Anlaß, bei der Auslegung von Rechtssätzen Leitsätze aufzustellen und
zu festigen (vgl. BGHSt 24, 15, 21; HansOLG Bremen ZfStrVO 1991, 309; Senat,
Beschluß vom 26. Januar 2007 – 2/5 Ws 702/06 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10.
Aufl., § 116 Rdn. 2; Arloth/Lückemann, StVollzG, § 116 Rdn. 3, jew. mit weit. Nachw.).
Bislang hat zu der Frage der zwangsweisen Verabreichung von Neuroleptika an einen
Untergebrachten im Einvernehmen mit dessen gesetzlichem Vertreter erst ein
Oberlandesgericht im Verfahren nach §§ 109 Abs. 1, 138 Abs. 3 StVollzG Stellung
genommen (vgl. OLG Hamm NStZ 1987, 144). Das Kammergericht hat sich mit der
Zwangsmedikation zu Behandlungszwecken zwar in seinem Beschluß vom 20. Juni 1997
– 5 Ws 122/97 Vollz – (NStZ-RR 1997, 351 = StV 1998, 209) auseinandergesetzt. Über
den Fall, daß der Betreuer des Untergebrachten der Medikation zustimmt, hat der Senat
indes ausdrücklich nicht entschieden (vgl. Senat aaO, S. 352). Der Fortbildung des
Rechts dient ein Beschluß auch dann, wenn zu einer Rechtsfrage erst ein
Oberlandesgericht Stellung genommen hat und die Äußerung eines anderen
Oberlandesgerichts zu derselben Frage geeignet ist, die Rechtsprechung zu festigen
oder fortzuentwickeln. Zudem ist der Maßregelvollzug im Bundesland Berlin durch ein
anderes Landesgesetz geregelt als im Bundesland Nordrhein-Westfalen.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Feststellungsantrages keinen
Erfolg. Der Antrag auf Verpflichtung hat sich durch den Widerruf der Zustimmung durch
den Betreuer erledigt.
B.
I. Feststellungsantrag
1. Verfahrensvoraussetzungen
Der Feststellungsantrag ist zulässig, und er hat sich durch die Absetzung der
Zwangsmedikation nicht erledigt. Im Hinblick auf die in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte
Rechtsschutzgarantie ist anerkannt, daß ein derartiger Antrag zur Füllung eventueller
Rechtsschutzlücken zulässig sein muß, obwohl das Strafvollzugsgesetz diese Antragsart
nicht regelt (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 29 = ZfStrVO 2004, 106; NJW
2003, 2843, 2844; Senat, Beschluß vom 14. März 2007 – 2/5 Ws 325/05 Vollz -; jew. mit
weit. Nachw.). Ganz überwiegend, so auch vom beschließenden Senat, wird zwar
angenommen, daß ein solcher Antrag neben einer Anfechtungs- bzw.
Verpflichtungsklage subsidiär ist (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; Senat, Beschluß vom
28. Juli 2006 – 5 Ws 426/06 Vollz -; Kamann/Volckart § 109 StVollzG Rdn. 32; a.A: OLG
Karlsruhe ZfStrVO 2005, 299). Bei der Zwangsmedikation handelt es sich um eine den
Gefangenen belastende Maßnahme, gegen die er sich mit einem auf Unterlassung
gerichteten Verpflichtungsantrag wehren kann. Die bereits durchgeführten
Zwangsbehandlungen haben aber bereits in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte
Recht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen, was der Rechtfertigung durch ein
Gesetz bedurfte (Art. 2 Abs. Satz 3 GG). Durch ein etwaiges Verbot weiterer
Behandlungen wäre der bereits geschehene Eingriff nicht ausreichend kompensiert. Der
Gefangene hat deswegen neben einer Verpflichtungsklage ein rechtliches Interesse an
der Feststellung, die bisherige Behandlung sei vom Vollzugsrecht nicht gedeckt, das
auch nach der Absetzung des Arzneimittels fortdauert (vgl. BVerfGE 96, 27 ff. = NJW
1997, 2163; Senat NStZ-RR 1997, 351 = StV 1998, 209; Wagner R&P 2002, 190).
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2. Verfahrensrüge
Mit der zulässig erhobenen (§ 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) Verfahrensrüge beanstandet
der Beschwerdeführer, daß die Strafvollstreckungskammer nicht aufgeklärt habe, ob er
tatsächlich einwilligungsunfähig sei und ob die bei ihm durch das Präparat Fluanxol®
hervorgerufenen Nebenwirkungen durch die Verabreichung anderer, verträglicherer
Medikamente hätten gelindert oder beseitigt werden können. Die
Strafvollstreckungskammer sei davon ausgegangen, die Einwilligung des Betreuers
genüge. Dies sei jedoch zweifelhaft, da die Betreuerbestellung und Begutachtung
längere Zeit zurücklägen. Der Spruchkörper hätte diese Sachverhalte durch die
Einholung eines weiteren, „externen“ Gutachtens überprüfen müssen. Dieses
Vorbringen genügt, um die Zulässigkeit der Aufklärungsrüge zu begründen. Zwar legt
der Untergebrachte nicht genau dar, welche konkreten Tatsachen die
Strafvollstreckungskammer durch weitere Aufklärung hätte ermitteln sollen (vgl.
Kamann/Volckart in AK-StVollzG 5. Aufl., § 118 Rdn. 9); die verständige Auslegung seines
gesamten Vorbringens ergibt jedoch, daß er die Feststellungen anstrebt, er sei
gesundheitlich in der Lage, selbst wirksame Erklärungen zur Einwilligung oder
Verweigerung seiner Behandlung abzugeben und es gebe ein anderes, besser
bekömmliches Medikament. Die Rüge hat aber keinen Erfolg; denn auf diese
Feststellungen kam es im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer nicht an, was
aus der im Rahmen der Sachrüge zu erörternden sachlichen Rechtslage folgt (siehe
unten II.).
3. Sachrüge
Die Sachrüge ist nicht begründet, denn durch den angefochtenen Beschluß wurde
materielles Recht nicht verletzt.
Die Ärzte des Krankenhauses des Maßregelvollzugs haben die Zwangsmedikation auf
vollzugsrechtlich rechtmäßiger Grundlage vorgenommen. Ihre Handlungsweise war
durch die Zustimmung des Betreuers gedeckt.
a) Allein der Umstand, daß der Beschwerdeführer nach § 63 StGB untergebracht ist,
berechtigt nicht zur Anwendung der Zwangsmedikation. Denn weder § 63 StGB noch §
136 StVollzG enthalten eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage (vgl. Senat NStZ-RR
1997, 351, 352; Pollähne in AK-StVollzG 5. Aufl., § 136 Rdn. 9; Rotthaus/Freise in
Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 136 Rdn. 4; Wagner in Kammeier,
Maßregelvollzugsrecht 2. Aufl., Rdnrn. D 13, D 18; a.A. OLG Hamm NStZ 1987, 144). Zu
Recht hat die Strafvollstreckungskammer das Berliner Gesetz für psychisch Kranke
(PsychKG) angewendet, das gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, § 1 Abs. 1 Nr. 2
Buchstabe b und § 46 PsychKG für im Maßregelvollzug Untergebrachte gilt.
Ermächtigungsgrundlage für die Behandlung des Untergebrachten mit dem Medikament
Fluanxol® ist § 30 Abs. 2 PsychKG. Ohne jede Einwilligung sind danach nur
unaufschiebbare Maßnahmen erlaubt, die sich auf die Erkrankung beziehen, die zu der
Unterbringung geführt haben(§ 30 Abs. 2 Satz 2 PsychKG). Unaufschiebbar waren die
streitgegenständlichen Maßnahmen nicht; sondern sie dienten der Therapie der
Anlaßerkrankung, ohne daß zuvor eine akute Gefahrenlage entstanden war. Die
Behandlungsmaßnahmen durften mithin gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 PsychKG nur im
Einvernehmen mit dem Untergebrachten oder seinem gesetzlichen Vertreter
durchgeführt werden. § 30 Abs. 3 oder 4 PsychKG sind für die hier zu treffende
Entscheidung ohne Bedeutung. Denn die Behandlung mit einem Neuroleptikum ist
ungeachtet seiner möglichen Nebenwirkungen und nicht auszuschließender Spätfolgen
nicht mit einer Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit
verbunden; sie verändern die Persönlichkeit auch nicht im Kernbereich (vgl. Senat NStZ-
RR 1997, 351, 352).
b) Die erforderliche Zustimmung des Untergebrachten zu einer
psychopharmakologischen Behandlung kann nach § 30 Abs. 2 Satz 1 PsychKG durch die
Zustimmung des Betreuers als des gesetzlichen Vertreters ersetzt werden. Dessen
Entscheidung stellt für die behandelnden Ärzte eine ausreichende Rechtsgrundlage dar
(unten aa). Ihre Rechtmäßigkeit kann nicht vom Vollzugsgericht, sondern nur vom
Vormundschaftsgericht nachgeprüft werden (unten bb).
aa) Der Gesetzgeber darf anordnen, daß und unter welchen Voraussetzungen die
höchstpersönliche Entscheidung des Untergebrachten durch diejenige der Ärzte oder
seines gesetzlichen Vertreters ersetzt werden kann (vgl. Volckart/Grünebaum,
Maßregelvollzug 6. Aufl., D 1.3.3.2, S. 164). Die abweichende Auffassung, wonach eine
Zwangsbehandlung prinzipiell gegen das in der Verfassung verankerte Übermaßverbot
verstoße (vgl. Rinke NStZ 1988, 10, 15 und die Nachweise bei Volckart/Grünebaum
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verstoße (vgl. Rinke NStZ 1988, 10, 15 und die Nachweise bei Volckart/Grünebaum
aaO), hat in der Rechtsprechung keine Zustimmung gefunden. Die Bundesländer haben
den ihnen im Maßregelvollzugsrecht aufgrund ihrer Gesetzgebungskompetenz
zustehenden Spielraum zu unterschiedlichen Lösungen genutzt. Im wesentlichen gibt es
zwei Methoden, den Interessen des Patienten Geltung zu verschaffen. In der
überwiegenden Zahl der Bundesländer (vgl. zu den „alten“ Ländern Rinke NStZ 1988,
10) ist die Zwangsbehandlung unmittelbar im Gesetz erlaubt und durch Kautelen
eingeschränkt, unter denen sie zugelassen ist (vgl. Volckart/Grünebaum aaO, D
1.3.3.2.2, S. 167 und D 1.3.3.10.1, S. 173 ff). So erlauben zum Beispiel §§ 8 Abs. 2 Satz
2, 15 Abs. 1 UBG des Landes Baden-Württemberg (vgl. LG Heidelberg, Beschluß vom 20.
April 2004 – 7 StVK 79/04 – juris) und § 7 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen MaßrVollzG die
Zwangsbehandlung nach ärztlichen Gesichtspunkten zur Therapie der Anlaßkrankheit. In
einigen Bundesländern knüpft das Gesetz demgegenüber an den Willen des Patienten
an und verschafft den Ärzten anstatt eines originär hoheitlichen Eingriffsrechts die
Befugnis, dessen Willen durch denjenigen des gesetzlichen Vertreters zu ersetzen. Diese
Möglichkeit haben die Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen und in Berlin gewählt. In der
zum Zeitpunkt des Beschlusses des OLG Hamm in NJW 1987, 144 geltenden Vorschrift
des § 15 Abs. 1 des Nordrhein-Westfälischen Maßregelvollzugsgesetzes vom 18.
Dezember 1984 (GV.NW.1985 S. 14), jetzt durch § 17 Abs. 2 MRVG NRW gleichen Inhalts
ersetzt, sind Zwangsmaßnahmen ohne jede Einwilligung nur bei Lebensgefahr oder
schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit anderer Personen oder des Patienten selbst
zulässig (§ 15 Abs. 3 MRVG NRW 1984); die Ersetzungsbefugnis durch den gesetzlichen
Vertreter hängt davon ab, ob der Patient die Bedeutung und Tragweite der Behandlung
einzusehen in der Lage ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 MRVG NRW 1984).
In Berlin ist die Eingriffserlaubnis zur Gefahrenabwehr ähnlich (wenn auch nicht gleich)
geregelt wie in Nordrhein-Westfalen (§ 30 Abs. 2 Satz 2 PsychKG). Ein entscheidender
Unterschied besteht indes hinsichtlich der Ersetzungsbefugnis durch den gesetzlichen
Vertreter. Denn Einschränkungen dergestalt, daß die Vollzugsbehörde die
Entscheidungsbefugnis des Betreuers und den Entscheidungsinhalt selbstverantwortlich
nachprüfen müßte, finden sich in § 30 Abs. 2 Satz 1 PsychKG ebensowenig wie ein
gesetzliches Erfordernis, daß der Betreute entscheidungsunfähig sein muß, um die
Ersetzungsbefugnis auszulösen. Gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 PsychKG ersetzt die
Zustimmung des Betreuers als seines gesetzlichen Vertreters diejenige des Patienten
voraussetzungslos. Daraus folgt, daß die Ärzte des Krankenhauses des
Maßregelvollzugs insoweit keinen rechtlichen Einschränkungen unterliegen. Auch wenn
der Beschwerdeführer ausdrücklich erklärt hatte, er sei mit der Verabreichung der
Depotspritzen nicht einverstanden, so lag doch die Zustimmung seines gesetzlichen
Betreuers vor, dem Untergebrachten dauerhaft in zweiwöchigem Abstand, auch gegen
seinen Willen das Depot-Präparat Fluanxol® zu verabreichen.
Ob das Vorgehen der Mitarbeiter im Maßregelvollzug aus ärztlicher Sicht angemessen
war, unterliegt im Vollzugsrecht einer gerichtlichen Nachprüfung nur äußerst
eingeschränkt. Durch eine ärztliche Maßnahme ist ein Untergebrachter nur dann in
seinen Rechten verletzt, wenn sie sich durch keinen sachlichen Gesichtspunkt
rechtfertigen läßt und sich damit als Mißbrauch ärztlichen Ermessens darstellt (vgl. OLG
Hamm NStZ 1981, 240 mit Anm. Baur, mit Anm. Tondorf StV 1982, 373, mit Erw. Baur
StV 1983, 158; OLG Frankfurt am Main NJW 1978, 2351, 2352; Senat R&P 1985, 34, 35
mit abl. Anm. Volckart; Beschluß vom 11. März 2002 – 5 Ws 58/02 -) und wenn sie sich
formell auf keine gültige Rechtsgrundlage stützen kann (nur insoweit ist die vorstehende
Entscheidung in R&P 1985, 34 durch den Beschluß des Senats in NStZ-RR 1997, 351
überholt).
bb) Die einschränkungslose Formulierung des § 30 Abs. 2 Satz 1 PsychKG schafft nicht
das Erfordernis aus der Welt, daß die Ersetzung des Willens des Patienten nach den §§
1896 ff. BGB voraussetzt, daß der Betreute krankheitsbedingt zur Einwilligung unfähig ist
(vgl. Volckart aaO D 1.3.3.8, S. 170 f.). Diese Frage wurzelt indes nicht im Vollzugsrecht,
sondern im Zivilrecht. Dieser Unterschied zeitigt Folgen für den Rechtsweg, der zur
Überprüfung der Maßnahme zur Verfügung steht. Hat der Landesgesetzgeber die
Zwangsbehandlung unmittelbar in dem den Maßregelvollzug regelnden Gesetz erlaubt,
so wenden die dort tätigen Ärzte auf hoheitlicher Grundlage dieses Recht an. Ihr
Verhalten kann dann ausschließlich im Verfahren nach §§ 109 Abs. 1, 138 Abs. 3
StVollzG nachgeprüft werden. Hat sich der Gesetzgeber für das von dem Willen des
Patienten abgeleitete Modell entschieden, so wenden die im Maßregelvollzug Tätigen nur
insoweit originär Vollzugsrecht an, als sich unmittelbar aus dem die Unterbringung
regelnden Gesetz formelle Anforderungen dafür ergeben, den Willen des Patienten durch
denjenigen des Betreuers zu ersetzen. So wäre es nach Ansicht des Senats in dem vom
OLG Hamm (NStZ 1997, 144) entschiedenen Fall eine Frage des Vollzugsrechts
gewesen, ob der Patient einwilligungsfähig war; denn an diese Voraussetzung war die
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gewesen, ob der Patient einwilligungsfähig war; denn an diese Voraussetzung war die
Möglichkeit, auf den Willen des Betreuers auszuweichen, in § 15 Abs. 2 Satz 2 MRVG
NRW gebunden.
Auf der Grundlage der in Berlin geltenden materiellen Rechtslage handeln die Ärzte
indes schon dann rechtmäßig, wenn sie die Zustimmung des Betreuers eingeholt haben.
Ob die zivilrechtlich erforderliche Unfähigkeit zur Einwilligung gegeben war, ob der
Betreuer seinerseits rechtmäßig gehandelt hat und ob die Behandlung erforderlich und
angemessen war, wurzelt bei dieser sachlich-rechtlichen Gestaltung allein im
Betreuungsrecht. Der Untergebrachte kann die von ihm aufgeworfenen Fragen, ob ein
anderes Medikament als das vom Betreuer genehmigte verabreicht werden könnte und
ob er sich tatsächlich in einem psychischen Zustand befindet, der eine Betreuung in
Heilbehandlungsbelangen erforderlich macht, mithin nur durch das
Vormundschaftsgericht klären lassen. Sein Recht auf körperliche Unversehrtheit ist
dadurch in gleicher Weise geschützt, da die Vormundschaftsgerichte den Rechtsschutz
mindestens auf einer gleich hohen Ebene gewähren wie die Vollzugsgerichte (vgl. BGH
NJW 2006, 1277; OLG Köln NJW-RR 2006, 1664; OLG Köln OLG-Report Hamm, Düsseldorf,
Köln 2006, 609; BayObLG R&P 2004, 33 mit Anm. Volckart).
Die Kostenentscheidung folgt insoweit aus §§ 121 Abs. 4, 138 Abs. 3 StVollzG, § 473
Abs. 1 Satz 1 StPO.
II. Verpflichtungsantrag
Der Verpflichtungsantrag hat sich während des Rechtsbeschwerdeverfahrens erledigt,
weil es nach der Absetzung der Medikamente der begehrten Verpflichtung nicht mehr
bedarf. Dafür, daß die Ärzte die ablehnende Entscheidung des jetzigen Betreuers nicht
beachten werden, gibt es keinen Anhalt.
Erledigt sich – wie hier - die Hauptsache in anderer Weise als durch die Rücknahme des
Antrages oder der Rechtsbeschwerde, so ist gemäß §§ 121 Abs. 2 Satz 2, 138 Abs. 3
StVollzG nach billigem Ermessen über die Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen
zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn die Erledigung erst während des
Rechtsbeschwerdeverfahrens eintritt (vgl. Senat StV 1982, 79 mit zust. Anm. Volckart;
Beschluß vom 11. Juli 1984 – 5 Ws 198/84 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, § 121 Rdn. 2
StVollzG).
Es entspricht der aus den Gründen zu I. der Billigkeit, die Kosten und die notwendigen
Auslagen dem Antragsteller aufzuerlegen.
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