Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: örtliche zuständigkeit, bindungswirkung, willkür, meinung, geschäftstätigkeit, stadt, link, sammlung, pauschal, quelle

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Gericht:
KG Berlin 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 10/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 36 Abs 2
ZPO, § 281 Abs 2 S 4 ZPO, § 3
Abs 1 InsO, § 4 InsO
Zuständigkeitsbestimmung für ein Insolvenzverfahren: Fehlende
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses im
Insolvenzeröffnungsverfahren
Leitsatz
1) Ein Verweisungsbeschluss im Insolvenzeröffnungsverfahren entfaltet u.a. dann keine
Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wenn dem Verweisungsbeschluss ein
letztlich unzutreffender Sachverhalt zu Grunde gelegt wurde und das verweisende Gericht
keine eigenen Sachverhaltsermittlungen angestellt hat, obwohl der Tatsachenvortrag der
Verfahrensbeteiligten in dem entscheidungserheblichen Punkt evident unzureichend ist.
2) Evident unzureichend in diesem Sinne ist der pauschale, nicht näher begründete Vortrag
der Verfahrensbeteiligten, dass sich der „Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit“ des
Schuldners in einer bestimmten Stadt außerhalb des Bezirkes des angerufenen
Insolvenzgerichtes befinde.
Tenor
Das Amtsgericht Charlottenburg wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Die Amtsgerichte Charlottenburg und Leipzig streiten über die örtliche Zuständigkeit in
einer Insolvenzantragssache. Der Sitz der Schuldnerin, die den
Insolvenzeröffnungsantrag beim Amtsgericht Charlottenburg gestellt hat, liegt in Berlin.
In dem Antrag gab die Schuldnerin an, eine Geschäftsanschrift sowohl in Berlin als auch
in Leipzig zu unterhalten. Das Amtsgericht Charlottenburg forderte die Schuldnerin unter
Hinweis auf § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO auf, zu erklären, wo sich der wirtschaftliche Mittelpunkt
ihrer Geschäftstätigkeit befinde und regte ggf. die Stellung eines Verweisungsantrages
nach Leipzig an. Die Schuldnerin beantragte hierauf kommentarlos die Verweisung nach
Leipzig. Das Amtsgericht Charlottenburg erklärte sich mit Beschluss vom 5. März 2009
für örtlich unzuständig und verwies die Sache an das Amtsgericht Leipzig. Zur
Begründung führte es aus, die Schuldnerin habe ihren wirtschaftlichen Mittelpunkt im
Bezirk dieses Gerichts. Das Amtsgericht Leipzig ermittelte durch Nachfrage beim
Gewerbeamt, beim zuständigen Gerichtsvollzieher und beim
Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin, dass die Schuldnerin am 13. Januar 2009
noch im Umzug von Berlin nach Leipzig befand, dass sie am 12. Februar 2009 noch nicht
im Gewerberegister der Stadt Leipzig eingetragen war und dass sie ihre
Geschäftstätigkeit zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung, d.h. am 16. Februar
2009, bereits „nahezu bis auf Null heruntergefahren“ hatte. Das Amtsgericht Leipzig
erklärte sich daraufhin mit Beschluss vom 16. März 2009 ebenfalls für örtlich
unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung
vor. Zur Begründung führte es aus, der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg sei
willkürlich und entfalte daher keine Bindungswirkung.
II.
1. Das Kammergericht ist gemäß § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur
Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das
Amtsgericht Charlottenburg und sodann das Amtsgericht Leipzig mit nicht mehr
anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben (zur Anwendbarkeit von §
36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO auf Insolvenzsachen: in Münchener Kommentar zur
Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2007, § 3 Rdnr. 33 f., m.w.N.).
2. a) Das Amtsgericht Charlottenburg ist gemäß § 3 Abs. 1 InsO örtlich zuständig.
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Denn zu dem Zeitpunkt, der für die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO
maßgeblich ist, d.h. zum Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzantrages bei Gericht (
in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2007, § 3 Rdnr. 5,
m.w.N.), befand sich in Berlin der Sitz der Schuldnerin und es befand sich außerhalb von
Berlin, namentlich in Leipzig, kein Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen
Tätigkeit der Schuldnerin. Letzteres haben die Ermittlungen des Amtsgerichts Leipzig
mit hinreichender Sicherheit ergeben.
b) Das Amtsgericht Charlottenburg hat seine örtliche Zuständigkeit nicht gemäß § 4
InsO i.V.m. §§ 281 Abs. 2 Satz 3, 495 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an
das Amtsgericht Leipzig verwiesen hat (zur Anwendbarkeit von §§ 281 Abs. 2 Satz 3, 495
ZPO auf Insolvenzsachen: in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2.
Aufl. 2007, § 3 Rdnr. 28, m.w.N.).
aa) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz
bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des
Gerichtes, an das verwiesen wird.
Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die
Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur , NJW 2003, 3201 [3201]; in Zöller,
ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb
anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur
Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in
der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der
fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen
Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht den
entscheidungsrelevanten Sachverhalt evident falsch erfasst hat ( , Beschluss vom
17. April 2008, 2 AR 19/08, VersR 2008, 1234-1235; , MDR 1999, 438; in
Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17). Für Insolvenzeröffnungsverfahren, das
gemäß § 5 InsO vom Untersuchungsgrundsatz geprägt ist, bedeutet dies, dass das
Gericht jedenfalls dann willkürlich handelt, wenn dem Verweisungsbeschluss ein letztlich
unzutreffender Sachverhalt zu Grunde gelegt wurde und das verweisende Gericht keine
eigenen Sachverhaltsermittlungen angestellt hat, obwohl der Tatsachenvortrag der
Verfahrensbeteiligten in dem entscheidungserheblichen Punkt evident unzureichend ist
(vgl. in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2007, § 3 Rdnr.
28a, m.w.N.).
bb) Die genannten Voraussetzungen für die Annahme von Willkür sind vorliegend
gegeben.
Denn dem Verweisungsbeschluss vom 5. März 2009 liegt ein letztlich unzutreffender
Sachverhalt zu Grunde und das Amtsgericht Charlottenburg hat keine eigenen
Sachverhaltsermittlungen angestellt, obwohl der Tatsachenvortrag der Schuldnerin
evident unzureichend war hinsichtlich der hier entscheidungserheblichen Frage, ob sich
der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin außerhalb
Berlins befindet. Evident unzureichend war der Tatsachenvortrag der Schuldnerin, weil
sie - durch das kommentarlose Beantragen der Verweisung nach Leipzig - allenfalls
konkludent und pauschal vorgetragen hat, dass sich der „Mittelpunkt ihrer
wirtschaftlichen Tätigkeit in Leipzig“ befinde. Dieser mutmaßliche Vortrag ist indessen
reiner Rechtsvortrag, nicht Tatsachenvortrag. Denn die Feststellung des „Mittelpunktes“
einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit ist eine Frage der Bewertung dieser
wirtschaftlichen Tätigkeit durch das Gericht.
3. Der Senat hatte die Sache nicht gemäß § 36 Abs. 3 ZPO im Hinblick auf die
Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. Oktober 2003 - 15 AR 35/03 -
(OLGR 2004, 336) dem Bundesgerichtshof vorzulegen.
Denn das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in der genannten Entscheidung - abweichend
von der insofern herrschenden Meinung - den Verweisungsbeschluss eines
Insolvenzgerichtes nicht schon deshalb als willkürlich angesehen, weil das
Insolvenzgericht einen Tatsachenvortrag des Schuldners nicht
durch eigene Ermittlungen überprüft hat. Vorliegend ging es indessen um eine
Fallgestaltung, in der der Schuldner Tatsachen vorgetragen hat. Der Senat weicht
daher vorliegend nicht von der Auffassung ab, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in
der genannten Entscheidung vertreten hat.
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