Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: hauptsache, einstweilige verfügung, rechtsschutz, vergütung, behandlung, post, mwst, quelle, sammlung, arrest

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Gericht:
KG Berlin 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ws 673/07 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 17 Nr 4 RVG, § 109 StVollzG, §
114 Abs 2 StVollzG, Art 19 Abs 4
GG
Strafvollzug; Rechtsanwaltsgebühren: Behandlung der
Hauptsache und des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz
hinsichtlich einer angeordneten Arbeitsumsetzung als eine bzw.
zwei verschiedene Angelegenheiten
Leitsatz
Das Eilverfahren gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG und das Hauptsacheverfahren über den Antrag
auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG sind in entsprechender Anwendung des §
17 Nr. 4 c RVG als gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten zu behandeln.
Tenor
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts … T. wird der Beschluß des Landgerichts Berlin
vom 21. September 2007 dahin geändert, daß dem Rechtsanwalt aus der Landeskasse
Berlin weitere 46,41 € als Vergütung zu erstatten sind.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Unter dem 11. Oktober 2006 stellte Rechtsanwalt T… für den Sicherungsverwahrten P.
einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 f. StVollzG wegen
Arbeitsumsetzung und zugleich einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
gemäß § 114 StVollzG. Durch Beschluß vom 12. Oktober 2006 setzte das Landgericht
Berlin – Strafvollstreckungskammer – den Vollzug der angeordneten Arbeitsumsetzung
im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG bis zur
Entscheidung in der Hauptsache aus und erlegte die Kosten des Eilverfahrens und die
notwendigen Auslagen des Antragstellers der Landeskasse Berlin auf. Am 2. April 2007
entschied die Strafvollstreckungskammer in der Hauptsache. Durch Beschluß hob sie die
im Oktober 2006 getroffene Anordnung der Justizvollzugsanstalt Tegel, den
Sicherungsverwahrten künftig in der Spülküche als Arbeitskraft einzusetzen, auf und
überbürdete die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner. Nachdem der Leiter der
Justizvollzugsanstalt Tegel seine hiergegen gerichtete verspätete Rechtsbeschwerde
zurückgenommen hatte, entschied der Senat am 6. Juni 2007, daß die Landeskasse
Berlin die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dem Sicherungsverwahrten im
Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen habe (§ 121
Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Am 21. Mai 2007 stellte der Rechtsanwalt unter Zugrundelegung des in beiden
Beschlüssen der Strafvollstreckungskammer jeweils festgesetzten Streitwerts von 300 €
der Landeskasse folgende Gebühren in Rechnung:
Mit Rechnung vom 29. Juni 2007 verlangte der Rechtsanwalt für das
Rechtsbeschwerdeverfahren folgende Gebühren:
Die Rechtspflegerin des Landgerichts sprach dem Rechtsanwalt in ihrem Beschluß vom
17. August 2007 lediglich den Betrag von 103,53 € zu, der sich aus der Addition der
Gebühren (nur) einer Vergütung für das Verfahren vor dem Landgericht in Höhe von
46,41 € (32,50 € + 6,50 € + 7,41 € anteilige MwSt = 46,41 €) und den Gebühren für das
Rechtsbeschwerdeverfahren in Höhe von 57,12 € ergibt.
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Hiergegen legte der Rechtsanwalt Erinnerung ein, welche durch Beschluß des
Landgerichts vom 21. September 2007 zurückgewiesen wurde. Wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Frage, ob das Eil- und das
Hauptsacheverfahren nach dem StVollzG dieselbe Angelegenheit (§ 16 RVG) oder
verschiedene Angelegenheiten (§ 17 RVG) sind, ließ das Landgericht die Beschwerde zu.
Mit dem Rechtsmittel verfolgt der Rechtsanwalt seine ursprünglichen
Gebührenforderungen weiter.
Die zulässige Beschwerde (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG) hat Erfolg.
1. Dem Antragsteller steht nach § 13 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 17 Nr. 4 c) RVG in
entsprechender Anwendung neben der – zutreffend berechneten – Vergütung für die
Hauptsache eine weitere Vergütung für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung gemäß § 114 StVollzG in Höhe von 46,61 € zu.
a. Das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) löste die
bis dahin geltende Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) ab. Während § 66 a
BRAGO gebührenrechtliche Regelungen für das Verfahren über den Antrag auf
gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG und für das Verfahren über die
Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG enthielt, nennt das RVG diese Verfahren im
eigentlichen Gesetzestext an keiner Stelle.
Lediglich das Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG), welches Bestandteil
des Gesetzes ist, führt das Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz in der Gliederung
unter „Teil 3“ auf. Daraus ergibt sich, daß für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im
Strafvollzug Gebühren nach „Teil 3“ des Vergütungsverzeichnisses entstehen (vgl.
Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/v.Eicken, RVG 17. Aufl., 4200-4207 VV Rdn. 4). Dagegen
ist dem neuen Gesetz nicht ausdrücklich zu entnehmen, ob das Verfahren auf
einstweiligen Rechtsschutz und das Hauptsacheverfahren auf dem Gebiet des
Strafvollzugsrechts gebührenrechtlich als dieselbe Angelegenheit (§ 16 RVG) oder als
verschiedene (§ 17 RVG) oder als besondere (§ 18 RVG) Angelegenheiten zu behandeln
sind. Insofern ist es dem RVG-Gesetzgeber nicht gelungen, in den §§ 16, 17, 18 RVG drei
abschließende Kataloge zu schaffen (vgl. Bischof in Kompaktkommentar RVG, 2. Aufl., §
16 Rdn. 1, 2).
b. Bei der Struktur dieser Bestimmungen des RVG ist das Nebeneinander des
Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 114 StVollzG und des
Hauptsacheverfahrens nach §§ 109 f. StVollzG innerhalb dieser Kataloge
gebührenrechtlich entsprechend § 17 Nr. 4 c) RVG einzuordnen. Daraus folgt, daß beide
als verschiedene Angelegenheiten zu behandeln sind.
aa. Hierfür spricht, daß § 114 Abs. 2 Satz 2 2.Halbsatz StVollzG bezüglich der
einstweiligen Anordnung § 123 Abs. 1 VwGO, der den Erlaß einer einstweiligen
Anordnung im Verwaltungsgerichtsverfahren regelt, für entsprechend anwendbar erklärt.
Das Verfahren in der Hauptsache und dasjenige über den Erlaß einer einstweiligen
Anordnung vor dem Verwaltungsgericht werden indes nach § 17 Nr. 4 c) RVG als
verschiedene Angelegenheiten behandelt (vgl. Römermann in
Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 17 Rdn. 19). Da der gerichtliche
Rechtsschutz nach §§ 109 f. StVollzG seiner Struktur nach dem
Verwaltungsgerichtsprozeß nachgebildet ist (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl.,
§ 109 Rdn. 5), erscheint die gleiche gebührenrechtliche Behandlung sachgerecht.
bb. Die entsprechende Anwendung des § 17 Nr. 4 c) RVG auf das Hauptsacheverfahren
und das Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach dem StVollzG ist auch
durch die Verschiedenheit der Streitgegenstände gerechtfertigt. Mit dem Antrag nach §
109 StVollzG kann der von einer Vollzugsmaßnahme oder ihrer Unterlassung rechtlich
Betroffene eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder
ihrer Unterlassung herbeiführen (Calliess/Müller-Dietz, § 109 StVollzG Rdn 6). Im
Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, welches als Ausprägung des
Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG zu verstehen ist (vgl.
BVerfG StV 2000, 215), geht es neben der lediglich summarischen Prüfung der
Hauptsache vorrangig um die Frage, ob die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung eines
Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die Prüfung der
Rechtmäßigkeit erfolgt nicht zum Zwecke der endgültigen Entscheidung, sondern
ausschließlich zum Zwecke der Folgenabwägung, d.h. zur Einschätzung der Interessen
des Betroffenen und der Justizvollzugsanstalt entweder am Aufschub oder an der
vorzeitigen Durchsetzung der angefochtenen Maßnahme. Hieraus folgt, daß die
gerichtlichen Entscheidungen im Hauptsache- und im Eilverfahren divergieren und auch
unterschiedliche Kostenentscheidungen enthalten können (vgl. OVG Mecklenburg-
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unterschiedliche Kostenentscheidungen enthalten können (vgl. OVG Mecklenburg-
Vorpommern Beschluß vom 16. Februar 2006 – 3 O 158/05 – juris Rdn. 3 für das
verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren und den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO).
Die Behandlung der Hauptsache und des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz als
zwei verschiedene Angelegenheiten wird daher auch eher dem erhöhten
Begründungsaufwand des Rechtsanwalts gerecht. Die oftmals komplexe Tätigkeit der
Rechtsanwälte angemessen zu honorieren, war aber – zumindest bezüglich der
Regelung des § 17 Nr. 1 RVG – auch ein Anliegen des RVG-Gesetzgebers (vgl. BTDrs.
15/1971, S. 191). Bezüglich der Regelung des § 17 Nr. 4 RVG läßt sich dem
Gesetzentwurf nichts Gegenteiliges entnehmen.
cc. Schließlich entspricht die entsprechende Anwendung des § 17 Nr. 4 c) RVG der alten
Rechtslage. Nach § 66 a Abs. 1 BRAGO galten im Verfahren über den Antrag auf
gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG die Vorschriften des 3. Abschnitts der
BRAGO sinngemäß. Diese Vorschrift galt auch für einen Antrag nach § 114 StVollzG,
denn dieses Verfahren gehört zum Verfahren auf eine gerichtliche Entscheidung, wobei §
109 StVollzG lediglich die Antragsvoraussetzungen nennt (vgl. Hartmann,
Kostengesetze, 29. Aufl., § 66 a BRAGO Rdn. 5). Da der Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung gemäß § 40 Abs. 1 BRAGO als besondere Angelegenheit galt,
wäre bei sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift gemäß § 66 a Abs. 1 BRAGO für den
vorliegend gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch insoweit eine
Gebühr entstanden (vgl. HansOLG Bremen, Beschluß vom 22. Mai 2000 – Ws 27/00 –
juris Rdn. 5 = StV 2001, 42; Calliess/Müller-Dietz aaO, § 114 StVollzG Rdn. 1). Die
entsprechende Anwendung des § 17 Nr. 4 c) RVG auf Verfahren nach dem StVollzG
entspricht dem Willen des RVG-Gesetzgebers. Denn dieser wollte mit § 17 Nr. 4 RVG für
den Arrest und die einstweilige Verfügung, sowie für die einstweilige Anordnung in der
Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit eine dem § 40 Abs. 1 BRAGO in Verbindung mit
§ 114 Abs. 6 Satz 1 BRAGO entsprechende Norm schaffen, die im Vergleich zur
bisherigen Gesetzeslage nicht einschränkend, sondern auf einstweilige und vorläufige
Anordnungen in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erweiternd wirkt (vgl. BTDrs.
15/1971, S. 191).
c. Die von der Strafvollstreckungskammer zitierte Entscheidung des OLG Saarbrücken
(NStZ-RR 2001, 127) betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort war darüber zu befinden,
ob das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das sich hieran anschließende
Strafverfahren dieselbe Angelegenheit betreffen, was trotz unterschiedlicher
Verfahrensgebühren unter Berufung auf den zusammenhängenden Sachverhalt bejaht
wurde. Die dort entwickelten Grundsätze betreffen jedoch verschiedene zeitliche Stadien
desselben Strafverfahrens, welches sich in Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren
unterteilt. Wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände in gerichtlichen Verfahren auf
einstweiligen Rechtsschutz und in der Hauptsache (vgl. oben bb.) sind diese Grundsätze
jedoch auf die vorliegende gebührenrechtliche Konstellation im StVollzG nicht
übertragbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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