Urteil des KG Berlin vom 09.11.2006

KG Berlin: grundsatz der freien beweiswürdigung, messung, fahrlässigkeit, gefährdung, kreuzung, geschwindigkeit, gefahr, sperrung, fahrzeugverkehr, link

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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 29/07 - 3 Ws (B)
209/07, 2 Ss 29/07, 3
Ws (B) 209/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 244 Abs 2 StPO
Bußgeldurteil wegen Verkehrsordnungswidrigkeit: Notwendige
Erörterung einer geständigen Einlassung des Betroffenen
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts
Tiergarten in Berlin vom 9. November 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 37
Abs. 2 (genauer: Nr. 1 Satz 7), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 2) StVO nach § 24 StVG zu
einer Geldbuße von 175,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges
Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen
Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen,
mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und das Verfahren beanstandet wird,
hat (vorläufigen) Erfolg. Der Senat legt die Rechtsbeschwerde in Übereinstimmung mit
der schriftsätzlichen Äußerung des Verteidigers vom 30. April 2007 dahingehend aus,
dass mit ihr nur der Rechtsfolgenausspruch angegriffen wird. Die
Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtmittel unter anderem wie folgt
Stellung genommen:
"2. Der Rechtsfolgenausspruch kann jedoch keinen Bestand haben.
Die Feststellungen sind insoweit unvollständig und tragen die Verurteilung wegen
eines qualifizierten Rotlichtverstoßes gemäß Nr. 132.2 BKat nicht.
Zunächst kommt es für die Frage, ob die Mißachtung eines mindestens eine
Sekunde andauernden Wechsellichtzeichens vorliegt, ebenfalls nur auf den Zeitpunkt
des Überfahrens der Haltelinie an (vgl. KG Beschluss vom 2. April 1997 - 3 Ws (B)
148/97). Wenn sich den Feststellungen auch noch entnehmen lässt, dass der Betroffene
bei rotem Wechsellicht die Haltelinie überfuhr, weisen diese jedoch nicht eindeutig aus,
dass sich die festgestellte Dauer der Rotphase von 1,54 Sekunden auf das Passieren der
Haltelinie bezieht.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die Tatrichterin hierauf abgestellt hat,
erfordert die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes die exakte Messung der
Rotlichtdauer. Der Tatrichter hat daher darzulegen, aufgrund welcher Umstände er zu
der Überzeugung gelangt ist, die Lichtzeichenanlage habe bereits eine Sekunde rotes
Wechsellicht abgestrahlt, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu
ermöglichen. Zur Feststellung der Rotlichtdauer sind mehrere Möglichkeiten denkbar, die
von der Ermittlung mit einer geeichten Kamera oder einer geeichten Stoppuhr bis zu
Beobachtungen von Zeugen im Zusammenhang mit Ampelschaltplänen reichen, wobei
die verschiedenen Möglichkeiten unterschiedliche Anforderungen an die Darlegungen zur
Ermittlung der Rotlichtdauer stellen (vgl. KG Beschluss vom 2. April 1997 - 3 Ws (B)
148/97). Vorliegend ergibt sich aus den Feststellungen zwar, dass der Betroffene
geständig war und es wird - entsprechend der Rechtsprechung zur
Geschwindigkeitsmessung (vgl. BGHSt 39, 291 ff.) - grundsätzlich auch ein
uneingeschränktes Geständnis des Betroffenen geeignet sein, dem Tatrichter die
Überzeugung von der Dauer des Rotlichts zu verschaffen. Denn es gilt auch insoweit der
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Überzeugung von der Dauer des Rotlichts zu verschaffen. Denn es gilt auch insoweit der
Grundsatz der freien Beweiswürdigung und der Tatrichter darf die Verurteilung auf eine
Einlassung des Betroffenen stützen, wenn er von deren Richtigkeit überzeugt ist (vgl.
BGHSt 39, 291, 303; BGH StV 1987, 378; KG a.a.O.). Der Tatrichter darf sich jedoch nicht
darauf beschränken, die Einlassung des Betroffenen zu übernehmen, sondern er muss
darlegen, dass und warum er daraus die Gewissheit der Richtigkeit folgert, wenn insoweit
Zweifel bestehen (vgl. KG a.a.O.). Vorliegend gibt das Amtsgericht nur an, der Betroffene
habe dem ihm zur Last gelegten Verstoß eingeräumt und sich dahingehend
eingelassen, er habe wegen der Straßenglätte befürchtet, nicht rechtzeitig vor der
Halten zum Stehen zu kommen und sich daher entschlossen, die Kreuzung trotz roten
Ampellichts zu passieren. Es ist nicht festgestellt ob und in welcher Form der Betroffene
auch die festgestellte Dauer der Rotphase von 1,54 Sekunden eingeräumt hat, wobei es
sich um einen derart exakten Wert handelt, dass naheliegt, dass diesem in Wahrheit
nicht die Angaben des Betroffenen, sondern eine Messung mit einer geeichten Stoppuhr
oder Kamera zugrunde lag. Ferner lag dieser Wert nur eine halbe Sekunde über der für
einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlichen Rotlichtphase von einer Sekunde, so
dass zweifelhaft ist, wie der Betroffene diese in dem Geschehen, das nach seiner
Einlassung mit einem spontanen Entschluss verbunden war, derart exakt einschätzen
konnte. Soweit es sich um einen ihm vorgehaltenen Wert aufgrund der Messung mit
einer geeichten Verkehrsüberwachungskamera handelte, den der Betroffene lediglich
bestätigt hat, kommt hinzu, dass die Induktionsschleifen derartiger Kameras
erfahrungsgemäß nicht in allen Fällen in der Höhe der Haltelinie, sondern in
Fahrtrichtung gesehen ein bis zwei Meter hinter dieser in die Fahrbahn eingelassen sind,
so dass eine in das Lichtbild eingeblendete Rotlichtdauer in diesem Fall nicht die Dauer
der Rotlichtphase wiedergibt, bei der das Fahrzeug die allein maßgebliche Haltelinie
überquert hat, und daher die Zeit abzuziehen wäre, die das Fahrzeug benötigt, um die
Fahrstrecke von der Haltelinie zur Induktionsschleife zurück zulegen (vgl. KG Beschluss
vom 14. Februar 2001 - 3 Ws (B) 48/01).
Auf diesem Rechtsfehler kann der Rechtsfolgenausspruch, insbesondere die
Verhängung des Fahrverbotes auch beruhen. Denn entgegen der Ansicht der
Rechtsbeschwerde scheidet die Verhängung des Regelfahrverbots hier nicht deswegen
von vorne herein aus, weil der Betroffene - die Richtigkeit seiner Einlassung unterstellt -
sich aufgrund der Straßenglätte zur Missachtung des Rotlichts entschied und aufgrund
der geringen nächtlichen Verkehrsdichte auch ein geringeres Gefährdungspotential
gegeben war; denn dass der Betroffene seine Geschwindigkeit nicht den
Witterungsverhältnissen angepasst hatte, begründet nicht von vorn herein nur leichteste
Fahrlässigkeit. Auch nach dem seitens der Rechtsbeschwerde zitierte Beschluss des OLG
Dresden (DAR 1998, 110) liegt ein subjektiv grobes Fehlverhalten nur dann nicht vor,
wenn der Fahrzeugführer aus leichter Fahrlässigkeit die Straßenglätte falsch einschätzt.
Dass dies hier der Fall war, weisen die Feststellungen nicht aus. Soweit es das geringere
Gefährdungspotentials angesichts der nächtlichen Vorfallszeit betrifft, ist zum Einen
nicht festgestellt, dass überhaupt kein Querverkehr vorhanden war. Zum Anderen
kommt es auf die konkrete Gefährdung des Querverkehrs nicht an, sondern es ist auf
die abstrakte Gefährdung abzustellen, die zwar dann nicht gegeben ist, wenn aufgrund
der Sperrung des Querverkehrs eine solche ausgeschlossen ist (vgl. KG Beschluss vom
7. Oktober 2002 - 3 Ws (B) 364/02 -). Dies war jedoch vorliegend nicht der Fall, so dass
eine abstrakte Gefahr bestand; denn auch bei geringem Fahrzeugverkehr zu nächtlicher
Stunde lässt sich nie ausschließen, dass ein Fahrzeug des Querverkehrs - ggf. mit hoher
Geschwindigkeit - in die für dieses freigegebene Kreuzung einfährt."
Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei, hebt das angefochtene Urteil auf
die erhobene Sachrüge im Rechtsfolgenausspruch auf und verweist die Sache insoweit
zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Einer Erörterung
der gleichfalls erhobenen Verfahrensrüge bedarf es unter diesen Umständen nicht mehr.
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