Urteil des KG Berlin vom 22.03.2007

KG Berlin: rechtliches gehör, rüge, verhinderung, sammlung, inhaber, form, quelle, verfahrenserledigung, link, strafprozessordnung

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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 139/07 - 3 Ws
(B) 421/07, 2 Ss
139/07, 3 Ws (B)
421/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 230 Abs 1 StPO, § 265 StPO, §
46 Abs 1 OWiG, § 71 Abs 1
OWiG, § 73 Abs 1 OWiG
Gerichtliches Bußgeldverfahren wegen
Verkehrsordnungswidrigkeit: Gehörsverletzung und Verletzung
des Grundsatzes fairen Verfahren bei Erhöhung der im
Bußgeldbescheid angenommenen Geldbuße
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des
Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 22. März 2007 wird gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG
wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das oben genannte
Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 7
Abs. 5, 49 Abs. 1 Nr. 7 StVO in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung
gegen §§ 37 Abs. 3 Satz 1 und 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO gemäß § 24 StVG zu einer
Geldbuße in Höhe von 150,00 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene
Rechtsbeschwerde eingelegt, in der er die Verletzung des Verfahrens beanstandet.
Zugleich hat er die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG
wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs beantragt. Beide Anträge haben Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist,
das Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen aufzuheben. Die
Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtmittel wie folgt Stellung genommen:
"1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auf die erhobene Rüge
der Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen.
Die Rüge ist gemäß §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig
erhoben.
Insbesondere ergibt sich aus ihr noch in ausreichendem Maße die
Angriffsrichtung, nämlich, dass in der fortgesetzten Hauptverhandlung ein Urteil in
Abwesenheit des Betroffenen nicht hätte ergehen dürfen. Dass der Beschwerdeführer
die verletzte Verfahrensvorschrift nicht oder nur unzureichend angegeben hat, ist
unschädlich (vgl. OLG München NStZ 2006, 353 f.). Das Vorbringen lässt jedenfalls mit
ausreichender Deutlichkeit erkennen, dass der Betroffene sein Anwesenheitsrecht in der
Hauptverhandlung wahrnehmen wollte. Dies ergibt sich bereits aus den Ausführungen,
eine Fortsetzung der Hauptverhandlung hätte am 20. März 2007 nach entsprechender
Unterbrechung im Anschluss an die weiteren anberaumten Termine stattfinden müssen.
2. Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde wegen Verletzung
rechtlichen Gehörs sind auch begründet.
Gegen den Betroffenen wurde ein Bußgeldbescheid wegen Missachtung des
Dauerlichtzeichens "rote gekreuzte Schrägbalken" in Tateinheit mit gefährdendem
Fahrstreifenwechsel erlassen, in dem eine Geldbuße in Höhe von 65,00 Euro festgesetzt
wurde. Die auf seinen Einspruch anberaumte Hauptverhandlung begann am 13. März
2007. Sie wurde unterbrochen und Fortsetzungstermin auf den 20. März 2006
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2007. Sie wurde unterbrochen und Fortsetzungstermin auf den 20. März 2006
anberaumt. An diesem Tag unterbrach das Gericht die Hauptverhandlung erneut und
bestimmte einen neuen Fortsetzungstermin auf den 22. März 2007 um 12.05 Uhr.
Ferner wies der Vorsitzende ausweislich des Protokolls darauf hin, dass eine weitere
Verzögerung zu den anschließend anberaumten Fällen nicht akzeptabel sei und es
deshalb eines Fortsetzungstermins bedürfe. Wenn der Verteidiger verhindert sei, sei es
angesichts der geringen Höhe der festgesetzten Geldbuße für den Betroffenen
zumutbar, mit einem anderen Verteidiger zum Fortsetzungstermin vor Gericht zu
erscheinen. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. März 2007 - eingegangen per
Telefax am selben Tage gegen 12.30 Uhr - lehnte der Betroffene den Vorsitzenden nicht
nur als befangen ab, sondern legte auch dar, dass er und sein Verteidiger wegen einer
am 21. März 2007 beginnenden Urlaubsreise bzw. einer langfristig geplanten
Fortbildungsveranstaltung am 22. März 2007 verhindert seien. Aufgrund der
Verhinderung des Verteidigers beantragte er die Aufhebung des Fortsetzungstermins.
Mit Beschluss vom 22. März 2007 - übermittelt um 11.39 Uhr an den Verteidiger per
Telefax - verwarf der Vorsitzende das Ablehnungsgesuch als unzulässig und wies den
Antrag auf Aufhebung des Fortsetzungstermins zurück. Zur Begründung führte er aus,
der Betroffene und sein Verteidiger seien bereits in dem Termin am 20. März 2007
darauf hingewiesen worden, dass es hier dem Betroffenen durchaus zumutbar sei, sich
am 22. März 2007 in Falle einer Verhinderung seines Verteidigers von einem anderen
Verteidiger verteidigen zu lassen, wenn er der Auffassung sei, auch für diesen Termin
anwaltlichen Beistand zu benötigen. Es gehe hier nur um eine kleine Geldbuße von 65,00
Euro, die Beweisaufnahme sei praktisch abgeschlossen, selbst mit der Entscheidung des
Gerichts über die gestellten Beweisanträge seien der Betroffene und sein Verteidiger
bereits vor dem Fortsetzungstermin vertraut gemacht worden. Eine anderweitige
Terminierung käme wegen des bevorstehenden Urlaubs des Vorsitzenden nicht in
Betracht. Zudem habe der Betroffene einen Anspruch auf eine möglichst tat- und
zeitnahe Entscheidung des Gerichts. In dem anschließenden Fortsetzungstermin, in dem
lediglich Registerauszüge verlesen wurden, wurde der Betroffene sodann in seiner
Abwesenheit und der Abwesenheit seines Verteidigers wegen der ihm bereits in dem
Bußgeldbescheid vorgeworfenen Ordnungswidrigkeiten zu einer Geldbuße von 150,00
Euro verurteilt. Zur Begründung der Höhe der Geldbuße führt das Amtsgericht in den
Urteilsgründen aus, dass das Fahrverhalten des Betroffenen von der Verwirklichung des
Straftatbestandes des § 315c StGB nicht allzu weit entfernt gewesen sei und dies sich
bei der Bemessung der Geldbuße zu seinen Ungunsten auswirken mussten. Weder dem
Akteninhalt noch dem Vorbringen des Betroffenen ist zu entnehmen, dass dieser einen
Antrag auf Entbindung von dem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung
gestellt hat.
Durch diese Verfahrensweise wurde das Recht des Betroffenen auf rechtliches
Gehör verletzt.
a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist zunächst darin zu sehen, dass die
Hauptverhandlung entgegen §§ 71 Abs. 1 OWiG, 230 Abs. 1 StPO teilweise in
Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wurde und eine Ausnahme von dem
Grundsatz, dass die Hauptverhandlung nur in Anwesenheit des Betroffenen durchgeführt
werden darf, nicht vorliegt.
Gemäß § 73 Abs. 1 OWiG ist der Betroffene in einem
Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich zum Erscheinen in der Hauptverhandlung
verpflichtet, womit sein Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung als Ausprägung
seines Anspruches auf rechtliches Gehör korrespondiert (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 230 Abs. 1
StPO). Abweichend von den Regelungen der Strafprozessordnung darf die
Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 1 OWiG nur dann
durchgeführt werden, wenn er nicht erschienen ist und darüber hinaus von seiner
Verpflichtung zum Erscheinen entbunden war (vgl. OLG Brandenburg NZV 2003, 587;
BayObLG VRS 108, 274, 275). Die Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen
setzt gemäß § 73 Abs. 2 OWiG wiederum voraus, dass der Betroffene sich zur Sache
geäußert oder erklärt hat, dass er sich nicht äußern werde, weiterhin seine Anwesenheit
zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist und er einen Antrag
gestellt hat, ihn von dem persönlichen Erscheinen zu entbinden. Der Antrag kann nur
von dem Betroffenen selbst gestellt werden, weil das Anwesenheitsrecht eines
Betroffenen nicht der Disposition des Richters im Interesse einer raschen
Verfahrenserledigung unterliegt, sondern hierüber als Ausdruck des verfassungsrechtlich
garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör nur von Betroffenen als Inhaber dieses
subjektiven Rechts selbst verfügt werden kann. Eine abweichende Regelung ist nur für
den Fall des unentschuldigten Ausbleibens vorgesehen, der jedoch keine Verhandlung
zur Sache, sondern nur eine Verwerfung des Einspruchs vorsieht ( vgl. OLG Brandenburg
NZV 2003, 587 ).
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Diesen Anforderungen genügt die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht.
Soweit ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 1 OWiG wegen unentschuldigten
Ausbleibens des Betroffenen in Betracht kam, hätte dies zwar auch in einem
Fortsetzungstermin ergehen können (vgl. Thüringisches OLG VRS 105, 137 ff.; OLG Köln
VRS 80, 215 ff.; KG Beschluss vom 6. Juli 1998 - 3 Ws (B) 324/98 -). Abgesehen davon,
dass hierfür gemäß § 74 Abs. 3 OWiG eine ausdrückliche Belehrung über die Folgen des
Ausbleibens in der Ladung zum Fortsetzungstermin erforderlich ist (vgl. OLG Köln a.a.O.;
KG a.a.O.), an der es hier fehlt, hätte hier die Verwerfung des Einspruchs gegen den
Bußgeldbescheid jedenfalls nicht zu einer Verurteilung wegen einer Geldbuße von 150,00
Euro geführt, sondern es wäre bei der festgesetzten Geldbuße in dem Bußgeldbescheid
von 65,00 Euro verblieben. Im Übrigen hat das Amtsgericht den Betroffenen ersichtlich
wegen der Urlaubsreise als hinreichend entschuldigt angesehen, weil es das Verfahren
gemäß § 74 Abs. 1 OWiG gewählt und zur Sache weiter verhandelt hat.
Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG lagen nicht vor. Selbst wenn
der Vorsitzende den Betroffenen in der Hauptverhandlung am 20. März 2006 mündlich
vom Erscheinen entbunden hätte, setzt eine derartige Entpflichtung gemäß § 73 Abs. 2
OWiG voraus, dass der Betroffene beantragt hat, ihn vor der Verpflichtung zur
Hauptverhandlung zu entbinden. Ein entsprechender Entbindungsantrag bedarf zwar
keiner Form (vgl. BayObLG VRS 108, 274, 275; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 3.
Aufl., § 73 Rdnr. 16), es muss jedoch erkennbar zum Ausdruck kommen, dass der
Betroffene von der Pflicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu müssen, befreit
werden möchte (vgl. BayObLG a.a.O.). Ein solcher Entbindungsantrag ist vorliegend nicht
gestellt. Er ist auch nicht in dem Antrag auf Aufhebung des Fortsetzungstermins vom
22. März 2007 zu sehen, der ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Fortsetzung noch am
20. März 2007 in Anwesenheit des Betroffenen hinweist.
b) Das rechtliche Gehör wurde ferner dadurch verletzt, dass dem Betroffenen
keine Gelegenheit gegeben wurde, zu der gegenüber dem Bußgeldbescheid erheblichen
Erhöhung der Geldbuße Stellung zu nehmen. Zwar bedarf es bei der Annahme von
Umständen, die das Gericht veranlassen, eine höhere Geldbuße als im Bußgeldbescheid
festzusetzen, regelmäßig keines rechtlichen Hinweises gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265
StPO (vgl. KG Beschluss vom 30. August 1999 - 3 Ws (B) 436/99 - Göhler, OWiG, 14.
Aufl., § 71 Rdnr. 50a). Hier hatte der Vorsitzende jedoch in seinem Hinweis in der
Hauptverhandlung am 20. März 2007 und in dem Beschluss vom 22. März 2007, mit
dem die Aufhebung des Fortsetzungstermins zurückgewiesen wurde, zur Begründung
auf die geringe Höhe der hier festgesetzten Geldbuße bzw. darauf hingewiesen, dass es
nur um eine kleine Geldbuße von 65,00 Euro ginge. Er hatte damit bei dem Betroffenen
einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass mit einer Erhöhung der
Geldbuße nicht zu rechnen sei. Die für den Betroffenen überraschende nahezu
Verdreifachung der Geldbuße ohne vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme stellte
daher eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen und einen Verstoß gegen
den Grundsatz des fairen Verfahren dar."
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an, hebt das angefochtene
Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Amtsgericht zurück.
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