Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 02.04.2017

FG Schleswig-Holstein: auflösung der gesellschaft, sparkasse, beendigung, kapitalvermögen, gleichbehandlung, darlehen, gewinnausschüttung, liquidation, anschaffungskosten, privatvermögen

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2003
Aktenzeichen:
3 K 249/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 1 EStG 2002,
§ 20 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, §
17 Abs 1 S 1 EStG 2002
Schuldzinsen für ein zur Tilgung von Verbindlichkeiten der
GmbH aufgenommenes Darlehen als Werbungskosten des
Gesellschafters nach Auflösung der Gesellschaft
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von nachträglichen Schuldzinsen.
Der Kläger war zu über 50 % an der ... GmbH beteiligt. Er verbürgte sich mit
Bürgschaftserklärung vom 25. April 1998 selbstschuldnerisch in Höhe von 50.000
DM gegenüber der Sparkasse zur Sicherung aller Forderungen der Sparkasse
gegen die GmbH aus einem Betriebsmittelkredit. Ferner stellten die Kläger der
Sparkasse im April 1998 eine Grundschuld in Höhe von 100.000 DM zur Sicherung
dieses Betriebsmittelkredits der Sparkasse für die ... GmbH.
Der Kläger ist persönlich von der Sparkasse für die Schulden der Gesellschaft in
Anspruch genommen worden, weil mangels Vorhandenseins von
Vermögenswerten der GmbH eine Befriedigung aus Gesellschaftsmitteln nicht
mehr möglich war. Er nahm am 14. Februar 2000 von seinem Arbeitgeber ein
Darlehen bis zu maximal 150.000 DM auf, um damit die Inanspruchnahme seitens
der Sparkasse aus der Bürgschaft und der Grundschuld abzuwenden und tilgte die
Verbindlichkeiten der ... GmbH gegenüber der Sparkasse in den Jahren 2000 -
2002 in Raten. Im Streitjahr 2003 musste der Kläger für das Darlehen Zinsen von
insgesamt 8.382 € bezahlen.
Die Tätigkeiten der ... GmbH wurden im November 2000 eingestellt. Die
Gesellschafter der GmbH beschlossen im Jahr 2001 formlos die Auflösung der
Gesellschaft. Eine Liquidation fand mangels Masse nicht statt. Sämtliche
gesellschaftlichen Aktivitäten waren im Jahr 2001 beendet. Die Gesellschaft wurde
im Jahr 2004 im Handelsregister gelöscht.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer
Einkommensteuererklärung 2003 vom 06. April 2005 haben sie die Schuldzinsen
für das Darlehen zur Tilgung der Verbindlichkeiten der ... GmbH (8.382 €) als
Werbungskosten bei inländischen Kapitalerträgen geltend gemacht. Der Beklagte
berücksichtigte diese Werbungskosten im Einkommensteuerbescheid vom 03. Mai
2005 nicht und setzte die Einkommensteuer auf ... € fest.
Die Kläger legten dagegen am 20. Mai 2005 Einspruch ein, den sie damit
begründeten, dass die geltend gemachten Schuldzinsen im Zusammenhang mit
der Beteiligung an der ... GmbH angefallen seien. Sie seien auch noch nach
Beendigung der Gesellschaft als Werbungskosten abzugsfähig. Der wirtschaftliche
Zusammenhang mit den Kapitaleinkünften bliebe nach Beendigung der
Gesellschaft bestehen. Auch bei den Gewinneinkünften blieben die betrieblichen
Schulden nach Beendigung des Unternehmens bestehen; gleiches müsse auch
bei den Überschusseinkünften gelten.
Mit Bescheid vom 10. August 2005 wurde der Einkommensteuerbescheid 2003
aus hier nicht erheblichen Gründen geändert.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 15. September 2005 wies der Beklagte den
Einspruch als unbegründet zurück. Schuldzinsen könnten grundsätzlich
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen darstellen. Dies gelte
aber nur so lange, als noch ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den
Einnahmen aus der Überlassung des Kapitals zur Nutzung bestehe. Der
wirtschaftliche Zusammenhang entfalle, wenn die Kapitalanlage, zu deren Erwerb
oder Sicherung und Erhaltung der die Schuldzinsen verursachende Kredit
aufgenommen worden sei, veräußert werde. Die auf die Zeit nach der
Veräußerung der Kapitalanlage entfallenden Schuldzinsen stellten die
Gegenleistung für die Überlassung eines Kapitals dar, das nicht mehr der Erzielung
von Einnahmen aus Kapitalvermögen diene. Die von den Klägern geltend
gemachten Schuldzinsen seien nach Beendigung der GmbH entstanden und
daher nicht mehr berücksichtigungsfähig.
Die Kläger haben am 29. September 2005 Klage erhoben. Der Auffassung des
Beklagten könne nicht gefolgt werden. Die Begriffe Betriebsausgaben und
Werbungskosten seien auf der Grundlage des Veranlassungsprinzips einheitlich zu
interpretieren. Eine unterschiedliche Behandlung widerspreche dem objektiven
Nettoprinzip des § 9 EStG, nach dem Ausgaben Berücksichtigung finden müssten,
wenn sie ihre Grundlage in der (vorherigen) Einkünfteerzielung hätten. Da nach
dem Bundesfinanzhof eine betrieblich begründete Darlehnsschuld ihre Eigenschaft
als Betriebsschuld behalten solle, wenn der Gewerbebetreibende nach Aufgabe
des Betriebs nicht über hinreichende betriebliche Mittel verfüge, um diese Schuld
zu tilgen, müsse dies auch für nachträgliche Werbungskosten gelten, denn die
systematische Unterscheidung von Einkunftsarten durch den Gesetzgeber könne
für sich allein eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Das auslösende
Element für die Schuldzinsen liege allein in der früheren Einkünfteerzielung. Der
wirtschaftliche Zusammenhang werde durch die Auflösung der GmbH nicht
abgeschnitten.
Aus dem BFH-Urteil vom 27. März 2007 (VIII R 64/05, BFH/NV 2007, 1568) sei zu
entnehmen, dass der Bundesfinanzhof seiner Auffassung zu den nachträglichen
Werbungskosten bei aufgelösten Gesellschaften nicht mehr folge, wenn
Veranlagungszeiträume betroffen seien, in denen die maßgebliche
Beteiligungsgrenze im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auf 1 % herabgesetzt
worden sei. Wegen der immer deutlicher werdenden gesetzgeberischen
Gleichbehandlung von Kapitalerträgen und Veräußerungen habe die steuerliche
Berücksichtigung nachlaufender Schuldzinsen nach einer Veräußerung oder
Aufgabe einer Kapitalbeteiligung im Sinne von § 17 EStG zu erfolgen. Es gehe um
den Veranlagungszeitraum 2003. Für diesen Veranlagungszeitraum sei in § 20
EStG geregelt gewesen, dass Bezüge, die nach der Auflösung einer unbeschränkt
steuerpflichtigen Körperschaft entstünden, zu versteuern seien. Infolgedessen
seien auch die daraus entstehenden Kosten nach der Auflösung als nachträgliche
Werbungskosten abziehbar.
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 10. August
2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2005 dergestalt
zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers
Werbungskosten aus nachlaufenden Schuldzinsen im Zusammenhang mit der
Beteiligung an der ... GmbH in Höhe von 4.191 € berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung und
führt ergänzend aus, dass die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze in § 17 Abs. 1
EStG zu keiner anderen Beurteilung führe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und den der beigezogenen Einkommensteuerakten des
Beklagten (1998-2001 und 2003) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 10. August 2005 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 15. September 2005 ist rechtmäßig.
Die geltend gemachten Schuldzinsen können nicht als Werbungskosten bei den
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Die geltend gemachten Schuldzinsen können nicht als Werbungskosten bei den
Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen abgezogen werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Finanzierungskosten für eine im Privatvermögen
gehaltene wesentliche GmbH-Beteiligung sind grundsätzlich als laufende
Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln.
Dies gilt in gleicher Weise für Finanzierungskosten nachträglicher
Anschaffungskosten. Schuldzinsen sind als Werbungskosten indessen nur solange
abzugsfähig, wie sie im jeweiligen Zeitpunkt ihrer Entstehung mit einer
Einkommensart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Schuldzinsen, die auf
die Zeit der Einkünfteerzielung entfallen, jedoch erst nach deren Beendigung
geleistet werden, bleiben als Werbungskosten gemäß § 24 Nr. 2 EStG abzugsfähig
(vgl. BFH-Urteile vom 19. Januar 1993 VIII R 74/91, BFH/NV 1993, 714; vom 05.
Oktober 2004 VIII R 64/02, BFH/NV 2005, 54; vom 27. März 2007 VIII R 64/05,
BFH/NV 2007, 1568).
Die im Streitfall geltend gemachten Schuldzinsen sind indessen erst im Jahr 2003
entstanden. Zu diesem Zeitpunkt war die ... GmbH bereits aufgelöst und voll
beendet. Der Kläger bezog im Jahr 2003 keine Kapitalerträge im Sinne von § 20
Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 2003 nach Auflösung der ... GmbH, so dass ein
wirtschaftlicher Zusammenhang der Schuldzinsen mit dieser Beteiligung nicht
mehr bestand.
Die GmbH wurde im Jahr 2001 durch Beschluss der Gesellschafter aufgelöst (§ 60
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Sie war jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2001 voll beendet,
weil sie kein Vermögen mehr besaß und sämtliche gesellschaftlichen Aktivitäten
eingestellt worden waren. Eine Liquidation erfolgte mangels Masse nicht. Nach
Auflösung und Vollbeendigung der ... GmbH ist ein Abzug der geltend gemachten
nachträglichen Werbungskosten mangels wirtschaftlichem Zusammenhang mit
der Einkünfteerzielung nicht mehr möglich. Dabei ist unerheblich, ob die
Beendigung der Einkünfteerzielung freiwillig oder zwangsweise erfolgt (vgl. BFH-
Urteile vom 19. Januar 1993 VIII R 74/91, BFH/NV 1993, 714; vom 05. Oktober 2004
VIII R 64/02, BFH/NV 2005, 54; vom 27. März 2007 VIII R 64/05, BFH/NV 2007,
1568). Das Gericht folgt dem Bundesfinanzhof, der sich wiederholt mit den auch
von den Klägern erhobenen Einwendungen auseinander gesetzt und eine
Gleichstellung nachträglicher Werbungskosten mit nachträglichen
Betriebsausgaben wegen der unterschiedlichen rechtlichen Ausgangslage
abgelehnt hat (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1993, VIII R 74/91, a.a.O. m.w.N.).
Eine andere rechtliche Beurteilung der geltend gemachten Schuldzinsen ergibt
sich auch nicht daraus, dass die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgebliche
Beteiligungsgrenze durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur
Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433)
auf 1 % gesenkt wurde und der damit einhergehenden konzeptionellen
Gleichbehandlung von Gewinnausschüttung und Veräußerung (offen gelassen im
BFH-Urteil vom 27. März 2007, VIII R 64/05, a.a.O.). Gleiches gilt für die Frage, ob
möglicherweise bereits für die Zeit nach Absenkung der maßgeblichen
Beteiligungsgrenze auf 10 % durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 / 2000 /
2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) eine andere rechtliche Beurteilung
angezeigt ist.
Die Absenkung der Beteiligungsgrenze nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auf 1 % ist
vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach neuem Recht die Belastung von
Gewinnen mit Körperschaftsteuer auf 25 v.H. abgesenkt wurde und die
Ausschüttungsbesteuerung natürlicher Personen dem Halbeinkünfteverfahren (§ 3
Nr. 40, § 3 c Abs. 2 EStG) unterfällt. Demgemäß soll § 17 EStG neue Fassung
verhindern, dass letzterer Besteuerungszugriff durch eine Veräußerung der
Anteilsrechte vermieden wird. Der damit intendierte Umgehungsschutz stellt -
vorbehaltlich der “Bagatellgrenze” (1 %) - zugleich konzeptionell die
Gleichbehandlung von Gewinnausschüttung und Veräußerung sicher, die beide
dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 2005 IX
R 15/05, BFHE 211, 273, BStBl II 2006, 171; BFH-Beschluss vom 14. Februar 2006,
VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523).
Diese konzeptionelle Gleichbehandlung von Gewinnausschüttung und Veräußerung
ändert aber nichts daran, dass nach Auflösung und Beendigung der
Kapitalgesellschaft für nachträglich entstandene Schuldzinsen der wirtschaftliche
Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen entfällt. Zudem wird
eine im Privatvermögen gehaltene Beteiligung durch die Absenkung der
Beteiligungsgrenze nach § 17 Abs. 1 EStG nicht zum Betriebsvermögen, so dass
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Beteiligungsgrenze nach § 17 Abs. 1 EStG nicht zum Betriebsvermögen, so dass
auch aus diesem Grund keine Gleichbehandlung mit den Gewinneinkünften
geboten ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1993, VIII R 74/91, a.a.O.). Die
konzeptionelle Gleichbehandlung von Gewinnausschüttung und Veräußerung
gebietet auch nicht deshalb, nachträgliche Schuldzinsen aus
Refinanzierungsdarlehen des Anteilseigners anders zu beurteilen, weil
nachträgliche Aufwendungen des Anteilseigners - soweit sie zu den nachträglichen
Anschaffungskosten gehören - bei einem Veräußerungsgewinn oder -verlust nach
§ 17 EStG berücksichtigt werden können, wenn sie nach Abschluss der Liquidation
der Gesellschaft anfallen. Die von § 17 EStG erfassten Aufwendungen sind im
Rahmen einer stichtagsbezogenen Gewinnermittlung zum Zeitpunkt der
Veräußerung der Beteiligung oder der Liquidation der Gesellschaft zu
berücksichtigen und - soweit sie in diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar
waren - rückwirkend in die Gewinnermittlung einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom
05. Oktober 2004, VIII R 64/02, a.a.O.). Daran hat sich nach Absenkung der
Beteiligungsgrenze nichts geändert (vgl. Weber-Grellet, in: Schmidt EStG 26. Aufl.
2007, § 17 Rdn. 131 m.w.N.). Die hiervon abweichende Beurteilung der
Schuldzinsen zur Finanzierung der nachträglichen Anschaffungskosten oder der
Veräußerungskosten ist eine Folge der gesetzlichen Regelung, nach der auch bei
Beteiligungseinkünften im Sinne von § 17 EStG die laufenden Aufwendungen nach
den für Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltenden
Grundsätzen zu beurteilen sind. Mit dem Wegfall der Einkünfteerzielung entfällt -
ungeachtet der Veranlassung der Aufwendungen durch den Erwerb oder die
Sicherung der Beteiligung - auch der erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang
der Schuldzinsen mit der Einkunftsart (vgl. BFH-Urteil vom 05. Oktober 2004, VIII R
64/02, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).