Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

FG Schleswig-Holstein: existenzminimum, anerkennung, einkünfte, sozialstaatsprinzip, schulgeld, vorsorge, grundversorgung, freibetrag, rechtsschutzinteresse, leistungsfähigkeit

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
2000, 2001, 2002,
2004
Aktenzeichen:
3 K 28/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1
GG, § 31 S 2 EStG 2002, § 32
Abs 6 EStG 2002, § 32a Abs 1
EStG 2002
Steuerliche Freistellung des Existenzminimums
Tatbestand
Die Kläger begehren die vollständige Anerkennung von Vorsorgeaufwendungen,
die Anerkennung von Ausbildungs- und Studienkosten der Kinder sowie die
Freistellung des Existenzminimums.
Der Kläger erzielte in 2000 bis 2004 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie
in 2000 Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Kläger haben in den Streitjahren teils
für 3, teils für 2 Kinder Kindergeld erhalten. Aus den streitgegenständlichen ESt-
Bescheiden ergeben sich folgende Kennzahlen:
Mit den gegen die streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide eingelegten
Einsprüchen rügten die Kläger die nicht vollständige Anerkennung von
Vorsorgeaufwendungen, die nicht erfolgte Freistellung des Existenzminimums vor
dem Hintergrund ihrer konkreten Situation, insbesondere der nicht ausreichenden
Freistellung des Existenzminimums der Kinder sowie den nicht erfolgten Abzug von
Schulgeld für eine berufsbildende Ergänzungsschule (…), welches für den
Schulbesuch der Tochter A gezahlt worden war.
Die Kläger haben bereits wegen der in Rede stehenden Streitpunkte für das Jahr
1999 ein Klageverfahren vor dem erkennenden Senat geführt (Az. 3 K 115/02). Die
Klage wurde durch Urteil vom 15.09.2004 abgewiesen. Die Revision wurde nicht
zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesfinanzhof verworfen
(Az. XI B 140/04).
Sämtliche Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom
27.12.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Auf den Inhalt der im Vorverfahren
gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Einspruchsentscheidungen wird
Bezug genommen.
Ihre hiergegen erhobene Klage begründen die Kläger im Wesentlichen wie folgt:
Der Bundesfinanzhof habe ihnen insbesondere vorgeworfen, sie hätten zur
Begründung ihrer Beschwerde darlegen müssen, dass ihr Existenzminimum unter
der Vergleichsebene des Sozialhilferechts gelegen habe. Vor diesem Hintergrund
seien die streitgegenständlichen Steuerbescheide der gerichtlichen Überprüfung
zu unterstellen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.1998
zum Az. 2 BvL 42/93 (BVerfGE 99, 246) stelle fest, dass das von der
Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum den Betrag, den der Staat
einem Bedürftigen im Rahmen staatlicher Fürsorge gewähre, jedenfalls nicht
unterschreiten dürfe. Ihre Fiktivberechnung habe ergeben, wie ihnen in den
Streitjahren die Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenvorsorgeleistungen, Wohngeld
bzw. Bafög gewährt worden wäre. Sie hätten sich dabei auf die Berichte der
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bzw. Bafög gewährt worden wäre. Sie hätten sich dabei auf die Berichte der
Bundesregierung zum Existenzminimum bezogen und die Ergebnisse für das Jahr
2004 interpoliert. Das Existenzminimum einer Familie mit drei Kindern liege so
nach ihren Berechnungen unter Berücksichtigung von Leistungen, die der
Sozialhilfeträger an gesetzliche Krankenkassen gezahlt hätte, in 2000 bei 53.628
DM, 2001 bei 54.156 DM, 2002 bei 30.957 €, 2003 bei 32.376 €, 2004 bei 32.692 €
und 2005 bei 33.012 €. Die Berechnung dieser Werte haben die Kläger in der
Anlage K3
Anlage K2
streitgegenständlichen ESt-Bescheide unter voller Berücksichtigung der
Existenzminimumberichte der Bundesregierung.
Anlage K2
Zu berücksichtigen sei die besondere Situation ihrer Familie, die in erheblichem
Umfang Nachteile durch eine Holzschutzmittelvergiftung habe hinnehmen
Anlage K4
ersten Blick zufriedenstellenden Einkommenssituation sei hieraus eine Belastung
entstanden, die auch aus den grundgesetzlichen Erwägungen der Sicherung des
Existenzminimums nicht heraus hingenommen werden könne.
Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteil vom 29.06.1990 (BVerfGE 82, 60)
Leitlinien für eine familiengerechte Gestaltung aufgestellt. Der steuerrechtliche
Grundsatz der Leistungsfähigkeit gelte auch für die Erziehung von Kindern. Daher
müsse das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben. Die
Förderung der Familien sei ganz unabhängig von den grundrechtlichen
Erwägungen des Art. 6 Grundgesetz (GG) eine vorrangige Aufgabe des Staates
um seiner Selbsterhaltung willen. Einkommensteuerrechtlich sei dies bisher noch
nicht nachvollzogen. Nach dem vorbezeichneten Urteil beginne Familienförderung
erst dann, wenn die horizontale Steuergerechtigkeit verwirklicht sei.
Kinderfreibeträge seien also keine Familienförderung in dem Sinne, wie es durch
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben sei. Entsprechendes gelte
für das Kindergeld, wenn es und solange es der Rückzahlung zuviel gezahlter
Steuern auf das Existenzminimum des Kindes diene. Die Urteile des
Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.1992 (BVerfGE 87, 1) und 10.11.1998
(BVerfGE 99, 216) sowie vom 03.04.2001 (BVerfGE 103, 242) schlössen sich an.
Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Vorsorgebeträgen für die eigene Vorsorge
bzw. auch für die Kranken- und weitere Vorsorge für betreuungsbedürftige Kinder
seien Entwicklungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erkennbar, die
genau dasjenige, was sie letztlich für sich erreichen wollten, postulierten. Im Lichte
des Art. 6 Grundgesetz, aber auch des Art. 2 Abs. 1 GG sei die
verfassungsgerechte Besteuerung der „Vielkindfamilie“ nach dem aktuellen
gesellschaftlichen Leitbild erforderlich. Letztlich gelte im Steuerrecht der
verfassungsrechtliche Vorrang des eigenverantwortlichen Erwerbs vor einer
staatsvermittelten Subsistenz. Jeder Bürger habe das Recht und zugleich auch
gegenüber der Allgemeinheit die Pflicht, sich und seine Familie mit den eigenen
Kräften selbst so zu unterhalten, dass er das Existenzminimum sicher stellen
müsse, bevor er soziale Hilfen der Allgemeinheit in Anspruch nehme bzw. auf sie
verwiesen werden könne. Sie hätten aufgrund ihrer besonderen Situation durch die
über Jahrzehnte hinweg andauernde Holzschutzmittelbelastung demgemäß einen
besonders ausgeprägten Anspruch darauf, dass jedenfalls das oben genannte
Existenzminimum von der Besteuerung vorab freigestellt bleibe.
Ihre Berechnungen gingen auf die grundlegende Betrachtung zurück, dass
zunächst das Existenzminimum, wie vom Bundesverfassungsgericht postuliert,
steuerlich freigestellt werden müsse, d. h. von jeder Steuerbelastung zunächst
freizuhalten sei. Erst dann, sei die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen der
Gesamtbetrachtung zu unterstellen (Anlage K2). Außerhalb der Aufwendungen für
das Existenzminimum seien Sonderausgaben in jedem Falle auch steuerlich
anzuerkennen. Weiterhin seien auch außergewöhnliche Belastungen in Abzug zu
bringen. Ausgehend von einem dann berechneten zu versteuernden Einkommen
ergäbe sich die unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Ansätze
richtige, jedenfalls aber verfassungsrechtlich zulässige Besteuerung. Allein diese
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richtige, jedenfalls aber verfassungsrechtlich zulässige Besteuerung. Allein diese
Berechnung führe zur konsequenten steuerlichen Freistellung des
Existenzminimums.
Sie seien sich darüber im Klaren, dass ihre Überlegungen auf dem Hintergrund der
aktuell bestehenden Gesetzeslage und der Berechnungsweise, wie sie das Gesetz
vorsehe, keine unmittelbare Geltung erlangen könne.
Ihr gedanklicher Ansatz sei derjenige, dass sie für die in Rede stehenden
Veranlagungszeiträume ihr verbleibendes Einkommen nach Zugrundelegung der
bisher festgesetzten Steuerlasten in Vergleich setzten zu dem Einkommen, dass
sie gehabt hätten, wenn sie nicht berufstätig gewesen wären bzw. nicht in diesem
Umfang hätten berufstätig sein können, z. B. durch Krankheit, Arbeitslosigkeit etc.
In ihrer steuerlichen Behandlung sei nicht erkennbar, inwiefern das
Existenzminimum tatsächlich steuerfrei gestellt sei.
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 28.01.2002,
für 2001 vom 12.02.2003, für 2002 vom 28.04.2004, für 2003 vom 08.11.2004 und
für 2004 vom 17.08.2005, alle in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom
27.12.2005 dergestalt zu ändern, dass die vollständige Anerkennung von
Vorsorgeaufwendungen, die Anerkennung von Ausbildungs- und Studienkosten
ihrer Kinder sowie die Freistellung des Existenzminimums im beantragten Sinne
zugrunde gelegt werden und die Einkommensteuer der Streitjahre entsprechend
herabgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Soweit die nicht ausreichende Anerkennung von Vorsorgeaufwendungen begehrt
werde, fehle der Klage das Rechtsschutzinteresse nach § 40 Abs. 2 FGO, da die
angefochtenen Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
27.12.2005 hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von
Vorsorgeaufwendungen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) für
vorläufig erklärt worden seien. Dieser Vorläufigkeitsvermerk umfasse auch die
beschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen zu Krankenversicherungen.
Soweit die Kläger den Familienleistungsausgleich als nicht verfassungsgemäß
betrachteten, sei Folgendes festzustellen: Zur Begründung werde für die
Streitjahre das sächliche Existenzminimum nach Sozialhilferecht den steuerlichen
Freibeträgen gegenüber gestellt. Diese Gegenüberstellung ergebe in jedem Fall,
dass die steuerlichen Freibeträge die Sozialhilfesätze nicht unerheblich
überstiegen. Der von den Klägern vorgenommenen Korrekturberechnung zur
Bestimmung der grundgesetzmäßigen Besteuerung könne nicht gefolgt werden,
da sie gedanklich nicht im vollen Umfang nachvollzogen werden könne. Dies gelte
insbesondere für die ermittelten Steuerfreibeträge. Soweit erkennbar, hätten die
Kläger die Steuertabelle, die schon in Form der Grundfreibeträge die
Steuerfreistellung des Existenzminimums für Ehegatten enthalte, auf ihren bereits
um das Existenzminimum nach Sozialhilferecht gekürzten Bruttoarbeitslohn
angewendet. Dabei hätten sie auch Werbungskosten und Sonderausgaben
berücksichtigt. Dies bedinge die doppelte Berücksichtigung der Freistellungen.
Durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22.02.1999 (Bundessteuerblatt –
BStBl- I 2000, 4) sei zusätzlich zum Kinderfreibetrag ein Betreuungsfreibetrag
eingeführt worden. Damit entspreche die Höhe der Kinderfreibeträge für
Veranlagungszeiträume ab 1996 den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Es bestehe keine Veranlassung mehr, Einkommensteuerfestsetzungen hinsichtlich
der Kinderfreibeträge bzw. der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten vorläufig
durchzuführen.
Zwar ergebe sich nach den Ausführungen des BFH-Beschlusses vom 14.02.2007
(BFH/NV 2007, 904) zur Frage der Höhe des Kindergeldes ab dem Kalenderjahr
2002 aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem
Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ein Gebot zum Ausgleich
familienbedingter finanzieller Belastungen. Dem Gesetzgeber stehe bei der
Entscheidung, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Familien
verwirkliche, aber ein Gestaltungsspielraum zu. Weder aus Art. 6 Abs. 1 GG noch
aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG lasse sich ein Anspruch auf Erhalt von
Kindergeld zur Förderung der Familie in einer bestimmten Höhe herleiten.
Die Höhe des Kindergelds sei auch deshalb nicht als verfassungswidrig angesehen
worden, weil der Gesetzgeber gemäß den Vorgaben des
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worden, weil der Gesetzgeber gemäß den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts neben dem Freibetrag für das sächliche
Existenzminimum des Kindes ab dem Jahr 2000 einen Betreuungsfreibetrag bzw.
ab 2002 einen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder
Ausbildungsbedarf des Kindes eingeführt habe, das Kindergeld aber nicht in
entsprechendem Umfang erhöht habe. Die gegen diese Entscheidung des BFH
gerichtete Verfassungsbeschwerde sei vom Bundesverfassungsgericht nicht zur
Entscheidung angenommen worden (2 BvR 1375/03 vom 06.05.2004, HFR 2004,
692). Das Bundesverfassungsgericht habe u. a. nochmals hervorgehoben, dass im
Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine ausreichende
Förderung der Familie nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts der Staat durch dieses Schutzgebot nicht gehalten
sei, jegliche die Familie betreffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne
Rücksicht auf andere öffentliche Belange zu fördern. Die staatliche
Familienförderung stehe vielmehr unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne
dessen, was der Einzelne vernünftigerweise beanspruchen könne.
Soweit die Kläger auf ihre besondere Situation im Hinblick auf die
Holzschutzmittelvergiftung hinwiesen, wären in den Streitjahren noch angefallene
Maßnahmen ggf. dem Bereich der außergewöhnlichen Belastungen nach § 33
Einkommensteuergesetz (EStG) zuzuordnen.
Beigezogen und Gegenstand der Beratung waren 1 Band Finanzgerichtsakten zum
Az. 3 K 115/02 sowie 1 Band Einkommensteuerakten 2002 – 2004 des beklagten
Finanzamts zur Steuer-Nr. … .
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teils unzulässig, teils nicht begründet.
Soweit mit der Klage die vollständige Anerkennung von geltend gemachten
Vorsorgeaufwendungen begehrt wird, ist die Klage unzulässig. Das Finanzamt hat
die streitgegenständlichen Bescheide hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit
von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig
erklärt. Diese Erklärung umfasst auch die beschränkte Abziehbarkeit von
Krankenversicherungsbeiträgen. Der Klage fehlt insoweit das
Rechtsschutzinteresse (vgl. BFH-Urteil vom 18.02.1994 VI B 123/93, BFH/NV 1994,
548; BFH-Beschluss vom 30.11.2007 III B 26/07, BFH/NV 2008, 374; Gräber/von
Groll, FGO, 6. Aufl., vor § 33 Rd. 4a und vor § 40 Rd. 76).
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Soweit die Kläger für das Jahr 2000 die Berücksichtigung der Zahlung von
Schulgeld geltend machen, folgt dies aus den Gründen des Urteils des
erkennenden Senats vom 15. September 2004 (Az. 3 K 115/02), in welchem
gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 26.
April 2002 Bezug genommen wird, und aus denen der Anschlussentscheidung des
BFH vom 30. September 2005 (Az. XI B 140/04). Der Senat nimmt insoweit zwecks
Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil und den BFH-Beschluss Bezug.
Die Kläger haben darüber hinaus keinen Anspruch auf den beantragten Abzug der
von ihnen unter Berücksichtigung von Krankenversicherungsleistungen
errechneten Existenzminimumbeträge vom dem Bruttoeinkommen des Klägers
und einer ihrer Ansicht folgenden Einkommensteuerberechnung. Die steuerliche
Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums wird bei
zusammen veranlagten Ehegatten durch den doppelten Grundfreibetrag des § 32a
Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes gewährleistet. Das
Existenzminimum eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und
Erziehung oder Ausbildung wird gemäß § 31 EStG durch die Freibeträge nach § 32
Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld bewirkt. Dabei wird dem steuerlichen
Kindergeld unter Bezug auf § 31 Satz 2 EStG von den beiden Senaten des
Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich eine Doppelfunktion beigemessen,
nämlich einerseits zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums und
andererseits, soweit es zur verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des
Existenzminimums nicht erforderlich ist, als Sozialleistung (Helmke/Bauer,
Familienleistungsausgleich, § 62 EStG, Rd. 50 m.w.N.).
Die Grund- und Kinderfreibeträge sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Aus dem Sozialstaatsprinzip der Art. 1 Abs.1, Art. 20 GG leitet sich die
sozialstaatliche Praxis ab, jedem Bedürftigen den Sozialhilfesatz als minimale
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sozialstaatliche Praxis ab, jedem Bedürftigen den Sozialhilfesatz als minimale
Grundversorgung zu gewähren. Die Höhe der Grundversorgung leitet sich vom
sogenannten soziokulturellen Existenzminimum ab. Dabei handelt es sich um
einen statistisch berechneten Wert, welcher grundsätzlich den durch Befragungen
ermittelten tatsächlichen Ausgaben des ärmsten Fünftels der nach ihren
Nettoeinkommen geordneten Einpersonenhaushalte entspricht. Das
einkommensteuerliche Existenzminimum, welches als Grund- bzw.
Kinderfreibetrag von der Steuer freigestellt ist, darf nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die Regelsätze der Sozialhilfe nicht unterschreiten.
Diesen Vorgaben genügen die Freibeträge der streitgegenständlichen Jahre (vgl.
u.a. Existenzminimumberichte für 1999, BTDrucksache 13/9561; für 2001,
BTDrucksache 14/1926; für 2003, BTDrucksache 14/7765; für 2005, BTDrucksache
15/2462). Hinsichtlich des Kindergeldes bzw. der Kinderfreibeträge ist dem in Art.
20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 GG nicht das Gebot zu
entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und einem bestimmten
Umfang zu gewähren und jegliche die Familien treffenden Belastungen
auszugleichen (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 2003 VIII R 76/02, BFH/NV 2003, 1303;
Beschluss vom 26.08.2008 III B 153/07, BFH/NV 2008, 2009). Die Verpflichtung des
Gesetzgebers bestand und besteht lediglich darin, das nach sozialhilferechtlichen
Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie
und ab dem Jahr 2000 zusätzlich einen Betreuungsbedarf im wirtschaftlichen
Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen (vgl. BVerfGE 99, 216, BStBl II
1999, 182). Ein Recht auf Kindergeld in einer bestimmten Höhe lässt sich hieraus
nicht herleiten (Herrmann/Heuer/Raupach-Kanzler, Einkommensteuer, § 66 Rd. 4).
Im Übrigen teilt der Senat die Bedenken des Finanzamts zur klägerischen
Berechnung der Einkommensteuer, da jedenfalls die Herstellung des bereinigten
Einkommens und die anschließende Anwendung der Splittingtabelle, in welche, wie
oben dargestellt, der Grundfreibetrag für Eheleute bereits eingearbeitet ist,
insoweit zu einer überobligationsgemäßen Begünstigung der Kläger führt.
Zutreffend weist das Finanzamt auch darauf hin, dass die besondere Situation der
Kläger im Hinblick auf die Holzschutzmittelvergiftung im Rahmen des § 33 EStG zu
berücksichtigen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat sich im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei der Situation der
Kläger um ein Alleinverdienerehepaar mit vier Kindern handelt, und im Hinblick
darauf, dass zu Fragen des Existenzminimums höchstrichterliche Rechtsprechung
überwiegend im Beschlusswege ergangen ist, zur Zulassung der Revision nach §
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO entschieden.