Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

FG Schleswig-Holstein: berufliche ausbildung, schüler, schulbehörde, berufsausbildung, verwaltungsakt, begriff, befragung, erwerb, abrundung, anerkennung

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2006
Aktenzeichen:
3 K 254/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 32 Abs 4 EStG 2002
Besuch eines Abiturfernlehrgangs als berufliche
Ausbildung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Kindergeld für die am 7. April 1983
geborene Tochter A der Klägerin für die Monate Juni bis August 2006.
Anfang 2002 meldete sich A bei ... (Institut) für den Lehrgang Abitur an. Als
Lehrgangsbeginn war der 31. Mai 2002 festgelegt. Lehrgangsende war der 30.
November 2004. Die Lehrgangsdauer war auf 29 Monate angelegt. Die vom 24.
Mai 2002 datierende Anmeldebestätigung sah die kostenlose Verlängerung der
Betreuungszeit bis 30. Mai 2006 vor. In der Folgezeit reichte die Klägerin
Teilnahmebescheinigungen des Instituts vom 26. März 2003, 04. November 2004,
28. Dezember 2004 sowie 16. Februar 2006 ein. Auf den Inhalt der zitierten
Bescheinigungen wird Bezug genommen.
Die Familienkasse hob mit Verwaltungsakt vom 02. August 2006 die Festsetzung
des Kindergeldes für A ab Juni 2006 auf und begründete dies im Wesentlichen
damit, dass eine schulische Ausbildung im Sinne des § 63 i.V.m. § 32 Abs. 4
Einkommensteuergesetz -EStG- nur dann zu berücksichtigen sei, wenn die Schüler
in eine schulische Mindestorganisation eingebunden seien, die eine gewisse
dauernde Lernkontrolle ermögliche. Die Ausbildung dürfe nicht überwiegend in der
Gestaltungsfreiheit des Schülers liegen. Zudem müsse ein gewisser Kontakt und
Austausch zwischen dem Schüler und den Lehrern bestehen. Hänge die Dauer
und die Intensität des Ausbildungsganges dagegen im Wesentlichen von der
Entscheidung und der Selbstverantwortung des Schülers ab, liege keine
Ausbildung im Sinne des EStG vor. Die Korrekturleistungen des Instituts endeten
mit Ablauf des Monats Mai 2006. Der weitere Ausbildungsverlauf liege somit in der
Selbstverantwortung von A.
Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24.
November 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Einspruchs,
den Inhalt eines Erörterungsschreibens der Familienkasse zur Sach- und
Rechtslage vom 15. August 2006 und auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung
vom 24. November 2006 wird Bezug genommen.
Ihre Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass A nicht nur
ausbildungswillig gewesen sei, sondern sich auch mitten in der Abschlussprüfung
einer Berufsausbildung befinde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß nach dem Inhalt ihres Vorbringens, ihr unter
Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2006 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 24. November 2006 für die Monate Juni, Juli und
August 2006 Kindergeld für ihre Tochter A in Höhe von jeweils 154,- € zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre Einspruchsentscheidung und trägt
darüber hinaus vor, dass unabhängig von einer grundsätzlichen Anerkennung des
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darüber hinaus vor, dass unabhängig von einer grundsätzlichen Anerkennung des
Fernlehrganges Abitur als Berufsausbildung der Anspruch auf Kindergeld ohnehin
ab Juni 2006 beendet sei, da A nach den vorliegenden Bescheinigungen des
Instituts seit 31. Mai 2002 an dem Lehrgang teilnehme, die Regelstudiendauer 30
Monate betrage und zusätzlich während weiteren 18 Monaten die
Korrekturleistungen kostenlos in Anspruch genommen werden könnten. Dieser
Anspruch habe Ende Mai 2006 geendet.
Der Berichterstatter hat am 23. Mai 2007 mit dem Institut ein Telefongespräch
folgenden Inhalts geführt: Bei dem von A besuchten Lehrgang handele es sich um
einen Vorbereitungslehrgang, der auf 30 bis 42 Monate Dauer, je nach Vorbildung
der Schüler, angelegt sei. Prüfungsbehörde sei nicht das Institut, sondern die
Schulbehörde des Landes, in welchem sich der Schüler zur Abiturprüfung anmelde.
Viele der Lehrgangsteilnehmer würden die Abiturprüfung vor der ... Schulbehörde
ablegen, auch weil das Institut über das Prozedere Bescheid wisse. Eine solche
Prüfung finde zweimal im Jahr zu unterschiedlichen Terminen statt. Es handele sich
um eine externe (Abitur)-Prüfung. In den Lehrgang sei jederzeit ein Einstieg
möglich. Da der Lehrgang einen sehr engen Zeitplan vorsehe, der eigentlich nur
eingehalten werden könne, wenn eine ganztägige Beschäftigung mit dem
Unterrichtsstoff stattfände, und ferner keine Urlaubs- und Krankheitszeiten
berücksichtige, werde die kostenlose Verlängerung angeboten. Diese
Verlängerung beziehe sich auf die gesamte Betreuungsleistung, d. h. den
gesamten Leistungskatalog einschließlich Prüfungsvorbereitung und
Probeklausuren, welcher auch während des bezahlten Teils des Lehrgangs geboten
würde. Soweit sich Lehrgangsteilnehmer über das Institut zum externen Abitur
anmeldeten, setze die Anmeldung durch das Institut den Nachweis voraus, dass
die Vorbereitung auf das Abitur erfolgreich abgeschlossen worden sei. Konkret sei
im Hinblick auf A die kostenlose Betreuungszeit von Juni 2006 bis 31. Januar 2007
verlängert worden. A sei gegenwärtig dabei, dies Abitur zu machen.
Beigezogen und Gegenstand es Verfahrens waren 1 Band Kindergeldakten,
Kindergeld.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Aufhebungsbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung war aufzuheben. Die Klägerin hat im tenorierten Umfang
Anspruch auf Zahlung von Kindergeld.
Bei dem von A besuchten Abiturfernlehrgang handelt es sich gemäß § 32 Abs. 4 S.
1 Nr. 2 a EStG um eine berufliche Ausbildung. Nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung, welcher sich das Gericht anschließt, muss Kindern zugebilligt
werden, zur Vervollkommnung und Abrundung von Wissen und Fähigkeiten auch
Maßnahmen eines festumschriebenen Bildungsganges zu ergreifen. Dies ist
beispielsweise entschieden für den Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen im
Rahmen durch Fremdsprachenkurse im Ausland (vgl. BFH, Bundessteuerblatt -
BStBl- II 1999, 701). Nach Überzeugung des Gerichts unterfällt dem Begriff der
beruflichen Ausbildung auch der von der Tochter der Klägerin besuchte
Abiturfernlehrgang. Der Lehrgang ist prinzipiell geeignet, eine Person in einer
vorgegebenen Zeit auf eine externe Abiturprüfung vorzubereiten, sofern er
ernsthaft betrieben wird. Unerheblich ist hierbei, dass der Lehrgangsteilnehmer frei
den zeitlichen Umfang und die Intensität der Lern- und Arbeitszeit bestimmen
kann (vgl. Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 26.02.2002 - 2 K
212/01 - BFG 2002, 771).
Das Gericht folgt der Beklagten nicht darin, dass, weil keine Einbindung in eine
schulische Mindestorganisation vorliege, aus diesem Grund das Vorliegen einer
beruflichen Ausbildung zu verneinen sei. Ausschlaggebend ist für das Gericht
vielmehr, dass sich das Kind im Rahmen der durch den Lehrgang vorgegebenen
Struktur ernsthaft bemüht, das Lehrgangsziel zu erreichen. Dies entspricht auch
der Intention des Gesetzgebers. Danach ist unter Ausbildung jede ernstlich
betriebene Vorbereitung auf einen künftigen Beruf zu verstehen, also die Tätigkeit
des Kenntniserwerbs an sich. Nicht erforderlich ist hingegen ein finaler
Erfolgseintritt, hier das Bestehen der Abiturprüfung. Wie die Institutsangehörige auf
Befragung des Berichterstatters ausführte, weisen die angebotenen Lehrgänge
zwar eine bestimmte Lehrgangsdauer, im vorliegenden Fall 29 Monate, aus.
Innerhalb dieser Lehrgangsdauer sei das Lehrgangsziel auch zu erreichen, aber
nur mit überobligationsgemäßem Einsatz. Da innerhalb dieses Zeitraums auch
keine Ferien oder Krankheitszeiten Berücksichtigung finden, sähen die Verträge
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keine Ferien oder Krankheitszeiten Berücksichtigung finden, sähen die Verträge
eine kostenlose Verlängerung der Betreuungsleistungen vor. Diese Verlängerung
lief im Fall von A zunächst bis zum 30. Mai 2006, wurde dann aber weiter
verlängert. Die Inanspruchnahme der vom Institut angebotenen kostenlosen
Betreuungsleistungen führt im vorliegenden Fall nicht zu der Annahme, A habe die
Abiturvorbereitung nicht mehr ernstlich betrieben. Zu berücksichtigen ist dabei
einmal, dass die Vorbereitung offenbar erfolgreich war: Das Institut meldet Schüler
an die hamburgische Schulbehörde zur Ablegung der externen Abiturprüfung nur
dann an, wenn der Lehrgangsteilnehmer die erforderlichen Lehrgangsnachweise
erbracht hat. Dies treffe, so Frau ..., auf A zu. Zu berücksichtigen ist weiterhin die
Parallele zu bestimmten, wenig verschulten und durch keine oder nur wenig
Zwischenprüfungen begleitete Studiengänge. Auch hier liegt der Erfolg, ähnlich wie
bei Teilnehmer von Fernausbildungsgängen, in der Selbstdisziplin des Studenten.
Eine ausreichende Einbindung des Schülers in eine schulische Mindestorganisation
liegt darüber hinaus vor, da der Schüler die kostenlose Betreuungszeit nicht
beliebig, sondern nur im Einverständnis mit dem Institut verlängern kann. Der
Lehrgangsteilnehmer unterwirft sich mit seiner Anmeldung der
Lehrgangsorganisation des Instituts. Es genügt, dass der Lehrgangsteilnehmer
durch eine Begrenzung der Lehrgangszeit dem Druck ausgesetzt wird, den
vorgegebenen Lehrgangszeitplan in der Breite und Tiefe nach Möglichkeit
einzuhalten (vgl. Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 63 Rd-Nr. 114 a m.w.N.).
Die übrigen Voraussetzungen der Kindergeldfestsetzung für A liegen vor.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 115 Abs. 3,
155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO sind nicht gegeben.
Das Gericht hat, da der Streitwert der Klage, die eine Geldleistung oder einen
hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,- € nicht übersteigt, gemäß § 94 a
FGO entschieden.