Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

FG Schleswig-Holstein: örtliche zuständigkeit, vollziehung, aussetzung, buchführung, einspruch, geschäftsleitung, zwangsgeld, zwangsmittel, abgabenordnung, nebenleistung

1
2
3
4
5
Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 64/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 26 AO, § 146 Abs 2a AO, §
146 Abs 2b AO, § 195 AO, §
328 AO
Festsetzung eines Verzögerungsgeldes: nicht nur bei
Verlagerung der Buchführung in das Ausland, keine
Vorprägung des Entschließungsermessens, keine
Aufhebung bei nachträglicher Pflichterfüllung
Leitsatz
Ein Verzögerungsgeld kann auch dann verhängt werden, wenn Unterlagen im Rahmen
einer Außenprüfung nicht fristgerecht vorgelegt werden, die Buchführung aber nicht ins
Ausland verlagert worden ist
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.
Die Klägerin ist eine 2002 gegründete GmbH mit einem im Handelsregister
eingetragenen Gesellschaftssitz in X (im Norden Schleswig-Holsteins). Mit
Prüfungsanordnung vom 09. Juni 2009 ordnete der Beklagte eine Außenprüfung für
die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2007 unter anderem zur Körperschaftsteuer,
zur Umsatzsteuer und zur Gewerbesteuer an und forderte die Beklagte auf,
sämtliche prüfungsrelevanten Unterlagen vorzulegen. Die Beklagte legte am 26.
Juni 2009 Einspruch gegen die Prüfungsanordnung ein und beantragte Aussetzung
der Vollziehung des Verwaltungsaktes. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen
vor, dass sich der Ort der Geschäftsleitung in Hamburg befinde. Die Zuständigkeit
des Beklagten sei somit nicht gegeben.
Der Beklagte wandte sich dann an das Finanzamt Hamburg und erhielt von dort
mit Schreiben vom 09. Juli 2009 die Mitteilung, diesem Finanzamt sei bislang nicht
bekannt gewesen, dass die Antragstellerin den Sitz der Geschäftsleitung in seinen
Zuständigkeitsbereich verlegt habe. Eine Gewerbeanmeldung liege nicht vor. Für
den Fall, dass die örtliche Zuständigkeit tatsächlich auf das Finanzamt Hamburg
übergegangen sein solle, werde gemäß § 26 der Abgabenordnung (AO) aus
Gründen der Zweckmäßigkeit zugestimmt, dass der Beklagte die begonnene
Prüfung fortsetze und abschließe.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Aussetzung
der Vollziehung ab und teilte zur Begründung im Wesentlichen mit, dass nach § 26
AO der Wechsel der Zuständigkeit erst in dem Zeitpunkt eintrete, in dem eine der
beiden Finanzbehörden hiervon tatsächlich erfahre. Dies sei erst mit dem
Einspruchschreiben der Fall gewesen. Die Prüfungsanordnung sei deshalb vom
zuständigen Finanzamt erlassen worden.
Mit Schreiben vom 11. August 2009 teilte der Beklagte mit, dass die
Betriebsprüfung mit Zustimmung des Finanzamtes Hamburg von ihm
6
7
8
9
10
11
12
13
Betriebsprüfung mit Zustimmung des Finanzamtes Hamburg von ihm
durchgeführt werde. Dies sei zweckmäßig, weil der Fall bereits mit nicht
unerheblichem Aufwand bearbeitet worden sei. Die Prüfung solle im Finanzamt
durchgeführt werden, so dass die Unterlagen in jedem Fall zu einem Finanzamt
transportiert werden müssten. Um die Durchführung zu ermöglichen wurde
gebeten, die für die Betriebsprüfung erforderlichen Unterlagen einschließlich der in
der Prüfungsanordnung genannten Verträge und Protokolle sowie einen
Datenträger mit den Buchführungsdaten bis zum 31. August 2009 an den
Beklagten zu übersenden.
Mit Schreiben vom 04. September 2009 wandte die Klägerin ein, dass es aus ihrer
Sicht zweckmäßig sei, wenn die Betriebsprüfung vom Finanzamt Hamburg
durchgeführt werde. Ferner stelle sie erneut einen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung der Prüfungsanordnung.
Mit Bescheid vom 11. September 2009 lehnte der Beklagte den zweiten Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung ab. Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der erlassenen Prüfungsanordnung. Ferner forderte der Beklagte die Klägerin mit
dem Hinweis auf die Möglichkeit des Erlasses eines Verzögerungsgeldes nach §
146 Abs. 2b AO auf, bis zum 02. Oktober 2009 im Einzelnen bezeichnete
Unterlagen vorzulegen.
Mit Schreiben vom 01. Oktober 2009 teilte der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin dem Beklagten mit, dass er nunmehr die Unterlagen vorliegen habe,
diese bestünden aus 17 großen Leitzordnern, diversen Kassenblöcken für drei
Jahre sowie aus Aufstellungen und Unterlagen, soweit sie vorhanden seien. Wegen
des erheblichen Arbeitsaufwandes, den eine Überführung von Hamburg nach X
verursache, werde gebeten, zu gestatten, die Unterlagen dem Finanzamt
Hamburg zuzuführen, so dass dieses sie intern weiterleiten könne. Bis zur Klärung
dieses Sachverhaltes wurde erneut um Aussetzung der Vollziehung gebeten.
Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 02. Oktober 2009 ist der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin telefonisch gebeten worden, die Unterlagen
bis zum 05. Oktober 2009, 9.00 Uhr, beim Beklagten vorzulegen. Eine gewünschte
Fristverlängerung bis zum 09. Oktober 2009 wurde zurückgewiesen. Mit Schriftsatz
vom 02. Oktober 2009 wandte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter
Bezugnahme auf das am selben Morgen geführte Telefonat ein, dass über seinen
Einspruch gegen die Prüfungsanordnung noch nicht entschieden worden sei.
Zudem werde Einspruch gegen die erneute Ablehnung der Aussetzung der
Vollziehung erhoben. Zur Begründung wies der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin darauf hin, dass der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin sich in
Hamburg befinde. Als Nachweis werde ein Gesellschafterbeschluss vom 25.
November 2008 als Kopie vorgelegt. Daher sei die örtliche Zuständigkeit beim
Finanzamt Hamburg gegeben. Aus diesem Grunde bestehe keine Notwendigkeit
der Vorlage der Unterlagen bis zum 05. Oktober 2009 beim Beklagten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 08. Januar 2010 wies der Beklagte den Einspruch
gegen die Prüfungsanordnung als unbegründet zurück. Die Prüfungsanordnung
wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2009 setzte der Beklagte ein Verzögerungsgeld in
Höhe von 2.500 € gegenüber der Klägerin fest. Zur Begründung wurde im
Wesentlichen angeführt, dass die Klägerin der Aufforderung vom 11. September
2009 zur Vorlage der dort genannten Unterlagen nicht nachgekommen sei. Die
Vorlage der Unterlagen sei mit Schreiben vom 04. September 2009 und vom 02.
Oktober 2009 verweigert worden. Um eine Außenprüfung zeitnah durchführen zu
können, sei ein Verzögerungsgeld festzusetzen, weil durch die Verletzung der
Mitwirkungspflichten eine nicht hinnehmbare Verzögerung der Fallbearbeitung
gegeben sei. Die Höhe des Verzögerungsgeldes sei nach dem gesetzlich
vorgeschriebenen Mindestbetrag bemessen worden.
Die Klägerin legte am 29. Oktober 2009 dem Beklagten die von ihm angeforderten
Unterlagen vor.
Sie erhob am 23. November 2009 Einspruch gegen die Festsetzung des
Verzögerungsgeldes ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Sie habe die
Vorlage der Unterlagen zu keinem Zeitpunkt verweigert. Vielmehr sei sie immer
bereit gewesen, die Unterlagen dem örtlich zuständigen Finanzamt vorzulegen.
Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes sei deshalb ermessensfehlerhaft und
folglich rechtswidrig. Zudem sei über den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
folglich rechtswidrig. Zudem sei über den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung
noch nicht abschließend entschieden worden. Auch aus diesem Grunde lägen die
Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs.
2b AO nicht vor.
Mit Bescheid vom 23. November 2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung ab. Die Klägerin hat daraufhin bei dem Gericht um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Ihr Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
wurde durch Beschluss vom 3. Februar 2010 (3 V 243/09) abgelehnt.
Die Klägerin ergänzte daraufhin ihren Einspruch mit Schreiben vom 29. April 2010.
§ 146 Abs. 2b AO sei dahingehend auszulegen, dass ein Verzögerungsgeld nur bei
Verletzung der Pflichten aus § 146 Abs. 2a AO festgesetzt werden könne. Dies
ergebe sich aus systematischen Überlegungen. Ferner sei eine Interpretation,
dass jede Verletzung einer Mitwirkungspflicht im Rahmen einer Außenprüfung mit
einem Verzögerungsgeld sanktioniert werden könne, aus verfassungsrechtlichen
Gründen nicht haltbar. Aus dem Normtext sei die Reichweite des
Verzögerungsgeldes nicht hinreichend erkennbar. Ferner fehlten gesetzlich
festgelegte Ermessensleitlinien, unter anderem eine Klarstellung des Verhältnisses
zur Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 21. Mai 2010 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich
auf ihre Einspruchsbegründung vom 29. April 2010 und trägt ergänzend vor, dass
das Verzögerungsgeld ein Zwangsgeld im Sinne von § 329 AO darstelle, weil es auf
die Vornahme einer Handlung oder Duldung des Steuerpflichtigen gerichtet sei. Es
bestünden keine Unterschiede zu § 5b des Einkommensteuergesetzes (EStG)
oder § 138 Abs. 2 und 3 AO. Die dort normierten Pflichten könnten mit
Zwangsmitteln nach § 328 AO durchgesetzt werden.
Die Klägerin beantragt, das mit Verwaltungsakt vom 20. Oktober 2009
festgesetzte Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 € in Form der
Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2010 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er
im Wesentlichen vor, dass das Verzögerungsgeld eine eigenständige steuerliche
Nebenleistung sei. § 5b EStG und § 138 Abs. 2 und 3 AO beträfen anderen
Anwendungsbereiche und seien mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Daraus könne
aber nicht auf die Einordnung des Verzögerungsgeldes geschlossen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, den der beigezogenen Gerichtsakte zum Verfahren 3 V 243/09
und den der beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid vom 20. Oktober 2009 über die Festsetzung eines
Verzögerungsgeldes in Höhe von 2.500 € in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig.
Er beruht auf § 146 Abs. 2b AO. Danach kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 €
bis 250.000 € festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung der
Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach §
146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO,
zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen im Sinne
des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm
bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige
Finanzbehörde nicht nachkommt oder er seine elektronische Buchführung ohne
Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert.
Das Verzögerungsgeld wurde durch Art. 10 Nr. 8 des Jahressteuergesetzes 2009
(JStG 2009) vom 19. Dezember 2008 (BGBl I S. 2794) mit Wirkung vom 25.
Dezember 2008 (Art. 39 Abs. 1, 8 JStG 2009) als neue steuerliche Nebenleistung
(§ 3 Abs. 4 AO) eingeführt. Es kann nach dem Wortlaut von § 146 Abs. 2b AO
26
27
28
(§ 3 Abs. 4 AO) eingeführt. Es kann nach dem Wortlaut von § 146 Abs. 2b AO
aufgrund der dort vorgenommenen Aufzählung auch dann verhängt werden, wenn
ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamtes zur Erteilung von
Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen im Sinne von § 200 Abs. 1
AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht
nachkommt. Zwar spricht die systematische Verortung dieser neuen
Sanktionsmöglichkeit in § 146 AO nach dessen Abs. 2a dafür, das
Verzögerungsgeld nur im Zusammenhang einer ohne Bewilligung der
Finanzbehörde erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland zu sehen (so
Drüen, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 146 AO Rn. 51, Stand: Mai 2009). Auch
die Überschrift des § 146 AO „Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für
Aufzeichnungen“ deutet nicht darauf hin, dass in dieser Norm
Sanktionsvorschriften für eine Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen
einer Außenprüfung enthalten sind. Die Wortlautauslegung lässt solche
systematischen Bedenken aber in den Hintergrund treten. Sie wird zudem durch
die Gesetzesbegründung gestützt, wonach das Verzögerungsgeld im Falle der
Verletzung von (sonstigen) Mitwirkungspflichten gleichermaßen gelte, um eine
Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die ihre Bücher und sonstigen
Aufzeichnungen im Ausland führten, gegenüber solchen Steuerpflichtigen, die dies
im Inland täten, zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 16/10189, S. 81). Dadurch wird
deutlich, dass der Gesetzgeber die Sanktionsmöglichkeit des Verzögerungsgeldes
zwar systematisch unglücklich angesiedelt, aber inhaltlich unabhängig von einer
Verlagerung der Buchführung ins Ausland für die in der Vorschrift genannten Fälle
vorsehen wollte (vgl. Geißler, NWB 52/53, S. 4076; Rätke, in: Klein,
Abgabenordnung, 10. Aufl. 2009, § 146 Rn. 5 b; Gebbers, Die steuerliche
Betriebsprüfung 2009, S. 130; a. A. Drüen, a.a.O.).
Die dagegen von der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen
Bedenken teilt das Gericht nicht. Der Anwendungsbereich des § 146 Abs. 2b AO
kann, wie aufgezeigt, mit den anerkannten Auslegungsmethoden ohne Weiteres
erschlossen werden. Auch für betroffene Steuerpflichtige zeigt der Wortlaut der
Vorschrift den Anwendungsbereich des Verzögerungsgeldes mit der dort erfolgten
Aufzählung hinreichend deutlich auf. Bedenken gegen die verfassungsrechtlichen
Grundsätze der Normenbestimmtheit und -klarheit (vgl. dazu BVerfG-Urteil vom
24. November 2010 1 BvF 2/05, BGBl I 2010, 1862) hat das Gericht deshalb nicht
(a.A. Drüen, a.a.O.). Der Gesetzgeber war auch nicht verfassungsrechtlich
gehalten, den Finanzbehörden Ermessensgesichtspunkte oder –leitlinien
vorzugeben, die sie bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen haben. §
5 AO gibt vor, dass die Finanzbehörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
einzuhalten hat. Aus dieser Norm in Verbindung mit der dazu ergangenen
Rechtsprechung lassen sich die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung bei
der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes hinreichend klar ableiten, wie sich auch
aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt (vgl. auch FG Sachsen-Anhalt,
Beschluss vom 15. Oktober 2010 3 V 1296/10, Juris).
Der Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO ist vorliegend erfüllt. Gegenüber der Klägerin
ist mit Bescheid vom 09. Juni 2009 eine Außenprüfung angeordnet worden. Diese
Prüfungsanordnung war vollziehbar. Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung
wurden durch Bescheide des Beklagten vom 30. Juni 2009 und vom 11. September
2009 abgelehnt. Der Beklagte ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass er
nach Erlass der Prüfungsanordnung weiter für die Durchführung der Außenprüfung
zuständig war.
Außenprüfungen werden gemäß § 195 Satz 1 AO von den für die Besteuerung
zuständigen Finanzämtern durchgeführt. Für die Besteuerung der Klägerin als
Körperschaft nach dem Einkommen ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen
Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet (§ 20 Abs. 1 AO). Vorliegend hat die
Klägerin zwar vorgetragen, dass sich der Sitz ihrer Geschäftsleitung aufgrund eines
Gesellschafterbeschlusses vom 25. November 2008 in Hamburg, und damit im
Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes HAMBURG befinde. Ursprünglich war der
Sitz der Geschäftsleitung aber im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Ein
Wechsel der örtlichen Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie
begründenden Umstände tritt gemäß § 26 Satz 1 AO erst in dem Zeitpunkt ein, in
dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt. Dies ist vorliegend erst mit
der Einspruchseinlegung gegen die Prüfungsanordnung am 26. Juni 2009 erfolgt.
Der Beklagte war somit für den Erlass der Prüfungsanordnung örtlich zuständig.
Sollte sich der Sitz der Geschäftsleitung der Klägerin nunmehr tatsächlich in
Hamburg befinden, was indes von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden ist
29
30
31
32
33
Hamburg befinden, was indes von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden ist
und vorliegend offenbleiben kann, so wäre der Beklagte jedenfalls aufgrund der
vorsorglich erteilten Zustimmung des dann zuständigen Finanzamtes HAMBURG
nach § 26 Satz 2 AO für die weitere Durchführung der Außenprüfung zuständig.
Danach kann die bisher zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren
fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen
und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr
zuständige Finanzbehörde zustimmt. Die mit Schreiben vom 11. August 2009 der
Klägerin erläuterte Ermessensentscheidung des Beklagten, die Betriebsprüfung
mit Zustimmung des Finanzamtes Hamburg durchzuführen, ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Ermessensfehler im Sinne von § 102 FGO sind insoweit nicht
erkennbar.
Der Beklagte durfte deshalb auch die Aufforderung an die Klägerin vom
11. September 2009 zur Vorlage der dort näher genannten Unterlagen bis zum
02. Oktober 2009 erlassen.
Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dieser Aufforderung um einen
Verwaltungsakt im Sinne von § 118 AO handelt, wofür der Hinweis auf die
Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes spricht, war die
Aufforderung von der Klägerin zu befolgen. Im – unterstellten – Falle der
Verwaltungsaktqualität der Aufforderung ist eine Aussetzung der Vollziehung nicht
angeordnet worden. Die Aufforderung zur Vorlage der näher bezeichneten
Unterlagen stellt eine Konkretisierung der Mitwirkungspflichten der Klägerin im
Außenprüfungsverfahren nach § 200 Abs. 1 AO dar.
Die Fristsetzung, die aufgrund eines Telefongespräches am 02. Oktober 2009 vom
Beklagten noch bis zum 05. Oktober 2009 verlängert wurde, war angemessen.
Dabei war hier insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits mit der
Prüfungsanordnung vom 09. Juni 2009 und nochmals mit Schreiben vom 11.
August 2009 zur Vorlage der für die Prüfung relevanten Unterlagen aufgefordert
worden war. Sie hatte somit mehrere Monate Zeit, die prüfungsrelevanten
Unterlagen herauszusuchen. Dies war ihr offenbar auch möglich, wie sich aus
ihrem Schreiben vom 01. Oktober 2009 ergibt, wonach ihr
Prozessbevollmächtigter die Unterlagen vorliegen gehabt habe. Die
Fristverlängerung um drei Tage bis zum 05. Oktober 2009 verschaffte der Klägerin
hinreichend Zeit, die Unterlagen von ihrem Prozessbevollmächtigten mit Sitz in
Hamburg zum Beklagten nach X zu übermitteln. Die Klägerin hat die Unterlagen
indes nicht fristgemäß, sondern erst am 29. Oktober 2009 dem Beklagten
vorgelegt.
Nach § 146 Abs. 2b AO „kann“ ein Verzögerungsgeld von 2.500 € bis 250.000 €
festgesetzt werden. Es handelt sich somit um eine Ermessensentscheidung der
Finanzbehörde, die zunächst entscheiden muss, ob sie ein Verzögerungsgeld
festsetzt („Entschließungsermessen“) und auf der nächsten Stufe in welcher Höhe
(„Auswahlermessen“). Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ist gemäß
§ 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen
in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist.
Daran gemessen, ist die Ermessensentscheidung des Beklagten rechtlich nicht zu
beanstanden.
Das Entschließungsermessen ist entgegen der Auffassung von Geißler (a.a.O.)
nicht dergestalt vorgeprägt, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im
Rahmen der Außenprüfung zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes regelmäßig
ausreicht und insbesondere Verschuldensaspekte beim Entschließungsermessen
nicht zu berücksichtigen sind. In das Entschließungsermessens sind vielmehr alle
entscheidungserheblichen Umstände einzubeziehen, insbesondere
Verschuldensaspekte, auch wenn diese, anders als etwa beim
Verspätungszuschlag nach § 152 AO, im Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO nicht
genannt werden. Eine Beschränkung der Ermessensgesichtspunkte ist § 146 Abs.
2b AO nicht zu entnehmen. Allerdings sind an die nach § 121 AO erforderliche
Begründung des Entschließungsermessens keine zu strengen Anforderungen zu
stellen. Insbesondere braucht in der Ermessensentscheidung dann nicht auf den
Steuerpflichtigen entlastende Umstände eingegangen zu werden, wenn die
dementsprechende Bewertung der Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen bereits
vorher bekannt gemacht wurde.
35
36
37
38
Hier war vom Beklagten als ein die Klägerin entlastender Umstand zu prüfen, ob
diese ohne Verschulden von einer fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Beklagten
ausgegangen ist. Der Beklagte hat diesen Umstand aber gewürdigt und seine
nach den obigen Darlegungen zutreffende Rechtsauffassung dazu dem
Steuerberater und Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorher schriftlich
mitgeteilt. Dieser hätte somit als Rechtskundiger erkennen können, dass er sich
nach der vorsorglichen Zustimmung des Finanzamtes HAMBURG nicht mehr mit
Erfolg auf die fehlende Zuständigkeit des Beklagten berufen konnte. Der Beklagte
ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass die Nichtvorlage der Unterlagen
unter Berufung auf eine fehlende örtliche Zuständigkeit nicht entschuldbar
erschien. Da weitere, das Absehen von der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes
rechtfertigende Umstände weder von der Klägerin hervorgebracht wurden noch im
Übrigen erkennbar sind, konnte sich die Begründung der Ausübung des
Entschließungsermessens im Bescheid vom 20. Oktober 2009 - wie geschehen -
auf die durch die Verzögerung eintretenden Nachteile für die Durchführung der
Außenprüfung beschränken. Da das Verzögerungsgeld als eigenständige und
selbständige Sanktion neben der Möglichkeit besteht, die Erfüllung von
Mitwirkungspflichten im Rahmen der Außenprüfung durch das gestufte
Vollstreckungsverfahren der § 328 ff. AO durchzusetzen, braucht im Rahmen der
Ermessensentscheidung nicht auf das Verhältnis zum Vollstreckungsverfahren
eingegangen zu werden, zumal das Verzögerungsgeld im Regelfall schneller
festgesetzt werden kann als ein Zwangsmittel und deshalb das effektivere
Druckmittel darstellt.
Bei der Ausübung des Auswahlermessens hat sich der Beklagte am Mindestbetrag
für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes von 2.500 € orientiert, der von ihm
nicht überschritten wurde. Deshalb war keine Begründung der Ausübung des
Auswahlermessens erforderlich.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Verzögerungsgeld sei
als Zwangsgeld im Sinn von § 329 AO einzuordnen. Ihre Begründung zielt insoweit
auf die Anwendung des § 335 AO, weil sie die Verpflichtung zur Vorlage der
Unterlagen nach der Festsetzung des Zwangsmittels am 29. Oktober 2010 erfüllt
habe. Nach § 335 AO ist der Vollzug einzustellen, wenn die Verpflichtung nach
Festsetzung des Zwangsmittels erfüllt wird. Diese Vorschrift ordnet indes nur die
Einstellung des weiteren Vollzuges an und nicht die Aufhebung bereits getroffener
Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. BFH-Beschluss vom 07. Oktober 2009 VII B 28/09,
BFH/NV 2010, 385; Brockmeyer, in: Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 335 Rdn. 1). Zudem
ist sie vorliegend weder direkt noch entsprechend anwendbar (vgl. auch
Hessisches FG, Beschluss vom 19. März 2010 12 V 396/10, Juris; FG Sachsen-
Anhalt, Beschluss vom 15. Oktober 2010 3 V 1296/10, Juris).
§ 335 AO ist sowohl vom Wortlaut als auch seiner systematischen Stellung im
Sechsten Teil, Dritter Abschnitt, 1. Unterabschnitt der Abgabenordnung
(Vollstreckung wegen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen) direkt nur auf
die Zwangsmittel des § 328 AO anwendbar (Zwangsgeld, Ersatzvornahme,
unmittelbarer Zwang). Das Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO als
eigenständige steuerliche Nebenleistung wird dort nicht als Zwangsmittel
aufgeführt.
Eine entsprechende Anwendung des § 335 AO auf die vorliegende Fallkonstellation
kommt auch nicht in Betracht. Sie würde voraussetzen, dass eine unbewusste
Regelungslücke im Gesetz besteht und die gesetzlichen Wertungen des § 335 AO
auf die Erfüllungen der Mitwirkungspflichten nach Festsetzung des
Verzögerungsgeldes übertragbar sind. Jedenfalls an Letzterem fehlt es. § 335 AO
berücksichtigt den (alleinigen) Charakter der Zwangsmittel als Beugemittel. Wenn
die Verpflichtung nach deren Festsetzung erfüllt wird, soll der Vollzug eingestellt
werden. Das Verzögerungsgeld im Sinne von § 146 Abs. 2b AO hat zwar – wie ein
Zwangsgeld im Sinne von § 329 AO – auch einen Beugecharakter. Es ist in den
meisten Fallgestaltungen auf die Vornahme einer Handlung oder Duldung durch
den Steuerpflichtigen gerichtet (vgl. auch Rätke, a.a.O., § 146 AO Rn. 5b). Aus der
Gesetzesbegründung erschließt sich diese Zielrichtung ebenfalls, weil dort davon
die Rede ist, dass das Verzögerungsgeld den Steuerpflichtigen zur zeitnahen
Mitwirkung anhalten soll (vgl. BT-Drucks. 16/10189, S. 81). Daneben ist es aber
Sanktion für die Verlagerung der Buchführung ohne Bewilligung ins Ausland (§ 146
Abs. 2b AO letzter Fall). Hier ist allein die Missachtung des
Bewilligungserfordernisses Rechtsgrund der Nebenleistung (vgl. Drüen, a.a.O., §
146 AO Rn. 48). Insoweit hat das Verzögerungsgeld repressiven Charakter. Aber
40
41
42
146 AO Rn. 48). Insoweit hat das Verzögerungsgeld repressiven Charakter. Aber
auch im Übrigen hat es eine repressive Wirkung, weil der Nachteil an ein in der
Vergangenheit liegendes Verhalten anknüpft und durch den vom Zwangsgeld
abweichenden Rahmen für die Höhe (2.500 € bis 250.000 € beim
Verzögerungsgeld - maximal 25.000 € beim Zwangsgeld) zum Ausdruck kommt,
dass es auch darum geht, Vorteile abzuschöpfen, die sich möglicherweise aus
dem verzögerten Mitwirkungsverhalten ergeben können (vgl. auch Geißler, a.a.O.
S. 4077; Gebbers, a.a.O., S. 131). Das Verzögerungsgeld ist damit wie der
Verspätungszuschlag nach § 152 AO (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. März 2007 IX R
22/05, BFH/NV 2007, 1450) ein Druckmittel eigener Art, das auf die Bedürfnisse
des Steuerrechts zugeschnitten ist und zugleich einen repressiven und
präventiven Charakter hat (vgl. Geißler, a.a.O., S. 4077). Aufgrund seines zugleich
repressiven Charakters ist sein Zweck nicht erfüllt, wenn der Steuerpflichtige
seiner Verpflichtung nach der Festsetzung nachkommt. Es liegt somit eine über
die gesetzliche Wertung des § 335 AO hinausgehende „überschießende Tendenz“
des Verzögerungsgeldes vor, die eine entsprechende Anwendung dieser Norm
nicht zulässt.
Aus dem Umstand, dass die Pflichten aus § 5b EStG und § 138 Abs. 2 und 3 AO im
Vollstreckungsverfahren nach den § 328 ff. AO durchsetzbar sind, folgt entgegen
der Auffassung der Klägerin nicht, dass das Verzögerungsgeld als Zwangsmittel im
Sinne von § 328 AO einzuordnen ist. Dies folgt schon daraus, dass das
Verzögerungsgeld gemäß § 146 Abs. 2b EStG einen ganz anderen
Anwendungsbereich hat, als die von der Klägerin genannten Vorschriften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).