Urteil des FG Saarland vom 26.05.2010

FG Saarbrücken: von doppelt gezahltem Kindergeld, auszahlung, konkludentes verhalten, steuervergütung, verwaltungsakt, arbeitsamt, rückforderung, form, finanzen, behörde

FG Saarbrücken Entscheidung vom 26.5.2010, 2 K 1593/08
Rückforderung von doppelt gezahltem Kindergeld
Leitsätze
Die Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes ist nicht bloßer Realakt, sondern sie bringt
zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen des
Anspruchs auf das beantragte Kindergeld (die Steuervergütung) als der sachlogischen
Voraussetzung für die Auszahlung der beantragten Geldleistung zum Ausdruck. Ob dies
jedoch in allen Fällen gilt, also etwa auch dann, wenn der - objektivierte - Empfänger darum
weiß, dass ihm dieses Kindergeld überhaupt nicht zusteht, erscheint fraglich.
Tenor
Der Bescheid vom 1. August 2008 in Form der Einspruchsent-scheidung vom 4. November
2008 wird insoweit aufgehoben, als er die Monate November und Dezember 2003 betrifft.
Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin streitet mit dem Beklagten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem
der Beklagte an die Klägerin gezahltes Kindergeld zurückfordert.
Die Klägerin, die die französische Staatsangehörigkeit besitzt, arbeitet als angestellte
Lehrerin im Bereich der saarländischen Landesverwaltung. Die Klägerin stellte am 2.
Oktober 2003 unter Hinweis auf das bis dahin vom Arbeitsamt Saarlouis gezahlte
Kindergeld beim Landesamt für Finanzen (jetzt: Landesamt für Zentrale Dienste) einen
Antrag auf Kindergeld für ihren Sohn N (* 30. April 1994). Das Landesamt für Finanzen
gelangte in der Folge zu der Auffassung, dass entgegen der ursprünglichen Annahme
weiterhin das Arbeitsamt das Kindergeld auszahlen müsse. Auf einen entsprechenden
Hinweis des Landesamtes für Finanzen hin (KiG, Bl. 5) wurde das Kindergeld an die
Klägerin weiterhin vom Arbeitsamt Saarlouis gezahlt.
Im Zuge von Ermittlungen des Bundesrechnungshofes wurde dem Beklagten im Jahre
2008 bekannt, dass der Klägerin nicht nur vom Arbeitsamt Saarlouis (Familienkasse)
Kindergeld gezahlt worden war, sondern auch im Rahmen der an die Klägerin gezahlten
Bezüge durch den Beklagten selbst. Der Doppelbezug von Kindergeld betraf den Zeitraum
November 2003 bis Juni 2008 (KiG, Bl. 9).
Mit Bescheid vom 1. August 2008 (KiG, Bl. 23 f.) forderte der Beklagte das an die Klägerin
für den Zeitraum November 2003 bis Mai 2008 gezahlte Kindergeld zurück. Die
Rückforderung war auf § 37 Abs. 2 AO gestützt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 11. August 2008 Einspruch ein (KiG, Bl. 38).
Am 4. November 2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (KiG, Bl.
58 ff.).
Am 28. November 2008 (Bl. 1) hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Bescheid vom 1. August 2008 in Form der
Einspruchsentscheidung vom 4. November 2008 aufzuheben.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die
Kindergeldzahlungen rückwirkend aufzuheben. Die Doppelzahlung sei auf einen Fehler im
Bereich der Beklagten zurückzuführen. Aus Vertrauensschutzgründen sei eine
Rückforderung unzulässig. Für die Klägerin sei nicht ohne weiteres erkennbar gewesen,
dass der Doppelbezug nicht den gesetzlichen Regelungen entsprochen habe. Es sei
teilweise (bzgl. des Jahres 2003) Verjährung eingetreten. Jedenfalls sei der Anspruch
verwirkt.
Der Beklagte beantragt sinngemäß (Bl. 20), die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass auf Grund eines Eingabefehlers irrtümlich Kindergeld an
die Klägerin gezahlt worden sei. Der - unberechtigte - Doppelbezug von Kindergeld sei für
die Klägerin ohne weiteres ersichtlich gewesen, da dies aus der Gehaltsabrechnung
hervorgegangen sei. Im Übrigen handele es sich beim Bescheid vom 1. August 2008 um
einen Abrechnungsbescheid, so dass statt der vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 AO) die
im Rahmen der Zahlungsverjährung geltenden Fristen (§§ 228 ff. AO) zur Anwendung
kämen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und zu einem geringen Teil auch begründet. Der
Rückforderungsbescheid des Beklagten ist hinsichtlich der Streitjahre 1994 bis 2008
rechtmäßig. Hinsichtlich der Monate November und Dezember 2003 steht der
Rechtmäßigkeit der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
1.
Familienkasse der Agentur für Arbeit bewilligten und gezahlten Kindergeld – auch gegen
den Beklagten ein Anspruch auf Kindergeld zusteht (zum Verbot der mehrfach Gewährung
von Kindergeld BFH vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BStBl II 1999, 231), war
lediglich zu untersuchen, ob dem Rückforderungsanspruch des Beklagten, der dem
streitigen Bescheid zugrunde liegt, berechtigte Einwendungen der Klägerin entgegen
stehen. Dabei ist der Senat von dem von der Klägerin nicht bestrittenen Sachverhalt eines
mechanischen (Eingabe-) Fehlers ausgegangen, welcher letztlich zur Auszahlung des
Kindergeldes durch den Beklagten an die Klägerin geführt hat.
2.
2 AO. Danach ist eine Steuervergütung (hier: Kindergeld, vgl. § 31 Satz 3 EStG), die ohne
rechtlichen Grund gezahlt worden ist, von demjenigen, für den die Zahlung bewirkt worden
ist, zurückzuzahlen. Die Vorschrift gilt sowohl für den Erstattungsanspruch des
Kindergeldberechtigten gegenüber der Familienkasse als auch für den umgekehrten Fall der
Rückforderung einer rechtsgrundlos geleisteten Kindergeldzahlung durch die Familienkasse.
Die Norm ist Ausdruck eines allgemein herrschenden Prinzips, dass derjenige, der vom
Staat auf Kosten der Allgemeinheit unberechtigt etwas erhalten hat, grundsätzlich
verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen (vgl. BFH vom 6. Februar 1990 VII R 97/88,
BStBl II 1990, 671; Finanzgericht Niedersachsen vom 6. Oktober 2009 12 K 113/09, EFG
2010, 382).
3.
Rechtsgrund hat zwar möglicherweise in Form eines (bewilligenden) Kindergeldbescheides
vorgelegen. Dieser Bescheid ist indessen vom Beklagten (bezogen auf die Zeiträume ab
2004) richtiger Weise korrigiert worden.
Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG wird das Kindergeld von der Familienkasse durch Bescheid
festgesetzt und ausgezahlt. Ein entsprechender Bescheid kann gemäß § 119 Abs. 2 AO
schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Im Streitfall bleibt
nur die Alternative “in anderer Weise”, nachdem eine „positive Festsetzung“ des
Kindergeldes nicht erfolgt ist. Eine entsprechende Entscheidung, die die begrifflichen
Merkmale eines Verwaltungsaktes (§ 118 Satz 1 AO) erfüllt, muss gemäß § 70 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 EStG nicht in der Form (und mit dem Inhalt) eines Steuerbescheides (§ 157
AO) ergehen, wenn dem Antrag des Anspruchsberechtigten entsprochen wird. Damit hat
der Gesetzgeber zwar für diesen Fall auf eine schriftliche Bescheiderteilung verzichtet, um
das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren der Kindergeldzahlung im Interesse
der Bürger und der Verwaltung beibehalten zu können (BT-Drucksache 13/1558 S. 161);
dies enthebt aber nicht von dem Erfordernis der Festsetzung des Kindergeldes durch
Bescheid. Für diesen Bescheid (Verwaltungsakt) gelten statt der für Steuerbescheide
konkretisierten und spezialisierten Regeln des § 157 AO die allgemeinen Regeln der §§ 118
ff. AO, nach denen gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 AO der Verwaltungsakt auch in sonstiger
Weise erlassen werden kann.
Sieht die Familienkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG von einer schriftlichen
Bescheiderteilung ab, so setzt sie das Kindergeld - in der Regel - in anderer Weise (d.h.
formlos) fest. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld tatsächlich aus, so ist in der ersten
Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des
Auszahlungsbetrages grundsätzlich die Festsetzung zu sehen. Der Verwaltungsakt ergeht
durch konkludentes Verhalten, indem Entscheidung der Familienkasse und Ausführung
zusammenfallen.
Die Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes ist dabei nicht bloßer Realakt, sondern sie
bringt zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen
des Anspruchs auf das beantragte Kindergeld (die Steuervergütung) als der sachlogischen
Voraussetzung für die Auszahlung der beantragten Geldleistung zum Ausdruck. Denn der
objektivierte Erklärungsinhalt einer Auszahlung als Kindergeld ist die Erklärung der Behörde,
dass das Kindergeld in jener Höhe gewährt wird (vgl. FG Rheinland-Pfalz vom 24. April
1998 4 K 1755/97, juris; FG Münster vom 5. November 2009 11 K 4246/08 Kg, EFG
2010, 489).
Ob dies jedoch in allen Fällen gilt, also etwa auch dann, wenn der – objektivierte –
Empfänger darum weiß, dass ihm dieses Kindergeld überhaupt nicht zusteht, erscheint
fraglich. Der Senat kann diese Frage indessen offen lassen. Denn selbst wenn ein solches
Verhalten der Behörde (Auszahlung des Kindergeldes ohne ausdrücklichen Bescheid auf
Grund einer Antragstellung) einen Bescheid beinhaltet, so wäre ein solcher Verwaltungsakt
nach den allgemeinen Regeln korrigierbar.
Im Streitfall hat der Senat keine Zweifel, dass sich eine Korrekturmöglichkeit ohne weiteres
aus § 129 AO ergeben würde. Nach dieser Regelung kann die Finanzbehörde Schreibfehler,
Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines
Verwaltungsaktes unterlaufen, jederzeit berichtigen. Die Korrektur eines mechanischen
Fehlers, wie er im Streitfall festzustellen ist, dürfte als „klassisch“ im Sinne dieser Regelung
verstanden werden (BFH vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BStBl II 1998, 535). Denn es
ist aufgrund der Aktenlage – der Beklagte ging eindeutig davon aus, dass der Klägerin
gegen ihn kein Anspruch auf Kindergeld zustehe – ausgeschlossen, dass dem Verhalten der
Behörde tatsächliche oder rechtliche Überlegungen zugrunde gelegen haben.
Dieser Korrektur stand jedoch teilweise, nämlich für die Monate November und Dezember
1993, der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO
darf die Festsetzung einer Steuervergütung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr
aufgehoben werden. Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt grundsätzlich
vier Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378
AO) fünf Jahre und im Falle der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zehn Jahre, vgl. § 169 Abs.
2 Satz 2 AO. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des
Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. die Steuervergütung entstanden ist. Da das
Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG monatlich gezahlt wird, begann die Festsetzungsfrist für
das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld somit mit
Ablauf dieses Kalenderjahres (für 1993 als mit Ablauf des 31. Dezember 2003)
Bei Zugrundelegung der regulären Festsetzungsfrist hat demzufolge die Festsetzungsfrist
hinsichtlich des Kindergeldes für das Jahr 1993 Ende 1997 geendet. Anhaltspunkte für eine
vorsätzliche Steuerhinterziehung (§ § 370 AO) hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken zu
Recht unter Hinweis darauf, dass die Klägerin keine unzutreffenden Angaben gemacht hat,
verneint. Auf die entsprechende Einstellungsverfügung vom 26. August 2008 (KiG, Bl. 31)
wird Bezug genommen. Die dort genannten Gründe greifen gleichermaßen auch für die
Frage des Vorliegens einer nur leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO). Denn auch eine
solche Steuerordnungswidrigkeit setzt bei nicht aktiver Begehung die Verletzung einer
Handlungspflicht durch Unterlassen voraus. Indessen braucht sich ein Betroffener allein
deswegen, dass er eine staatliche Vergünstigung - unberechtigt – entgegen nimmt, keinen
Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens gefallen lassen. Denn eine Handlungspflicht besteht
nicht.
Mithin war der Beklagte auf Grund des Eintritts der Festsetzungsverjährung gehindert, das
Handeln auch bezüglich der Monate November und Dezember 2003 zu korrigieren.
4.
Unrecht ausbezahlte Kindergeld nicht zurückfordert. Mit der Übernahme des
Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht zum 1. Januar 1996 richtet sich das
Verwaltungsverfahren allein nach der AO (BFH vom 21. Juli 2005 III S 19/04 (PKH), BFH/NV
2005, 2207). Diese enthält keine § 45 Abs. 2 SGB X entsprechende Vorschrift, nach der
das Vertrauen in den Bestand einer gewährten Leistung in der Regel schutzwürdig ist,
wenn der Begünstigte sie verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er
nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (BFH vom
30. Juni 2005 III B 9/05, BFH/NV 2005, 2007). Insoweit liegt auch keine Regelungslücke
vor, die durch analoge Anwendung des § 45 Abs. 2 SGB X zu schließen wäre. Der
Gesetzgeber ging bei der Systemumstellung des Familienleistungsausgleichs zum 1. Januar
1996 durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250)
davon aus, dass für das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld auch die für
Steuerbescheide geltenden Änderungsvorschriften der AO Gültigkeit haben würden (vgl.
BTDrucks 13/3084, S. 21). Er war nicht gehalten, eine dem § 45 Abs. 2 SGB X
entsprechende Vertrauensschutzregelung in das System steuerlicher Änderungs- und
Aufhebungsvorschriften aufzunehmen (st. Rspr. des BFH; vgl. BFH vom 19. November
2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357).
Im Übrigen vermag der Senat auch nicht nachzuempfinden, aus welchem Verhalten des
Beklagten die Klägerin einen besonderen Vertrauensschutz im Sinne der Verwirkung
geltend machen will. Sie hat – unbestritten – staatliche Leistungen unberechtigt in Empfang
genommen. Ob dies wissentlich geschah kann dahin stehen. Jedenfalls verdient sie, wenn
eine solche – unberechtigte – Zahlung zurück gefordert wird, keinen speziellen Schutz.
5.
auferlegt.
Zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung.
Der Senat hielt eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid für angezeigt.