Urteil des FG Saarland vom 06.02.2003

FG Saarbrücken: familie, haushalt, steuervergütung, eltern, pflegekind, unterbringung, heimpflege, sammlung, zusammenleben, abgabenordnung

FG Saarbrücken Urteil vom 6.2.2003, 2 K 212/01
Kein Kindergeldanspruch eines Pflegekindes bei Betreuung durch eine professionelle
Pflegestelle bzw. bei Betreuung aufgrund erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit
Leitsätze
Bei einem zu 100 v. H. behinderten Kind, das in einem sog. heilpädagogi-schen Pflegenest
betreut und später bis zur Bereitstellung eines Heimplat-zes erneut in den Haushalt
aufgenommen wird, liegt ein Pflegekind-schaftsverhältnis nicht vor, wenn die Ehefrau des
Steuerpflichtigen eigens für die Betreuung des Kindes angestellt und entlohnt wird und für
die Zeit der späteren Haushaltsaufnahme vom Träger der Sozialhilfe nicht uner-hebliche
finanzielle Zuwendungen erhält.
Tatbestand
Der Kläger hat am 13. August 2000 beim Beklagten die Festsetzung von Kindergeld für
den zu 100 v.H. behinderten autistischen A.B. (* 10. Januar 1983) als Pflegekind
beantragt, das seit dem 20. Juni 2000 in seinem Haushalt lebe.
Der Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom 13. Oktober 2000 mit der Begründung
abgelehnt, ein Pflegekindschaftsverhältnis liege nicht vor, weil A. nicht mit dem Kläger
durch ein familienähnliches auf längere Dauer berechnetes Band verbunden sei. A. befinde
sich seit dem 5. September 2000 (wieder) in Heimpflege.
Der am 19. Oktober 2000 beim Beklagten eingegangene Einspruch des Klägers wurde mit
Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2001 als unbegründet zurückgewiesen. Am 7. August
2001 hat der Kläger seine Klage beim Beklagten angebracht.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Oktober 2000 in Form der
Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2001 Kindergeld für A.B. ab Juni
2000 festzusetzen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: A. lebe seit dem 1. August 1988 in der
Familie des Klägers. Dieses Zusammenleben habe zwar auf der Grundlage eines
"professionellen Pflegenestes" begonnen, daraus seien jedoch Beziehungen entstanden, die
einem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechen würden. Diese Tatsache habe auch das
Jugendamt ... anerkannt und am 13. Juli 2000 eine Pflegeerlaubnis gemäß § 44 Kinder- und
Jugendhilfegesetz - KJHG - erteilt. Mit der Volljährigkeit sei ihnen die Personensorge für A.
übertragen worden. A. halte sich jedes Wochenende und in seinen gesamten Ferien in der
Familie auf, ebenso im Krankheitsfall.
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung im Übrigen trägt er vor, A. habe sich
seit 13. Mai 1988 bis zum 20. Juni 2000 sowie seit dem 5. September 2000 in Heimpflege
befunden. Der Aufenthalt in der Familie des Klägers seit Juni 2000 sei von vornherein nur
vorübergehender Natur gewesen, nämlich bis zur Bereitstellung eines neuen Heimplatzes.
Es fehle zumindest an dem nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz - EStG -
geforderten familienähnlichen, auf längere Dauer berechneten Band. Bei dem "Pflegenest"
habe es sich um eine gewerbsmäßige Betreuung durch die Ehefrau des Klägers gehandelt,
die dazu vom ...-Haus als Erzieherin angestellt und entlohnt worden sei.
Mit Beschluss des Vorsitzenden vom 8. August 2002 sind die leiblichen Eltern des Kindes
sowie die Kreisverwaltung ... zu dem Verfahren beigeladen worden. Die Beigeladenen
haben sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogene
Verwaltungsakte des Beklagten Nr. ... und das Protokoll der mündlichen Verhandlung
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Seit dem 1. Januar 1996 wird das Kindergeld im laufenden Kalenderjahr als
Steuervergütung monatlich gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Nach § 155 Abs. 4
Abgabenordnung - AO - sind die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die
Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden. Als Steuervergütung
unterliegt das Kindergeld uneingeschränkt den steuerlichen Verfahrensvorschriften nach
der Abgabenordnung, soweit nicht die Sonderregelungen des Abschnitt X des EStG (§§ 67
bis 78) anzuwenden sind (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschlüsse vom 27. Juli 1999 VI S
13/99, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [bis
einschließlich 1997] / Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [seit 1998] -
BFH/NV - 2000, 39, und vom 14. Juli 1999 VI B 89/99, BFH/NV 1999, 1597), was
vorliegend nicht der Fall ist.
Beim Kindergeld werden auch Pflegekinder berücksichtigt (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §
32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Das sind nach der Legaldefinition in der letztgenannten Vorschrift
"Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer
berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und
das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige
sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält".
2. Wegen der besonderen Umstände des Falles ist der Senat nicht zu der für eine
Entscheidung zugunsten des Klägers erforderlichen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1
Finanzgerichtsordnung - FGO -) gelangt, dass A. in einem Pflegekindschaftsverhältnis im
vorstehenden steuerlichen Sinne zu dem Kläger steht.
Zwar gehört A. seit August 1988 zum Haushalt des Klägers, doch beruhte dieses
Zusammenleben "im Rahmen der stationären Unterbringung in einem heilpädagogischen
Pflegenest der Einrichtung ...-Haus." A. war also ab dem damaligen Zeitpunkt im Rahmen
einer "professionellen Pflegestelle" in der Familie des Klägers untergebracht. "In dieser Zeit
wurde A.B. - im Rahmen einer Hilfemaßnahme im ...-Haus Neunkirchen - vom Sozialamt ...
finanziert. Frau X-Y (sc. die Ehefrau des Klägers) wurde als Erzieherin vom ...-Haus
beauftragt, A. in ihrer Familie zu betreuen und wurde vom ...-Haus als Erzieherin angestellt
und bezahlt" (Zitate aus dem Schreiben des Klägers vom 25. Januar 2001). Dieses
berufliche Betreuungsverhältnis bestand bis Ende September 1999. Am 16. September
1999 war A. in die Erwachsenenpsychiatrie ... eingewiesen worden; die Kreisverwaltung ...,
der Kostenträger der Maßnahme, hat dann die Zahlungen an das ...-Haus zum 1. Oktober
1999 eingestellt (Schreiben des Klägers vom 17. Oktober 2000).
Nach Beendigung des dortigen Aufenthalts lebte A. vom 20. Juni bis 4. September 2000 im
Haushalt des Klägers, wobei diese Unterbringung nach Auskunft des Sozialamts der
beigeladenen Kreisverwaltung ... von vornherein als eine vorübergehende gedacht war, bis
für A. ein neuer Heimplatz gefunden war.
Für den Zeitraum vom 20. Juni bis 4. September 2000 hat die Kreisverwaltung der Ehefrau
des Klägers die folgenden monatlichen Leistungen zugebilligt (Schreiben vom 4. Dezember
2000):
Kost gem. Sachbezugsverordnung aufgerundet 400,00 DM
Unterkunft gem. Sachbezugsverordnung aufgerundet 300,00 DM
Barbetrag für Martin zur Abgeltung kultureller
Bedürfnisse, Körperpflege, Instandhaltung
von Schuhen, Kleidung und Wäsche usw.
(bis 31. August 2000) 131,50 DM*14 831,50 DM
Daneben erstattete die Kreisverwaltung angefallene Fahrtkosten zur Therapieambulanz
(0,41 DM/km). Der Betreuungsaufwand war aufgrund des von der BKK BOGE für A.
gezahlten Pflegegeldes abgedeckt (Abrechnung der Kreisverwaltung vom 4. Dezember
2000).
Im Hinblick darauf, dass die Ehefrau des Klägers eigens für die Betreuung von A. angestellt
und entlohnt wurde und sie für die Zeit der Haushaltsaufnahme vom 20. Juni bis 4.
September 2000 von der Kreisverwaltung für ihre Tätigkeit finanzielle Zuwendungen
erhielt, ist von einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen (gleicher Ansicht für sog.
Pflegenestfamilien: Finanzgericht - FG - Köln, Urteil vom 10. Juni 1999 2 K 6655/98,
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 78; Revision VIII R 77/99; Greite in Korn,
Einkommensteuergesetz, § 32 Rz. 16). Ein Pflegekindschaftsverhältnis im steuerrechtlichen
Sinne kann somit nicht bejaht werden.
3. Nach alledem erweist sich die Klage in vollem Umfang als unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Den Beigeladenen, die sich zum Verfahren nicht geäußert und keine Anträge gestellt
haben, waren keine Kosten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 3 FGO). Solche sind ihnen auch nicht
zu erstatten (§ 139 Abs. 4 FGO).
Im Hinblick auf das Revisionsverfahren VIII R 77/99 erschien es dem Senat angemessen,
die Revision gemäß § 115 Abs. 1 und 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.