Urteil des FG Saarland vom 14.05.2004

FG Saarbrücken: vollziehung, arbeitslohn, aussetzung, dienstverhältnis, härte, vorschuss, darlehensvertrag, form, vorauszahlung, verzinsung

FG Saarbrücken Beschluß vom 14.5.2004, 1 V 56/04
Beurteilung von Zahlungen an Arbeitgeber als Lohnzahlung oder als Darlehenszahlung
Leitsätze
Zahlt ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern während schwebender Tarifverhandlungen im
Zuge der "Verdienstabrechnung" für den November zusammen mit dem laufenden Lohn
einen als "Sonderzahlungsvorschuss" bezeichneten Betrag aus, der seiner Höhe nach und
nach dem Zahlungszeitpunkt der Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) des Vorjahres
entspricht, so handelt es sich hierbei nicht um die Auszahlung eines Arbeitgeberdarlehns,
sondern um eine vorläufige Lohnzahlung.
Tatbestand
I. Die Antragstellerin hat für den Monat November 2002 für 3.707 Arbeitnehmer
Lohnsteuer i.H.v. 2.335.022,41 EUR angemeldet. Für November 2003 hat sie für 4.142
Arbeitnehmer Lohnsteuer i.H.v. 1.467.232,22 EUR angemeldet (Bl. 15, 3 Rbh). Der
Antragsgegner schätzte daraufhin die Grundlagen der Lohn- und Kirchensteuer für
November 2003 und erließ am 9. Februar 2004 einen dementsprechenden Bescheid (Bl.
17 ff. Rbh). Der Grund der Abweichung bestand - wie sich im Zuge der weiteren
Ermittlungen ergab - darin, dass an einen Teil der Arbeitnehmer der Antragstellerin statt
des Weihnachtsgeldes ein als "Sonderzahlungsvorschuss" bezeichneter Betrag ausgezahlt
worden ist, den die Antragstellerin nicht der Lohnsteuer unterworfen hat (Bl. 50, 51). Der
"Sonderzahlungsvorschuss" entsprach nach Höhe und Auszahlungszeitpunkt dem
Nettobetrag des im Vorjahr ausgezahlten Weihnachtsgeldes (Bl. 10, 67).
Am 18. Februar 2004 legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die
Aussetzung der Vollziehung. Durch Bescheid vom 27. Februar 2004 lehnte der
Antragsgegner den Aussetzungsantrag ab (Bl. 24, 51 Rbh.). Über den Einspruch ist noch
nicht entschieden. Nach einer Durchsuchung in den Geschäftsräumen der
Abrechnungsstelle der "X-Gruppe" hat der Antragsgegner am 12. März 2004 einen
Teilbetrag i.H.v. 684.159,70 EUR von der Vollziehung ausgesetzt (Bl. 54 ff. Rbh).
Am 5. März 2004 beantragte die Antragstellerin bei Gericht sinngemäß (Bl. 1, 14 ff., 79),
die Vollziehung des Bescheids über Lohnsteuer und
Kirchensteuer für den Monat November 2003 vom 9.
Februar 2004 (StNr. 000/000/00000) bis einen Monat
nach Ergehen der Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Soweit das Finanzamt zwischenzeitlich die Aussetzung der
Vollziehung gewährt hat, wird der Antrag eingeschränkt
und die Sache insoweit für erledigt erklärt.
Nach dem als Anlage 1 beigefügten Musterarbeitsvertrag habe der Arbeitnehmer keinen
Anspruch auf Weihnachtsgeld. Allerdings verweise der Vertrag in § 13 auf einen
Tarifvertrag zwischen der B gGmbH in Rheinland-Pfalz und der ÖTV Rheinland-Pfalz. Nach
diesem Tarifvertrag bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Weihnachtsgeld. Von daher sei
das Unternehmen in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass auch ein
Weihnachtsgeldanspruch bestehe. Tatsächlich bestehe ein solcher Anspruch auf
Weihnachtsgeld aber nicht, wie sich aus der Entscheidung des Arbeitsgericht X, vom 5.
Dezember 2002 0 Ca 000/01 ergebe (Bl. 9, 18 ff., 30 ff.). Der Arbeitsvertrag gemäß dem
als Anlage 2 beigefügten Muster enthalte ebenfalls keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld.
Gemäß § 30 des Vertrags würden Sonderzuwendungen freiwillig gewährt. Es bestehe kein
Rechtsanspruch (Bl. 9, 22 ff.).
Da sich das Unternehmen in Tarifvertragsverhandlungen mit den Gewerkschaften
befunden habe, habe es beschlossen, den Arbeitnehmern, die insofern keinen Anspruch
hätten, im Jahr 2003 auch kein Weihnachtsgeld zu zahlen. Um jedoch soziale Härten und
Unruhe unter den Arbeitnehmern zu vermeiden, sei diesen Mitarbeitern eine Zahlung
geleistet worden, die der bisherigen Netto-Weihnachtsgeldzahlung entsprochen habe. In
verschiedenen Mitarbeiterinformationen (Anlage 4 und 5) sei den Mitarbeitern jedoch
mitgeteilt worden, dass es sich um Zahlungen handele, die zurückzuzahlen seien, sofern es
nicht in absehbarer Zeit zu einer Einigung über einen Tarifvertrags kommen würde, der ggf.
nachträglich zu einem Weihnachtsgeldanspruch aller Mitarbeiter für das Jahr 2003 führen
könnte (Bl. 10, 35 f., 37 ff.).
Es sei nicht entscheidend, ob bereits zum Zahlungszeitpunkt eine Darlehensvereinbarung
getroffen worden sei. Vielmehr sei ausschlaggebend, ob es sich um eine Lohn- bzw.
Lohnvorschusszahlung handele. Beides sei hier nicht der Fall, da seitens der Arbeitnehmer
weder zum Zahlungszeitpunkt noch später ein Anspruch auf Weihnachtsgeld bestanden
habe. Von daher sei die Zahlung - wenn kein konkludent abgeschlossener Darlehensvertrag
unterstellt werden könne - ohne Rechtsgrund erfolgt (§§ 812 ff. BGB). Eine Zahlung ohne
Rechtsgrund könne nicht lohnsteuerpflichtig sein (Bl. 3).
Der Antragsgegner habe über den Aussetzungsantrag entschieden, ohne die angekündigte
Stellungnahme zur Höhe der Lohnsteuer abzuwarten. Es sei eine Frist bis zum 10. März
2004 beantragt worden, da die Lohnsteuer für mehrere 100 Mitarbeiter habe
nachkalkuliert werden müssen (Bl. 3). Bei einer Lohnsteuerpflicht des
"Sonderzahlungsvorschusses" ergebe sich eine Lohnsteuer von 2.107.587,03 EUR,
während der angegriffene Bescheid eine Lohnsteuer von 2.630.170 EUR ausweise.
Entsprechend niedrige Beträge würden sich für die sonstigen Abzugsteuern ergeben (Bl. 47
ff.).
Für die Frage der Lohnsteuerpflicht sei abzugrenzen, ob es sich bei den
"Sonderzahlungsvorschüssen" um Lohnvorschüsse oder um Darlehen handele. Die
Abgrenzung habe - steuerlich und zivilrechtlich - nicht nach der Bezeichnung der Zahlung,
sondern nach den objektiven Umständen zu erfolgen (Bl. 76 f.). Lohnvorauszahlungen
würden auf zukünftig fällig werdende Lohnansprüche geleistet; es werde lediglich der
Auszahlungszeitpunkt variiert. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Überzahlung mit der
Lohnzahlung des nächsten Abrechnungszeitraums verrechnet werden solle oder wenn
feststehe, dass der Arbeitnehmer in einem der nächsten Abrechnungszeiträume einen der
überobligatorischen Zahlung entsprechenden Lohnanspruch erwerbe (RFH vom 8.
November 1933, RStBl. 1934, 297, 298; FG Münster vom 26. Juni 1971, EFG 1972, 41).
Dagegen spreche es für ein Darlehen, wenn der gezahlte Betrag erst nach Ablauf von
weiteren Lohnzahlungszeiträumen oder ratenweise zurückgezahlt werden solle. Eine
solche, aus den äußeren Umständen zu entnehmende Darlehensgewährung liege auch vor,
wenn der Zahlung kein ausdrücklicher Darlehensvertrag zugrunde liege. Dies gelte selbst
dann, wenn die Zahlungen zwischen den Beteiligten als Vorschüsse bezeichnet würden (Bl.
77).
Die objektiven Umstände würden vorliegend für ein Darlehen sprechen. Denn zum
Zeitpunkt der Auszahlung sei offen gewesen, ob den Arbeitnehmern nach Abschluss der
Tarifverhandlung ein Anspruch auf Zahlung einer Sonderzuwendung zustehen würde. Die
Rückzahlung oder ggf. Verrechnung der geleisteten Zahlung sollte jedenfalls erst nach
Ablauf von einigen Monaten erfolgen. Die Antragstellerin habe in den erläuternden
Mitarbeiterrundschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich mangels eines
Rechtsanspruches bei der geleisteten Zahlung um die Ausreichung eines
Arbeitgeberdarlehens gehandelt habe (Anlagen 4 und 5 zum AdV-Antrag vom 17. Februar
2004). Die Klägerin habe bewusst einen vorläufigen Verzicht auf die Verzinsung erklärt (vgl.
§ 488 Abs. 3 S. 3 BGB), soweit das Darlehen bis zum 31. Dezember 2004 zurückgezahlt
werden würde. Auch wenn zum Zeitpunkt der Auszahlung noch keine ausdrückliche
Darlehensvereinbarung vorgelegen habe, würden die Zahlungen das konkludente Angebot
auf Abschluss eines entsprechenden Vertrags zwischen den Parteien des
Arbeitsverhältnisses darstellen (Bl. 78).
Die Zahlung sei - wie sich aus dem Schreiben von Anfang Februar 2004 ergebe - unter der
aufschiebenden Bedingung gewährt worden, dass die Arbeitnehmer als Empfänger in den
angebotenen Darlehensvertrag einwilligten. Im Falle der Ablehnung des Angebots sollten die
Arbeitnehmer zur unverzüglichen Rückerstattung verpflichtet sein. Hätte die Antragstellerin
die Zuwendungen als Arbeitslohn verstehen wollen, hätte sie ihre Verhandlungsposition in
den Tarifverhandlungen geschwächt. Die Intention der Antragstellerin sei vielmehr dahin
gegangen, den betrieblichen Frieden trotz der noch laufenden Tarifverhandlungen durch die
angebotene zinslose Darlehensgewährung zu wahren (Bl. 78 f.).
Der Antragsgegner beantragt (Bl. 64),
den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet
abzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen.
Am 8. März 2004 seien beim Antragsgegner die Ermittlungsergebnisse der
Steuerfahndung eingegangen (Rbh-Akte Bl. 54-55). Diese habe bei einer Durchsuchung der
Geschäftsräume der für die Antragstellerin tätigen Abrechnungsstelle festgestellt, dass bei
der Ermittlung der Löhne für November 2003 in der Datenverarbeitung zunächst ein
Rechenlauf durchgeführt worden sei, bei dem für alle entsprechenden Arbeitnehmer das
Weihnachtsgeld - wie in den Vorjahren üblich - ermittelt und versteuert worden sei.
Anschließend sei ein zweiter Rechenlauf durchgeführt worden, in dem der im ersten
Rechenlauf ermittelte Nettobetrag des Weihnachtsgeldes als "Sonderzahlungsvorschuss"
ausgewiesen und netto ausbezahlt worden sei. Die sich bei der Versteuerung der
"Sonderzahlungsvorschüsse" ergebenden Lohnsteuerbeträge habe die Steufa in einer
gesonderten Aufstellung den tatsächlich angemeldeten Beträgen entgegen gestellt. Die von
der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 10. März 2004 vorgelegte Ermittlung für den
Lohnsteuerabzug bei Steuerpflicht der Sonderzahlungsvorschüsse entspreche genau den
bereits von der Fahndung ermittelten Beträgen. Der Antragsgegner habe daher für die
Differenz zwischen den ursprünglich geschätzten und den von der Fahndung festgestellten
Beträgen durch Bescheid vom 12. März 2004 (rückwirkend zum 8. März 2004)
Aussetzung der Vollziehung gewährt (Bl. 66).
Gemäß § 19 Abs. 1 EStG und § 2 LStDV seien Arbeitslohn grundsätzlich alle Einnahmen in
Geld oder Geldeswert, die durch ein individuelles Dienstverhältnis veranlasst seien. Ein
Veranlassungszusammenhang zwischen Einnahmen und einem Dienstverhältnis sei
anzunehmen, wenn die Einnahmen dem Empfänger nur mit Rücksicht auf das
Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag seiner nichtselbständigen Arbeit darstellen
würden. Die letztgenannte Voraussetzung sei erfüllt, wenn die Einnahmen im weitesten
Sinne die Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft seien
(vgl. BFH vom 11. März 1998, BStBl. II 1998, 726; vom 9. März 1990, BStBl. II 1990,
711). Es sei unerheblich, wie die Einnahmen bezeichnet und in welcher Form sie geleistet
würden. Zum Arbeitslohn würden auch Einnahmen gehören, auf die kein Rechtsanspruch
bestehe (§ 19 Abs. 1 S. 2 EStG). Die tatsächliche Veranlassung der Einnahmen durch das
Dienstverhältnis sei ausreichend und ein rechtlicher Zusammenhang nicht erforderlich (BFH
vom 28. Februar 1975, BStBl. II 1975, 520). Zum Arbeitslohn i.S.d. § 2 LStDV gehörten
somit auch Vorschüsse auf später fällig werdenden Arbeitslohn. Solche Vorschüsse würden
gemäß § 39b EStG dem Lohnsteuerabzug unterliegen und zwar unabhängig davon, ob es
sich um Vorschüsse auf laufenden Arbeitslohn oder auf sonstige Bezüge handele (R 115
Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 Nr. 8 LStR 2003).
Auch soweit kein tariflicher oder arbeitsvertraglicher Anspruch auf eine solche Zahlung
bestanden habe, könne dieser Vorgang nur als Vorauszahlung auf eine ggf. noch endgültig
festzulegende freiwillige Weihnachtsgeldzahlung verstanden werden. Insbesondere vor dem
Hintergrund der in den Vorjahren geübten Praxis der Entlohnung werde offensichtlich, dass
der Sonderzahlungsvorschuss als Gegen-leistung für die individuelle Arbeitskraft entrichtet
worden sei (Bl. 67).
Der "Sonderzahlungsvorschuss" sei kein Arbeitgeberdarlehen. Anhaltspunkt für ein Darlehen
sei regelmäßig, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen die jeweiligen
Lohnzahlungen weit übersteigenden Betrag überlasse und der Arbeitnehmer diesen Betrag
in Raten an den Arbeitgeber zurückzahlen müsse. Ferner sei der Wille der Beteiligten zu
beachten. Die Annahme eines Darlehens setze zivilrechtlich eindeutige Vereinbarungen
über die Laufzeit bzw. über die Höhe und Fälligkeit von Tilgungsraten sowie über die
Verzinsung voraus. Würden solche Vereinbarungen fehlen, so liege im Zweifel kein
Darlehen, sondern eine Vorschuss- oder Abschlagszahlung vor, selbst wenn u.U. der
Arbeitnehmer nach der Endabrechnung eine Rückzahlung leisten müsse. Bei Auszahlung
des "Sonderzahlungsvorschusses" im November 2003 habe eine Darlehensvereinbarung
der Antragstellerin mit ihren Arbeitnehmern nicht bestanden. Die Auszahlung des
Vorschusses könne auch nicht als konkludenter Abschluss einer solchen Vereinbarung
angesehen werden. Es sei nicht erkennbar, dass von Seiten der Arbeitnehmer ein Wille
zum Abschluss eines Darlehensvertrages bestanden habe. Aus Sicht der Arbeitnehmer
habe die der Vorjahresübung entsprechende Auszahlung vielmehr nur als Vorauszahlung
auf das übliche Weihnachtsgeld verstanden werden können. Auch die im Januar bzw.
Februar 2004 ergangenen Mitarbeiterinformationen hätten die im Zahlungszeitpunkt
fehlende Vereinbarung über ein Darlehen nicht ersetzen können. Überdies lasse sich auch
aus der auf Januar 2004 datierenden Mitteilung trotz der Verwendung des Begriffes
"Arbeitgeberdarlehen" bei verständiger Würdigung nur entnehmen, dass den
Arbeitnehmern im Vorgriff auf eine tarifvertragliche Regelung ein Vorschuss auf die übliche
Sonderzahlung gewährt worden sei. Erst durch die Mitarbeiterinformation vom 2. Februar
2004 sei gegenüber den Arbeitnehmern die Rückforderung des Vorschusses geltend
gemacht und die Gewährung eines gleich hohen Darlehens in Aussicht gestellt worden.
Bereits aus dieser Verfahrensweise ergebe sich, dass die Beteiligten im Zeitpunkt der
Auszahlung des Sonderzahlungsvorschusses nicht von der Vereinbarung eines
Arbeitgeberdarlehens ausgegangen seien. Auch wenn die Zahlung ohne Rechtsgrund
erfolgt sein sollte, führe dies zu keiner anderen Betrachtungsweise (Bl. 67 f.).
Der Antragsgegner habe im Bescheid vom 9. Februar 2004 die unversteuerten Bezüge in
Anlehnung an die Lohnsteueranmeldung des gleichen Vorjahresmonats (umgerechnet auf
die Anzahl der Arbeitnehmer für November 2003) geschätzt. Die mit dieser Schätzung
einhergehende Unsicherheit gehe zu Lasten der Antragstellerin, da diese durch ihr
Verhalten Anlass zur Schätzung gegeben habe. Da sich durch die Prüfungsfeststellungen
der Steuerfahndungsstelle am 8. März 2004 Zweifel hinsichtlich der Höhe der geschätzten
Beträge ergeben hätten, sei rückwirkend zu diesem Zeitpunkt eine Aussetzung der
Vollziehung für den Unterschiedsbetrag zwischen den ursprünglich geschätzten und den
von der Steuerfahndung ermittelten Beträgen gewährt worden (Bescheid vom 12. März
2004). Der Antragstellerin seien die Kosten des Verfahrens gemäß § 137 FGO auch
insoweit aufzuerlegen (Bl. 68 f.).
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Akten des Antragsgegners Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II. Der nach § 69 Abs. 4 FGO zulässige Aussetzungsantrag ist unbegründet.
1. Voraussetzungen der AdV
Die Aussetzung der Vollziehung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung
für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung der Vollziehung kann von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (§ 69 Abs. 2 FGO).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides bestehen
dann, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit
sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände
zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage
oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die
Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h.
ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg
(ständige Rechtsprechung, grundlegend BFH vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BStBl. III 1967,
533; vom 28. November 1974 V B 52/73, BStBl. II 1975, 239).
Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegt vor, wenn durch die
sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen Nachteile drohen würden, die über die
eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gut zu machen sind,
oder wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet wäre. Eine
Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte ist jedoch nur dann vertretbar, wenn
zugleich auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen; sind
dagegen Zweifel fast ausgeschlossen, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht
zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (BFH v. 19. April 1968 IV
B 3/66, BStBl. II 1968, 538; v. 31. Januar 1967 VI 5 9/66, BStBl. III 1967, 255). Konkrete
Umstände, aus denen auf eine mögliche unbillige Härte oder gar eine Existenzbedrohung
hätte geschlossen werden können, sind weder vorgetragen noch aus den Akten erkennbar.
3. Keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit
Bei Durchführung einer summarischen Prüfung im vorgenannten Sinne bestehen an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides keine nennenswerten Zweifel. Die
streitigen Zahlungen sind Lohn-, keine Darlehenszahlungen.
a. Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer durch
Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer, § 38 Abs. 1 EStG). Der Arbeitnehmer ist
Schuldner der Lohnsteuer. Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der
Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 Abs. 2 EStG). Der Arbeitgeber hat die
Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn
einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG) und spätestens am 10. Tag nach dem Ablauf eines jeden
Lohnsteuer-Anmeldungszeitraumes beim Finanzamt anzumelden und an dieses abzuführen
(§ 41 a EStG). Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung gleich (§ 168 AO). Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
gehören u.a. Gehälter, Löhne, Gratifikationen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine
Beschäftigung gewährt werden. Es ist gleichgültig, ob es sich um laufende oder um
einmalige Bezüge handelt und ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (§ 19 Abs. 1 EStG).
Arbeitslohn sind alle Einnahmen , die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis
zufließen. Es ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form die
Einnahmen gewährt werden (§ 2 LStDV).
In Anlehnung an die weit gefassten gesetzlichen Grundlagen vertritt die Rechtsprechung
des BFH seit jeher auch einen extensiven Arbeitslohnbegriff. Arbeitslohn sind hiernach alle
Einnahmen eines Arbeitnehmers, die durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind
und damit beispielsweise auch Weihnachtsgeldzahlungen oder Vorauszahlungen auf
dieselben, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch darauf besteht oder unter welcher
Bezeichnung oder in welcher Form sie gewährt werden (z.B. BFH vom 9. März 1990 VI R
48/87, BStBl. II 1990, 712 m.w.N.). Nicht zum Arbeitslohn gehören dagegen
Darlehenszahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer. Ob eine Lohn- oder eine
Darlehenszahlung gewollt ist, ist nach den objektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zu
beurteilen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist die Entstehung der Lohnsteuer und
damit der Zufluss des Geldes beim Arbeitnehmer.
b. Die Arbeitnehmer haben von der Antragstellerin im Zuge der "Verdienstabrechnung" für
den November 2003 zusammen mit ihrem laufenden Lohn einen als
"Sonderzahlungsvorschuss" bezeichneten Betrag erhalten (s. Bl. 51), der seiner Höhe nach
und nach dem Zahlungszeitpunkt der Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) des Vorjahres
entsprochen hat. Weitere Erkenntnismöglichkeiten hatten die Arbeitnehmer zum
Zuflusszeitpunkt des Geldes nicht. Von daher mussten sie bei objektiver Betrachtung davon
ausgehen, dass es sich um einen Vorschuss auf die Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) des
Jahres 2003 handeln sollte. Die Zahlung als "Vorschuss" konnte darauf hindeuten, dass
wegen der noch schwebenden Tarifverhandlungen noch kein endgültiger Rechtsanspruch
auf diesen Betrag bestehen sollte, so dass der Arbeitnehmer damit rechnen musste, dass
dieser Betrag bei Scheitern der Verhandlungen (ggf. durch Verrechnung mit späteren
Lohnzahlungen) u.U. wieder zurückzuzahlen sei. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es
sich hierbei um einen Arbeitslohnbestandteil gehandelt hat. Der Antragsgegner hat auf S. 4
f. seines Schriftsatz vom 30. März 2004 (Bl. 67 f.) zu Recht ausgeführt, dass dieser
Zahlungsvorgang nur als Lohnbestandteil, nicht als davon unabhängige
Darlehensauszahlung verstanden werden konnte. Hieran können die unstreitig erst im Jahre
2004 herausgegebenen Mitarbeiterinformationen, auf die sich die Antragstellerin beruft -
unabhängig von ihrem Inhalt und dem Umstand, dass es sich um einseitige Erklärungen
des Arbeitgebers handelt - nichts ändern. Die Antragstellerin selbst weist zu Recht darauf
hin, dass es schon aus praktischen Gründen nicht möglich gewesen ist, mit einer so großen
Zahl von Arbeitnehmern individuelle Verhandlungen über die Gewährung eines Darlehns
und dessen Konditionen zu verhandeln.
Die Deutung der Antragstellerin, die (konkludent aufschiebend bedingte) Zahlung der
streitigen Beträge als "Sonderzahlungsvorschuss" beinhalte das konkludente Angebot des
Arbeitgebers auf Abschluss eines Darlehnsvertrages, das der Arbeitnehmer konkludent
dadurch angenommen habe, dass er den Betrag nicht umgehend an seinen Arbeitgeber
zurücküberwiesen habe, erscheint dem Senat mehr als lebensfremd. Aufgrund der oben
dargestellten objektiven Gegebenheiten erscheint es ausgeschlossen, dass die
Arbeitnehmer die streitige Zahlung nach §§ 133, 157 BGB als Willenserklärung verstehen
mussten, die auf den Abschluss eines Darlehensvertrages gerichtet gewesen sein soll.
Hierdurch wäre im Gegenteil die betriebliche Unruhe entstanden, die die Antragstellerin
ihrem eigenen Vortrag zu Folge durch die Sonderzahlung eigentlich hatte vermeiden wollen.
Zudem ist es völlig unüblich, dass eine Darlehnsumme (überdies aufschiebend bedingt)
ausgezahlt wird, bevor nicht die Konditionen des Darlehns klar und eindeutig vereinbart
worden sind. Von diesen Konditionen wiederum - sofern sie festgestanden haben sollten -
konnten die Arbeitnehmer zum Zuflusszeitpunkt offenbar keine Kenntnis gehabt haben.
4. Nach alledem war der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Kostentragungspflicht obliegt der
Antragstellerin auch bezüglich des Teils des streitigen Betrages, den der Antragsgegner
durch Verfügung 12. März 2004 im Zuge des anhängigen Verfahrens ausgesetzt hat. Der
Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Änderung auf Tatsachen beruht hat, die
die Antragstellerin früher hätte geltend machen können und sollen (§§ 138 Abs. 2 S. 2,
137 S. 1 FGO). Der Antragsgegner war bei den sich nach Aktenlage ergebenden
Widersprüchen zwischen den Lohnsteueranmeldungen für November 2002 und 2003
zweifelsfrei zur Schätzung befugt. Die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu
beanstanden. Die Antragstellerin hat in ihrer Einspruchsschrift vom 17. Februar eine
Stellungnahme zur Höhe der Lohnsteuer bis zum 10. März 2004 in Aussicht gestellt. Diese
einseitige Fristsetzung für einen Aspekt, auf den sich die Antragstellerin zudem nur
hilfsweise berufen hat, hat keine Bindungswirkung für den Antragsteller, der im
Lohnsteueranmeldungsverfahren zu zügigem Handeln aufgerufen ist. Überdies hat sich bei
den Ermittlungen der Steuerfahndung, auf denen schließlich die Daten zur teilweisen
Aussetzung beruht haben, herausgestellt, dass die fraglichen Zahlen nicht - wie die
Antragstellerin vorträgt - in mühevoller Kleinarbeit, sondern durch zwei relativ problemlose
Computerdurchläufe feststellbar waren.
Die Entscheidung ergeht endgültig nach § 128 Abs. 3 FGO. Eine Zulassung der
Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO kam nicht in Betracht.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft.