Urteil des FG Saarland vom 20.04.2010

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FG Saarbrücken Entscheidung vom 20.4.2010, 2 K 1179/09
Jahresgrenzbetragsermittlung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG: trotz fehlender Bindung an
Einkommensteuerbescheid Übernahme von Vereinfachungsregelungen im
Kleinbetragsbereich
Leitsätze
Bei der Berechnung des Grenzbetrages ist auch ohne gesonderten Nachweis ein Betrag
von 16 Euro jährlich für Kontoführungsgebühren als beruflich bedingte Werbungskosten des
Kindes bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
Tenor
Unter Aufhebung des Bescheides vom 19. November 2008 in Form der
Einspruchsentscheidung vom 30. März 2009 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin
Kindergeld für ihre Tochter L für die Zeit von Januar bis September 2007 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Der Gerichtsbescheid ist, soweit er als Urteil wirkt, hinsichtlich der Kosten vorläufig
vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter der am 16. März 1986 geborenen Tochter L (KiG, Bl. 48). Die
Klägerin streitet mit der Beklagten um die Berechtigung zum Erhalt von Kindergeld für die
Zeit von Januar bis September 2007.
Am 1. Oktober 2008 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld für L
(KiG, Bl. 48), die im genannten Zeitraum eine Ausbildung zur Krankenpflegerin im Klinikum
M. absolvierte. Die Ausbildung endete zum 30. September 2007. Ausweislich der
vorgelegten Lohnsteuerbescheinigung (KiG, Bl. 54) betrug der Bruttoarbeitslohn von L in
der Zeit bis zum Ausbildungsende 8.294,21 Euro. Die Beklagte errechnete für L
anzusetzende Einkünfte von 5.932,25 Euro, die damit über dem (anteiligen) Grenzbetrag
von 5.760 Euro lagen (KiG, Bl. 66).
Mit Bescheid vom 19. November 2008 (KiG, Bl. 66) lehnte die Beklagte die Bewilligung des
Kindergeldes ab. Hiergegen legte die Klägerin am 12. Dezember 2008 Einspruch ein (KiG,
Bl. 68), den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 2009 als unbegründet
zurückwies (KiG, Bl. 72).
Am 4. Mai 2009 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1).
Die Klägerin beantragt (sinngemäß, Bl. 2), ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 19.
November 2008 in Form der Einspruchsentscheidung vom 30. März 2009 Kindergeld für L
für die Zeit von Januar bis September 2007 zu gewähren.
Die Klägerin macht geltend (Bl. 28 ff.), der Beklagte verweigere ihr zu Unrecht das
Kindergeld für L. Ls Einkünfte lägen unter dem anteiligen Grenzbetrag. L seien weitere
Werbungskosten, u.a. für die Reinigung der Arbeitskleidung, entstanden.
Die Beklagte beantragt (Bl. 10), die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der anteilige Grenzbetrag sei überschritten. Der
Einkommensteuerbescheid stelle insoweit keinen (bindenden) Grundlagenbescheid dar. Die
Klägerin sei gehalten, jedwede Aufwendung nachzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein
Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter L für die Zeit von Januar bis September 2007 zu.
Der angefochtene Bescheid ist deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten.
1. Rechtsgrundlagen
Unter weiteren - hier nicht streitigen - Voraussetzungen hat der Kinder-geldberechtigte
Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des
Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als
7.680 Euro im Kalenderjahr hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Der Grenzbetrag ermäßigt sich
nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen für die
Bewilligung von Kindergeld nicht vorgelegen haben, um ein Zwölftel.
Die Familienkasse und nachfolgend das Finanzgericht haben die Höhe der Einkünfte des
Kindes selbständig und ohne Bindung an den Inhalt eines für das Kind ergangenen
Einkommensteuerbescheids zu ermitteln (BFH vom 23. November 2001 VI R 125/00,
BStBl II 2002, 296). Kindergeldberechtigte und ihre volljährigen Kinder haben insoweit
gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes besondere
Mitwirkungspflichten, u.a. im Hinblick auf die Substantiierung und den Nachweis der
Einnahmen, Bezüge, Werbungskosten und der ausbildungsbedingten Aufwendungen (BFH
vom 22. Februar 2007 III B 70/05, BFH/NV 2007, 1083).
Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert -je nach Einkunftsart als
Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten.
Aufwendungen für Kleidung (inklusive deren Reinigung) sind ebenso wie Aufwendungen für
Wohnung und Verpflegung grundsätzlich Kosten der Lebensführung und nach § 12 Nr. 1
Satz 2 EStG selbst dann nicht abzugsfähig, wenn sie zugleich der Förderung des Berufs
dienen (BFH vom 18. April 1991 IV R 13/90, BStBl II 1991, 751: Konzertkleider sowie
schwarze Hosen einer Instrumentalsolistin). Ein Abzug als Werbungskosten kommt gem. §
9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG jedoch in Betracht, wenn es sich bei der maßgeblichen Kleidung
um typische Berufskleidung handelt. Nach der Rechtsprechung des BFH liegt typische
Berufskleidung vor, wenn die berufliche Verwendungsbestimmung bereits in ihrer
Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion, wie z.B. bei Uniformen oder
durch dauerhaft angebrachte Firmenembleme, oder durch ihre Schutzfunktion - wie bei
Schutzanzügen, Arbeitsschuhen o.ä. - zum Ausdruck kommt (BFH vom 6. Juni 2005 VI B
80/04, BFH/NV 2005, 1792 m.w.N.: ausschließlich bei der Berufsausübung getragene
bürgerliche Kleidung eines Soldaten).
Zur typischen Berufskleidung gehört z.B. auch der weiße Arztkittel, der nicht wegen des
Bedürfnisses bekleidet zu sein, sondern zusätzlich zu der bürgerlichen Bekleidung getragen
wird. Eine weiße Hose stellt dagegen nicht ohne weiteres typische Berufskleidung dar. Allein
die weiße Farbe ist nicht geeignet, Kleidungsstücken den Charakter von Berufskleidung zu
verleihen (BFH vom 6. Dezember 1990 IV R 65/90, BStBl II 1991, 349, m.w.N.).
Ausnahmsweise kann die weiße Hose eines Arztes als Berufskleidung angesehen werden,
wenn die Kleidung wegen der Tätigkeit erhöhten hygienischen Anforderungen entsprechen
muss und die außerberufliche Verwendung einer derartigen Arbeitshose wegen ihres rein
funktionalen Charakters als ausgeschlossen erscheint.
2. Anwendung im Streitfall
Im Streitfall besteht zwischen den Beteiligten kein Streit über die anzusetzenden
Einnahmen. Streit besteht indessen beim Ansatz der Werbungskosten bei den Einkünften
der Tochter der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit. Insoweit leidet die Entscheidung der
Beklagten an der Verkennung der rechtlichen und auch der tatsächlichen Gegebenheiten.
Der Senat ist auf Grund der ihm zugänglichen Fakten – unabhängig von der Entscheidung
des Finanzamts Merzig im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2007 für L (Bl. 3) -
der Überzeugung, dass der Tochter der Klägerin entsprechende Aufwendungen entstanden
sind.
Der Senat vermag insbesondere den rigiden Standpunkt der Beklagten, bei der von L im
Rahmen ihrer Ausbildung im Krankenhaus getragenen Kleidung handele es nicht um
typische Berufskleidung, angesichts der strengen Hygienevorschriften im Krankenhaus nicht
nachvollziehen. Es dürfte der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen, dass es den dort
Beschäftigten – auch im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses – nicht erlaubt ist,
normale „Straßenkleidung“ zu tragen. Vielmehr erfordert diese Tätigkeit das Tragen
spezieller Berufskleidung, selbst wenn Teile derselben (Strümpfe, T-Shirts, Unterwäsche)
dem Erfordernis der so gut wie ausschließlichen beruflichen Nutzung nicht entsprechen
sollten. Dies gilt indessen nicht z.B. für speziell auf die berufliche Situation zugeschnittene
Kleidungsstücke (weiße Hose, Schuhe). Hier dürfte es so gut wie ausgeschlossen sein,
dass diese auch im privaten Bereich getragen werden. Insoweit erscheint es ohne weiteres
nachvollziehbar, dass L für die Reinigung dieser speziellen Berufskleidung ein monatlicher
Aufwand von 13 Euro entstanden ist, wie er nunmehr von der Klägerin geltend gemacht
wird (Bl. 40).
Der Senat kann des weiteren nicht nachvollziehen, dass die Beklagte sich gegen den
Ansatz von weiteren Werbungskosten (Kosten Fachliteratur: 18 Euro;
Kontoführungsgebühren: 12 Euro) sperrt, nachdem es auch diesbezüglich der
Lebenserfahrung entspricht, dass solch geringe Kosten anfallen. Insoweit verweist der
Senat darauf, dass hinsichtlich der Kontoführungsgebühren die Finanzverwaltung pauschal
16 Euro jährlich als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
anerkennt. Der von der Klägerin in Ansatz gebrachte Wert von 12 Euro entspricht anteilig
genau diesem Betrag (für neun Monate). Auch bei einer fehlenden Bindung an die im
Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung getroffenen Entscheidungen ist kein Grund
dafür erkennbar, dass die Kindergeldkassen im Falle eines unterbliebenen Nachweises
gehindert wären, sich einer Schätzung des Finanzamts jedenfalls im Kleinbetragsbereich
anzuschließen. Dies gilt letztlich auch für den weiteren von der Klägerin angesetzten Betrag
von 18 Euro für von L angeschaffte (und im Detail nicht nachgewiesene) Fachliteratur (Bl.
40). L absolvierte im Jahr 2007 ihre Abschlussprüfung als Krankenpflegerin. Dass ihr im
Zusammenhang mit dieser Prüfung berufsbezogene Aufwendungen entstanden sind, ist
evident (dazu auch Finanzgericht Saarland vom 22. Januar 2010 2 K 1336/08, n.v.; dazu
auch Finanzgericht München vom 28. Juni 2007 5 K 866/05, EFG 2007, 1614).
Umgekehrt erscheint eher fraglich, dass sich diese Ausbildungskosten ledig auf 18 Euro
belaufen haben sollen. Jedenfalls ist dem Ansatz des von der Klägerin angeführten Betrages
von 18 Euro aus Sicht des Senats nichts Ernsthaftes entgegen zu halten. Es erscheint
vielmehr sogar erforderlich, dass trotz der Tragweite der Ermittlung des Grenzbetrages,
bei dessen Überschreitung die Kindergeldzahlung verweigert und bei dessen
Unterschreitung Kindergeld bewilligt wird (sog. Fallbeil-Effekt), die Familienkassen sich nicht
generell der Anwendung im Steuerbereich praktizierter Vereinfachungsregelungen
verschließen. Letztlich verstößt eine solche Praxis gegen die Vorschrift des § 162 Abs. 2
Satz 1 AO, wonach eine Schätzung (selbst dann bzw. gerade dann) geboten ist, wenn der
Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, indem er etwa seiner
Nachweispflicht nicht entspricht.
Dies führt insgesamt zu folgender Berechnung der maßgeblichen Einkünfte von L (Bl. 25):
Bruttoarbeitslohn:
8.300,54 Euro
./. AN-Anteil Sozialversicherung
1.673,12 Euro
./. Fahrtkosten (172 x 14 x 0,30 Euro)
722,40 Euro
./. weitere Werbungskosten (Bl. 40)
147, - Euro
5.758,02 Euro
Der maßgebliche Grenzbetrag von 5.760 Euro (Bl. 26) ist damit ungeachtet der von der
Klägerin des Weiteren geltend gemachten Fahrtkosten (Ansatz von 185 statt 172 Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Bl. 40) unterschritten. Der Klägerin steht damit für
die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2007 Kindergeld zu.
3.
1 FGO aufzuerlegenden Verfahrenskosten beruht auf § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V. mit § 707
Nr. 10, 711 ZPO.
Für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO fehlte es an den gesetzlichen
Voraussetzungen.
Der Senat hielt eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid für angezeigt.