Urteil des FG Saarland vom 08.12.2010

FG Saarbrücken: vollziehung, bemessungsgrundlage, aussetzung, überwiegendes öffentliches interesse, erlass, vergleich, verwaltungsakt, gefährdung, vollzug, erfüllung

FG Saarbrücken Beschluß vom 8.12.2010, 2 V 1538/10
Keine Aussetzung der Vollziehung eines nach Anteilsvereinigung ergangenen
Grunderwerbsteuerbescheides trotz verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Ermittlung
der Bemessungsgrundlage wegen fehlenden Aussetzungsinteresses
Leitsätze
Die Aussetzung der Vollziehung eines GrESt-Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn die
ernstlichen Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aus verfassungsrechtlichen Bedenken gegen
die Bewertungsvorschriften des § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG resultieren
(entgegen FG Münster vom 4. August 2010 3 V 936/10 F, EFG 2010, 1917).
Tenor
Der Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I. Das Verfahren betrifft einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines
Grunderwerbsteuerbescheids.
Wie dem Senat aus einem anderen Verfahren bekannt ist, ist die Antragstellerin eine in L
ansässige Kapitalgesellschaft, die als Holdinggesellschaft etwa 400 Immobilien im
gesamten Bundesgebiet mittelbar über einen rund 200 Kapital- und
Personengesellschaften umfassenden Unternehmensverbund gehalten hat.
Durch Vertrag vom 2. Dezember 2008 wurden mindestens 95 % der Anteile an der
Antragstellerin in der Hand eines Gesellschafters vereinigt. Deswegen erließ das Finanzamt
X am 3. März 2010 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer, der unter anderem die Grundstücke A
und B in N betraf. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1
AO). Der Antragsgegner erhielt hierüber eine entsprechende Mitteilung. Daraufhin erließ der
Antragsgegner am 17. Juni 2010 einen Grunderwerbsteuerbescheid über 913.850 EUR,
den er auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG stützte und in dem er als Bemessungsgrundlage als
„Schätzwert: [die] Verkehrswerte lt. ges.[onderter] Festst.[ellung]“ ansetzte, „bis der
Wert nach § 138 BewG“ vorliege.
Hiergegen legte die Antragstellerin am 14. Juli 2010 Einspruch ein, über den der
Antragsgegner noch nicht entschieden hat. Gleichzeitig beantragte sie die Aussetzung der
Vollziehung. Am 10. August 2010 erließ der Antragsgegner einen geänderten
Grunderwerbsteuerbescheid über nunmehr 623.000 EUR erließ. Die Bemessungsgrundlage
schätzte er in Höhe des Einheitswerts von 9.966.00 DM. Den Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit seiner Verfügung unter Hinweis auf den
Senatsbeschluss vom 24. August 2010 2 V 1347/10 ab.
Am 30. September 2010 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung
der Vollziehung bei Gericht gestellt, mit dem sie die Aussetzung des angefochtenen
Grunderwerbsteuerbescheides begehrt.
Zur Begründung des Antrags trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, der
Grunderwerbsteuerbescheid sei rechtswidrig, weil verfassungsrechtliche Bedenken gegen
§ 8 Abs. 2 GrEStG, der für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage maßgeblich sei,
bestünden. Diese würden vom Bundesfinanzhof geteilt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts sei vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2
Satz 1 BewG zur Erfüllung der Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3
Abs. 1 GG strukturell ungeeignet. Denn dieses Verfahren führe im Einzelfall zu erheblichen
Wertdifferenzen. Die Streubreite der Bewertungsergebnisse verleihe der Bewertung etwas
Zufälliges und Willkürliches an, ohne dass dies als Folge einer zulässigen Typisierung
verfassungsrechtlich hinnehmbar sei. Diese Grundsätze gälten nicht nur für die Erbschaft-
und Schenkungsteuer, sondern auch für die Grunderwerbsteuer. Die Antragstellerin beruft
und Schenkungsteuer, sondern auch für die Grunderwerbsteuer. Die Antragstellerin beruft
sich auf ein besonderes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung. Ohne Aussetzung der
Vollziehung drohten ihr irreparable Schäden, da eine Vielzahl weiterer Grundstücke in
Deutschland betroffen sei. Diesem Aussetzungsinteresse stehe kein gleichwertiges
Interesse an einer geordneten Haushaltsführung entgegen. Denn die im Streitfall
maßgebliche Regelung des § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG beträfen nicht
sämtliche Grunderwerbsteuerfälle, sondern lediglich bestimmte Fallgestaltungen, so dass
die Grunderwerbsteuerfestsetzungen in ihrer Gesamtheit im Fall der
Vollziehungsaussetzung nicht wesentlich beeinträchtigt würden. Das Aussetzungsinteresse
sei auch nicht im Hinblick auf die möglichen Rechtsfolgenanordnungen des
Bundesverfassungsgerichts, insbesondere die Nichtigerklärung in einem etwaigen
Verfahren zur Frage der Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG nachrangig.
Außerdem ergebe sich die Rechtswidrigkeit des Bescheids daraus, dass er als
Bemessungsgrundlage für die festgesetzte Grunderwerbsteuer einen geschätzten Wert
von 17.800.000 EUR aufführe. Die Bemessungsgrundlage sei sowohl der Höhe nach als
auch im Hinblick auf die Herleitung und die Begründung falsch. Denn im Falle des vom
Antragsgegner angenommenen Erwerbstatbestands (§ 1 Abs. 3 GrEStG) bestimme sich
die Bemessungsgrundlage nach den Grundbesitzwerten. In dem angefochtenen Bescheid
gehe Antragsgegner jedoch von dem mit einem pauschalen Faktor vervielfältigten
Einheitswert aus. Es sei unbestritten, dass eine an Grundstückseinheitswerten bemessene
Besteuerung zu verfassungswidrigen Ergebnissen führe, die den teilweise erheblich
unterschiedlichen regionalen Entwicklungen nicht Rechnung trage. Hinzu komme, dass den
gemäß § 8 Abs. 2 GrEStG heranziehenden Bedarfswerten das Prinzip einer
Ertragsbewertung liege, während die Einheitswerte auf eine Art pauschalierter
Substanzbewertung zurückgehen. Die Heranziehung von Einheitswerten zur Schätzung
eines Bedarfswerts sei daher systematisch völlig ungeeignet.
Der Grunderwerbsteuerbescheid leide zudem unter einer unzureichenden Begründung, weil
der Antragsgegner keine klaren Angaben zu dem Lebenssachverhalt mache. Es fehle
nämlich eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Grundlagenbescheid des Finanzamts X
vom 3. März 2010. Außerdem stehe die Angabe zur Höhe der Bemessungsgrundlage im
Widerspruch zu der tatsächlich angesetzten. Insgesamt fehle eine Begründung im Sinne
des § 121 AO, zumal jegliche Ausführungen zu den Voraussetzungen für den Erlass des
Steuerbescheids nach § 155 Abs. 2 AO fehlten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vollziehung des Bescheids über
Grunderwerbsteuer in der Fassung vom 10. August 2010 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei der
angefochten Grunderwerbsteuerbescheid hinreichend bestimmt. Die festgesetzte Steuer
sei nach Art und Betrag bezeichnet. Ferner sei angegeben, wer die Steuer schulde. Aus
dem Bescheid sei weiterhin ersichtlich, worauf er sich beziehe, welche Grundstücke er
betreffe und dass die auf dem Feststellungsbescheid des Finanzamts X beruhe.
Der Grunderwerbsteuerbescheid Sei auch hinsichtlich der Höhe der Bemessungsgrundlage
nicht zu beanstanden. Zwar sei in den Fällen wie dem vorliegenden die Grunderwerbsteuer
nach dem so genannten Grundbesitzwert zu bemessen. Die hierfür erforderliche
gesonderte Feststellung sei indessen noch nicht erfolgt. Deshalb sei der Grundbesitzwert
für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer vorläufig geschätzt worden. Nachdem
ursprünglich der Marktwert der Grundstücke angesetzt worden war, dieser aber von dem
Grundbesitzwert abweichen könne, sei zuletzt das 3,5fache des Einheitswerts angesetzt
worden.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 8 Abs. 2 GrEStG rechtfertigten nicht die
Aussetzung der Vollziehung. Zwar habe der Bundesfinanzhof gegen den Ansatz der
Grundbesitzwerte nach dieser Vorschrift verfassungsrechtliche Bedenken geäußert und
erwäge insoweit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Allerdings sei eine solche
nach nunmehr über einem Jahr seit der Formulierung der Bedenken noch nicht erfolgt. Im
Streitfall überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem Interesse der
Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Würde die Vollziehung der
Grunderwerbsteuerbescheide jeweils aufgrund der verfassungsmäßigen Zweifel
ausgesetzt, würde dies zumindest zeitweise in den öffentlichen Haushalten zu
Einnahmeausfällen in erheblicher Höhe führen. Die Antragstellerin hat nicht substantiiert
dargelegt, dass ihr durch den Vollzug des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheides
irreparable Nachteile entstünden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der von
den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Behördenakten
(zwei Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1.
Es bestehen nach Auffassung des Senats zwar ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Grunderwerbsteuer-Bescheids, obwohl der Antragsgegner die
Grunderwerbsteuer im Einklang mit dem derzeit geltenden Recht festgesetzt haben dürfte.
Jedoch ist die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuer-Bescheids gleichwohl
nicht gem. § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 6, Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO auszusetzen. Denn die
ernstlichen Zweifel beruhen auf verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die der
Wertermittlung zugrundeliegenden Normen, und es ist nicht ersichtlich, dass ein
überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin besteht.
1.1
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuer-Bescheids. Insbesondere fehlt es
ihm nicht an einer Begründung im Sinne von § 121 Abs. 1 AO. Denn offensichtlich werden
insbesondere die Besteuerungsgrundlagen aufgeführt. Dass diese – so die Auffassung der
Antragstellerin - unzutreffend sein mögen, ist keine Frage der formellen Rechtsmäßigkeit,
sondern der materiellen. Der Pflicht zur Begründung des Grunderwerbsteuer-Bescheids ist
der Antragsgegner in hinreichendem Maß dadurch nachgekommen, dass er die
Besteuerungsgrundlagen (§ 199 Abs. 1 AO) – soweit von § 157 Abs. 1 Satz 2 AO
vorgeschrieben – enthält.
1.2
Zweifel, soweit die Anwendung der Vorschriften des GrEStG betroffen ist. Im vorliegenden
Fall dürfte sich nämlich die Grunderwerbsteuer gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG nach
den Werten im Sinne von § 138 Abs. 3 und Abs. 4 BewG bemessen, da es sich um einen
Erwerbsvorgang auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage handelt.
1.2.1
vorliegen, da das Eigentum an dem in Rede stehenden Grundbesitz A und B in N auf die
Antragstellerin durch Vereinigung aller Gesellschaftsanteile der T-S.à.r.l. in der Hand der
Antragstellerin infolge einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung übergegangen ist.
Dies ergibt sich aus dem Feststellungsbescheid des FA X und dem Vortrag der
Antragstellerin.
1.2.2
Grundstückswert für die Grunderwerbsteuer nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG i.V.m.
§ 138 Abs. 3 BewG zu bestimmen. Hiernach sind unter anderem für Betriebsgrundstücke
im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 BewG die Grundstückswerte unter Anwendung der §§ 68,
69 und 99 Abs. 2 BewG und der §§ 139, 146 Abs. 1 BewG (vereinfachtes
Ertragswertverfahren) bzw. § 147 BewG zu ermitteln und nach §§ 179 Abs. 2 AO, 138
Abs. 1 Satz 1 BewG gesondert festzustellen. Demzufolge stellt der Bescheid über die
gesonderte Feststellung des Grundstückswerts für den Grunderwerbsteuerbescheid einen
Grundlagenbescheid im Sinne von § 171 Abs. 10 AO dar (vgl. Pahlke in Pahlke/Franz,
GrEStG, 3. Aufl. 2005, § 8, Rz. 75; Viskorf in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. 2007, § 8,
Rz. 99a), dessen Erlass oder Änderung zu einer zwingenden Änderung des
Grunderwerbsteuer-Bescheids führt (vgl. §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 182 Abs. 1 Satz 1
AO).
Da der in der dargestellten Weise zu ermittelnde Wert noch nicht festgestellt wurde und
dem Ag. deshalb noch nicht vorliegt, kann dieser gleichwohl die Grunderwerbsteuer
festsetzen (vgl. § 155 Abs. 2 AO). Dabei ist der Grundstückswert gem. § 162 Abs. 5 AO
zu schätzen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird diesem Umstand durch § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO Rechnung getragen, worauf der Ag. zu Recht hingewiesen hat.
1.3
Senat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grunderwerbsteuer-Bescheids.
Ebenso wie hinsichtlich des Grundes der Schätzung keine ernstlichen Zweifel bestanden,
begegnet auch die Höhe der Schätzung keinen durchgreifenden Bedenken, soweit der Ag.
als Schätzungsgrundlage vorläufig den mit 3,5 vervielfachten Einheitswert des Grundstücks
herangezogen hat, bis der nach den Vorschriften des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG
i.V.m. § 138 Abs. 3 BewG ermittelte Grundstückswert vorliegt.
Diesen Wert hat der Antragsgegner anstelle des ursprünglich angesetzten Marktwerts, den
das Finanzamt X angegeben hatte, als Bemessungsgrundlage herangezogen hatte. Selbst
die Heranziehung des – im Vergleich zum vervielfältigten Einheitswert höheren - Marktwerts
(Verkehrswerts) wäre letztlich nicht zu beanstanden gewesen. Diese Vorgehensweise des
Antragsgegners. erscheint dem Senat nachvollziehbar, da der Antragsgegner sich an
einem von einer anderen Finanzbehörde mitgeteilten Wert orientiert und keine völlig freie
Schätzung vorgenommen hat. Dass dieser nicht den materiell-rechtlich zutreffenden
Grundstückswert darstellt, macht die Schätzung nicht rechtswidrig. Vielmehr entspricht
dies dem Wesen der Schätzung. Umso weniger Bedenken bestehen gegen die
Heranziehung des (pauschal vervielfältigten) Einheitswerts, der zu einer geminderten
Grunderwerbsteuerfestsetzung geführt hat. Die Zugrundelegung dieses Werts trägt dem
Umstand Rechnung, dass der nach § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 4 BewG
anzusetzende Grundbesitzwert noch nicht feststeht und von dem geschätzten Wert nach
oben oder unten abweichen kann.
Im Übrigen ist zu bedenken, dass nach § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 4 BewG statt
des Grundstückswerts (§ 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 3 BewG) nur dann ein
niedrigerer tatsächlicher Wert als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer
heranzuziehen ist, wenn der Steuerpflichtige einen entsprechenden Nachweis erbringt.
Einen solchen Nachweis hat die Antragstellerin nicht erbracht, sondern pauschal bestritten,
dass die Höhe des angesetzten Wertes rechtmäßig sei.
Dabei trifft sie die Nachweislast, der sie insbesondere durch ein Gutachten des örtlich
zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für Grundstücke
nachkommen kann (vgl. BFH vom 10. November 2004 II R 69/01, BStBl II 2005, 259;
Mannek in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 138 BewG, Rz. 68 ff, insbesondere
Rz. 84).
1.4
1 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 3 BewG, auf welche sich die Antragstellerin in erster Linie
stützt, ist die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuer-Bescheids nicht
auszusetzen, da das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse
der Antragstellerin überwiegt.
1.4.1
zugrunde liegende Ansatz der gesondert festgestellten Grundstückswerte (§ 8 Abs. 2
GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG) – die auch im vorliegenden Verfahren
entscheidungserheblich sind - als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer
verfassungsgemäß ist, soweit der bebaute Grundbesitz betroffen ist.
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117,
1 <46 ff.>) ausgeführt, die Bewertung von bebauten Grundstücken im vereinfachten
Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2 Satz 1 BewG sei zur Erfüllung der Anforderungen
des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) strukturell ungeeignet. Sie führe zu
Einzelergebnissen, die in erheblicher Anzahl zwischen weniger als 20 v.H. und über 100
v.H. des gemeinen Werts differierten. Aufgrund dieser weitreichenden und gravierenden
Streubreite der Bewertungsergebnisse hafte dieser Bewertung Zufälliges und Willkürliches
an, ohne dass dies als Folge einer zulässigen Typisierung verfassungsrechtlich hinnehmbar
sei. Die Übernahme der Steuerbilanzwerte für die aufstehenden Gebäude bei der
Sonderbewertung nach § 147 BewG führe zu bloßen, nicht durch Typisierung und
Pauschalierung gerechtfertigten Zufallswerten für die Gebäude. Für die Bewertung der
Grundstücke im Zustand der Bebauung nach § 149 BewG gelte das zu bebauten
Grundstücken und zur Sonderbebauung Gesagte entsprechend. Das BVerfG hat ferner
ausgeführt (BVerfG vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 BVerfGE 117, 1 <56 ff.>), die
Bewertung der unbebauten Grundstücke entspreche aufgrund der durch § 138 Abs. 1
Satz 2 und Abs. 4, § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG a.F. angeordneten, bis Ende 2006
geltenden Festschreibung der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996 nicht den Vorgaben
des Art. 3 Abs. 1 GG.
Diese Ausführungen lassen sich nicht lediglich auf den nur für die ErbSt bedeutsamen
Vergleich der Grundstückswerte mit den für andere der Besteuerung unterliegende
Gegenstände anzusetzenden Werten beschränken, sondern betreffen auch die
Binnengerechtigkeit beim Wertansatz für Grundstücke. Sie sind daher für die
Grunderwerbsteuer gleichermaßen von Bedeutung, soweit sich die Steuer nicht nach dem
Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG), sondern nach den Werten im Sinne der
§§ 138 ff. BewG (§ 8 Abs. 2 GrEStG) bemisst (vgl. Micker, DStZ 2009, 285, 290 m. w. N.;
vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken auch Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl.
2005, § 8, Rz. 60 ff.).
Der BFH ist zwar nach Ergehen des Beschlusses in BVerfGE 117, 1 von der Anwendbarkeit
des § 8 Abs. 2 GrEStG jedenfalls für vor dem 1. Januar 2009 verwirklichte
Erwerbsvorgänge ausgegangen (BFH vom 9. April 2008 II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526,
und vom 11. Juni 2008 II R 58/06, BStBl II 2008, 879). Daran hält er indessen nicht mehr
fest. Denn dieser Rspr. lag die Annahme zugrunde, dass der Gesetzgeber die vom BVerfG
festgestellten Verfassungsverstöße bei der Grundbesitzbewertung nicht nur für die ErbSt,
sondern auch für die Grunderwerbsteuer für nach dem 31. Dezember 2008 verwirklichte
Erwerbsvorgänge mit Wirkung ab 1. Januar 2009 beseitigen würde. Da dies nicht
geschehen ist, zieht der BFH nunmehr eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1
GG - und zwar auch für Besteuerungszeitpunkte vor dem 1. Januar 2009 - in Betracht und
hat das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu
nehmen, ob die in § 8 Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der Grundbesitzwerte im
Sinne des § 138 BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer
verfassungsgemäß ist (BFH vom 27. Mai 2009 II R 64/08, BStBl II 2009, 856; vgl. auch
BFH vom 29. Juli 2009 II R 8/08, BFH/NV 2010, 60; FG Münster vom 4. August 2010
3 V 936/10 F, EFG 2010, 1917).
Darüber hinaus hat der BFH in einem Verfahren betreffend die Frage, ob die durch § 8
Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der gesondert festgestellten Grundstückswerte
nach §§ 138 ff. BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer wegen Verstoßes
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist, die Revision gegen ein Urteil des FG Köln (FG
Köln vom 15. Juli 2009 5 K 683/06, EFG 2010, 1627) zugelassen (BFH vom 28. April
2010 II B 137/09, juris; nunmehriges Geschäftszeichen des BFH: II R 23/10).
Die Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG -
insbesondere im Hinblick auf die im Streitfall anzuwendenden Vorschriften über die
Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke in ihrer im Jahre 2002 geltenden
Fassung - verfassungsgemäß ist, ergibt sich daraus, dass dann, wenn das BVerfG die
Vorschrift und unter Umständen auch § 11 Abs. 1 GrEStG (Steuersatz) für
verfassungswidrig und nichtig erklären sollte, die Grunderwerbsteuer wegen Fehlens einer
Bemessungsgrundlage oder eines Steuersatzes nicht festgesetzt werden kann. Auch eine
Aussetzung des Verfahrens gem. § 74 FGO bis zu einer rückwirkenden Neuregelung durch
den Gesetzgeber käme in Betracht. Eine solche Aussetzung wäre ebenfalls eine andere
Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des § 8 Abs. 1 GrEStG (BVerfG vom 7. November
2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 <27 f.>). Der Entscheidungserheblichkeit steht auch
nicht entgegen, dass das BVerfG bei einer Unvereinbarerklärung die weitere Anwendung
des bisherigen Rechts anordnen kann (BVerfG vom 7. November 2006 1 BvL 10/02,
BVerfGE 117, 1 <27 ff.>; siehe zum Vorstehenden BFH vom 27.5.2009 II R 64/08,
BStBl II 2009, 856).
Den verfassungsrechtlichen Bedenken tragen die Finanzverwaltungen der Länder derzeit
grundsätzlich dadurch Rechnung, dass die Grunderwerbsteuer-Bescheide, bei denen die
Bemessungsgrundlage auf der Regelung des § 8 Abs. 2 GrEStG beruht, für vorläufig (§ 165
Abs. 1 AO) erklärt werden (vgl. den Gleichlautenden Ländererlass vom 1. April 2010,
BStBl I 2010,266; siehe auch Bruschke, UVR 2010, 211 [212]).
1.4.2
Verwaltungsakts, hat das Finanzgericht dessen Vollziehung im Regelfall auszusetzen. Dies
ergibt sich aus der Formulierung des § 69 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 2. Halbs. FGO
als Sollvorschrift (BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BStBl II 1968, 199; vom
10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454). Nur in besonders gelagerten
Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Aussetzung der Vollziehung
abgelehnt werden (BFH vom 1. April 2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558).
Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts – wie für den Streitfall vorstehend dargelegt - auf
Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden
Gesetzesvorschrift beruhen (BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454).
Ist dies der Fall, ist die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung zwar nicht
ausgeschlossen (BFH vom 25. August 2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826). Sie setzt aber
nach langjähriger Rspr. des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell
verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes)
berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
voraus (vgl. BFH vom 1. April 2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558 mit zahlreichen
Nachweisen der BFH-Rspr.).
Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen
besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung
sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf
die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen
Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die
Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des
öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH vom 1. April 2010
II B 168/09, BStBl II 2010, 558 m. w. N.). Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von
ausschlaggebender Bedeutung. Diese Rspr. ist mit den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG
vereinbar (BVerfG vom 6. April 1988 1 BvR 146/88, StRK, FGO, § 69, Rechtsspruch 283,
und vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726; siehe zu alledem BFH vom 1. April
2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558).
Der BFH hat in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt
zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem
Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtige den Vorrang vor den öffentlichen Interessen
eingeräumt, und zwar wenn dem Steuerpflichtige durch den sofortigen Vollzug irreparable
Nachteile drohen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu
entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten
Existenzminimum liegt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte,
wenn der BFH die vom Kläger als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem
BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hatte,
wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des bisher
zulässigen Abzugs von laufenden erwerbsbedingten Aufwendungen als Werbungskosten
bestehen oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige
Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage (BFH vom 1. April 2010
II B 168/09, BStBl II 2010, 558 mit den Nachweisen der BFH-Rspr. im Einzelnen).
Im Streitfall liegt indessen keine der vorgenannten Fallgruppen vor. Insbesondere hat der
BFH zwar erwogen, das bei ihm anhängige Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG
auszusetzen und dem BVerfG im Wege der konkreten Normenkontrolle vorzulegen. Dies ist
indessen (noch) nicht geschehen. Daher hat aus Sicht des Senats das
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Gesetzesvollzug und dem
öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung zurückzutreten.
Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung des FG Münster – welche sich die
Antragstellerin zu Eigen gemacht hat -, wonach in Fällen wie dem vorliegenden dem
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin ein überwiegendes öffentliches Interesse,
insbesondere das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung nicht entgegenstehen
soll (FG Münster vom 4. August 2010 3 V 936/10 F, EFG 2010, 1917). Die maßgebenden
gesetzlichen Regelungen in § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG sollen hiernach die
Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer nur für eine bestimmte
Fallgestaltung im Rahmen der grunderwerbsteuerpflichtigen Tatbestände betreffen und
keine Auswirkung auf sämtliche Grunderwerbsteuer-Festsetzungen haben. Von der
Aussetzung der Vollziehung würden somit nicht typische „Massenverfahren“ erfasst, die zu
einer erheblichen Breitenwirkung führen, weil fast alle Steuerpflichtigen bzw.
grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgänge betroffen sind. Vielmehr werde die
Grunderwerbsteuer-Festsetzung in ihrer Gesamtheit durch die vorübergehende
Aussetzung der Vollziehung der gem. § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG erlassenen
Grundbesitzwertbescheide nicht wesentlich beeinträchtigt. Eine Gefährdung des
öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sei deshalb nicht erkennbar.
Dem hält der Senat Folgendes entgegen: Es ist zwar zutreffend, dass nicht die typische
Vielzahl von Grunderwerbsteuer-Fällen der dem Streitfall vergleichbaren Art betroffen ist.
Allerdings sind in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig hohe und sehr hohe
Grunderwerbsteuer-Beträge betroffen, wie auch der Streitfall zeigt. Eine Gefährdung des
öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung ist daher nicht aufgrund einer
Vielzahl von einschlägigen Fällen zu besorgen, sondern aufgrund der im jeweiligen Einzelfall
hohen Steuerbeträge.
Weitere Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, hat die
Antragstellerin. nicht vorgetragen. Sie beschränkt sich vielmehr auf den Vortrag, dass die
Bewertungsvorschrift des § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 bis Abs. 4 BewG wegen
Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig sei.
Die Behauptung, durch die Vollziehung des Grunderwerbsteuer-Bescheids drohten ihr
irreparable Schäden, hat die Antragstellerin nicht substantiiert. Der Senat vermag daher
nicht zu erkennen, worin diese Schäden konkret bestehen sollen. Der bloße Verweis darauf,
dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Vielzahl der Grundstücke, deren Erwerb ihr nach
§ 1 Abs. 3 GrEStG zugerechnet wird, erhebliche Steuerzahlungen leisten muss, genügt
nicht für die objektiv begründete Annahme, dass der Antragstellerin irreparable Schäden
drohten.
3.
Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der BFH in seinem Beschluss vom
27. Mai 2009 II R 64/08, BStBl II 2009, 856 geäußert hat, wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.