Urteil des FG Saarland vom 10.04.2003

FG Saarbrücken: stille reserven, vollziehung, missbrauch, aussetzung, anteil, probezeit, gemeinschaftspraxis, härte, meinung, gesellschafter

FG Saarbrücken Beschluß vom 10.4.2003, 1 V 61/03
Missbräuchlichkeit der zeitlich gestuften Aufnahme eines Sozius in freiberufliche Einzelpraxis
- Zwei-Stufen-Modell
Leitsätze
Bei dem in der Praxis beliebten Zwei-Stufen-Modell im Zusammenhang mit der Aufnahme
eines Partners durch die Einräumung einer zunächst geringen, dann sich steigernden
Beteiligung ist zweifelhaft, ob diese Gestaltung nicht von vornherein einen Missbrauch von
Gestaltungsmöglichkeiten beinhaltet.
Tatbestand
I. Der Antragsteller betrieb bis 30. September 1995 eine zahnärztliche Einzelpraxis. Mit
notariellem Vertrag vom 11. August 1995 vereinbarte er mit dem Berufskollegen Dr. A die
Errichtung einer Gemeinschaftspraxis mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 (Rbh, 33 ff.). Das
erste Vertragsjahr sollte ein Probejahr sein. Innerhalb dieses Probejahres sollte A nicht am
Vermögen und den Verbindlichkeiten der Praxis beteiligt sein. Nach Ablauf des Probejahres
war beabsichtigt, eine Beteiligung von A am Vermögen, am Praxiswert und den
Verbindlichkeiten herbeizuführen.
Am 23. Dezember 1996 (Dok, 1 ff.) schlossen der Antragsteller und A einen Vertrag über
die Errichtung einer Gemeinschaftspraxis mit Wirkung vom 1. Januar 1997. Der
Gesamtwert der Praxis wurde einvernehmlich auf 1.125.000 DM festgelegt (Dok, 7). Der
Antragsteller sollte bis 31. Dezember 1997 einen Anteil am Gesamtwert von 95,555 %, A
einen solchen von 4,445 % besitzen. In der Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember
2002 sollte der Antragsteller hieran einen Anteil von 60 %, A einen solchen von 40 %
besitzen. Ab 1. Januar 2003 sollte der Anteil des Antragstellers 55 %, der des A 45 %
betragen. Ab dem 1. Januar 2005 sollten der Antragsteller und A jeweils hälftig am
Gesamtwert der Praxis beteiligt sein (Dok, 7 f.). A verpflichtete sich zu Zahlungen von
50.000 DM zum 1. Januar 1997, 400.000 DM zum 1. Januar 1998, 56.250 DM zum 1.
Januar 2003 und 1. Januar 2005 (Dok, 8).
Ab 1997 reichten der Antragsteller und A Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen
Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung beim Antragsgegner ein. Die
Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die
Einkommensbesteuerung für das Streitjahr 1998 weist bei (laufenden) Einkünften von
insgesamt 1.004.072 DM für den Antragsteller einen Anteil von 602.443 DM sowie einen
Veräußerungsgewinn von 267.315 DM aus, der der Höhe nach unstreitig ist (F, 25). Im
Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die
Einkommensbesteuerung vom 9. Juni 2000 behandelte der Antragsgegner den
letzterwähnten Betrag unter Hinweis auf einen seiner Auffassung nach vorliegenden
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 Abgabenordnung -AO-) als laufenden
Gewinn.
Hiergegen legten der Antragsteller und A am 27. Juni 2000 Einspruch ein (Rbh, 2), den der
Antragsgegner mit Entscheidung vom 5. Februar 2003 als unbegründet zurückwies (Rbh,
57). Hiergegen erhoben der Antragsteller und A am 12. Februar 2003 Klage, die beim
erkennenden Senat unter dem Gz. 1 K 42/03 erfasst ist.
Mit Einlegung des Einspruchs beantragten der Antragsteller und A die Aussetzung der
Vollziehung des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Grundlagen für die Einkommensbesteuerung. Mit Verfügung vom 6. März 2003 (Rbh, 64)
beschied der Antragsteller diesen Antrag für den Antragsteller negativ.
Am 10. März 2003 wandte sich der Antragsteller an das Finanzgericht.
Er beantragt sinngemäß (Bl. 1),
den Bescheid über die gesonderte und einheitliche
Feststellung von Grundlagen für die
Einkommensbesteuerung 1998 vom 9. Juni 2000 insoweit
von der Vollziehung auszusetzen, als darin der
Veräußerungsgewinn von 267.315 DM als nicht
tarifbegünstigt behandelt worden ist.
Der Antragsteller trägt vor, der Bundesfinanzhof habe im Beschluss vom 18. Oktober 1999
GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123, 129 daran festgehalten, dass die Veräußerung von Teilen
eines Mitunternehmeranteils grundsätzlich als tarifbegünstigt anzusehen sei. Ein
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten liege im Streitfall nicht vor. Wirtschaftlicher
Hintergrund für die "Probesozietät" ohne Vermögensbeteiligung sei die seinerzeitige
Punktmengenbeschränkung gewesen, wonach diese Konstruktion ökonomisch
zielführender als eine mögliche alternative Anstellung von A als Arbeitnehmer gewesen sei.
Zudem habe sich in diesem Stadium der Zusammenarbeit keiner der beiden späteren
Partner weitergehend binden oder verpflichten wollen. Im Übrigen sei sowohl dem
Antragsteller wie auch A an einer weiteren Probezeit gelegen gewesen, um sich so weitere
Optionen offen zu halten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als
unbegründet zurückzuweisen.
Er macht geltend, die von dem Antragsteller und A praktizierte Übertragung von Anteilen
an der Praxis des Antragstellers entspreche dem sogenannten Zwei-Stufen-Modell. Dabei
lasse die Einräumung einer Minimalbeteiligung nach Ablauf der 15-monatigen Probezeit den
Schluss zu, dass diese allein dazu dienen sollte, um die beantragte Tarifbegünstigung zu
ermöglichen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Akten des Antragsgegners verwiesen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nach § 69 Abs. 4 Satz 1
Finanzgerichtsordnung -FGO- zulässig; er ist jedoch nicht begründet. Nach Auffassung des
Senats bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen
Bescheides, soweit der Antragsgegner darin einen Missbrauch von
Gestaltungsmöglichkeiten annimmt.
1. Die Aussetzung der Vollziehung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung
für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 FGO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, der sich der
erkennende Senat bisher immer angeschlossen hat, bestehen ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides dann, wenn eine summarische
Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige
gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit
oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der
Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes
sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht
nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg (BFH - Beschlüsse vom 30. Juni 1967 III B
21/66, BStBl. III 1967, 533; vom 28. November 1974 V B 52/73, BStBl. II 1975, 239).
Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegt nach der Rechtsprechung
des BFH vor, wenn durch die sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen Nachteile drohen
würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder
gut zumachen sind, oder wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen
gefährdet wäre. Derartiges ist im Streitfall nicht der Fall.
2. Bei summarischer Betrachtung bestehen keine ernstlichen Zweifel, soweit der
Antragsgegner im Streitfall einen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO angenommen
hat.
Nach § 42 AO kann durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das
Steuergesetz nicht umgangen werden. Im Streitfall steht dabei die Frage an, ob die
Einräumung einer zuerst geringen, dann sich steigernden Beteiligung des A alleine vor dem
Hintergrund der angestrebten Tarifbegünstigung des Veräußerungsgewinnes des
Antragstellers erfolgt ist.
Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes (§§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 1 Nr. 2
Einkommensteuergesetz -EStG-) führt nicht nur die Veräußerung eines
Mitunternehmeranteils, sondern auch die eines Bruchteils an einem Mitunternehmeranteil
nach jahrzehntelang einhelliger Meinung in Rechtsprechung, Literatur und Verwaltung zu
einem begünstigten Veräußerungsgewinn, obwohl dabei nicht alle stille Reserven eines
Mitunternehmeranteils aufgedeckt und übertragen werden (z.B. BFH Urteil vom 14.
September 1994 I R 12/94, BStBl II 1995, 404 mit weiteren
Rechtsprechungsnachweisen). Der Große Senat hat diese Rechtsprechung allein mit Blick
auf die Rechtssicherheit toleriert (Beschluss vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BStBl II
2000, 123, 129). Dagegen hat er die Annahme eines begünstigten Veräußerungsgewinns
für den Fall abgelehnt, dass ein Sozius gegen Entgelt in eine Einzelpraxis aufgenommen
wird, weil dabei zum Veräußerungszeitpunkt noch kein veräußerungsfähiger
Mitunternehmeranteil bestanden habe.
Der Große Senat hat sich in seinem vorgenannten Beschluss des weiteren zu dem in der
Praxis weit verbreiteten "Zwei-Stufen-Modell" geäußert, wonach es nach der herrschenden
Meinung in der Literatur "möglich sein soll", in einem ersten Schritt dem neuen
Gesellschafter eine Minimalbeteiligung gegen eine geringe Ausgleichszahlung einzuräumen
und ihm dann - in einem zweiten Schritt - tarifbegünstigt Bruchteile seines
Mitunternehmeranteils zu veräußern. Diese Gestaltungsform hat den Großen Senat nicht
veranlasst, die ihm vorgelegte Rechtsfrage (Begünstigung der entgeltlichen Aufnahme
eines Sozius in eine Einzelpraxis) zu bejahen, weil bei einer solchen zweistufigen
Gesellschaftsgründung "steuerlich unerwünschte Ergebnisse ... unter dem Gesichtspunkt
eines Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO weitgehend
ausgeschlossen werden können".
Der Senat leitet hieraus ab, dass insbesondere vor dem steuersystematischen
Hintergrund, der sich aktuell auch in der Änderung des § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG nieder
geschlagen hat, im Regelfall die zeitlich gestufte Aufnahme eines Partners in eine
Einzelpraxis einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten beinhaltet. Die seitens des
Antragstellers hiergegen vorgebrachten Argumente werden im Hauptsacheverfahren dem
Grundsatz und den vorliegenden Absprachen nach eingehend zu prüfen sein. Im
summarischen Aussetzungsverfahren ist jedoch festzuhalten, dass sie nicht ausreichen,
um Zweifel an der Annahme des Antragsgegners zu begründen.
3. Somit konnte der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keinen Erfolg haben. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung ergeht nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO unanfechtbar. Zur Zulassung der
Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO sah der Senat keine
Veranlassung.