Urteil des FG Saarland vom 24.11.2010

FG Saarbrücken: verdeckte gewinnausschüttung, steuerfestsetzung, doppelbesteuerung, einkünfte, gesellschafter, veröffentlichung, anwendungsbereich, einspruch, körperschaft, kapitalvermögen

FG Saarbrücken Urteil vom 24.11.2010, 2 K 1060/08
Keine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen wegen etwaiger
Doppelbesteuerung bei nachträglich festgestellter verdeckter Gewinnausschüttung -
Stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG - Zulässigkeit normativer
Stichtagsregelungen
Leitsätze
Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen kann aus der
stichtagsbezogenen Anwendung des § 32a KStG nicht hergeleitet werden.
Tenor
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten die abweichende Festsetzung der Einkommensteuer
2003 und 2004 im Zusammenhang mit der zeitlichen Anwendungsregelung zu § 32a
KStG.
Der Kläger erzielte als Gesellschafter-Geschäftsführer der D-GmbH (künftig: GmbH)
Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit (§ 19 EStG). Im Rahmen einer bei der GmbH
durchgeführten Betriebsprüfung, die im Jahre 2006 abgeschlossen wurde, wurde
festgestellt, dass in den Jahren 2003 und 2004 seitens der GmbH an den Kläger verdeckte
Gewinnausschüttungen (unangemessene Geschäftsführerbezüge) vorgenommen worden
waren (2003: 50.700 Euro; 2004: 70.000 Euro).
Die verdeckten Gewinnausschüttungen an den Kläger wurden zu Lasten der GmbH mit
Körperschaftssteuerbescheiden vom 2. August 2006 für die Kalenderjahre 2003 und 2004
gewinnerhöhend berücksichtigt.
Da die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre 2003 und 2004 bestandskräftig waren,
stellte der Kläger am 18. Juni 2007 einen Antrag auf abweichende Festsetzung der
Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO). Er
beantragte eine Änderung durch erstmalige Hinzurechnung von verdeckten
Gewinnausschüttungen als Einkünfte aus Kapitalvermögen – in hälftiger Höhe - bei
gleichzeitiger Kürzung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit – in voller Höhe.
Den Antrag des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 2007 ab. Den
hiergegen gerichteten Einspruch vom 23. Juli 2007 wies den Einspruch am 15. Januar 2008
als unbegründet zurück.
Am 15. Februar 2008 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 2007 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2008 den Beklagten zu verpflichten,
die Einkommensteuer 2003 um 12.290 Euro und die Einkommensteuer 2004 um 19.200
Euro zu reduzieren.
Der Kläger verweist auf die Entscheidung des BFH vom 11. Januar 2006 XI R 31/04,
BFH/NV 2006, 943. Ergänzend hierzu führt er aus, nach der Einführung des § 32a KStG
seien die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 zu seinen Gunsten zu ändern, da die
Körperschaftsteuerbescheide lediglich wenige Monate vor Verkündung der neuen, für ihn
günstigeren Rechtsnorm i.S. des § 32a KStG ergangen seien. Insoweit widerspreche eine
Ablehnung des Änderungsantrages der Einzelfallgerechtigkeit. Der Kläger ist der
Auffassung, dass eine sachliche Unbilligkeit vorliege, da die Belastung in seinem Fall
zwangsläufig eingetreten sei. Der Anwendungszeitpunkt des neu eingeführten § 32a KStG
sei willkürlich gewählt und nur mit haushaltspolitischen Aspekten zu erklären. Daher müsse
in seinem Einzelfall eine Anwendung des § 32a KStG vor dem eigentlichen
Anwendungszeitpunkt (18. Dezember 2006) in Betracht gezogen und seitens des
Beklagten einem Billigkeitserlass nach § 163 AO entsprochen werden.
Der Beklagte beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Körperschaftsteuerbescheide für die GmbH für die Streitjahre 2003 und 2004 seien
bereits am 2. August 2006 und damit vor dem 18. Dezember 2006 ergangen, so dass §
32a KStG auf die Bescheide des Klägers keine Anwendung finde. Letztlich seien auch die
Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses nach § 163 AO nicht gegeben. Insbesondere sei
der Sachverhalt mit der vom Kläger zitierten Entscheidung des BFH vom 11. Januar 2006
XI R 31/04, BFH/NV 2006, 943 nicht vergleichbar und rechtfertige keine andere
Entscheidung.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
1.
abweichende Festsetzung seiner Einkommensteuer 2003 und 2004.
a)
Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich
um eine Ermessensentscheidung des Finanzamts, bei der Inhalt und Grenzen des
Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Gemeinsamer Senat
der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II
1972, 603). Die Entscheidung darf gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist (vgl. § 102 FGO). Gleichwohl kann das Finanzgericht ausnahmsweise
eine Verpflichtung des Finanzamts zum Erlass aussprechen (vgl. § 101 FGO), wenn der
Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als
ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog. Ermessensreduzierung auf Null: BFH
vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3).
Eine "Unbilligkeit" i.S. dieser Regelung kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf
sachlichen oder auf persönlichen Gründen beruhen (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-
Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Rz 8, m.w.N.). Eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen
ist im Streitfall weder vom Kläger geltend gemacht worden noch nach Aktenlage
erkennbar.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer vor allem dann, wenn sie zwar dem
Tatbestand des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten
Einzelfall zuwider läuft. Dies ist dann anzunehmen, wenn nach dem erklärten oder
mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon ausgegangen werden kann, dass er die im
Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten
Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BStBl II
1994, 833, m.w.N.).
b)
sind im Streitfall nicht erfüllt.
aa)
das Jahressteuergesetz 2007 (BGBl. I 2006, 1912) eingefügt wurde, in § 34 Abs. 13b
KStG eindeutig geregelt.
Nach § 32a Abs. 1 KStG kann ein Steuerbescheid oder ein Feststellungsbescheid
gegenüber dem Gesellschafter, dem die verdeckte Gewinnausschüttung zuzurechnen ist,
aufgehoben oder geändert werden, soweit gegenüber einer Körperschaft ein
Steuerbescheid hinsichtlich der Berücksichtigung einer verdeckte Gewinnausschüttung
erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Formulierung "kann" legt zwar ein
Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzverwaltung nahe. Es ist aber – so der
BFH - nicht von der Hand zu weisen, dass das der Finanzverwaltung eingeräumte
BFH - nicht von der Hand zu weisen, dass das der Finanzverwaltung eingeräumte
Ermessen in den Fällen des § 32a KStG regelmäßig auf Null reduziert wird, wenn die
Steuerfestsetzung für den Gesellschafter ohne die Änderung sachlich unrichtig wäre und
daher jede andere Entscheidung als die der Änderung der unrichtigen Steuerfestsetzung als
ermessenswidrig beurteilt werden müsste (BFH vom 20. März 2009 VIII B 170/08, BFH/NV
2009, 1029).
Nach § 34 Abs. 13b KStG ist § 32a KStG erstmals anwendbar, wenn nach dem 18.
Dezember 2006 ein Steuerbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wurde. Mit
diesem zeitlichen Anwendungsbereich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass §
32a KStG nicht anzuwenden ist auf Körperschaftsteuerbescheide, die – wie im Streitfall -
vor dem 18. Dezember 2006 ergangen sind (BFH vom 21. April 2009 VIII B 18/08, juris).
Eine analoge Anwendung von § 32a KStG käme nur dann in Betracht, wenn es an einer
planwidrigen Regelungslücke fehlte. Eine solche besteht indes dann nicht, wenn sich der
Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung für ein bestimmtes Datum zur zeitlichen Geltung
der Norm geäußert hat (BFH vom 21. April 2009 VIII B 18/08, juris).
bb)
mit der Neuregelung auf eine von ihm als „unbillig“ erkannte Rechtslage reagiert hat, nach
der es bei einer nachträglich festgestellten verdeckten Gewinnausschüttung zu einer
Doppelbesteuerung kommen konnte. Vor Einführung des § 32a KStG bestand keine
rechtliche Verbindung zwischen Einkommensteuerbescheid und
Körperschaftsteuerbescheid. Vielmehr musste bei Streitigkeiten über Grund und Höhe von
Gewinnausschüttungen im jeweiligen Besteuerungsverfahren selbstständig entschieden
werden. Dies führte bisweilen zu gegenüber der nunmehrigen Rechtslage abweichenden
und nachteiligen Auswirkungen für den betroffenen Steuerschuldner (vgl. etwa BFH vom
22. September 2004 III R 9/03, BStBl II 2005, 160, m.w.N.).
Der Gesetzgeber ist indes – innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen – auch dann
nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung verpflichtet, wenn er eine bestehende Rechtlage
als unzureichend erkennt. Erst recht besteht keine Pflicht, eine derartige Neuregelung auf
alle offenen Fälle anzuwenden. Eine sachliche Unbilligkeit folgt hieraus nicht.
Stichtagsbezogenen Gesetzesanordnungen ist immanent, dass sie bestimmte
Sachverhalte – aufgrund der zeitlichen Vorgaben – von der Gesetzesanwendung
ausschließen. Es ist allgemein anerkannt, dass normative Stichtagsregelungen u.a. dann
zulässig sind, wenn damit ein übergroßer Verwaltungsaufwand vermieden werden kann
(BVerfG vom 8. Dezember 1976 1 BvR 810/70, 1 BvR 57/73, 1 BvR 147/76, BVerfGE 44,
1/31). Um eine solche Regelung handelt es sich hier. Die Festlegung des Stichtags ist auch
als solche nicht willkürlich erfolgt, sondern steht im Zusammenhang mit der
Verabschiedung des Jahressteuergesetzes 2007 am 13. Dezember 2006 und dessen
Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt vom 18. Dezember 2006. Insoweit deckt sich der
gewählte Stichtag mit dem Tag der Veröffentlichung der Gesetzesänderung. Dass der
Gesetzgeber durch die stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG nicht vollumfänglich
die Möglichkeit einer Doppelbesteuerung bei einer nachträglich festgestellten verdeckten
Gewinnausschüttung beseitigt hat, ist im Ergebnis nicht durch Billigkeitsmaßnahmen auf
Verwaltungsebene „auszugleichen“. Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass sich die
durch § 32a KStG eingeführte Änderungsmöglichkeit auf der Ebene des Anteilseigners auch
zu dessen Ungunsten auswirken kann.
Gegenüber der seitens des Klägers vorgebrachten Entscheidung des BFH vom 11. Januar
2006 XI R 31/04, BFH/NV 2006, 943, unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation
so grundsätzlich, so dass das darin gefundene Ergebnis nicht auf den vorliegenden
Sachverhalt übertragen werden kann. Der Streitfall ist (allein) dadurch geprägt, dass eine
bestimmte Regelung stichtagsbezogen angewandt oder – wie im Streitfall – nicht
angewandt werden soll.
2.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 FGO).
Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zur Klärung der Frage zugelassen,
ob eine sachliche Unbilligkeit aus dem Umstand folgen kann, dass der Gesetzgeber durch
die stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG nicht vollumfänglich die Möglichkeit
einer Doppelbesteuerung bei einer nachträglich festgestellten verdeckten
Gewinnausschüttung beseitigt hat. Der Senat ist der Auffassung, dass die Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung ist, zumal der BFH in Einzelfällen einen Billigkeitserlass für
möglich hält (BFH vom 9. Januar 1997, IV R 5/96, BStBl. II 1997, 353).