Urteil des FG Saarland vom 19.03.2008

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FG Saarbrücken Beschluß vom 19.3.2008, 2 V 1039/08
Aussetzung der Vollziehung: Adressat eines Verböserungshinweises - Fehlen eines
Verböserungshinweises nach § 367 Abs. 2 AO als wesentlicher Verfahrensmangel
Leitsätze
Ein Verböserungshinweis wird den Erfordernissen des § 367 Abs. 2 AO nur gerecht, wenn
er gegenüber dem Einspruchsführer erfolgt. Ein im Rahmen einer Untätigkeitsklage an das
Gericht ergangener Hinweis genügt den Erfordernissen auch dann nicht, wenn das Gericht
dem Einspruchsführer den Schriftsatz zur Stellungnahme zugeleitet.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Schuldzinsen als Werbungskosten bei
den Einkünften aus Kapitalvermögen.
In seiner Einkommensteuererklärung 2004 erklärte der Antragsteller u.a. Kapitalerträge
aus Lebensversicherungen in Höhe von 138.154 EUR sowie Schuldzinsen in Höhe von
160.795 EUR als Werbungskosten. Die Kapitalerträge resultierten aus einem
Kapitallebensversicherungsvertrag bei der VG Lebensversicherungsgesellschaft (künftig:
VG), den der Antragsteller 1998 mit einer Laufzeit von sechs Jahren gegen Einmalbeitrag in
Höhe von 1.000.000 DM abgeschlossen hatte. Der Einmalbeitrag war durch ein Darlehen
der D-Bank fremdfinanziert.
Der Antragsgegner erkannte im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 20. Dezember
2005 die Schuldzinsen nicht in Höhe von 160.795 EUR, sondern lediglich in Höhe von
27.851 EUR als Werbungskosten an, da nur dieser Betrag 2004 abgeflossen sei. Am 2.
Januar 2006 legte der Antragsteller hiergegen Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die
Aussetzung der Vollziehung. Durch Bescheid vom 10. Januar 2006 gewährte der
Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 10.762 EUR bis einen Monat
nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
Am 26. September 2006 erhob der Antragsteller bei Gericht Untätigkeitsklage (2 K
2362/06). Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2007 an das Finanzgericht wies der Antragsgegner
darauf hin, dass im Streitfall Schuldzinsen für die Finanzierung der Versicherung zwar dem
Grunde nach als Werbungskosten abzugsfähig seien, jedoch lediglich in Höhe von 22.280
EUR. Der Schriftsatz schloss mit dem Satz „Nach alledem hat der Rechtsbehelf keine
Aussicht auf Erfolg und die Einkommensteuer ist noch höher festzusetzen.“ Auf die vom
Gericht veranlasste Übersendung des Schriftsatzes zur Stellungnahme äußerte der
Antragsteller, er halte an dem Antrag, dem Einspruch stattzugeben, fest.
Durch Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 setzte der Antragsgegner die
Einkommensteuer 2004 auf 83.897 EUR, mithin 2.507 EUR höher als im
Einkommensteuerbescheid vom 20. Dezember 2005 fest, und wies den Einspruch als
unbegründet zurück (Bl. 105 Rbh). Mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wies der
Antragsgegner auf die Beendigung der Aussetzung der Vollziehung zum 22. November
2007 hin (Bl. 138 Rbh).
Am 5. Februar 2008 hat sich der Antragsteller an das Gericht gewandt. Er beantragt
sinngemäß (Bl. 1), die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 20.
Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 in Höhe von
18.526 EUR auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten die beigezogenen
Akten des Antragsgegners sowie die Akten des Verfahrens 2 K 2362/06 Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag ist zulässig und begründet.
1.
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung
für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung der Vollziehung kann von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (§ 69 Abs. 2 FGO).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides bestehen
dann, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit
sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände
zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage
oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die
Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h.
ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg
(ständige Rechtsprechung, grundlegend BFH vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BStBl. III 1967,
533; vom 28. November 1974 V B 52/73, BStBl. II 1975, 239). Bei der notwendigen
Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs oder des Rechtsmittels zu berücksichtigen. Es muss
die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit
seinem Begehren obsiegt (BFH vom 26. Juni 2003 X S 4/03, BFH/NV 2003, 1217).
2.
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids in Gestalt der
(verbösernden) Einspruchsentscheidung ernstliche Zweifel.
a) Die Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 leidet an einem wesentlichen
Verfahrensmangel. Es fehlte an dem nach § 367 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz AO
erforderlichen Verböserungshinweis.
Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO kann der Verwaltungsakt im Einspruchsverfahren auch zum
Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu
zu äußern. Es muss dabei klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die
Einspruchsentscheidung zu einem ungünstigeren Ergebnis führen kann als der
angefochtene Bescheid. Die Mitteilung der Gründe für eine mögliche Verböserung wird den
Erfordernissen des § 367 Abs. 2 AO nur gerecht, wenn diese Gründe in Verbindung mit der
Steuerfestsetzung für den Einspruchsführer objektiv und nachprüfbar erkennen lassen, in
welcher Beziehung und in welchem Umfang das Finanzamt seine der Steuerfestsetzung
zugrunde liegende Auffassung geändert hat (Brockmeyer in Klein, AO, 8. Aufl., § 376 Rn. 4
m.w.N.).
b) Im Streitfall fehlt es an einem Verböserungshinweis gegenüber dem Antragsteller. Der
Hinweis im Schriftsatz des Antragsgegners vom 20. Juni 2007 genügt den Erfordernissen
des § 367 Abs. 2 AO nicht. Denn der Hinweis ist nicht gegenüber dem Antragsteller als
Einspruchsführer erfolgt, sondern war an das Finanzgericht gerichtet. Der Umstand, dass
das Gericht dem Antragsteller den Schriftsatz zur Stellungnahme zugeleitet hat, ändert
hieran nichts. Denn hierdurch wird der Empfänger nicht zum Hinweisadressaten. Im
Übrigen lässt der Schriftsatz nicht ohne Weiteres erkennen, in welcher Beziehung und vor
allem in welchem Umfang das Finanzamt seine der Steuerfestsetzung zugrunde liegende
Auffassung geändert hat.
c) Unterlässt das Finanzamt den Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden
Entscheidung, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, der zu einer isolierten
Aufhebung der Einspruchsentscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO führt. Zur Heilung
des Fehlers muss das Finanzgericht die Sache an das Finanzamt zurückverweisen
(Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 367, Rn. 193 m.w.N; Brockmeyer in Klein, AO,
8. Aufl., § 376 Rn. 6 m.w.N.). Denn die Gerichte haben den Betroffenen so zu stellen, dass
er durch das unrechtmäßige Verhalten keinen Schaden erleidet. Nur ausnahmsweise kann
eine Zurückverweisung unterbleiben, wenn klar ersichtlich ist, dass der Einspruchsführer
keinen Nachteil erleiden kann (Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 367 Tz. 32).
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BFH zu § 284 Abs. 1 RAO
(vgl. BFH vom 17. Januar 1963 IV 66/62 U, BStBl III 1963, 228; vom 11. Februar 1965 IV
213/64 U, BStBl III 1965, 407) ableiten (so aber wohl BFH vom 14. Juli 2004 IX B 102/03,
BFH/NV 2004, 1514), wonach eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommt, wenn der
Steuerpflichtige im weiteren Rechtsmittelverfahren zu erkennen gibt, dass er sich nicht
durch die Verböserung, sondern durch die Ablehnung seiner sachlichen Einwendungen
überhaupt beschwert fühlt und auf Entscheidung über seine sachlichen Einwendungen
besteht. Denn § 284 Abs. 1 Satz 1 RAO bestimmte ausdrücklich, dass bei wesentlichen
Verfahrensverstößen das Finanzgericht gleichwohl in der Sache zu entscheiden habe; nach
§ 284 Abs. 1 Satz 2 RAO war eine Zurückverweisung der Sache nur aus besonderen
Gründen zulässig. § 100 FGO hat demgegenüber einen anderen Regelungsinhalt.
3.
auszusetzen. Der Antragsgegner hat Gelegenheit, die Einspruchsentscheidung aufzuheben
und nach einem Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 AO gegebenenfalls eine
verfahrensfehlerfreie Einspruchsentscheidung zu erlassen.
4.
Die Entscheidung ergeht unanfechtbar nach § 128 Abs. 3 FGO. Eine Zulassung der
Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO kam nicht in Betracht.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft.