Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 15.10.2008

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FG
Neustadt
15.10.2008
1 K 2694/07
Anforderungen an Nachweis inländischen Wohnsitzes
Im Namen des Volkes
Urteil
1 K 2694/07
In dem Finanzrechtsstreit
der Frau
- - Klägerin -
Proz.-Bev.:
gegen
Agentur für Arbeit -Familienkasse-,
- - Beklagte -
Proz.-Bev.:Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse Saarland -, Hafenstr. 18, 66111 Saarbrücken,,
wegenKindergeld für R ab Januar 1997, AO/FGO-Sachen
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Oktober
2008 durch die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin in Deutschland einen Wohnsitz hatte.
Die Klägerin hat den Sohn R, geboren am 20. März 1992. Sie ist seit 1987 und das Kind seit Geburt in
1993 mit Wohnsitz in Frankreich gemeldet. R besucht seit dem 01. August 1999 die nahe gelegene
Schule in V, Deutschland. An ihrem Wohnort in W (Frankreich) hat die Klägerin einen kleinen
landwirtschaftlichen Betrieb mit Milchkühen und 4 Pferden. Diese Pferde werden nach den Angaben der
Klägerin in den Sommermonaten (März bis Oktober) auf einem weiteren Anwesen in L, Deutschland,
untergebracht. Dieses Grundstück in L wurde ihr am 09. August 2005 von ihrem Vater übertragen (Bl. 61
Prozessakte). Die Klägerin lebt nach ihren eigenen Angaben von den Erträgen ihres landwirtschaftlichen
Betriebes und den Mieteinnahmen ihres Wohnhauses in Frankreich. Ein französischer Steuerbescheid für
das Jahr 2005 wurde vorgelegt. Die Klägerin ist neben ihrem Wohnsitz in Frankreich in W auch in der
Wohnung ihrer Eltern in P, O-Straße seit ihrer Geburt gemeldet. Dort ist ebenfalls auch ihr Sohn R
polizeilich gemeldet.
Mit Schreiben vom 26. März 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nur Anspruch auf
Kindergeld habe, wenn sie in Deutschland der unbeschränkten Steuerpflicht unterliege. Aus ihren
Angaben gehe hervor, dass sie möglicher Weise ab Januar 1996 zu Unrecht Kindergeld erhalten habe.
Daraufhin legte die Klägerin Abrechnungsbescheide der Verbandsgemeindeverwaltung P betreffend das
Grundstück in der Ortsgemeinde L vor, Abrechnung über Stromkosten der Pfalzwerke und in Auszügen
die Urkunde über die Grundstücksveräußerung. In diesen Schreiben ist die Wohnanschrift der Klägerin in
Frankreich vermerkt oder die Adresse ihres Vaters in der R-Straße in P.
Mit Bescheid vom 25. Juni 2007 hat die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2002 gem.
§ 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz - EStG - aufgehoben mit der Begründung, dass sich der
Lebensmittelpunkt der Klägerin in Frankreich befinde. Inländische Einkünfte erziele sie nicht. Es wurde
Kindergeld für Januar 2002 bis November 2006 i.H.v. 9.086,00 € zurückgefordert. Hiergegen hat die
Klägerin Einspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 01. Oktober 2007 hat die Beklagte die Klägerin darauf
hingewiesen, dass im Rahmen der Überprüfung des Einspruches sich ergeben habe, dass die
Voraussetzung für den Bezug von Kindergeld bereits seit Januar 1996 nicht vorgelegen hätten und dass
auch für den Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 2001 Kindergeld i.H.v. 8.773,68 € zu Unrecht gezahlt
worden sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass ihr Gelegenheit zur Äußerung und zur Rücknahme des
Einspruches gegeben werde. Mit Einspruchsentscheidung wurde der Bescheid vom 25. Juni 2007
dahingehend geändert, dass die Festsetzung des Kindergeldes für R ab Januar 1997 aufgehoben wurde
und Kindergeld insgesamt i.H.v. 16.632,56 € zurückgefordert wird. Im Übrigen wurde der Einspruch als
unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor, dass sowohl sie als auch ihre Familie während eines Jahres zwei
Eigenheime an zwei verschiedenen Orten bewohne. Zum einen wohne sie im Eigenheim in W in
Frankreich, zum anderen im Eigenheim in L. Bei dem Gebäude in L handele es sich nicht um ein
Wochenendhaus, sondern um ein festes Eigenheim mit voll ausgestatteter Möblierung. Ab ca. Mitte
März/Anfang April bis ca. Ende Oktober/Anfang November ziehe die gesamte Familie der Klägerin
einschließlich dreier Hunde, Papagei und 4 Pferden in die Wohnung nach L. In dieser Zeit finde eine
Bewohnung der Wohnung in Frankreich nicht statt. In der restlichen Zeit über Winter bewohne die Familie
die Wohnung in Frankreich. In dieser Zeit würden je nach Wetterlage verschiedene Wochenenden in L
verbracht. Somit liege ein Wohnsitz in L gem. § 8 Abgabenordnung - AO - vor. Diese Tatschen würden seit
Geburt des Kindes im Jahr 1997 vorliegen (gemeint ist wohl 1993). Die Wohnung in L sei objektiv zum
Wohnen geeignet, die Klägerin habe diese Wohnung schon immer inne gehabt und sie diene nicht nur
zur vorübergehenden Bleibe. Das Gebäude in L habe bis zum Kalenderjahr 2005 ihrem Vater gehört und
sei ihr in 2005 durch Schenkung übertragen worden. In der Zeit bis 2005 sei die Wohnung in L vom Vater
an die Klägerin zur unentgeltlichen Nutzung überlassen worden.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungsbescheid vom 25. Juni 2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2007
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass die Klägerin keinen Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland
habe, ebenso wenig sei sie nach § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz - EStG - unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig. Der Wohnsitz der Klägerin und ihrer Familie und auch deren Lebensmittelpunkt
sei in W, Frankreich. Dort sei sie seit 1987 und das Kind R seit 1993 gemeldet. R besuche seit August
1999 die dem Wohnort W nahe gelegene Grund- und Hauptschule in V, Deutschland. Diese Schule werde
von zahlreichen deutschen Schülern besucht, deren Wohnsitz in Frankreich sei. Beide Orte, W und V
würden in unmittelbarer Nähe der deutsch-französischen Grenze liegen, sie seien ca. 5 - 6 km
voneinander entfernt. Die Klägerin sei verheiratet mit Herrn R. H., dessen Wohnsitz und Postanschrift
ebenfalls W sei. Der fortdauernde Schwerpunkt des Aufenthaltes der Klägerin sei am Wohnsitz der
Familie. Kurzfristige Aufenthalte auf einem Besitz in L, Deutschland, zur Versorgung der im Sommer dort
untergebrachten Pferde begründeten hier keinen gewöhnlichen Aufenthalt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Festsetzung von Kindergeld ab Januar 1997 aufgehoben.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist insofern auf
die zutreffenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2007 (§ 105 Abs. 5
Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Ergänzend wird ausgeführt, dass der Wohnsitzbegriff i.S.d. § 8 AO neben zum dauerhaften Wohnen
geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraussetzt, dass der Betreffende
tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch nur mit einer
gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches
Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender Zeiträume reicht nicht aus.
Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 2 AO), wenn
nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in
verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet werden
(vgl. BFH-Urteile vom 10. August 1983 I R 241/82, BStBl. II 1984, 11, 12 und vom 19. März 1997 I R 69/96,
BStBl. II 1997, 447).
Von diesen Grundsätzen ausgehend kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass die
Klägerin und ihr Sohn in L, Deutschland einen Wohnung oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem streitigen
Zeitraum hatten. Die gesamten Umstände des Falles lassen die Beurteilung, dass die Klägerin in L
wohnte, nicht zu. Die Adresse in L hat die Klägerin erst während des Einspruchsverfahrens genannt. Aus
den Kindergeldakten geht diese Anschrift vorher nicht hervor. Die Klägerin hat in ihrem Antrag auf
Kindergeld vom 07. Dezember 2006 angegeben, dass sie in P in der Ottostraße 17 wohnt. Dies hat sie
auch nochmal handschriftlich in der Anlage am 07. Dezember 2006 dargelegt, wo sie schreibt: „Mein 1.
Wohnsitz befindet sich nach wie vor in P.“ Es ist unverständlich, warum die Klägerin in 2006 gegenüber
der Beklagten angibt, dass sie in P wohnt, wo sie nunmehr vorträgt, dass sie schon seit langem in dem
Haus in L wohnt. Weiterhin geht der gesamte Schriftverkehr mit der Klägerin an die Adresse in
W/Frankreich, es liegt kein einziges Schreiben vor, das an die Adresse nach L geht. So geht ein Schreiben
der Grund- und Regionalen Schule in V vom 04. Oktober 2006 an die Adresse nach W, obwohl nach den
eigenen Angaben der Klägerin sie zu diesem Zeitpunkt – Oktober - in L wohnte und in der Wohnung in W
kein hauswirtschaftliches Leben herrscht. Die Abrechnung über Wasser und Abwasser der
Verbandsgemeindeverwaltung P Land ergeht ebenfalls an die Adresse in W, ebenso hat die Klägerin bei
der Übertragung des Grundstückes am 09. August 2005 angegeben, dass sie in W wohnt. Auch der
Einheitswertbescheid Zurechnungsfortschreibung auf den 01.01.2006 betreffend das Grundstück in L des
Finanzamtes P-Zweibrücken geht an die Adresse in W. Auch gibt es im Telefonbuch keinen Eintrag unter
dem Namen der Klägerin in L.
Es ist durchaus möglich, dass die Klägerin im Sommer ihre Pferde auf dem Grundstück in L hat und sich
auf diesem Grundstück zeitweise aufhält. Anhaltspunkte über einen längeren Aufenthalt liegen objektiv
nicht vor, denn - wie bereits ausgeführt - hat die Klägerin diese Adresse nie als ihren Wohnsitz
angegeben. Sämtlicher Schriftverkehr geht an die die Adresse in W. Die Klägerin hat beim Finanzamt, der
Schule der Gemeinde usw. immer nur diese Adresse in W angeben, nirgendwo ist ein objektiver Hinweis
auf L.
Vor dem Hintergrund, dass die Kindergeldberechtigte die Feststellungslast für das Vorliegen der
Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld trägt, war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135
Abs. 1 FGO abzuweisen.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26.November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.