Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29.03.2011

FG Neustadt: steuerhinterziehung, treu und glauben, wohnung, festsetzungsverjährung, arbeitsort, veranlagung, steuererklärung, erfüllung, adresse, zustellung

FG
Neustadt
29.03.2011
3 K 2635/08
Falsche Angaben bei der Entfernungspauschale
Im Namen des Volkes
Urteil
3 K 2635/08
In dem Finanzrechtsstreit
1. des Herrn
2. der Frau
- Kläger -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenEinkommensteuer 1996 bis 2005
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. März 2011
durch
den Präsidenten des Finanzgerichts als Vorsitzenden,
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
die ehrenamtliche Richterin
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Der Einkommensteueränderungsbescheid für 1996 vom 17.08.2007 und
die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 – soweit sie das Streitjahr 1996 betrifft –
werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu 9/10 und der Beklagte
zu 1/10 zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der von dem Beklagten zu tragenden Kosten
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2005 geändert werden konnten.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Beide erzielen als
kaufmännische Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie wohnen in der V-Straße in E.
Arbeitsort der Klägerin war im Jahre 1996 G, seit 1997 A. In der Anlage N zu ihrer
Arbeitsort der Klägerin war im Jahre 1996 G, seit 1997 A. In der Anlage N zu ihrer
Einkommensteuererklärung für 1996 gab die Klägerin bei den Werbungskosten hinsichtlich der Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Zeile 35 des Vordrucks (Arbeitsstätte) „G über A“ und die einfache
Entfernung mit „28 km“ an, die sie mit dem privaten Pkw zurückgelegt habe (Bl. 6 R
Einkommensteuerakten – EStA – 1996). In den Anlagen N zu den Einkommensteuererklärungen für 1997
bis 2005 gab die Klägerin jeweils als Arbeitsort „A“ und als einfache Entfernung ebenfalls jeweils „28 km“
an (Bl. 6 R EStA 1997, Bl. 5 R EStA 1998, Bl. 6 R EStA 1999 und 2000, Bl. 5 R EStA 2001 und 2002, Bl. 6
R EStA 2003 und 2004, Bl. 5 R EStA 2005). Der Beklagte führte die Veranlagungen für die Streitjahre
zunächst den Erklärungen gemäß durch (Bescheide für 1996 vom 04.04.1997, Bl. 7 EStA 1996; für 1997
vom 03.04.1998, Bl. 7 EStA 1997; für 1998 vom 27.04.1999, Bl. 6 EStA 1998; für 1999 vom 05.04.2000, Bl.
7 EStA 1999; für 2000 vom 10.04.2001, Bl. 12 EStA 2000; für 2001 vom 18.04.2002, Bl. 6 EStA 2001; für
2002 vom 08.04.2003, Bl. 6 EStA 2002; für 2003 vom 13.05.2004, Bl. 7 EStA 2003; für 2004 vom
25.05.2005, Bl. 8 EStA 2004 und für 2005 vom 22.05.2006, Bl. 10 EStA 2005). Bei der Bearbeitung der
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 fiel dem Sachbearbeiter des Beklagten auf, dass die von
der Klägerin angegebene Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 28 km zu hoch angegeben
war. Eine Überprüfung anhand eines Routenplaners ergab eine einfache Entfernung von E nach A von
rund 10 km. Daraufhin erließ der Beklagte am 17.8.2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte
Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (Bl. 19 EStA 1996, Bl. 19 EStA 1997, Bl. 25 EStA 1998, Bl.
19 EStA 1999, Bl. 22 EStA 2000, Bl. 16 EStA 2001, Bl. 16 EStA 2002, Bl. 17 EStA 2003, Bl. 18 EStA 2004
und Bl. 17 EStA 2005).
Den gegen diese Änderungsbescheide am 03.09.2007 eingelegten Einspruch (Bl. 1 Hefter „Einsprüche
1996 – 2005“ – E -) begründeten die Kläger dahin, es lägen keine neuen Tatsachen vor, die eine
Änderung rechtfertigen könnten. In den Erklärungen seien sowohl die Wohnanschrift als auch die
Arbeitsstätte angegeben. Dem Veranlagungsbeamten habe ohne weiteres auffallen müssen, dass die
angegebene Entfernung mit den Ortsangaben nicht in Einklang zu bringen gewesen sei. Zudem sei für die
Jahre 1996 bis 2001 zum Zeitpunkt der Änderung bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen. Eine
Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO komme nicht in Betracht, da
weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorlägen (Bl. 2 E).
Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück
(Bl. 40 E).
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor: Die Einkommensteuerbescheide 1996 - 2005 hätten
nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen. Die Klägerin wohne in E und arbeite in A. Ihre
tägliche Fahrstrecke zur Arbeitsstätte führe sie über C. Seit vielen Jahren habe sie in der
Einkommenserklärung die Entfernungskilometer (einfache Fahrtstrecke) zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte fehlerhaft mit 28 km anstatt mit den tatsächlichen 15 km angegeben. Sie sei irrtümlich davon
ausgegangen, dass die Entfernungskilometer den tatsächlich gefahrenen Kilometer entsprächen. In
dieser Meinung sei sie durch die seit 1996 jährlich erklärungsgemäß erfolgten Veranlagungen bestärkt
worden. Dem Beklagten seien keine neuen Tatsachen nachträglich bekannt geworden. Ihm seien sowohl
der Wohnsitz als auch die Adresse der Arbeitsstätte der Klägerin durch die jeweiligen
Einkommenssteuererklärungen bekannt gewesen. Beide Adressen hätten sich in dieser Zeit nicht
geändert.Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide aus, wenn sie auf
Tatsachen gründe, die dem Finanzamt infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht zunächst
unbekannt geblieben seien. Eine solche Verletzung der Ermittlungspflicht liege vor, wenn die
Finanzbehörde Zweifeln, die sich nach Sachlage aufdrängen müssten, nicht nachgehe, z.B. bei
offensichtlich unzutreffenden Angaben eines Steuerpflichtigen. Die Klägerin habe die Entfernung
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch Nennung ihrer privaten Adresse und der Adresse ihrer
Arbeitsstätte verbal zutreffend angegeben. Lediglich irrtümlich habe sie dann nicht die
Entfernungskilometer sondern die gefahrenen Kilometer eingetragen. Diese Kilometerdiskrepanz habe
der Beklagte in den geänderten Einkommensteuerbescheiden als "offensichtlich unzutreffende
Entfernung" bezeichnet. So sei in den Erläuterungen der geänderten Bescheide jeweils zur Begründung
ausgeführt:"Die bisherigen Werbungskosten der Ehefrau basieren auf einer offensichtlich unzutreffenden
Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte."
Da dem Beklagten ein offensichtlicher Widerspruch zwischen den tatsächlichen Angaben der Klägerin zu
Wohnort und Arbeitsstätte einerseits und der Entfernung andererseits bei gehöriger Erfüllung seiner
Sachaufklärungspflicht nicht habe verborgen bleiben und der ursprünglichen Entscheidung zugrunde
gelegt werden können, lägen neue Tatsachen nicht vor. Der Einkommensteuererklärung 2006 seien
unverändert dieselben Angaben zu Wohnort, Arbeitsstätte und Entfernungskilometer zu entnehmen wie
den Einkommensteuererklärungen 1996 bis 2005. Dem Veranlagungsbeamten hätte ohne weiteres schon
vor 2006 auffallen müssen, dass die angegebene Entfernung mit den Ortsangaben in der Erklärung nicht
in Einklang zu bringen sei. Die Ortskenntnis sei nicht zuletzt der Grund dafür, dass für die Besteuerung
natürlicher Personen (Einkommensteuer) das Finanzamt örtlich zuständig sei, in dessen Bezirk der
Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.
Im Übrigen sei für die Jahre 1996 bis 2005 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.Der Beklagte habe
zu Unrecht eine Festsetzungsfrist von 10 Jahren angenommen. Die Kläger hätten keine
Steuerhinterziehung begangen. Es handele sich lediglich um eine Verkennung der Fragestellung in der
Einkommenssteuererklärung des Jahres 1996. Diese Annahme habe sich bei den Klägern als zutreffend
verstärkt, nachdem die Beklagte die Angaben in die Veranlagung für 1996 und die Folgejahre
unbeanstandet übernommen habe. Auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung sei nicht
gegeben. Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung liege nicht vor, weshalb auch die Festsetzungsfrist von
5 Jahren nicht einschlägig sei. Leichtfertig sei ein Verhalten, das gravierend gegen Sorgfaltspflichten
verstoße und dem Täter auch besonders vorzuwerfen sei, weil er den Erfolg leicht hätte vorhersehen
können. Die fehlerhaften Angaben über die Jahre seien auf eine einzelne fehlerhafte Eintragung in der
Einkommensteuererklärung 1996 zurückzuführen und in den Folgejahren aus einer nicht beanstandeten
Einkommensteuererklärung übertragen worden.
Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass die geänderten Bescheide selbst bei unterstellter
Änderungsmöglichkeit nicht korrekt seien. Zu Unrecht sei bei der Veranlagung der Klägerin nur der
jeweilige Arbeitnehmerpauschbetrag von 920,00 € / 1.044,00 € bzw. 2.000,00 DM angesetzt worden. Die
auf 15 km bezogene Pendlerpauschale übersteige zusammen mit den übrigen unbeanstandeten
Werbungskosten in jedem Jahr den angesetzten Pauschbetrag. Insofern werde auf eine Tabelle
verwiesen.
Die Kläger beantragen,
die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2005 vom 17.08.2007 und die hierzu
ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 aufzuheben,
hilfsweise,
die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 2005 vom 17.08.2007 und die hierzu
ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften
der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von jeweils 150,00 DM für
1998 und 1999, in Höhe von 191.00 DM für 2000, in Höhe von jeweils 105,00 € für 2001 und 2002 und in
Höhe von 75,50 € für 2004 und 2005 berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus: Die streitigen Einkommensteuerbescheide hätten wegen neuer Tatsachen gemäß § 173
Abs.1 Nr. 1 AO geändert werden können. Die von der Klägerin angegebene Entfernungstrecke sei eine
Tatsache, die der Finanzbehörde nachträglich bekannt geworden sei, denn erst durch eine Abfrage im
Routenplaner im Rahmen der Veranlagung 2006 habe sich ergeben, dass die Angaben der Klägerin nicht
den Tatsachen entsprochen hätten. Der Beklagte habe auch nicht die Ermittlungspflicht verletzt. Die
Veranlagung der Arbeitnehmerfälle sei ein Massegeschäft, das von wechselnden Bearbeitern, bei denen
im Regelfall nicht die entsprechenden Ortskenntnisse vorhanden seien, erfolge. Dass diese Kenntnisse
nicht vorhanden gewesen seien, ergebe sich schon daraus, dass die erhebliche Abweichung zwischen
der Angabe der Klägerin und der tatsächlichen einfachen Entfernung nicht erkannt worden sei. Im Übrigen
sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Angabe offensichtlich in unzutreffender Weise gemacht habe
und sie damit ihre Mitwirkungspflicht in erheblicher Weise verletzt habe.Es sei auch nicht zweifelhaft, dass
die Klägerin bewusst unzutreffende Angaben gemacht habe und damit die erweiterte Festsetzungsfrist
wegen Steuerhinterziehung gegeben sei. Die Frage in der Anlage N nach der einfachen Entfernung sei
eindeutig. Eine Verkennung der Fragestellung sei ausgeschlossen. Hinzu komme, dass die Frage nach
der einfachen Entfernung in der Anlage N des Klägers zutreffend beantwortet und hier somit die
Fragestellung nicht verkannt worden sei. Es bestünden keine Zweifel, dass die Klägerin unzutreffende
Angaben gemacht habe, um einen steuerlichen Vorteil zu erlangen. Nachdem dies in 1996 funktioniert
habe, habe sie dies auch in den Folgejahren beibehalten und sich bei Entdeckung der unzutreffenden
Angaben auf diesen erworbenen Vorteil berufen. Im Ergebnis komme bei der Klägerin lediglich der
Werbungskostenpauschbetrag zum Ansatz. Insoweit gingen die Ausführungen bezüglich des
unzutreffenden Ansatzes der Werbungskostenpauschale ins Leere.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Der Einkommensteueränderungsbescheid für 1996
vom 17.08.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 – soweit sie den
Änderungsbescheid für 1996 betrifft - sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten,
weshalb sie aufzuheben sind. Im Übrigen hingegen, also für die Streitjahre 1997 bis 2005, ist die Klage
unbegründet. Insofern sind die angefochtenen Änderungsbescheide und die Einspruchsentscheidung
rechtsmäßig.
1.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit über die Frage, dass die in den ursprünglichen
Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre angesetzten Werbungskosten für die Fahrten der Klägerin
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Bezug auf die anzusetzende Entfernung nicht korrekt waren.
2.
Streitig ist aber, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der
Einkommensteuerbescheide für 1996 bis 2005 vorliegen.
Zu Recht hat der Beklagte angenommen, dass die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert
werden konnten.
a)
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder
Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Unter einer Tatsache im Sinne des §
173 AO ist das zu verstehen, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein
kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Als
Beweismittel sind diejenigen Erkenntnismittel anzusehen, die der Aufklärung des steuerrechtlich
erheblichen Sachverhalts dienen, d.h. die geeignet sind, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von
Tatsachen zu beweisen (st. Rspr., z. B. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 – VIII R 121/83, BStBl II 1989,
585 und vom 27. Oktober 1992 – VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569). Demgegenüber sind rechtliche
Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen keine Tatsachen im Sinne
des § 173 Abs. 1 AO. Auch eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere
rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, ist keine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift (st.
Rspr., z. B. BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 – X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144).
b)
Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die
nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht
verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt
haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt
aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der
Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 24.01.2002 XI R 2/01, BStBl II 2004, 444).
c)
Die an die Ermittlungen der Finanzbehörde nach
§ 88 AO
zu stellenden Anforderungen sind nicht
allgemein festzulegen. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht nur dann, wenn sie
offenkundigen Zweifelsfragen oder Unklarheiten nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt,
deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (vgl.
BFH-Urteile vom 12.07.2001 VII R 68/00
,
BStBl
II 2002, 44
und vom 28.06.2006
XI R 58/05
,
BStBl II 2006, 835
; Beschluss vom 22.08.2007
VIII
B 220/06 –
juris -). Grundsätzlich darf die Finanzbehörde davon ausgehen, dass der steuerliche erhebliche
Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich angegeben worden ist. Sie muss den Angaben des
Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen begegnen. Werden Steuererklärungen abgegeben, so muss sie
eventuellen Unklarheiten und Zweifelsfragen nachgehen, die sich aus der Erklärung oder den dazu
eingereichten Unterlagen aufdrängen.
2.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Änderung nach §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.
Die im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserhebliche Tatsache, dass nämlich die einfache
Entfernung zwischen Eisenberg und Grünstadt bzw. zwischen E und A ca. 10 km beträgt, war dem
Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre
nicht bekannt, sondern wurde erst im Rahmen der Bearbeitung der Steuererklärung für das Jahr 2006
seitens eines ortskundigen Mitarbeiters des Beklagten und auf Grund einer Überprüfung der Angaben
anhand eines Routenplaners bekannt.
a)
Bei der Frage, welche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort des Steuerpflichtigen liegt, handelt es
sich um eine Tatsache, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Steuererklärung anzugeben hat,
während die Subsumtion, also die Prüfung der Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die
steuerliche Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten (hier: Aufwendungen für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) vorliegen, von der Behörde bei der Veranlagung vorzunehmen ist.
b)
In ihren Steuererklärungen für die Jahre 1996 bis 2005 hat die Klägerin die jeweils in der Zeile 35 (für
1996 bis 2000) bzw. Zeile 36 (für 2001 bis 2004) bzw. Zeile 45 (für 2005) der Anlage N gestellte Frage
nach der einfachen Entfernung mit 28 km angegeben.
Diese Angaben der Klägerin waren weder widersprüchlich noch zweifelhaft, sondern eindeutig und sie
boten dem Veranlagungsbeamten keinen Anlass, ihnen nachzugehen, weitere Überprüfungen oder
Ermittlungen anzustellen. Dabei ist zum Einen zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst verpflichtet
und auch in der Lage war, die zutreffende Antwort auf die gestellte Frage zu beantworten, da es sich um in
ihrer persönlichen Sphäre liegende Umstände handelt. Zum anderen ist zu sehen, dass es sich bei der
Veranlagung der Arbeitnehmerfälle um ein Massengeschäft handelt, das von immer wieder wechselnden
Bearbeitern erledigt wird, die nicht in jedem Fall über hinreichende Ortskenntnisse verfügen, um etwaige
Unstimmigkeiten einzelner Angaben in einer Steuererklärung auf Anhieb erkennen zu können. Auch
bestand kein Anlass, den Angaben der Klägerin mit Misstrauen zu begegnen.
c)
Aber selbst wenn man davon ausginge, die Veranlagungsbeamten hätten seinerzeit bereits die
fehlerhaften Entfernungsangaben erkennen können, stünde dies einer Änderung auf der Grundlage des §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Denn es liegt eine erhebliche Verletzung der Mitwirkungspflichten auf
Seiten der Klägerin vor. Die Klägerin war verpflichtet, in ihrer Steuererklärung nach bestem Wissen und
Gewissen wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Auf diese Verpflichtung war sie jeweils im
Mantelbogen der Einkommensteuererklärungen besonders hingewiesen worden und sie musste die
Korrektheit ihrer Angaben mit ihrer Unterschrift versichern. Gleichwohl hat sie hinsichtlich der Entfernung
Wohnung/Arbeitsstätte fehlerhafte Kilometerangaben gemacht. Soweit sie in diesem Zusammenhang
angibt, sie habe seinerzeit irrtümlich angenommen, die Entfernungskilometer entsprächen den tatsächlich
gefahrenen Kilometern, vermag diese Einlassung die falschen Angaben nicht zu erklären. Denn
ausgehend von der tatsächlichen Entfernung zwischen E und A (bzw. G) von lediglich 10 km - nicht 15 km,
wie in der Klageschrift angegeben - ergäben sich tatsächlich gefahrene Kilometer (also Hin- und
Rückfahrt) von nur 20 km, keinesfalls aber von 28 km, wie von der Klägerin in den Steuererklärungen
eingetragen.
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide
für 1996 bis 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.
3.
Der Änderung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide steht allerdings hinsichtlich des
Streitjahres 1996 der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen, da für diesen Veranlagungszeitraum
nicht vom Vorliegen eine Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO auszugehen ist. Anders verhält es
sich dagegen in Bezug auf die Streitjahre 1997 bis 2001. Insoweit ist der Senat zu der Überzeugung
gelangt, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt mit der Folge, dass sich gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für
diese Jahre die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre verlängert.
a)
Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die im Streitfall in Rede stehende
Steuerart grundsätzlich vier Jahre. Sie begann nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO für 1996 mit Ablauf des
Kalenderjahres 1997, in welchem die Kläger die Einkommensteuererklärung für 1996 abgegeben haben
und endete bei regulärem Ablauf mit Ende des Kalenderjahres 2001. Damit wäre an sich für 1996
Festsetzungsverjährung eingetreten. Soweit eine Steuer hinterzogen worden ist, verlängert sich allerdings
die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre und auf fünf Jahre, wenn sie leichtfertig
verkürzt worden ist. Festsetzungsverjährung für 1996 wäre damit bei Vorliegen einer Steuerhinterziehung
erst mit Ablauf des Jahres 2007 eingetreten, der Änderungsbescheid vom 17.08.2007 vor Eintritt der
Festsetzungsverjährung ergangen. Entsprechendes gilt für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2001.
Eine Steuer ist u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich
erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt (§
370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in
Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann
verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Voraussetzung ist,
dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung bzw. einer
leichtfertigen Steuerverkürzung vorliegen, wobei die objektiven Tatbestandsmerkmale in beiden
Begehungsformen identisch sind.
Vorsätzlich handelt, wer weiß, dass er über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder
unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche
Tatsachen in Unkenntnis lässt und dies auch will oder zumindest für möglich hält und billigend in Kauf
nimmt, und auch weiß oder für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass dadurch nicht die tatsächlich
geschuldete Steuer, sondern eine niedrigere festgesetzt wird. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer
Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten
und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm hätte aufdrängen müssen, dass dadurch
eine Steuerverkürzung eintritt.
Ob die Tat strafrechtlich verfolgt und bestraft worden ist oder ob sie – etwa wegen einer Selbstanzeige -
nicht bestraft werden konnte, ist für die Frage des Eintritts der Festsetzungsverjährung ohne Belang (vgl.
Rüsken in Klein, AO, Kommentar, § 169 Rz. 26). Der Sinn der längeren Festsetzungsverjährung liegt
darin, dass bei einer Steuerhinterziehung bzw. -verkürzung in aller Regel die Sachaufklärung erschwert
ist und den Finanzbehörden deshalb ein längerer Zeitraum eingeräumt werden soll.
aa)
Im Streitfall liegen die objektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO
hinsichtlich sämtlicher Streitjahre vor.
Die Klägerin hat den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder
unvollständige Angaben gemacht, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der
Behördenakten sowie den eigenen Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Danach
ist davon auszugehen, dass die Klägerin gegenüber dem Finanzamt objektiv falsche Angaben hinsichtlich
der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort gemacht hat. Denn sie hat nicht die einfache Entfernung
zwischen E und G bzw. E und A, sondern mehr als das doppelte der Wegstrecke erklärt.
bb)
Die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung liegen in Bezug auf das Streitjahr 1996
allerdings nicht vor. Insoweit hält es der erkennende Senat für durchaus denkbar, dass die Klägerin die
Eintragung der Wegstrecke zum Arbeitsort „G über A“ und die Angabe der Kilometer mit „28“ in der
Annahme, die Entfernungskilometer entsprächen den tatsächlich gefahrenen Kilometern, lediglich
versehentlich, nicht aber bewusst fehlerhaft vorgenommen hat.
cc)
Anders verhält es sich aber hinsichtlich der Streitjahre 1997 bis 2001. Insofern ist der Senat zu der
Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich handelte, als sie die
unzutreffenden Angaben hinsichtlich der Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte machte.
Insoweit liegen objektive Merkmale vor, die das Vorliegen einer Steuerhinterziehung auch in subjektiver
Hinsicht begründen.
Während sich nämlich im Veranlagungszeitraum 1996 der Arbeitsort der Klägerin noch in Grünstadt
befand und sie in diesem Jahr ihren eigenen Angaben zufolge von E über A nach G gefahren ist, befand
sich ihr Arbeitsplatz ab 1997 im Ort A. Sie musste sich also bei der Anfertigung ihrer Steuererklärung
Gedanken über die von ihr benutzte Fahrtstrecke machen und es musste ihr dabei bewusst sein, dass die
Entfernung zu ihrem neuen Arbeitsplatz deutlich geringer war als diejenige von E über A nach G und dass
– unabhängig von der tatsächlichen Entfernung - dieselbe Angabe „28 km“ nicht zutreffend sein kann.
Wenn sie gleichwohl in der Erklärung für 1997 und für die Folgejahre gleichwohl dieselben
Entfernungskilometer angab, kann sie diese Eintragung nur vorsätzlich fehlerhaft vorgenommen haben.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin um die genaue Entfernung nach A wusste, da sie die
Strecke an sämtlichen Arbeitstagen selbst gefahren ist. Die Erklärung der Klägerin für die fehlerhaften
Angaben ist demgegenüber bereits in sich nicht schlüssig, nachdem die tatsächliche Entfernung zwischen
E und A lediglich 10 km beträgt und bei der Annahme, es sei nach den tatsächlich gefahrenen Kilometer
gefragt, allenfalls 20 km, nicht aber 28 km anzugeben gewesen wären.
Die Klägerin muss es ferner auch unter Zugrundelegung einer laienhaften Bewertung zumindest für
möglich gehalten haben, dass sie mit den falschen Angaben einen höheren als den ihr zustehenden
Werbungskostenabzug erreicht.
c)
Mithin ist für Jahre 1997 bis 2001 auf Grund der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre keine
Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Einkommensteueränderungsbescheide für die
Veranlagungszeiträume 2002 bis 2005 ergingen innerhalb der regulären Festsetzungsfrist.
4.
Soweit die Kläger schließlich hilfsweise eine Korrektur der angefochtenen Änderungsbescheide für die
Jahre 1998 bis 2005 dahingehend begehren, dass bei der Veranlagung der Klägerin anstelle des
Arbeitnehmerpauschbetrages von 2.000,- DM (für 1998 bis 2001), 1044,- € (für 2002 und 2003) bzw.
920,00 € (für 2004 und 2005) im Einzelnen bezifferte Werbungskosten angesetzt werden, vermag der
Senat dem nicht zu folgen. Denn die Klägerin geht in ihrer mit der Klagebegründung vorgelegten
Aufstellung insofern von einem unrichtigen Sachverhalt aus, als sie bei sog. Pendlerpauschale eine
Entfernung Wohnung/Arbeitsstätte von 15 km annimmt, während die einfache Entfernung tatsächlich bei
10 km liegt. Legt man aber diesen Wert und die übrigen unbeanstandet gebliebenen Werbungskosten zu
Grunde, ergeben sich für alle Veranlagungszeiträume von 1998 bis 2005 Werbungskosten, die unter dem
jeweiligen Arbeitnehmerpauschbetrag liegen.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
6.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf
§§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.