Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 10.11.2010

FG Neustadt: arbeitslohn, erlass, pflege, entscheidungskompetenz, arbeitslosenversicherung, versicherungspflicht, erfüllung, einspruch, vertretung, kontrolle

FG
Neustadt
10.11.2010
1 K 1914/08
Einschränkung der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO.
Im Namen des Volkes
Urteil
1 K 1914/08
In dem Finanzrechtsstreit
1. des Herrn
2. der Frau
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenEinkommensteuer 2002, AO/FGO-Sachen
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 10. November 2010
durch
die Vizepräsidentin des Finanzgerichts als Vorsitzende,
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
die ehrenamtliche Richterin
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Die Einkommensteuerbescheide für 2002 vom 18. Mai 2009 und vom 17. April 2008 sowie
die Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 werden aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden
Kosten abwenden, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung eines Steuerbescheids vorliegen.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben unstreitigen Einkünften aus
Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung erzielten sie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit,
der Kläger als Geschäftsführer und die Klägerin als Prokuristin der Eisen- und Schrotthandelsgesellschaft
G GmbH in T.
Nachdem der Beklagte die Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1997 bis 2003 im Wesentlichen
antragsgemäß durchgeführt hatte, wurde im Rahmen einer bei der o.g. GmbH in 2005 durchgeführten
Lohnsteueraußenprüfung u.a. festgestellt (vgl. Anlage zum Prüfungsbericht vom 02.01.2006, Bl. 116 ff
„Klage-Akte“), dass nach einer von dem Sozialversicherungsträger DAK vertretenen
versicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit der Klägerin als Prokuristin diese keine eine
Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung auslösende
abhängige Beschäftigung sei. Daher wurden die seit Beginn der Tätigkeit gezahlten Arbeitnehmer- und
Arbeitgeberanteile zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung in freiwillige Beiträge umgewandelt, die
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Arbeitslosenversicherung wurden an den Arbeitgeber
zurückgezahlt. Diese Arbeitnehmeranteile wurden vom Arbeitgeber nicht an die Klägerin weitergegeben.
Nach Auffassung des Prüfers führte die Feststellung des Sozialversicherungsträgers, die mit Schreiben
vom 15.05.2002 mitgeteilt worden war, zum rückwirkenden Wegfall der bis dahin für die Klägerin
angenommenen Versicherungspflicht. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 Satz
1 EStG seien weggefallen. Die in freiwillige Beiträge umgewandelten Arbeitgeberanteile zur Kranken-,
Pflege- und Rentenversicherung seien im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum der Klägerin zugeflossen und
als Arbeitslohn zu versteuern, ebenso die ab Juni 2002 gezahlten Zuschüsse des Arbeitgebers zur
freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Dem gegenüber liege, weil die Arbeitnehmer- und
Arbeitgeberanteile zur Arbeitslosenversicherung an den Arbeitgeber erstattet worden seien und die
Arbeitnehmeranteile nicht an die Klägerin ausgezahlt worden seien, in Höhe dieser Arbeitnehmeranteile
eine Rückzahlung von Arbeitslohn im Zeitpunkt der Erstattung vor. Hieraus ergebe sich folgende
Erhöhung der Bruttoarbeitslöhne der Klägerin:
Kalenderjahr Kranken- und Pflegevers. Rentenvers. Arbeitslohnrückzahlung Insgesamt
1997
3.753,05 DM
4.882,15 DM
8.635,20 DM
1998
4.807,25 DM
6.343,75 DM
11.151,00 DM
1999
4.883,75 DM
6.153,75 DM
11.037,50 DM
2000
4.843,75 DM
6.031,25 DM
10.875,00 DM
2001
4.870,88 DM
6.002,18 DM
10.873,06 DM
bis Mai 2002 1.056,05 €
1.245,10 €
ab Juni 2002 1.913,66 €
4.583,81 €
- 369,00 €
2003
2.939,60 €
201,87 €
2.737,73 €
Die Einkommensteuerveranlagungen der Kläger seien ab 1997 nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, die
nachzuversteuernden Beträge seien gleichzeitig im Rahmen der Höchstbeträge abziehbare
Vorsorgeaufwendungen.
Der Beklagte folgte dieser Auffassung in den nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten
Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1997 bis 1999 bzw. nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten
Einkommensteuerbescheiden für 2000 bis 2002 und dem nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid für
2003, jeweils vom 03. April 2006, für 2002 und 2003 erhöhte er wegen anderer unstreitiger Feststellungen
der Lohnsteueraußenprüfung gleichzeitig den Bruttoarbeitslohn des Klägers um 961 Euro bzw. 605 Euro.
Nachdem die dagegen erhobenen Rechtsbehelfe erfolglos geblieben waren, entschied der Senat auf die
von den Klägern erhobene Klage mit Urteil vom 13. September 2007 (Az. 1 K 2180/06, Juris), dass zwar
im Grundsatz wegen des Entschlusses des Arbeitgebers der Klägerin, die an sich ihm zustehenden
Erstattungsbeträge an den Arbeitnehmer weiterzugeben, und entsprechender Umsetzung ein Zufluss von
Bruttoarbeitslohn an die Klägerin anzunehmen sei. Weil dieser Vorgang im damaligen Streitfall aber erst
im Jahre 2002, dem nunmehrigen Streitjahr, und nicht in den Jahren 1997 bis 2001 erfolgt sei, hob der
Senat die entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheide für diese Jahre mangels Zufluss von
Arbeitslohn auf, im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der so verstandene Zufluss der für die Jahre
1997 bis 2001, der für Januar bis Mai 2002 und der von Juni bis Dezember 2002 gezahlten
Arbeitgeberanteile sei im Streitjahr 2002 erfolgt. Eine Saldierung des danach in 2002 insgesamt
anzusetzenden Bruttoarbeitslohns mit den - jedenfalls zunächst - unzutreffend angesetzten Teilbeträgen
für Januar bis Mai 2002 führe zu keiner Änderung der Besteuerungsrundlagen. Eine darüber
hinausgehende steuerliche Erfassung weiterer als Bruttoarbeitslohn der Klägerin zugeflossener Beträge
in 2002 sei im Hinblick auf das im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtende Verböserungsverbot nicht
möglich. Die gegen das genannte Urteil des Senats erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der
Beklagte zurückgenommen (BFH-Beschluss vom 07. Mai 2008, Az.: VI B 120/07).
In dem nach § 174 AO geänderten - und hier im Grunde streitgegenständlichen -
Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 17. April 2008 erhöhte der Beklagte die Einkünfte der Klägerin
um die o.g. Arbeitgeberanteile für die Jahre 1997 bis 2001 iHv umgerechnet 26.879 € auf 59.104 € und
berücksichtigte diesen Betrag gleichzeitig im Rahmen der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen.
Mit dem dagegen erhobenen Einspruch trugen die Kläger vor, eine Erfassung der in 2002 gezahlten
Beträge sei nicht zulässig, weil die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO nicht die Möglichkeit eröffne,
hinsichtlich eines bereits einer gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Bescheids das Verböserungsverbot
zu unterlaufen. Eine nochmalige Änderung eines bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten
Steuerbescheids mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht
wegen des Verböserungsverbotes nicht habe ziehen dürfen, sei nicht möglich. Außerdem stellten die vom
Arbeitgeber übernommenen Beiträge zur feiwilligen Rentenversicherung des Arbeitnehmers keinen
Arbeitslohn dar.
Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Der in 2002 erfolgte Zufluss des Arbeitslohnes habe in dem geänderten Bescheid berücksichtigt werden
können, da die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO erfüllt seien. Das
Finanzgericht habe die Bescheide für 1997 bis 2001 aufgehoben, weil nach seiner Auffassung in diesen
Jahren ein Zufluss von Arbeitslohn nicht erfolgt sei. Der tatsächliche Sachverhalt, wie er vom Beklagten
ermittelt worden sei, sei damit lediglich rechtlich anders gewürdigt worden. Weil das Finanzgericht in
seinem Urteil wegen der Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Klagebegehren habe
hinausgehen können, sei eine Änderung des Bescheids für 2002 daher nur durch das Finanzamt nach §
174 AO möglich gewesen.
Die dagegen erhobene Klage begründen die Kläger unter Vertiefung ihres Vorbringens aus dem
Einspruchsverfahren im Wesentlichen damit, dass § 174 Abs. 4 AO nicht die Möglichkeit eröffne,
hinsichtlich eines bereits einer gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Bescheids das Verböserungsverbot
zu unterlaufen. Eine nochmalige Änderung eines bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten
Steuerbescheids mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht
wegen des Verböserungsverbotes nicht habe ziehen dürfen, sei durch die Vorschrift nicht erlaubt.
Der Beklagte hat den Einkommensteuerbescheid 2002 aus nicht streitgegenständlichen Gründen am 18.
Mai 2009 geändert.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Einkommensteuerbescheide für 2002 vom 18. Mai 2009 und vom 17. April 2008 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er hält daran fest, dass die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift erfüllt seien. § 174 Abs. 4 AO
verhindere lediglich die hier allerdings nicht vorliegende nochmalige Änderung desselben Bescheids,
wenn dieser durch Gerichtsentscheidung geändert worden sei. Folgerungen aus einem bestimmten
Sachverhalt, die zunächst nicht im „richtigen“ Bescheid, sondern in einem anderen Verfahren gezogen
worden seien, sollten durch Änderung des „richtigen“ Bescheids oder durch dessen erstmaligen Erlass
noch gezogen werden können. Das Finanzamt habe nicht den nämlichen Bescheid, also nicht die bereits
durch die Gerichtsentscheidung modifizierten Bescheide für 1997 bis 2001, sondern einen anderen, das
Jahr 2002 betreffenden Bescheid geändert. Der Einkommensteuerbescheid 2002 sei durch die
Gerichtsentscheidung weder aufgehoben noch geändert, also nicht modifiziert worden. Es handele sich
schon begrifflich um verschiedene Besteuerungsverfahren im Sinne des § 174 Abs. 4 AO, weil der
Beklagte aus dem Urteil die Konsequenzen aus der Aufhebung der Bescheide für 1997 bis 2001 gezogen
habe. Dies ergebe sich auch aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Mit der Änderung des
Bescheids für das Streitjahr habe der Beklagte nicht auf die Entscheidung des Senats für dieses Streitjahr
reagiert, sondern lediglich die Konsequenz aus der für die Kläger günstigen Änderung der Jahre 1997 bis
2001 gezogen.
Im Streitfall handele es sich um einen Sonderfall („Mischfall“), in dem in ein und demselben
Finanzgerichtsverfahren und in ein und derselben Finanzgerichtsentscheidung über mehrere, formell
jedoch unabhängige, Besteuerungsverfahren, darunter auch das für das Streitjahr 2002, entscheiden
worden sei. Für diese Fallkonstellation liege eine BFH-Entscheidung noch nicht vor.
Mit Beschluss vom 17. August 2009 (Az. 1 V 1808/08) hat der Senat auf entsprechenden Antrag der
Kläger die Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids gewährt.
Der Senat hat die Verfahrensakten zu 1 K 2180/06 und 1 V 1808/06 beigezogen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im Ergebnis auch begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1
FGO. Der Beklagte konnte sich nicht auf die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO berufen.
Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf
Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu
seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO als einziger hier
in Betracht kommender Änderungsvorschrift aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder
Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Nach Satz 2
gilt dies auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. § 174
Abs. 4 AO erfasst neben den Fällen, in denen die Finanzbehörde aus "einem bestimmten Sachverhalt" die
steuerlichen Folgerungen ziehen will, sich dabei aber darüber irrt, welches Steuerobjekt oder welches
Steuersubjekt (welchen Steuerpflichtigen; Inhaltsadressaten) diese Folgerungen betreffen, auch jene
Konstellationen, in denen die Finanzbehörde darüber irrt, in welchem Jahr (Veranlagungs- bzw.
Erhebungszeitraum) die steuerrechtlichen Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt zu ziehen
sind, sog. Periodenkollision (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Februar 2009, Az.: X B 121/08, BFH/NV 2009,
890 m.w.N.). Irrig ist dabei die Beurteilung eines Sachverhalts, wenn sie sich nachträglich aus
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen als unrichtig erweist (BFH-Urteil vom 15. Januar 2009, Az.: III R
81/07, BFH/NV 2009, 1073).
Diese Voraussetzungen der Änderungsvorschrift erscheinen im Streitfall zunächst als erfüllt.
Mit der Entscheidung vom 13.09.2007 in dem Verfahren 1 K 2180/06 hatte der Senat die nach seiner
Rechtsauffassung auf einer irrigen rechtlichen Beurteilung des Beklagten beruhenden unrichtigen
Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 2001 auf Betreiben der Kläger zu deren Gunsten aufgehoben,
weil ein im Grundsatz anzunehmender Zufluss von Arbeitslohn nicht in diesen Veranlagungszeiträumen
stattgefunden hatte. Vielmehr war nach Auffassung des Senats der Zufluss des Arbeitslohns in 2002
erfolgt. Die Norm des § 174 Abs. 4 AO bietet im Grundsatz für diese Fälle eine Ermächtigungsgrundlage
für den Erlass oder die Änderung einer anderen Steuerfestsetzung, um den nunmehr unberücksichtigten
Sachverhalt - den Zufluss von Arbeitslohn - in dem richtigen Bescheid zu erfassen. Dies hat seinen
Hintergrund in der Überlegung, dass derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, auch
die damit verbundenen Nachteile hinnehmen muss. Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhaltes und das
Interesse an dessen übereinstimmender steuerrechtlicher Beurteilung erlauben es, unter diesen
Voraussetzungen einer zutreffenden Besteuerung den Vorrang vor dem Schutz des Vertrauens auf die
Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu geben (BFH-Urteil vom 11. Mai 2010, IX R 25/09, DB 2010, 2151
m.w.N.). In diesem Sinne hat der Beklagte mit der nachträglichen Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2002 im Streitfall den Widerstreit, dass der Sachverhalt entweder in dem
aufgehobenen oder in dem nach § 174 Abs. 4 AO zu ändernden Steuerbescheid hätte geregelt werden
müssen, aber aufgrund der vorausgegangenen gerichtlichen Aufhebung nunmehr ohne Regelung war,
beseitigt.
Der Senat hält jedoch an seiner in dem Beschluss vom 17. August 2009 zu 1 V 1808/08 dargelegten
Rechtsauffassung fest, nach der der Streitfall durch eine besondere prozessuale Situation insoweit
gekennzeichnet ist, dass sich die unter dem Az. 1 K 2180/06 geführte Klage nicht nur gegen die
Bescheide für 1997 bis 2001, sondern auch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2002 gerichtet
hatte.
Im Urteil vom 13. September 2007 zu 1 K 2180/06 hatte der Senat unter begründeter Darlegung seiner
Auffassung insoweit entschieden, dass der Zufluss der für die Jahre 1997 bis 2001 und auch der für
Januar bis Mai 2002 gezahlten Arbeitgeberanteile im Streitjahr 2002 erfolgt ist und sodann ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass „eine darüber hinausgehende steuerliche Erfassung weiterer als Arbeitslohn in
2002 zugeflossener Beträge indes im Hinblick auf das im finanzgerichtlichen Verfahren zu beachtende
Verböserungsverbot nicht möglich“ sei. Das Verböserungsverbot hindert zunächst das Gericht an einer
Änderung eines streitbefangenen Bescheids zu Lasten der jeweiligen Kläger. Es würde verletzt, wenn das
Gericht den angefochtenen Bescheid zum Nachteil des Klägers ändern würde.
Als weitere Konsequenz dieses Grundsatzes erlaubt § 174 Abs. 4 AO eine nochmalige Änderung ein und
desselben bereits durch Gerichtsentscheidung modifizierten Steuerbescheids zu Ungunsten des
Steuerpflichtigen mit dem Ziel, aus dieser Gerichtsentscheidung Folgerungen zu ziehen, die das Gericht
aus Gründen des Verböserungsverbotes gerade nicht ziehen durfte, nicht. Dieser Grundsatz lässt sich der
Entscheidung des BFH vom 08. Juli 1992, Az.: XI R 54/89, BStBl II 1992, 867 entnehmen, deren Leitsatz,
worauf der Beklagte zu Recht hinweist, sich mit der „nochmaligen Änderung desselben Bescheids durch
die Verwaltungsbehörde“ befasst. Der Senat hält dies indes für einen auch auf den Streitfall anwendbaren
Gedanken. Denn in der zitierten Entscheidung wird weiter ausgeführt, dass es der Behörde grundsätzlich
verwehrt ist, aus einem Sachverhalt „ergänzende“ Rechtsfolgen zu ziehen und diese zur Grundlage einer
nochmaligen Änderung des rechtskräftig gewordenen Bescheids zu machen, wenn die Beurteilung eines
einzelnen abgrenzbaren Lebensvorgangs durch gerichtliche Entscheidung über einen Verwaltungsakt
rechtskräftig abgeschlossen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Rechtsfolgen sich zu Ungunsten des
Bescheidadressaten auswirken würden und vom Gericht bereits in Betracht gezogen, aber aus
verfahrensrechtlichen Gründen bewusst unberücksichtigt gelassen worden waren. Diese die Bedeutung
des Verböserungsverbotes unterstreichenden Ausführungen treffen in gleichem Maße für die im Streitfall
bestehende Konstellation zu. Der Senat hatte, wie ausgeführt, in der Entscheidung vom 13. September
2007 eine vor dem Hintergrund des Zuflussprinzips grundsätzlich denkbare Änderung des Bescheides für
2002 zu Lasten der Kläger ausdrücklich erwähnt und ebenso ausdrücklich aus den angesprochenen
verfahrensrechtlichen Gründen bewusst nicht umgesetzt.
Diese Überlegungen aufnehmend hat der BFH im Beschluss vom 30. Dezember 2008, Az.: I S 31/08,
Juris, für eine dem vorliegenden Streitfall vergleichbare Konstellation entschieden, dass § 174 AO aus
Rechtskraftgründen unanwendbar ist, wenn das Gericht unter Hinweis auf das Verböserungsverbot davon
abgesehen hat, den ursprünglich angefochtenen Bescheid zu Lasten des Klägers zu ändern; dann bietet
§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO keine Handhabe dafür, dass das Finanzamt jene Änderung in einem weiteren
Bescheid vornimmt. Soweit, worauf sich der Beklagte beruft, der BFH in diesem Beschluss weiter ausführt,
dass es um einen solchen Sachverhalt im dortigen Streitfall nicht gegangen sei, weil das Finanzamt mit
der Änderung des Bescheids für das Streitjahr nicht auf die Entscheidung des Finanzgerichts für dieses
Jahr reagiert, sondern die Konsequenzen aus der für die dortige Antragstellerin günstigen Änderung für
ein Vorjahr gezogen habe, liegt dies in der Besonderheit des dortigen Sachverhaltes begründet, im
vorliegenden Streitfall verhält sich dies anders. Denn mit der Änderung des Einkommensteuerbescheides
für 2002 hat der Beklagte, wenn auch naturgemäß vor dem Hintergrund der für die Kläger günstigen
gerichtlichen Entscheidung für die Jahre 1997 bis 2001, ausschließlich auf die Entscheidung des Senats
für das Jahr 2002 reagiert und die aus Gründen des Verböserungsverbotes vom Gericht unterlassene
Änderung zu Lasten der Kläger vorgenommen.
Unabhängig davon, ob der Senat den damaligen Einkommensteuerbescheid 2002 im Urteil vom 13.
September 2007 im obigen Sinne „modifiziert“ hat, hat er im o.g. Verfahren, auch wenn die Klage gegen
den Einkommensteuerbescheid 2002 als unbegründet abgewiesen worden war, nach den
Entscheidungsgründen angesichts der zitierten Ausführungen ausdrücklich darüber entschieden, ob und
auch in welcher Höhe ein Zufluss von Arbeitslohn im Jahr 2002 anzunehmen ist. Damit hat der Senat trotz
Abweisung der Klage insoweit ersichtlich von seiner Entscheidungskompetenz Gebrauch gemacht und
bewusst über Zeitpunkt und Höhe des Arbeitslohnzuflusses entschieden. Die Entscheidung beansprucht
daher, anders als in dem dem BFH-Urteil vom 08. Juni 2000, Az.: IV R 65/99, BStBl II 2001, 89 zugrunde
liegenden Sachverhalt, in dem das dortige Finanzgericht im „ersten“ Verfahren eine abschließende
Entscheidung zu der dort maßgeblichen materiellen Frage bewusst nicht getroffen hatte, insoweit auch
eine abschließende Entscheidungskompetenz iSd § 110 FGO. Weil es, ggfls. auch bei Überschreitung der
Entscheidungskompetenz, allein darauf ankommt, worüber das Finanzgericht tatsächlich entscheidet -
nach den Entscheidungsgründen im Streitfall: Zufluss von Arbeitslohn in einer bestimmten Höhe zu einem
bestimmten Zeitpunkt in 2002 -, nimmt die Auffassung des Senats an der Rechtskraft des Urteils teil.
Insofern unterscheidet sich der Streitfall auch von demjenigen, über den der BFH mit Beschluss vom 24.
August 2005, Az.: VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86 zu entscheiden hatte und der dadurch gekennzeichnet
war, dass das Finanzgericht im dortigen „ersten Verfahren“ tatsächlich keine derartige Entscheidung für
das Streitjahr getroffen hatte.
Im Ergebnis kann daher die vom Beklagten vorgenommene Änderung des Einkommen-steuerbescheids
2002 nicht auf § 174 Abs. 4 AO gestützt werden, auch wenn damit die streitgegenständlichen Beträge
letztlich unversteuert bleiben. Andere Änderungsvorschriften kommen ersichtlich nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO,
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten
und der Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und nach
§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 90 Abs. 2
FGO).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei
Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem
Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil
angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der
Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit
Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel
ergibt.
Für die Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem
Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof
berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte
Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des
Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Hinweis:
Die Revision kann auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und
begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.