Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 07.10.2010

FG Neustadt: zahlungsaufforderung, verfügung, zustellung, verbringen, einspruch, wohnsitz im ausland, begriff, rechtliches gehör, eigenes verschulden, unbewegliches vermögen

FG
Neustadt
07.10.2010
4 K 1663/07
Haftung für Erbschaftsteuer
Im Namen des Volkes
Urteil
4 K 1663/07
In dem Finanzrechtsstreit
der
- Klägerin -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenHaftung für Steuern; Erbschaftsteuer (betreffend der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
der Frau U. K.)
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 4. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. Oktober 2010
durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 wird der am 31. März 2010
geänderte Haftungsbescheid vom 31. Mai 2006 insoweit aufgehoben, als die darin festgesetzte
Haftungssumme einen Betrag von 10.542,98 € (= 8.885,84 € Überweisung am 17. September 2002 +
1.657,14 € Überweisung am 20. September 2002) überschreitet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben der Beklagte zu 4/5 und die Klägerin zu 1/5 zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
der noch festzusetzenden Kosten abwenden, sofern die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in
dieser Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Strittig ist, ob die Klägerin zu Recht nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG in Haftung genommen wurde.
Der am 8. Dezember 2001 verstorbene Erblasser unterhielt bei der Klägerin, einer Sparkasse, mehrere
Konten, die am Todestag laut Anzeige vom 13. Dezember 2001 (Bl. 1 ErbSt-A) ein Guthaben inklusive
Zinsen von insgesamt 339.374 DM aufwiesen. Den Grundbesitzwert der beiden dem Erblasser
gehörenden Grundstücke stellte das Lagefinanzamt im Bescheid jeweils vom 31. März 2004 zum
Todestag auf einen Betrag von 267.450,65 € (= 523.000 DM; Bl. 29/30 ErbSt-A) bzw. 42.437,22 € (=
83.000 DM; Bl. 31 ErbSt-A) gesondert fest. Außerdem war der Erblasser Inhaber von Fondsanteilen mit
einem Gesamtwert zum Todestag in Höhe von 50.939,54 € (= 99.629 DM; Bl. 15 ErbSt-A).
Ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichtes M vom 19. April 2002 (Bl. 11 ErbSt-A) wurde der Erblasser
von Frau U. K., seiner Stieftochter (Bl. 9 ErbSt-A), als Alleinerbin beerbt. Die Anschrift der Erbin war im
Erbschein mit "S-Straße ..., M" angegeben. Diese Anschrift war nach den Meldedaten des
Einwohnermeldeamtes in der Zeit vom 4. April 2001 bis zum 15. Mai 2002 die Hauptwohnung der Erbin
(Bl. 163 PA).
Da die Erbin, die nach den Feststellungen des Beklagten seit dem 15. Mai 2002 nach R/USA verzogen
war (Bl. 202 ErbSt-A), trotz wiederholter Aufforderung im Jahr 2002 (Bl. 19/20 ErbSt-A) keine
Erbschaftsteuererklärung abgab, erließ der Beklagte am 7. September 2004 einen
Erbschaftsteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit geschätzten
Besteuerungsgrundlagen. Darin ging er im Wege der Schätzung davon aus, dass der Erblasser über
Bargeld in Höhe von 10.000 DM verfügte und er der Erbin insgesamt 400.000 DM geschenkt hatte. Unter
Berücksichtigung eines persönlichen Freibetrags in Höhe von 400.000 DM setzte er - ausgehend von
einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von abgerundet 1.002.500 DM - die Erbschaftsteuer gegenüber
der Erbin auf 77.332,90 € fest (= 151.250 DM; Bl. 33/35 ErbSt-A). Den Erbschaftsteuerbescheid versandte
der Beklagte am 7. September 2004 an die Erbin zunächst mit einfachem Brief (Bl. 37 ErbSt-A). Nachdem
Zahlungsaufforderungsschreiben als unzustellbar zurückkamen (Bl. 38-41 ErbSt-A), erließ der Beklagte
unter dem Datum vom 6. Mai 2005 einen inhaltsgleichen Erbschaftsteuerbescheid (Bl. 58/59 ErbSt-A) und
versuchte diesen zweiten Bescheid über das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland an die
Erbin zuzustellen. Nach Angaben des Generalkonsulats scheiterte die Zustellung daran, dass die
Empfängerin die Postsendung nicht abholte. Zugleich wies das Generalkonsulat den Beklagten darauf
hin, dass eine förmliche Zustellung über ein namentlich bezeichnetes Privatunternehmen bewirkt werden
könne (Bl. 67-71 ErbSt-A). Von dieser Zustellmöglichkeit über ein Privatunternehmen sah der Beklagte
nach Rücksprache mit dem AO Referat der OFD aus Kostengründen ab (Bl. 75 ErbSt-A). Stattdessen
stellte er den Erbschaftsteuerbescheid unter dem Datum vom 14. Dezember 2005 öffentlich zu (Bl. 78-85
ErbSt-A).
Eine Zahlung der Erbschaftsteuer durch die Erbin erfolgte nicht. Der Beklagte versuchte daher, die
Erbschaftsteuer durch eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Klägerin beizutreiben
(Bl. 86 ErbSt-A). Da die Konten des Erblassers bei der Klägerin zwischenzeitlich abgewickelt waren (Bl.
42 ErbSt-A), nahm der Beklagte nunmehr die Klägerin - nach vorheriger Anhörung (Bl. 47/48 ErbSt-A) - mit
Bescheid vom 31. Mai 2006 (Bl. 89-91 ErbSt-A) für die gesamte Erbschaftsteuerschuld in Höhe von
77.332,90 € gestützt auf § 191 AO i.V.m. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG mit dem Argument in Haftung, die im
Schreiben vom 12. April 2005 (Bl. 51 ErbSt-A) eingeräumte Geldüberweisung ins Ausland stelle ein
vorsätzliches "Bringen des Vermögens ins Ausland" im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG dar. Der
Haftungsbescheid ist unter dem Buchstaben B mit einer “Zahlungsaufforderung“ ohne genaue Angabe der
Fälligkeit versehen. Wegen Fehlens der Fälligkeitsangabe forderte der Beklagte die Klägerin im
Schreiben vom 23. Juni 2006 (Bl. 96 ErbSt-A) zur Zahlung der Haftungssumme bis zum 26. Juli 2006 auf;
dieses Schreiben enthält keine Rechtsmittelbelehrung.
Gegen den "Haftungsbescheid vom 31.05.2006 (Erbschaftsteuer)" legte die Klägerin mit Schreiben vom
19. Juni 2006 (Bl. 93/94 ErbSt-A) Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die Kontoguthaben des
Erblassers nicht vorsätzlich oder fahrlässig einem außerhalb des Geltungsbereiches des
Erbschaftsteuergesetzes wohnhaften Berechtigten im Sinne der 2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG
zur Verfügung gestellt zu haben, da die Alleinerbin nach Auskunft der Stadtverwaltung M bis zum 15. Mai
2002 im Inland wohnhaft gewesen sei. Weiterhin rügte sie, die Nachlasswerte nicht im Sinne des § 20
Abs. 1 S. 2 ErbStG 1. Alternative ins Ausland verbracht zu haben. Führe eine Bank eine
Zahlungsanweisung aus, verbringe sie die Nachlasswerte nicht selbst ins Ausland, sondern stelle sie im
Sinne der zweiten Haltungsalternative des § 20 Abs. 1 S. 2 ErbStG allenfalls zur Verfügung (mit Hinweis
auf Schmidt, ZEV 2003 Seite 129 ff, 131).
Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 (Bl. 201-205 ErbSt-A)
aus folgenden Gründen zurück: Vorliegend sei eine Haftung nach der 1. Alternative des § 20 Abs. 6
ErbStG sehr wohl gegeben. Durch die Überweisung habe die Klägerin die Bankguthaben vor Entrichtung
oder Sicherstellung der Steuer in ein Gebiet außerhalb des Gesetzes gebracht. Entgegen der Auffassung
der Klägerin stelle auch eine Überweisung ins Ausland ein "Bringen" im Sinne der 1. Alternative des § 20
Abs. 6 S. 2 ErbStG dar. Das folge aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 6 ErbStG. § 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG
regele die Haftung von Versicherungsunternehmen bezüglich der von ihnen zu zahlenden
Versicherungssummen und Leibrenten. Hierbei handele es sich ausschließlich um Forderungen, so dass
der Gesetzgeber in § 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG den Begriff "zahlen" habe verwenden können. Abweichend
hiervon regele § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG die Haftung der Vermögensverwalter. Der Begriff des Vermögens
des Erblassers umfasse jedoch nicht nur Forderungen, sondern auch andere Rechte und Sachen (mit
Hinweis auf BFH vom 12. August 1964 II 125/62 U, BStBl III 1964 S. 647). Daher habe der Gesetzgeber in
§ 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG den Begriff "bringen" statt des Begriffs "zahlen" verwendet. Diese Formulierung
schränke jedoch den Wirkungsbereich des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG nicht ein. Dies ergebe sich auch aus
der in § 20 Abs. 7 ErbStG festgelegten Geringfügigkeitsgrenze. Eine Einschränkung des
Wirkungsbereichs der 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 würde zudem dem Zweck der Norm
zuwiderlaufen. Diese Vorschrift solle verhindern, dass ein zunächst realisierbarer Steueranspruch
dadurch vereitelt werde, dass vor Entrichtung der Steuer das Vermögen in ein Gebiet außerhalb des
Geltungsbereichs des Erbschaftsteuergesetzes verbracht oder außerhalb des Geltungsbereichs des
Erbschaftsteuergesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung gestellt werde. Zu diesem Zweck mute
das Gesetz dem inländischen Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher
oder fahrlässiger Verletzung zur Haftungsfolge führe (mit Hinweis auf BFH vom 11. August 1993 II R
14/90, BStBl II 1994 S. 116). Gerade dieses Ziel würde verfehlt, wenn Banken, welche Guthaben des
Erblassers vor Entrichtung der Steuer ins Ausland überwiesen, von der Haftung ausgenommen würden.
Die Klägerin habe zumindest fahrlässig gehandelt. Bei Beachtung der üblichen Sorgfaltspflicht hätte sie
sich vor einer Überweisung der Guthaben ins Ausland vergewissern müssen, dass die Voraussetzungen
für eine Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG nicht vorgelegen hätten. Hierzu hätte sie von der Erbin eine
entsprechende Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts verlangen müssen (mit Hinweis auf
Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Rz 73 zu § 20). Eine solche Unbedenklichkeitsbescheinigung sei
vom Finanzamt aber nicht erteilt worden. Der diesbezügliche telefonische Antrag der Erbin vom 2. Mai
2002 sei abgelehnt worden (Bl. 12 ErbSt-A). Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin
lägen somit vor. Auch sei die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensgerecht, da die gegen die Erbin
unternommenen Vollstreckungsmaßnahmen ohne Erfolg geblieben seien. Da weitere Haftungsschuldner
nicht vorhanden seien und der von der Klägerin ins Ausland überwiesene Betrag die festgesetzte
Erbschaftsteuer überstiegen habe, sei die Klägerin in Höhe des gesamten Steuerbetrages in Haftung zu
nehmen gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die am 5. April 2007 (Gründonnerstag)
versandte Einspruchsentscheidung verwiesen.
Mit der Klage hält die Klägerin an ihrer im Einspruchsverfahren bereits vertretenen Auffassung fest.
Ergänzend und vertiefend trägt sie Folgendes vor:
Am 25. April 2002 habe sie von dem Guthaben des Erblassers einen Betrag in Höhe von 164.000 € auf
ein Konto der Erbin bei der W Bank/USA überwiesen (mit Hinweis auf Anlage K6). Ein weiterer Betrag in
Höhe von 8.885,84 € sei am 17. September 2002 und am 20. September 2002 nochmals ein Betrag in
Höhe von 1.657,14 € auf das gleiche Konto überwiesen worden. Bezeugen könne dies ihr Angestellter C.
W. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG seien im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung
des Beklagten nicht erfüllt.
Die 2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG sei nicht einschlägig, da die Erblasserin zum Zeitpunkt der
Auszahlung der Bankguthaben mit Wohnsitz in Deutschland, nämlich in der S-Straße ..., M, gemeldet
gewesen sei. Bestätigt werde dies durch die Angaben im Erbschein vom 19. April 2002 und durch die E-
Mail ihrer Angestellten G. vom 22. März 2005 (Bl. 35 PA). Eine Auskunftseinholung beim
Einwohnermeldeamt der Stadt M könne diese Angaben bestätigen.
Aber auch eine Haftung nach der 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG scheide aus. Eine
Überweisung eines Kontoguthabens stelle kein "bringen in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereiches
dieses Gesetzes" dar. Nach dem Wortsinn bedeute "bringen" ein Bewegen von Gegenständen von einem
bestimmten Ort an einen anderen Ort (mit Hinweis auf Moench, ErbStG, Rz 20 zu § 20). Er setze mithin
voraus, dass gegenständliche Sachen bewegt würden. Dies sei jedoch bei einer Überweisung nicht der
Fall, bei der lediglich ein Guthaben, also eine Forderung transferiert werde, ohne dass ein Gegenstand
den Ort wechsele (mit Hinweis auf Moench, a.a.O.). Entsprechend habe der Gesetzgeber im Gegensatz zu
der Formulierung in § 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG nicht die abweichende Formulierung "zahlen" verwendet.
Dieser abweichende Wortlaut zwischen Satz 1 und Satz 2 von § 20 Abs. 6 ErbStG lege nahe, dass hiermit
auch eine andere Sinnbedeutung gegeben sei. Eine Überweisung stelle folglich kein "bringen" dar,
sondern eine Zurverfügungstellung des Guthabens. Selbst wenn der Begriff des Vermögens des
Erblassers nicht nur Forderungen, sondern auch andere Rechte und Sachen umfasse, ändere dies jedoch
nichts an der Bedeutung des Wortes "bringen". Vielmehr stehe dies in Übereinstimmung mit der hier
vertretenen Auffassung, nämlich dass nur Sachen verbracht werden könnten, während Guthaben als
Forderungen übertragen bzw. bezahlt werden müssten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die
Überweisung des Guthabens auf Anweisung der Erbin durchgeführt worden sei. Führe eine Bank eine
solche Anweisung aus, verbringe sie die Nachlasswerte nicht selbst ins Ausland, sondern stelle sie
wegen der Anweisung allenfalls im Sinne der 2. Alternative des § 20 Abs. 1 S. 2 ErbStG zur Verfügung (mit
Hinweis auf Moench, a.a.O.). Das Gesetz selbst definiere die Überweisung in § 676a Abs. 1 BGB (a.F.)
ausdrücklich als das "zur Verfügung stellen" eines Geldbetrages auf dem Konto des Empfängers und nicht
etwa als das "verbringen" von Geld. Die Schutzrichtung der Norm, die vom Beklagten betont werde,
ändere daran nichts. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung notwendig, den gesetzgeberischen Willen, der
sich im Wortlaut widerspiegele, ebenso heranziehe wie den Sinn und Zweck der Norm. Dem Beklagten
sei zu widersprechen, wenn er behaupte, die hiesige Rechtsansicht bezüglich des Begriffs "bringen"
vereitelte die Erreichbarkeit des Gesetzeszwecks in weiten Teilen. Der größte Anteil der praktischen Fälle
des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG unterfiele nicht der Verbringensalternative, sondern der zweiten Alternative,
die das "zur Verfügung stellen" sanktioniere. In einer Zeit, in der der bargeldlose Zahlungsverkehr den
überwältigenden Anteil des Wirtschaftslebens ausmache, könne die Beschränkung der
Verbringensalternative auf das Bewegen von körperlichen Gegenständen von einem Ort an einen
anderen Ort nicht den Gesetzeszweck in weiten Teilen vereiteln. Die für den bargeldlosen
Zahlungsverkehr relevante zweite Alternative bliebe durch die Beschränkung der Verbringungsalternative
auf körperliche Gegenstände unberührt. Der weitaus größte Teil des Anwendungsbereichs unterfiele
vielmehr der zweiten Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG. Von einer Vereitelung des Gesetzeszweckes
"in weiten Teilen" könne also keine Rede sein. Es handele sich vielmehr um eine sachgerechte
Differenzierung. Sachgerecht deswegen, weil es bei dem Verbringen von körperlichen Gegenständen
über die Grenze ins Ausland gerade nicht auf den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des
Empfängers ankomme. Allein das Verbringen entziehe den Vermögenswert dem Zugriff des Fiskus. Im
Gegensatz dazu bliebe der Vollstreckungszugriff bei einer Banküberweisung auf ein ausländisches Konto
noch erhalten, falls der Zahlungsempfänger sich im Inland für gewöhnlich aufhalte. Diesem Unterschied
trage § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG Rechnung, indem er in der Verbringensalternative nicht auf den Wohnsitz
abstelle, im Rahmen der zweiten Alternative dieses Erfordernis jedoch vorsehe. Das werde ebenfalls in
der Literatur so von Moench (EStG, Rz 20 zu § 20) und von Schmidt (a.a.O.) gesehen. Der Beklagte müsse
sich fragen lassen, was nach seiner Auffassung das "verbringen" noch von dem "zur Verfügung stellen"
unterscheide und warum der Gesetzgeber im Rahmen der Alternative in Form des Zurverfügungstellens
die Anwendung durch das Erfordernis des Wohnsitzes im Ausland eingeschränkt habe, wenn ohnehin
alle denkbaren Konstellationen unter die Verbringensalternative fallen sollten. Der Auslegung des
Beklagten zufolge könnte man die Alternative des Zurverfügungsstellens einfach streichen. Das zeige,
dass die Auffassung des Beklagten nicht richtig sein könne. Bei der Auslegung der Norm müsse auch der
Beklagte die Wortgrenze einhalten. Eine einseitige, den Wortlaut völlig überdehnende Interpretation
verbiete Art. 14 GG, da es sich bei § 20 Abs. 6 ErbStG um eine Eingriffsnorm handele, die das
grundgesetzlich geschützte Eigentum beeinträchtige. Eingriffsnormen seien nach allgemeiner Auffassung
restriktiv auszulegen. Sie dürften nicht zu Lasten des Dritten durch behördliche Interpretationen erweitert
werden, die im Gesetz keine Stütze fänden. Ganz abgesehen von der Bedeutung der Wortlautgrenze für
die Auslegung der Eingriffsgrundlage deute auch die Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 11. August
1993 (II R 14/90, BStBl II 1994 S. 116) in diese Richtung. Nach dieser Entscheidung führe die Übertragung
von Geldern auf ein Konto des Erben dazu, dass in Ansehung dieser Gelder jegliche Haftung nach § 20
Abs. 6 ErbStG ausscheide, weil es sich dann nicht mehr um Vermögen des Erblassers handele, sondern
um solche des Erben. Das bedeute für den vorliegenden Fall: Hätte die Klägerin auf Weisung der Erbin
die Gelder auf ein inländisches Konto der Erbin umgebucht, hätte sie keine Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 2
ErbStG getroffen, weil es an einem entsprechenden Auslandsbezug gefehlt hätte. Wäre nun -nach der
Umbuchung- von der Klägerin eine Auslandsüberweisung vom Konto der Erbin durchgeführt worden, so
hätte nach Maßgabe der oben geschilderten Rechtsprechung des BFH gleichfalls keine Haftung nach §
20 Abs. 6 S. 2 ErbStG eintreten können, weil es sich nicht mehr um Gelder des Erblassers gehandelt hätte.
Es sei dann allerdings nicht nachvollziehbar, dass nur deshalb, weil eine entsprechende Umbuchung
nicht stattgefunden habe, eine Haftung der Klägerin nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG anzunehmen sein solle.
Die Gefährdung fiskalischer Interessen sei in dem einen Fall so groß wie in dem anderen Fall. Für diese
Sichtweise sprächen auch zwei weitere Umstände. Hätte die Erbin das Geld der ersten Tranche bei der
Klägerin abgehoben und dieses persönlich in die vereinigten Staaten überführt, so dürfte unstreitig sein,
dass das eine Haftung der Klägerin nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG - in keiner der beiden Alternativen - hätte
nach sich ziehen können. Aus dieser Parallelbetrachtung werde aber deutlich, dass bei der Frage, ob die
Klägerin nach § 20 Abs. 6 ErbStG hafte, auf eine subjektbezogene Betrachtung abzustellen sei. Es komme
maßgeblich auf die Frage an, ob sie bei Ausführung des Überweisungsauftrages überhaupt als
"verfügende Person" im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2 1. Alternative ErbStG anzusehen sei. Das sei nicht der
Fall. Sie habe schlicht den Überweisungsauftrag, den ihr die Erbin erteilt habe, ausgeführt. Eine
eigenständige Entscheidung liege nicht vor. Bei der hiernach gebotenen subjektbezogenen Betrachtung
sei daher festzuhalten, dass sie nicht verfügende oder verbringende Person im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2
1. Alternative ErbStG gewesen sei. Zudem schließe eine genaue Analyse der rechtlichen Vorgänge bei
Auslandsüberweisung eine Subsumtion unter den Begriff "bringen" aus. Unstreitig dürfte sein, dass eine
Geldschuld eine qualifizierte Schickschuld sei. Gleiches gelte für den Überweisungsauftrag. Bevor ein
Transfer von Auszahlungsansprüchen ins Ausland erfolge, passiere ein Überweisungsauftrag dabei
verschiedene zwischengeschaltete Kreditinstitute, die ihrerseits die Aufträge weiterleiten würden. Man
spreche insoweit von Überweisungsketten; ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Empfänger des
Überweisungsauftrages und dem ausländischen Überweisungsempfänger finde nicht statt. Damit könne
es bei der Ausführung eines Überweisungsauftrages auch keinen Erfolgsort beim ausländischen
Kontoinhaber geben, womit ein "bringen" ins Ausland im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2 1. Alternative ErbStG
durch Weiterleitung des Überweisungsauftrages an das nächst höhere Kreditinstitut im Gironetz schon
begrifflich ausscheide. Hätte der Gesetzgeber hier auch den Zahlungsverkehr berücksichtigen wollen, so
hätte er das durch die Aufnahme des Wortes "zahlen" tun können, wie er dies ja auch in § 20 Abs. 6 S. 1
ErbStG getan habe oder durch Verwendung des Ausdrucks "zur Verfügung stellen", wie er es in § 20 Abs.
6 S. 2 2. Alternative ErbStG getan habe. Beides sei nicht der Fall. Damit müsse davon ausgegangen
werden, dass der Gesetzgeber die Zahlungs- bzw. Überweisungsfälle gerade nicht als Verbringen habe
angesehen wissen wollen, womit die 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ausscheide. Der vom
Beklagten zitierten Fundstelle zur Regierungsbegründung sei nicht zu entnehmen, wie in dem
vorliegenden Fall zu verfahren sei. Letztlich werde in der Regierungsbegründung lediglich der Wortlaut
des Gesetzes wiederholt. Soweit der Beklagte befürchte, die Rechtsauffassung der Klägerin führe zu einer
Umgehung des § 20 Abs. 6 ErbStG, wenn man das "bringen" nur als das rein körperliche Bewegen von
Vermögenswerten verstehe, sei dem nicht zu folgen. Befinde sich der Wohnsitz des Empfängers im Inland,
wie es hier zumindest bei Überweisung des ersten Teilbetrages der Fall gewesen sei, greife § 20 Abs. 6
ErbStG nicht ein. Dies gefährde die Realisierung der Steuerschuld im Regelfall auch nicht, da der
Vollstreckungszugriff aufgrund des Aufenthalts des Steuerschuldners im Inland weiterhin sichergestellt
sei. In diesem Zusammenhang sei auf die Möglichkeit eines persönlichen Sicherheitsarrests gemäß § 326
AO bzw. im Falle der Steuerhinterziehung auf einen strafrechtlich veranlassten Haftbefehl hinzuweisen.
Eine bedingungslose und lückenlose Realisierung der Steuerschuld wäre nur garantiert, wenn jedes
Bankinstitut bei größeren Auslandsüberweisungen der Pflicht unterliegen würde, eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung einzuholen, selbst wenn der Anweisende seinen Wohnsitz im Inland
haben sollte.
Des Weiteren habe sie bei der Auszahlung der Kontoguthaben nicht schuldhaft gehandelt. Ein
schuldhaftes Handeln im Sinne von § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG liege vor, wenn einem Geldinstitut der Tod
des Kontoinhabers bekannt sei und er keine oder völlig unzureichende organisatorische Vorkehrungen
getroffen habe, um eine Auszahlung von Spareinlagen des Erblassers an Personen mit Wohnsitz
außerhalb des Bundesgebietes zu verhindern (mit Hinweis auf Kapp/Ebeling, ErbStG, Rz 41 zu § 20).
Unstreitig sei hier, dass der Klägerin der Tod des Kontoinhabers bekannt gewesen sei. Allerdings habe
sie ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen, um eine derartige Auszahlung zu verhindern.
Zum einen sei sie zu Recht davon ausgegangen, dass die Erbin in Deutschland gewohnt habe. Darüber
hinaus hätten die zuständigen Sachbearbeiter die Auszahlung der Erbsumme an die Erbin zunächst
verweigert und auf die Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung routinemäßig bestanden. Erst im
April 2002 seien die bestehenden Spar- und Festgeldkonten des Erblassers aufgelöst und alsdann an die
Erbin ausgezahlt worden. Dabei seien die zuständigen Sachbearbeiter vom Vorliegen der
Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgegangen. Zum Nachweis hierfür werden ihre Angestellten T. K., A.
P. und M. G. als Zeugen angeboten. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung sei bei der Klägerin jedoch
nicht auffindbar. Auch habe sie (die Klägerin) aufgrund der Höhe des gesamten bei ihr befindlichen
Vermögens nicht davon ausgehen können, dass eine Erbschaftsteuerschuld bestehe. Der sich bei ihr in
Gewahrsam befindliche Betrag habe noch unterhalb des Freibetrages des § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG
gelegen. Ein Verschulden im Sinne von § 276 BGB liege daher nicht vor, auch nicht bezüglich der
Überweisung vom 17. September 2002 in Höhe von 8.885,84 € und vom 20. September 2002 in Höhe von
1.657,14 €. Es entspreche banküblicher Sorgfalt, sich nicht mehrmals innerhalb weniger Monate über den
Aufenthaltsstatus eines Zahlungsempfängers bei den zuständigen Behörden zu informieren. Dies gelte
gerade auch im Hinblick auf die verhältnismäßig niedrigen Überweisungsbeträge bei der 2. und 3.
Teilzahlung.
Schließlich sei der Haftungsbescheid auch der Höhe nach rechtswidrig. Mit Bescheid vom 31. Mai 2006
sei sie für die rückständige Erbschaftsteuer in voller Höhe in Haftung genommen worden. Ausgezahlt
habe sie aber nur einen Gesamtbetrag in Höhe von 174.582,98 €. Aufgrund des Umstandes, dass sie
lediglich einen Betrag in Höhe von rund 174.000 € auf das Konto der Erbin in den USA überwiesen habe,
während der steuerpflichtige Erwerb über 512.000 € betragen haben müsste, erscheine jedenfalls ihre
vollständige Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft. Das Vorliegen eines Haftungstatbestandes
unterstellt wäre also der Haftungsbetrag ermessensgerecht zu reduzieren. Ermessensfehlerhaftigkeit sei
auch deshalb gegeben, weil der Beklagte den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht einwandfrei
und erschöpfend ermittelt habe. Aus der Behördenakte ergebe sich, dass mehrmals versucht worden sei,
den Steuerbescheid an die Erbin in die USA zuzustellen. Dennoch habe der Beklagte nicht sämtliche
Möglichkeiten der Zustellung ausgenutzt. Vielmehr sei die vom Generalkonsulat vorgeschlagene
förmliche Zustellung durch ein privates Unternehmen aus Kostengründen unterblieben. Auch sei der
steuerpflichtige Erwerb hier größtenteils geschätzt worden. Die unvollständige Sachverhaltsermittlung
habe die Fehlerhaftigkeit der getroffenen Ermessensentscheidung zur Folge, da nicht alle rechtlichen und
tatsächlichen Gesichtspunkte in der Ermessensentscheidung bezüglich der Auswahl der Klägerin als
Haftungsschuldnerin ausreichend berücksichtigt worden seien (mit Hinweis auf BFH vom 1. Juli 1981 VII
R 84/80, BStBl II 1981 S. 714; BFH vom 25. Juli 1989 VII R 54/86, BStBl II 1990 S. 284). Hinzu komme,
dass das Ermittlungsdefizit nicht allein im Bereich des Entschließungs- und Auswahlermessens zur
Fehlerhaftigkeit geführt habe, sondern - aufgrund der Fehlinterpretation der Haftungsvoraussetzung
"verbringen" - auch auf die tatbestandliche Ebene ausgestrahlt habe. Nach Ansicht der Rechtsprechung
reiche es dabei für die Fehlerhaftigkeit der Ermessensentscheidung aus, wenn das Ermittlungsdefizit nicht
nur im Bereich des Entschließungs- oder Auswahlermessens der Behörde angesiedelt sei, sondern auch,
wenn es sich auf Tatbestandsmerkmale der Haftungsvorschrift beziehe (mit Hinweis auf BFH vom 12.
Dezember 1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997 S. 386).
Die Entscheidung über ihre Inanspruchnahme sei auch im Hinblick auf andere
Vollstreckungsmöglichkeiten nicht ermessensfehlerfrei. Ob ihre Inanspruchnahme bereits an der
Subsidiaritätsregelung des § 219 AO scheitern müsse, könne offen bleiben. Jedenfalls sei § 322 Abs. 4
AO nicht beachtet worden. So ermögliche es der als Sollvorschrift formulierte § 322 Abs. 4 AO der
Finanzverwaltung nach pflichtgemäßer Ermessensausübung Befriedigung durch Verwertung von
vorhandenen Immobilien zu erlangen (mit Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Rz 58 zu § 322).
Diese Möglichkeit habe der Beklagte überhaupt nicht in Betracht gezogen, so dass ein Ermessensausfall
vorliegen würde. Als Ermessensausfall zu werten sei außerdem, dass der Beklagte sich nicht ansatzweise
mit der Möglichkeit beschäftigt habe, Befriedigung durch Pfändung von eventuell vorhandenen
Mieteinnahmen der Grundstücke zu erlangen. Hierzu sei er aber noch vor Inanspruchnahme von
Haftungsschuldnern verpflichtet gewesen (mit Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Rz 59 zu §
322). Die vom Beklagten in diesem Zusammenhang geäußerte Annahme, sie habe lediglich die
Haftungsfestsetzung und nicht auch das Leistungsgebot angefochten, gehe fehl. Selbstverständlich habe
sie über das komplette Einspruchsverfahren hinaus auch in der finanzgerichtlichen Klage sowohl die
Haftungsfestsetzung als auch die Zahlungsaufforderung angegriffen. Dies zeige schon die
Einspruchsschrift vom 15. August 2006, in der insgesamt gegen den Haftungsbescheid vom 31. Mai 2006
Einspruch eingelegt worden sei; dabei sei nicht zwischen Festsetzung und Zahlungsaufforderung
differenziert worden. Eine Auslegung dahingehend, es sei nur die Festsetzung angefochten worden,
widerspreche fundamental ihrem Begehren, welches aber gemäß § 96 Abs. 1 S. 2 FGO maßgeblich sei.
Die Tatsache, dass die Haftungsfestsetzung und die dazugehörige Zahlungsaufforderung als zwei
voneinander getrennte Verwaltungsakte auf einem Stück Papier zusammengefasst worden seien,
indiziere seit Umstellung des Rechtsbehelfsverfahrens am 1. Januar 1996, dass sich der Einspruch gegen
den Haftungsbescheid insgesamt, also gegen beide Verwaltungsakte, richte. Die Rechtsansicht des
Beklagten orientierte sich offensichtlich noch nach altem Recht, wonach gegen das Leistungsgebot
gemäß § 349 Abs. 1 AO 1977 a.F. die Beschwerde und nicht der Einspruch statthaft gewesen sei (mit
Hinweis auf BFH vom 20. Dezember 2002 VII B 66/02, BFH/NV 2003 S. 592). Da die
Rechtsbehelfsverfahren vereinheitlicht worden seien, verbiete sich nunmehr das willkürliche, dem
Klagebegehren widersprechende aufspalten der Rechtsbehelfe. Die Ansicht des Beklagten, es lasse sich
allein aus der Tatsache, dass Haftungsbescheid und Leistungsgebot in einer Urkunde zusammengefasst
worden seien, nicht schließen, dass sich ein Einspruch auch gegen das Leistungsgebot richte, sei mit der
geltenden Rechtslage nicht mehr vereinbar. Das habe der BFH im Beschluss vom 20. Dezember 2002 (VII
B 66/02, BFH/NV 2003 S. 592) in einem obiter dictum festgestellt. Dem Beklagten sei zudem zu
widersprechen, wenn er davon ausgehe, die Begrifflichkeit "Haftungsbescheid" erfasse lediglich die
Haftungsfestsetzung und nicht auch die Zahlungsaufforderung. Die Gliederung des Haftungsbescheids
vom 31. Mai 2006 sei der dortigen Seite 1 zu entnehmen; danach setze sich der Haftungsbescheid aus
Festsetzung (A) und Zahlungsaufforderung (B) zusammen. Es sei deshalb gerade nicht so, dass der
Haftungsbescheid nur die Haftungsfestsetzung und nicht auch die Zahlungsaufforderung erfasse.
Infolgedessen sei das Nichtausschöpfen der Vollstreckungsmöglichkeiten gegen die Steuerschuldnerin
sehr wohl in diesem Verfahren beachtlich. Dass im Einspruchsverfahren keine Einwände gegen die
Zahlungsaufforderung erhoben worden seien, sei nicht geeignet, die Rechtsposition des Beklagten in
diesem Punkt zu stützen, da der Umfang des Einspruchsverfahrens gemäß § 357 Abs. 3 S. 2 AO nicht
durch den Antrag oder die Antragsbegründung einschränkbar sei. Der Antrag habe für die Erledigung des
Rechtsbehelfs und den Umfang der Prüfung keine Bedeutung, da das Rechtsbehelfsverfahren nicht auf
bestimmte Streitpunkte begrenzt werde (mit Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Rz 50 zu §
357). Weil sich der Einspruch gegen den "Haftungsbescheid" insgesamt richtete, mithin sowohl gegen die
"Haftungsfestsetzung" als auch gegen die "Zahlungsaufforderung", gehe der Einwand des Beklagten fehl,
es habe bezüglich der Zahlungsaufforderung schon kein Vorverfahren stattgefunden. Von einer
Klageänderung könne überhaupt keine Rede sein. Der Vortrag des Beklagten, der zum Nachlass
gehörende Grundbesitz des Erblassers sei bereits im Jahr 2003 "anderen Eigentümern zugerechnet
worden", werde bestritten. Auch die erneute Behauptung, die Vollstreckung in das unbewegliche
Vermögen sei angesichts der Beschränkung des § 219 Abs. 1 S. 1 AO subsidiär, könne nicht überzeugen.
Der Beklagte sei aus Ermessensgesichtspunkten verpflichtet, die Vollstreckung in das unbewegliche
Vermögen zu betreiben, denn die Steuerschuldnerin habe über ausreichend vorhandenes,
unbewegliches Vermögen verfügt (mit Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Rz 64 zu § 219;
BFH vom 22. Juli 1986 VII R 191/83, BFH/NV 1987 S. 140). Die Ermessensfehlerhaftigkeit sei jedenfalls
gegeben, wenn die Finanzverwaltung noch nicht einmal versucht habe, den Steuerschuldner durch
Vollstreckung in das Immobilienvermögen in Anspruch zu nehmen. Immerhin habe sich erhebliches
Immobilienvermögen in der Erbmasse befunden, was dem Beklagten aufgrund der Mitteilungspflichten im
Bereich der Grunderwerbsteuer bekannt gewesen sei. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass die
Umschreibung im Grundbuch vor dem 22. April 2002 erfolgt sei und dass der Erbschein dem Beklagten
erst am 22. April 2002 zugegangen sei. Des Weiteren hätte der Beklagte bereits vorher Kenntnis vom
Eigentumswechsel haben müssen. Bekanntlich erfolge die Umschreibung im Grundbuch erst, nachdem
eine grunderwerbsteuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgelegt worden sei (§ 22 GrEStG). Das
bedeute, dass der Beklagte vom Vertragsabschluss zwischen der Erbin und dem Käufer in Kenntnis
gesetzt gewesen sei. Hier wäre es mühelos möglich gewesen, eine entsprechende Kontrollmitteilung an
die Erbschaftsteuerstelle zu übersenden. Ob dies geschehen sei oder nicht, entziehe sich ihrer Kenntnis.
Jedenfalls habe es der Beklagte selbst in der Hand gehabt, durch entsprechende
Organisationsmaßnahmen den bevorstehenden Eigentumswechsel zu erkennen und einen
Vollstreckungszugriff zu ermöglichen. Dass der Beklagte die entsprechende interne Organisation
möglicherweise nicht geschaffen habe, könne sich nicht zu ihren Lasten auswirken. Die Finanzverwaltung
könne nicht einfach sehenden Auges abwarten, bis die vorhandenen Immobilien veräußert worden seien
und sich dann am Haftungsschuldner schadlos halten. Aus diesen Gesichtspunkten heraus sei es
durchaus von Belang, ob die Zustellung des Erbschaftsteuerbescheids formgerecht erfolgt sei, das heißt,
ob die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die von dem deutschen Generalkonsulat vorgeschlagene
förmliche Zustellung durch ein privates Unternehmen durchzuführen. Es dürfe nicht zu ihren Lasten
gehen, wenn der Beklagte einen Zustellversuch lediglich aus Kostengründen unterlasse, da die
Zustellungskosten in keinem Verhältnis zu der angesetzten Summe stehen würden. Auch werde bestritten,
dass seitens der vorgesetzten Stelle die öffentliche Zustellung als das geeignete Mittel mitgeteilt worden
sei. Der Beklagte möge insoweit substantiiert vortragen, wer hier wann, mit wem und auf welchem Wege
Rücksprache gehalten habe. Das bisherige pauschale Vorbringen sei nicht erwiderungfähig. Die
Behauptung erscheine aber schon deswegen zweifelhaft, da bei der im Raum stehenden Steuerforderung
auch Zustellungskosten im unteren vierstelligen Bereich gerechtfertigt gewesen wären. Insoweit sei von
einem Ermessennichtgebrauch auszugehen.
Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte am 31. März 2010 einen geänderten Haftungsbescheid
und reduzierte die Haftungsschuld um 31.122,37 € auf 46.210,53 € (Bl. 135/106. 30 PA). Mit diesem
Änderungsbescheid reagierte der Beklagte auf die im Verlauf des Klageverfahrens von der Klägerin
erhobenen Einwendungen gegen die Schätzung der Vorschenkungen in Höhe der Freibeträge und des
Bargeldbestandes (Bl. 131 PA).
Die Klägerin beantragt,
den am 31. März 2010 geänderten Haftungsbescheid vom 31. Mai 2006 und die Einspruchsentscheidung
vom 5. April 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung trägt er hierzu im
Wesentlichen vor:
Entgegen der Auffassung der Klägerin umfasse die Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 2 1. Alternative ErbStG
nicht nur das Verbringen von körperlichen Gegenständen in ein Gebiet außerhalb des Inlands, sondern
auch die Überweisung von Kontoguthaben ins Ausland. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Zweck
der Vorschrift. § 20 Abs. 6 ErbStG diene dazu, den Zugriff auf das ursprünglich im Inland befindlichen
Nachlassvermögen zu erhalten (mit Hinweis auf BFH vom 12. März 2009 II R 51/07, BStBl II 2009 S. 783).
Dieser Zweck würde erheblich erschwert werden, wenn der Gewahrsamsinhaber das Vermögen in das
Ausland verbringe (mit Hinweis auf Schmidt, a.a.O.). Würde man eine Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 2
ErbStG verneinen, wenn ein Kreditinstitut als Gewahrsamsinhaber Guthaben des Erblassers in das
Ausland überweise, würde der Gesetzeszweck in weiten Teilen vereitelt, wenn es sich bei dem Erben zum
Zeitpunkt der Verfügung um einen Inländer handele. Gleiches gelte für die Argumentation der Klägerin,
sie habe lediglich auf Anweisung der Erbin gehandelt und die Guthaben daher nicht selbst ins Ausland
gebracht. Würde man § 20 Abs. 6 S. 2 1. Alternative ErbStG derart eng auslegen, würde ebenfalls der
Gesetzeszweck in weiten Teilen vereitelt. Darüber hinaus wäre eine solche Auslegung auch nicht vom
Wortlaut des § 20 Abs. 6 S. 2 1. Alternative ErbStG gedeckt. Die Vorschrift verlange lediglich, dass ein
Verbringen durch den Gewahrsamsinhaber stattfinde. Hierzu bedürfe es nicht zwingend eines Handelns
des Gewahrsamsinhabers aus eigenem Antrieb. Auch wenn der Gewahrsamsinhaber auf Weisung der
Erbin hin tätig werde, vollziehe er immer noch selbst den Akt des Verbringens. Demgemäß lasse Gebel im
Rahmen der Feststellung des für die Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG erforderlichen Gewahrsams
beide Ereignisse alternativ gelten (mit Hinweis auf Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Rz 72 dort S. 5 zu § 20).
Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, so wäre eine solch differenzierte Betrachtung nicht
erforderlich. Auch die Ausführungen von Gebel (a.a.O., Rz 76 zu § 20) zu der Problematik im Hinblick auf
Gemeinschaftskonten zeige, dass unter einem Verbringen in das Ausland auch die Überweisung eines
Guthabens zu verstehen sei. Diese Sichtweise korrespondiere mit der Gefährdung des Steueranspruchs.
Hierbei sei insbesondere zwischen zwei Fallgruppen zu differenzieren. Werde einem im Ausland
wohnhaften Berechtigten das Vermögen des Erblassers vor Entrichtung der Steuer zur Verfügung gestellt,
sei die Erhebung der Erbschaftsteuer gefährdet, da Zwangsmaßnahmen gegenüber solchen Berechtigten
nur eingeschränkt oder zumindest deutlich erschwert möglich seien. Abhängig von dem Aufenthaltsort des
Berechtigten sei sogar im Einzelfall eine Übermittlung von Verwaltungsakten aus völkerrechtlichen
Gründen nicht möglich. Die Erhebung der Steuer sei auch erheblich gefährdet oder doch zumindest
deutlich erschwert, wenn Vermögen des Erblassers vor Entrichtung der Steuer in das Ausland verbracht
werde. In solchen Fällen sei nicht sicher, ob der Erwerber im Inland noch über entsprechende
Vermögenswerte verfüge, aus denen das Finanzamt im Wege der Vollstreckung eine Tilgung der
Steuerschuld erlangen könne. Dabei könne bei dem in das Ausland verbrachten Vermögen nicht
zwischen Sachen und Rechten unterschieden werden. Auch wenn es sich bei dem Vermögen um
Bankguthaben handele, werde die Vollstreckung in eine solche Geldforderung deutlich erschwert, wenn
es sich bei dem Schuldner statt um ein inländisches Kreditinstitut um ein ausländisches Kreditinstitut
handele. Vor diesem Hintergrund sei es nach dem Gesetzeszweck nicht gerechtfertigt, die Haftung nach §
20 Abs. 6 S. 1 1. Alternative ErbStG auf das Verbringen von körperlichen Gegenständen zu beschränken.
Diese Auslegung der Norm werde auch von der Gesetzesbegründung zum Erbschaftsteuergesetz 1974
(BT-Drucks. 7/78 mit Verweis auf BT-Drucks. VI/3418) gestützt. Eine Auslegung über den reinen Wortlaut
der Norm hinaus erscheine auch wegen der starken Wandlung der tatsächlichen Veränderungen im
Geldtransfer ins Ausland speziell in die USA geboten. Würde man unter "bringen" nur die rein körperliche
Bewegung von Vermögenswerten verstehen, wäre diese Vorschrift leicht zu umgehen. Dies könne aber
nicht im Sinne der Regelung des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG sein. Der Begriff "Vermögen" im Sinne des § 20
Abs. 6 S. 2 ErbStG sei allgemein zu verstehen. Er umfasse jedwede Art von Vermögenswerten. Der für die
Übertragung des Erblasservermögens an den Erben im Gesetz gewählte Begriff "bringen" sei folglich
gleichfalls auf alle Vermögensarten anwendbar und entsprechend allgemein und nicht
gegenstandsbezogen auszulegen. Insofern als es sich bei dem im Streitfall betroffenen Vermögen um
Geld gehandelt habe, sei der Begriff "bringen" auch für die Überweisung des Geldvermögens vom
Erblasserkonto auf das ausländische Bankkonto der Erbin zutreffend. Bei der Überweisung handele es
sich um die Über
tragung
derselben oder einer anderen Bank. Würde die erste Alternative sich nur auf körperlich verbringbare
Vermögensgegenstände beziehen, wäre eine Ungleichbehandlung in der Besteuerung von
Vermögensgegenständen in dieser Vorschrift gegeben. Für körperliche Vermögensgegenstände, die für
Berechtigte mit Wohnsitz im Inland ins Ausland verbracht würden, läge ein Haftungstatbestand vor, für
nicht körperliche Vermögensgegenstände desselben "Personenkreises" - wie im vorliegenden Fall das
Bankvermögen - nicht. Da es sich bei dem Konto bei der Sparkasse um Vermögen des Erblassers im
Inland gehandelt habe, über das die Klägerin/die Erbin verfügte und in ihren Vermögensbereich im
Ausland überführen ließ, sei die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 20 Abs. 61. Alternative ErbStG zu
Recht erfolgt. Eine Übertragung des Guthabens an die Erbin im Inland sei dagegen nicht erfolgt. Den
Schlussfolgerungen der Klägerin aus den hiervon abweichenden Fallbeispielen könne nicht gefolgt
werden, da diese nicht im Streitfall befangene Sachverhalte beträfen.
Bei dem Verbringen der Guthaben habe die Klägerin zumindest fahrlässig gehandelt, da sie die Guthaben
ohne Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts auf ein Konto bei einem
ausländischen Kreditinstitut überwiesen habe. Hierdurch habe die Klägerin ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
Dies zeige sich auch darin, dass die Klägerin zunächst selbst auf eine Unbedenklichkeitsbescheinigung
bestanden und zu einem späteren Zeitpunkt auf eine solche Bescheinigung verzichtet habe. Aus der
Tatsache, dass die bei der Klägerin verwahrten Guthaben den der Erbin zustehenden persönlichen
Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nicht überstiegen, habe sie keinesfalls den Schluss ziehen
können, dass keine Erbschaftsteuer anfallen würde. Ihr hätte bewusst sein müssen, dass der Erblasser mit
hoher Wahrscheinlichkeit noch über andere Vermögenswerte wie beispielsweise Grundbesitz oder
Guthaben bei anderen Kreditinstituten verfügt habe, und dass hierdurch insgesamt der persönliche
Freibetrag der Erbin überschritten würde. Zumindest hätte sie bei verständiger Würdigung des
Sachverhalts nicht ohne weiteres von einer Steuerfreiheit ausgehen dürfen. Dies insbesondere deshalb,
weil der persönliche Freibetrag der Erbin bereits durch die bei der Klägerin verwahrten Guthaben zum
überwiegenden Teil aufgebraucht worden sei. Auch wenn es banküblicher Sorgfalt entspräche, sich nicht
mehrmals innerhalb weniger Monate über den Aufenthaltsstatus eines Zahlungsempfängers zu
informieren, entspreche ein solches Vorgehen nicht der laut Gesetz und Rechtsprechung entwickelten
Verpflichtung. Entsprechend den Ausführungen im Kommentar von Troll/Gebel/Jülicher (a.a.O., Rz 72 zu §
20) sei für die Erfüllung des Haftungstatbestandes der Zeitpunkt der Überweisung in das Ausland
maßgeblich. Eine betragsmäßige Begrenzung insbesondere eine Geringfügigkeitsgrenze gebe es nicht.
Die Haftungsinanspruchnahme sei der Höhe nach nicht ermessensfehlerhaft. Zwar hätten zum Nachlass
des Erblassers noch andere Vermögenswerte als die bei der Klägerin verwahrten Guthaben gehört.
Allerdings hätten diese Vermögenswerte zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme aus
unterschiedlichen Gründen nicht mehr der Haftung nach § 20 Abs. 6 ErbStG unterlegen. Da die Klägerin
als einzige Haftungsschuldnerin in Betracht gekommen sei und die bei ihr verwahrten Beträge zur Tilgung
der Steuerschuld ausgereicht hätten, sei sie im Rahmen der Ausübung des Entschließungs- und
Auswahlermessens hinsichtlich der gesamten Steuerschuld in Haftung zu nehmen gewesen. Die
Argumentation der Klägerin, die Vollstreckungsmöglichkeiten gegen die Steuerschuldnerin seien nicht
vollständig ausgeschöpft worden, sei für das vorliegende Verfahren unerheblich, da die Klägerin sowohl
mit ihrem Einspruch vom 20. Juni 2006 und mit ihrer Klage vom 10. Mai 2007 lediglich den
Haftungsbescheid, nicht jedoch die zusammen mit dem Haftungsbescheid erlassene
Zahlungsaufforderung (§ 219 AO) angegriffen habe. Eine Indizwirkung dahingehend, dass aufgrund der
Verbindung von Haftungsbescheid und Zahlungsaufforderung in einem Bescheid ein Einspruch gegen
den Haftungsbescheid gleichzeitig als Einspruch gegen die Zahlungsaufforderung zu werten sei, gebe es
nicht. Vielmehr sei bei Eingang des Einspruchs - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - zu ermitteln,
gegen welche Verwaltungsakte sich der Einspruch richte. Im vorliegenden Fall sei dies eindeutig, da die
Klägerin den angefochtenen Verwaltungsakt ausdrücklich als Haftungsbescheid bezeichnet habe. Auch
unter Berücksichtigung der dem Einspruch beigefügten Einspruchsbegründung ergebe sich keine andere
Auslegung. In der Einspruchsbegründung habe die Klägerin lediglich Argumente vorgetragen, die sich
gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids richteten. Keines der in der Einspruchsbegründung
vorgebrachten Argumente berührte die Frage der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung. Auch die
übrigen Schriftsätze der Klägerin im Einspruchsverfahren ließen keine Einwendungen gegen die
Zahlungsaufforderung erkennen. Derartige Einwendungen seien erstmals im Klageverfahren vorgebracht
worden. Dementsprechend würde die Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007 auch nur eine
Entscheidung über den Einspruch gegen den Haftungsbescheid enthalten. Auch in ihrer Klageschrift habe
die Klägerin als angefochtenen Verwaltungsakt nur den Haftungsbescheid bezeichnet. Dementsprechend
sei die Frage der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens.
Selbst wenn man die Auffassung vertreten würde, die Klageschrift sei dahingehend auszulegen, dass
auch Klage gegen die Zahlungsaufforderung erhoben worden sei, so würde es dann an der Durchführung
eines Vorverfahrens fehlen. Rein vorsorglich werde einer eventuellen Klageänderung widersprochen.
Auch inhaltlich vermöge das Vorbringen der Klägerin nicht zu überzeugen. Für die Frage der
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids sei das Vorliegen eventueller Vollstreckungsmöglichkeiten
jedoch ohne Bedeutung. Dies ergebe sich daraus, dass ein Haftungsbescheid vor Festsetzung der Steuer
ergehen könne, sofern der Steueranspruch zum Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheids bereits
entstanden sei. Das Fehlen von Vollstreckungsmöglichkeiten in das bewegliche Vermögen sei vielmehr
eine Tatbestandsvoraussetzung, die lediglich für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der
Zahlungsaufforderung von Bedeutung sei. Gleichwohl sei in diesem Zusammenhang zu entgegnen, dass
zum Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheids keine Vollstreckungsmöglichkeiten in das
bewegliche Vermögen der Steuerpflichtigen mehr bestanden hätten. Auch hätten
Vollstreckungsmöglichkeiten in das unbewegliche Vermögen nicht vorgelegen, da der zum Nachlass
gehörende Grundbesitz bereits im Jahr 2003 anderen Eigentümern zugerechnet worden sei. Die
Grundstücke seien bis April 2002 von der Erbin veräußert worden. Am 22. April 2002 sei der Erbschein
beim Finanzamt eingegangen. Eine Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen, wie von der Klägerin
gefordert, wäre rein faktisch aufgrund des Eigentumswechsels ins Leere gegangen. Auch aus rechtlichen
Gründen wäre eine Vollstreckung nicht zulässig gewesen. Nach § 254 AO dürfe die Vollstreckung erst
beginnen, wenn die Leistung fällig sei und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung aufgefordert worden
sei. Im Erbschaftsteuerbescheid vom 14. Dezember 2005 sei die Erbschaftsteuer zum 2. März 2006 fällig
gestellt worden. Eine Zugriffsmöglichkeit auf die Immobilien der Klägerin vor diesem Zeitpunkt durch ihn
(den Beklagten) sei somit nicht zulässig gewesen. Ein Mitverschulden des Finanzamts am Entstehen
eines Steuerausfalls scheide daher aus (mit Hinweis auf BFH vom 22. Juli 1986, BFH/NV 1987 S. 140). Im
Übrigen reiche es für die Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung aus, wenn die Vollstreckung in das
bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben sei (§ 219 Abs. 1 S. 1 AO). Auf eine
Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen komme es also nicht an. Die von der Klägerin behauptete
fehlerhafte Ermessensausübung hinsichtlich der gewählten Methode der Zustellung des
Erbschaftsteuerbescheids sei für dieses Verfahren ebenfalls nicht von Bedeutung. Da eine vorherige
Steuerfestsetzung keine zwingende Voraussetzung für den Erlass eines Haftungsbescheids sei, wäre
dieser Punkt lediglich bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung
klärungsbedürftig. Wie jedoch dargestellt, sei die Zahlungsaufforderung nicht Gegenstand dieses
Verfahrens. Auch seien keine Mängel bei der Zustellung des Erbschaftsteuerbescheides erkennbar.
Nachdem erfolglos versucht worden sei, den Steuerbescheid per einfachen Brief und per förmliche
Zustellung über die Botschaft (§ 14 Abs. 1 VwZG a.F.) bekanntzugeben, habe die Berechtigung
bestanden, den Steuerbescheid im Wege der öffentlichen Zustellung bekannt zu machen. Dies
insbesondere deshalb, da der Grund für das Scheitern des Zustellversuches nach § 14 VwZG a.F. in der
Weigerung der Empfängerin begründet gewesen sei, das Schriftstück bei der deutschen Botschaft in
Empfang zu nehmen. Nach Rücksprache mit der vorgesetzten Stelle habe er (der Beklagte) die öffentliche
Zustellung als das geeignete Mittel im Rahmen des ihm bei einer Auslandbekanntgabe zukommenden
Ermessens angesehen.
In Erfüllung der gerichtlichen Verfügung vom 30. Oktober 2010 (Bl. 144 PA) reichte der Beklagte die
Notarverträge vom 20. Februar 2002 (Bl. 166-175 PA) und vom 8. April 2002 (Bl. 152-160 PA) über den
Verkauf der beiden vererbten Grundstücke sowie die Klägerin die Bankunterlagen über die
Überweisungen der von ihr verwahrten Guthaben in die USA (Bl. 204-206 PA) zu den Akten. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist im erkannten Umfang begründet.
1. Unbegründet ist die Klage, soweit sie sich gegen die Haftungsinanspruchnahme für die Überweisungen
am 17. und 20. September 2002 in Höhe von insgesamt 10.542,98 € (= 8.885,84 € + 1657,14 €) richtet.
a) In Bezug auf diese beiden Überweisungen ist der haftungsbegründende Tatbestand des § 20 Abs. 6 S.
2 ErbStG erfüllt.
Gemäß
§ 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG
haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers
befindet, für die Erbschaftsteuer, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder
Sicherstellung der Steuer in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG “bringen“ (1.
Alternative) oder außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten “zur Verfügung
stellen“ (2. Alternative).
aa) Ob die beiden Überweisungen im September 2002 ein "bringen" von Vermögen des Erblassers
außerhalb des Geltungsbereichs des Erbschaftsteuergesetzes darstellten, kann in diesem
Zusammenhang dahingestellt bleiben, da die Überweisung der Guthaben des Erblassers auf ein Konto
der Erbin bei der W Bank/USA jedenfalls ein "zur Verfügung stellen" von Vermögen des Erblassers an
einen "außerhalb des Geltungsbereichs des Erbschaftsteuergesetzes wohnhaften Berechtigten" darstellt.
Bei der Zurverfügungstellung im Sinne der 2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG handelt es sich um
einen zahlungsähnlichen Vorgang, vermöge dessen ohne weitere Mitwirkung des Kreditinstituts der
ausländische Berechtigte den Geldbetrag erhalten kann (so bereits: RFH vom 8. Juni 1934 III e A 34/33,
RStBl 1934 S. 925; FG München vom 21. Dezember 1994 4 K 1296/93, UVR 1995 S. 153; Moench/Kein-
Hümbert, ErbStG, Loseblattsammlung Stand 06/10, Rz 20 zu § 20; Schmidt, ZEV 2003 S. 129 ff, dort unter
4.42).
Eine solche Zurverfügungstellung nahm die Klägerin vor, als sie die restlichen Guthaben des Erblassers
in Höhe von insgesamt 10.542,98 € im September 2002 auf ein Konto der Erbin bei der W Bank/USA
überwies (ebenso: FG München vom 21. Dezember 1994 4 K 1296/93, a.a.O.; so wohl auch der 2. Senat
des BFH in seinem Urteil vom 12. März 2009 II R 51/07, BStBl II 2009 S. 783, der dort unter Rz 12 davon
spricht, dass das Kreditinstitut im Falle einer Geldüberweisung ins Ausland "das Guthaben auf dem Konto
der Erbin zur Verfügung gestellt" habe).
bb) Zum Zeitpunkt der Überweisung im September 2002 wohnte die Erbin, was zwischen den Beteiligten
unstrittig ist und mit den Meldedaten sowie den Angaben im Erbschein in Einklang steht, nicht mehr in
Deutschland.
cc) Zum Zeitpunkt des Erbfalles und zum Zeitpunkt der Überweisung war die Klägerin zudem
Gewahrsamsinhaberin im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG, denn sie hatte die tatsächliche
Einwirkungsmöglichkeit auf die bei ihr geführten Guthaben des Erblassers (vgl. dazu z.B.: BFH vom 12.
August 1964 II 125/62 U, BStBl III 1964 S. 647; BFH vom 12. März 2009 II R. 51/07, a.a.O.).
dd) Ferner handelte die Klägerin bei den Überweisungen im September 2002 fahrlässig.
Dem Vorwurf der Fahrlässigkeit setzt sich aus, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§
276 Abs. 2 BGB analog).
Eine Bank als Gewahrsaminhaber kann sich nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten und
Erkenntnisfähigkeiten einzelner Bankangestellter berufen. Um nicht fahrlässig zu handeln, muss die Bank
vielmehr sicherstellen, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG vorliegen,
von ausreichend qualifizierten Mitarbeitern vorgenommen wird (BFH vom 18. Juli 2007 II R 18/06, BStBl II
2007 S. 788; zustimmend: Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Loseblattsammlung Stand Februar 2010,
Rz 73 zu § 20). Vorliegend setzte die Klägerin jedoch keine ausreichend qualifizierten Mitarbeiter ein. Das
gilt auch dann, wenn man zu Gunsten der Klägerin annimmt, dass ihre drei als Zeugen benannten
Bediensteten - wie behauptet - vom Vorliegen der Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgegangen seien.
Zwar handelt eine Bank in der Regel nicht schuldhaft im Sinne des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG, wenn sie bei
Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung Vermögen des Erblassers vor Entrichtung der Steuer
einem im Ausland wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellt (BFH vom 18. Juli 2007 II R 18/06, a.a.O.).
Im Streitfall hat der erkennende Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens aber die Überzeugung
gewonnen, dass den Bankbediensteten -- entgegen der Behauptung der Klägerin -- keine
Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgelegt wurde und die Mitarbeiter, welche die Überweisungen in die
USA im September 2002 bewirkten, deshalb allenfalls einem Irrtum unterlagen, der einem qualifizierten
Mitarbeiter nicht passiert wäre.
Die Nichtvorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung folgert der erkennende Senat insbesondere aus
der Telefonnotiz vom 2. Mai 2002 (Bl. 12 ErbSt-A). In dieser Telefonnotiz ist festgehalten, dass der Erbin
im Hinblick auf eine beabsichtigte Rückkehr in die USA mitgeteilt worden sei, dass eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung erst nach der Steuerzahlung erteilt werden würde. Vor diesem
Hintergrund erscheint es stimmig, dass in der Behördenakte keine Unbedenklichkeitsbescheinigung
aufzufinden ist. Abgerundet wird das Bild von der nicht erteilten Unbedenklichkeitsbescheinigung durch
den Umstand, dass die Klägerin einräumte, außer Stande zu sein, die (angeblich) erteilte
Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlegen zu können. Damit stellt sich der Sachverhalt so dar, dass den
als Zeugen benannten Mitarbeiter der Klägerin keine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlag. Sollten sie,
wie von der Klägerin vorgetragen, sich tatsächlich vorgestellt haben, eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung habe dennoch vorgelegen, hätten sie sich dann in einem Irrtum
befunden, der bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt für einen qualifizierten Mitarbeiter
allerdings vermeidbar gewesen wäre. Ein qualifizierter Mitarbeiter hätte nicht nur auf der Vorlage einer
vom Finanzamt ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigung bestanden, sondern zusätzlich zum
Zwecke der Beweisvorkehr die ihm vorgelegte Unbedenklichkeitsbescheinigung zu den Akten
genommen, denn nur so hätte er sicherstellen können, dass sein Arbeitgeber keine
Haftungsinanspruchnahme durch die Finanzverwaltung hätte befürchten müssen. Ohne Vorlage einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung hätte ein qualifizierter Mitarbeiter prüfen müssen und geprüft, ob die
Erbin ihren Wohnsitz noch im Inland oder bereits im Ausland hatte. Bei der Wohnsitzüberprüfung handelt
es sich nicht um eine unverhältnismäßige Anforderung. Der Klägerin als Bank ist es nämlich zumutbar, vor
Überweisungen von Guthaben des Erblassers ins Ausland stets zu prüfen, ob die
Haftungsvoraussetzungen bei jeder einzelnen Überweisung erfüllt sind oder nicht. Denn bei
Überweisungen von Guthaben des Erblassers ins Ausland handelt es sich nicht um Zahlungsvorgänge im
Massenverfahren, sondern um einen Sonderfall (BFH vom 18. Juli 2007 II R 18/06, a.a.O.). Mithin durfte
die Klägerin eine Prüfung des Wohnsitzes der Erbin anlässlich der Auslandsüberweisungen im
September 2002 nicht unterlassen und darauf vertrauen, dass sich die Wohnsitzverhältnisse der Erbin
innerhalb von rund fünf Monaten nicht verändern würden. Die - nach Meinung der Klägerin -
verhältnismäßig niedrigen Überweisungsbeträge bei der 2. und 3. Teilzahlung (von zusammen 10.542,98
€) ändern daran nichts, selbst wenn es banküblich wäre, dass in dieser Größenordnung eine Überprüfung
der Haftungsvoraussetzungen im Falle von Auslandsüberweisungen unterblieben. Die "im Verkehr
erforderliche Sorgfalt" entspricht nicht notwendigerweise der üblichen Sorgfalt (vgl. z.B.:
Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Auflage 2010, Rz 16 zu § 276 mit Verweis auf BGHE 8 S. 141). Der im
Verkehr zu beachtende Sorgfaltsmaßstab bestimmt sich in erster Linie nicht nach der Höhe, sondern nach
der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Je höher die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist,
umso intensivere Vermeidungsmaßnahmen sind geboten (vgl. z.B.: Grundmann in Münchener
Kommentar, BGB, 4. Auflage 2001, Rz 61 zu § 276). Wird - wie vorliegend - Vermögen des Erblassers vor
Entrichtung oder Sicherung der Steuer einem im Ausland ansässigen Berechtigten zur Verfügung gestellt,
ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu einem Steuerausfall kommt, da ernsthaft damit zu rechnen ist, dass
der im Ausland ansässige Berechtigte seine inländische Steuerschuld im Hinblick auf fehlende
Vollstreckungsmöglichkeiten im Ausland nicht begleichen wird. Das muss auch der Klägerin klar gewesen
sein. Vor diesem Hintergrund verletzte sie die ihr zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht
entschuldbarem Maße und damit grob fahrlässig (vgl. zum Begriff der groben Fahrlässigkeit z.B.: BFH
BFH-Urteil vom 8. Dezember 1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999 S. 743, m.w.N.).
b) Soweit der Beklagte sein ihm durch § 191 Abs. 1 S. 1 AO eingeräumtes Ermessen dahingehend
ausübte, anstelle der Erbin die Klägerin als Haftungsschuldnerin auf Zahlung der rückständigen
Erbschaftsteuer in Anspruch zu nehmen, lässt auch diese - nach Maßgabe des § 102 FGO nur
eingeschränkt überprüfbare - Ermessensentscheidung keine Ermessensfehler im Sinne des § 5 AO
erkennen.
aa) Bei der Entscheidung darüber, ob ein Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO wegen eines
ausstehenden Erbschaftsteueranspruches erlassen werden soll (sog. Entschließungsermessen), ist die
Aufgabe des Finanzamts zu berücksichtigen, Steuerausfälle zu verhindern. Im Falle der Uneinbringlichkeit
der Steuer muss unter dem Gesichtpunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) daher die
Haftungsinanspruchnahme die Regel sein (vgl. z.B.: BFH vom 29. September 1987 VII R 54/84, BStBl II
1988 S. 176; BFH vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991 S. 283). Der Inanspruchnahme des
Steuerschuldners kommt aber grundsätzlich Vorrang zu (vgl. z.B.: BFH vom 2. Februar 1994 II R 7/91,
BStBl II 1995 S. 300). Infolgedessen muss im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden,
wenn die Steuerschuld gegen den Steuerpflichtigen ohne weiteres geltend gemacht werden kann. Von
diesen Grundsätzen ging der Beklagte erkennbar aus.
aaa) Sein Entschließungsermessen begründete er in der Einspruchsentscheidung vom 5. April 2007
damit, dass die gegen die Erbin unternommenen Vollstreckungsmaßnahmen ohne Erfolg geblieben
seien. Hierbei ging der Beklagte von einem zutreffenden und hinreichend ermittelten Sachverhalt aus.
Der Beklagte konnte im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin gegen die Erbin keine
Vollstreckungsmaßnahmen mehr erfolgreich anbringen, denn sie hatte die beiden geerbten Grundstücke
bereits im Februar bzw. April 2002 verkauft und die bei der Klägerin verwahrten Guthaben des Erblassers
im Jahr 2002 mit ihrer Übersiedlung in die USA ins Ausland transferiert; Anhaltspunkte für sonstige im
Inland befindliche Vermögenswerte der Erbin waren nicht vorhanden.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einwendet, der Beklagte hätte die Möglichkeit einer
Vollstreckung in die geerbten Grundstücke in Betracht ziehen müssen, verkennt sie zweierlei. Zum einen
spricht die Aktenlage eindeutig dafür, dass der Beklagte durchaus erwogen hatte, zur Beitreibung der
rückständigen Erbschaftsteuer in die geerbten Grundstücke zu vollstrecken und hiervon absah, nachdem
er feststellte, dass diese Grundstücke auf Dritte übergegangen waren. Nur so erklärt sich zur
Überzeugung des erkennenden Senats, dass der Beklagte auf den Bedarfwertbescheiden jeweils die
Namen der Erwerber handschriftlich notierte, denn es ist kein sonstiger Grund dafür ersichtlich, warum die
Namen der Erwerber auf den Bedarfswertbescheiden handschriftlich vermerkt wurden. Zum anderen
bezieht sich der Vorwurf der Nichtprüfung der Vollstreckung in das Immobilienvermögen der Erbin auf
einen nicht entscheidungserheblichen Sachverhalt. Da die beiden geerbten Grundstücke bereits mit
notariell beurkundetem Vertrag vom 20. Februar 2002 bzw. 8. April 2002 verkauft waren und die
Umschreibung laut telefonischer Auskunft des Grundbuchamtes am 21. Juni 2002 (Bl. (Bl. Rücks. 151 PA)
bzw. am 5. September 2002 (Bl. 165 Rücks. PA) erfolgte, waren die geerbten Grundstücke einem
Vollstreckungszugriff des Beklagten im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme entzogen.
Vollstreckungsmöglichkeiten, die tatsächlich nicht vorhanden sind, müssen -- weil sie nicht geeignet sind,
die Ermessensentscheidung in irgend einer Weise zu beeinflussen -- bei dem Für und Wider der
Entscheidung über die Haftungsinanspruchnahme nicht einbezogen werden.
bbb) Fehl geht ferner der Einwand der Klägerin, der Beklagte hätte durch entsprechende
Organisationsmaßnahmen den Vollstreckungszugriff in die geerbten Grundstücke sicherstellen müssen.
Richtig ist, dass mitwirkendes Verschulden des Finanzamtes am Entstehen eines Steuerausfalls nach der
Rechtsprechung die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen kann,
sofern dessen eigenes Verschulden gering ist (vgl. z.B.: BFH vom 26. Januar 1961 IV 140/60,
Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 109, Rechtsspruch 14; BFH vom 19. März
1999 VII B 158/98, BFH/NV 1999 S. 1304) und dem Finanzamt eine besonders grobe oder sogar
vorsätzliche Pflichtverletzung zur Last fällt (vgl. z.B.: BFH vom 22. Juli 1986 VII R 191/83, BFH/NV 1987 S.
140; BFH vom 2. Juli 2001 VII B 345/00, BFH/NV 2002 S. 4). Dabei hat die höchstrichterliche
Rechtsprechung ein Mitverschulden des Finanzamtes, welches bei der Ermessensentscheidung nach §
191 Abs. 1 AO 1977 der Haftungsinanspruchnahme entgegenstehen könnte, verneint, wenn das
Finanzamt über einen längeren Zeitraum hin von seinen Befugnissen zur Beitreibung ausstehender
Steuern keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. z.B.: BFH vom 28. August 1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991 S.
290; BFH vom 2. Juli 2001 VII B 345/00, a.a.O.). Hiernach ist ein Ermessensfehler des Beklagten nicht
erkennbar.
Weil die Klägerin sich bei den beiden Überweisungen im
September 2002 grob fahrlässig verhielt, mangelt es bereits am Erfordernis des geringen eigenen
Verschuldens (vgl. z.B.: BFH vom 28. August 1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991 S. 290).
Darüber hinaus unterlief dem Beklagten keine grobe oder vorsätzliche Pflichtverletzung, denn ein
Schuldner kann seiner Inanspruchnahme wegen einer Forderung regelmäßig nicht entgegenhalten, der
Gläubiger hätte seine Forderung schon früher geltend machen und die Zwangsvollstreckung betreiben
müssen (Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/ Schuck, ErbStG, 2. Auflage 2004, Rz. 30 zu § 20).
ccc) Ebenso wenig kann sich die Klägerin erfolgreich darauf berufen, der Beklagte habe nicht sämtliche
Möglichkeiten der Zustellung ausgenutzt, weshalb der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht
einwandfrei und erschöpfend ermittelt worden sei.
Ob der Erbschaftsteuerbescheid an die Erbin wirksam bekannt gegeben wurde, ist im Streitfall ohne
Bedeutung. Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, dass die Steuerschuld
gegen den Steuerpflichtigen wirksam festgesetzt wurde (vgl. z.B.: BFH vom 28. Februar 1973 II R 57/71,
BStBl II 1973 S. 573). Ausreichend ist, dass der Steueranspruch bei Erlass des Haftungsbescheids (§ 191
Abs. 3 S. 4 und Abs. 5 AO; vgl. z.B.: BFH vom 5. November 1992 I R 41/42, BStBl II 1993 S. 407; BFH vom
23. März 1999 VII B 216/98, BFH/NV 1999 S. 1308 m.w.N.) und im Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung noch besteht (vgl. z.B.: BFH vom 5. November 1992 I R 41/92, BStBl II 1993 S.
407; BFH vom 12. Oktober 1999 VII R 98/98, BStBl II 2000 S. 486). Dies war im Zeitpunkt des Erlasses des
Haftungsbescheids der Fall.
Gemäß § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht
ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht der Anspruch auf
die Erbschaftsteuer mit dem Tode des Erblassers, im Streitfall also mit dem 13. Dezember 2001.
Der Anspruch auf die Erbschaftsteuer war weder am 31. Mai 2006, dem Tag des Erlasses des
Haftungsbescheids, noch am 5. April 2007, dem Tag des Erlasses der Einspruchsentscheidung, nach § 47
AO erloschen. Insbesondere war die Erbschaftsteuer bis zum Zeitpunkt des Erlasses der
Einspruchsentscheidung am 5. April 2007 noch nicht verjährt. Da die Erbin der Aufforderung des
Beklagten im Jahr 2002 zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung entgegen § 149 Abs. 1 S. 2 AO i.V.m. §
31 Abs. 1 S. 1 ErbStG nicht nachkam, begann die vierjährige (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO)
Festsetzungsverjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2004, dem dritten Kalenderjahr, das auf das
Steuerentstehungsjahr folgt, zu laufen (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) und endete zum 31. Dezember 2008.
ddd) Ohne Auswirkung bleibt, dass bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung am 31. Dezember 2008
der Erbschaftsteuerbescheid der Erbin gegenüber nicht wirksam im Wege der öffentlichen Zustellung
bekannt gegeben wurde und die Erbschaftsteuer im Verlauf des Klageverfahrens durch
Festsetzungsverjährung zwischenzeitlich erloschen ist.
Eine öffentliche Zustellung eines Steuerverwaltungsaktes ist nach § 122 Abs. 5 AO i.V.m. § 15 Abs. 1
VwZG i.d.F. bis zum 31. Januar 2006 wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) als "letztes Mittel" nur zulässig, wenn zuvor alle Möglichkeiten erschöpft sind,
das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. z.B. BFH vom 6. Juni 2000 VII R
55/99, BStBl II 2000 S. 560; BFH vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005 S. 998; BFH vom 9.
Dezember 2009 X R 54/06, BStBl II 2010, 732). Hieran hielt sich der Beklagte nicht, als er im Rahmen des
ihm zukommenden Ermessens am 14. Dezember 2005 die Form der öffentlichen Zustellung wählte. Nach
dem Antwortschreiben des Generalkonsulats/Los Angeles war es ihm -- ungeachtet anfallender
Zustellungskosten -- tatsächlich möglich, den Erbschaftsteuerbescheid der Erbin über ein
Privatunternehmen förmlich zuzustellen. Somit zeigt sich die öffentliche Zustellung nicht mehr als letzte
verbleibende Zustellungsmöglichkeit. Aus diesem Grunde wurde der Erbschaftsteuerbescheid der Erbin
nicht innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist wirksam bekannt gegeben. Die unwirksame
Bescheidbekanntgabe hatte wiederum das Erlöschen der Erbschaftsteuer mit Ablauf der
Festsetzungsverjährungsfrist zum 31. Dezember 2008 zur Folge.
Davon unberührt blieb aber die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Dies deshalb, weil für die
gerichtliche Überprüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung maßgeblich auf die tatsächlichen
Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung als letzte Behördenentscheidung abzustellen ist
Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung als letzte Behördenentscheidung abzustellen ist
(st. Rspr.; vgl. z.B.: BFH vom 26. März 1991 VII R 66/90, BStBl II 1991 S. 545; BFH vom 22. Januar 2008
VIII B 92/07, Juris; Gräber/von Groll, FGO, 6. Aufl. 2006, Rz 13 zu § 102 m.w.N.). Erlischt die Steuerschuld -
wie hier - erst nach dem Erlass der Einspruchsentscheidung durch Eintritt der Verjährung, kann der
Erlöschenstatbestand daher auch keinen Einfluss mehr auf den Haftungsbescheid entfalten (vgl. z.B.: BFH
vom 7. November 1995 VII R 26/95, BFH/NV 1996 S. 379; BFH vom 5. November 1992 I R 41/92, BStBl II
1993 S. 407; BFH vom 11. Juli 2001 VII R 28/99, BStBl II 2002 S. 267; Klein/Rüsken, AO, 9. A. 2006, Rz 11
zu § 191; ebenso zu nachträglichen Zahlungen auf die Steuerschuld: BFH vom 6. Dezember 1979 V R
125/76, BStBl II 1980 S. 103; BFH vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BStBl II 1981 S. 138; BFH vom 29.
Januar 1985 VII R 15/81, BFH/NV 1987 S. 354; BFH vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BStBl II 1988 S. 841;
BFH vom 12. August 1997 VII R 107/96, BStBl II 1998, 131); denn eine rechtmäßige
Ermessensentscheidung kann nicht dadurch rechtswidrig werden, dass die Voraussetzungen für ihren
Erlass im nachhinein entfallen.
bb) Da die Klägerin, soweit ersichtlich, die einzige Haftungsschuldnerin ist, erübrigten sich Überlegungen
dazu, wer von mehreren potentiellen Haftenden auf Zahlung in Anspruch zu nehmen war (sog.
Auswahlermessen).
cc) Sind nach alledem die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme in Bezug auf die beiden
Überweisungen im September 2002 erfüllt, folgt hieraus in Ansehung des Wortlautes des § 20 Abs. 6 S. 2
i.V.m. § 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG zugleich, dass die Klägerin in Höhe der Auslandsüberweisungen haftet,
ohne dass dem Beklagten insoweit eine Dispositionsbefugnis zukam (vgl. z.B.: BFH vom 12. Dezember
1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997 S. 386; FG Köln vom 8. November 2007 9 K 2200/06, EFG 2008 S. 475;
Klein/Rüsken, AO, 9. A. 2006, Rz 41 zu § 191). Ermessensfehler, wie sie von der Klägerin in Bezug auf die
Höhe der Haftungsinanspruchnahme gerügt wurden, scheiden somit von vornherein aus.
2. Begründet ist die Klage, soweit sie sich gegen die Haftungsinanspruchnahme für die Überweisungen
am 25. April 2002 in Höhe von 164.000 € richtet. Für diese Überweisung ist der haftungsbegründende
Tatbestand des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG weder in Form der 1. Alternative noch in Form der 2. Alternative
gegeben.
a) Überweist eine Bank, wie im Streitfall, auf Anweisung des Alleinerben Guthaben des Erblassers ins
Ausland, hat sie dadurch kein Erblasservermögen in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des
Erbschaftsteuergesetzes gebracht.
aa) Unter "bringen" im Sinne der 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ist nach dem natürlichen
Wortsinn eine Transferierung von körperlichen Gegenstände über die Grenze zu verstehen (so zutreffend:
Moench/Kein-Hümbert, ErbStG, Loseblattsammlung Stand Juni 2010, Rz 20 zu § 20).
bb) Für die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnisses spricht die historische Auslegung. Im
Erbschaftsteuergesetz 1919 (RStBl 1919 Seite 1543) war in dem damaligen § 19 Abs. 2 S. 2 lediglich die
1. Haftungsalternative des § 20 Abs. 2 S. 2 enthalten. Die 2. Haftungsalternative des § 20 Abs. 6 S. 2
ErbStG wurde erstmals im Erbschaftsteuergesetz 1922 (RGBl 1922 Seite 695) in den damaligen § 18 Abs.
6 ErbStG eingefügt. Hieraus wird deutlich, dass der historische Gesetzgeber den Haftungstatbestand um
die 2. Haftungsalternative "zur Verfügung stellen" nachträglich erweiterte, da er augenscheinlich der
Ansicht war, dass die ursprüngliche Alternative "bringen" nicht für sämtliche Fallgestaltungen eine
ausreichende gesetzliche Grundlage bildet. Hieran knüpft die Gesetzesbegründung zum
Erbschaftsteuergesetz 1974 (BT-Drucks. 7/78 mit Verweis auf die BT-Drucks. VI/3418) insoweit an, als dort
der allgemein gehaltene Hinweis auf die Voraussetzungen für die Haftung der
Versicherungsunternehmen und Vermögensverwahrer nach § 20 Abs. 6 ErbStG enthalten ist. Folglich
zeigt sich die 2. Haftungsalternative des § 20 Abs. 2 S. 2 ErbStG nach dem Willen des historischen
Gesetzgebers als Auffangtatbestand für diejenigen Gestaltungen, die sich nicht mehr als "bringen" von
Vermögen ins Ausland definieren lassen. Dieser Wille des historischen Gesetzgebers verkehrte sich in
sein Gegenteil, würde man der Auslegung des Beklagten folgen. Seiner Auffassung nach bildet nämlich
die 1. Haftungsalternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG den Auffangtatbestand für sämtliche Fälle, die von
der 2. Haftungsalternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG nicht erfasst werden.
cc) Der Sinn und Zweck des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG besteht darin, zu verhindern, dass ein - da sich
Nachlassvermögen im Inland befindet - zunächst realisierbarer Steueranspruch vereitelt wird. Zu diesem
Zweck mutet das Gesetz dem (inländischen) Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei
vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung zur Haftungsfolge führt. Zur Vermeidung der Haftungsfolge ist
der Gewahrsamsinhaber daher gehalten, vor einer Aushändigung der Vermögensgegenstände an den
Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen, und ggf. die
Herausgabe an diesen zu verweigern (vgl. z.B.: BFH vom 11. August 1993 II R 14/90, BStBl II 1994 S.
116; BFH vom 18. Juli 2007 II R 18/06, a.a.O.; BFH vom 12. März 2009 II R 51/07, a.a.O.). Dieser
Gesetzeszweck rechtfertigt es -- entgegen der Ansicht des Beklagten -- indes nicht, die 1.
Haftungsalternative über ihren Gesetzeswortlaut hinaus und gegen den Willen des historischen
Gesetzgebers auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine Rechtsfortbildung
nur möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem offenbar unrichtigen bzw. zu einem jeder
wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde, das dem Sinn und Zweck der
Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers zuwiderliefe (vgl. z.B.: BFH vom 1. August 1974 IV R 120/70,
BStBl II 1975 S. 12; BFH vom 12. August 1997 VII R 107/96, BStBl II 1998 S. 131; BFH vom 8. Juni 2000 IV
R 37/99, BStBl II 2001 S. 162; BFH vom 8. September 2004 X B 51/04, BFH/NV 2005 S. 53). Der vom BFH
vertretene Auslegungsgrundsatz wird auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt (vgl. z.B.: BVerfG
vom 17. Februar 1999 1 BvR 1422/92, Juris; BVerfG vom 11. März 2009 1 BvR 3413/08; Juris). Ein solcher
Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
aaa) Vom Beklagten wird zutreffend erkannt, dass die Auslegung des Begriffs "bringen" als ein Transfer
von körperlichen Gegenständen zu einem Steuerausfall führt, falls der im Inland wohnhafte Erbe
Auslandüberweisungen durch ein Kreditinstitut auf sein im Ausland befindliche Konto veranlasst und er
sich vor Entrichtung der Steuerschuld in das Ausland absetzt. Hierbei handelt es sich zwar um ein
unerwünschtes, aber nicht um ein unsinniges, vom Gesetzgeber nicht gewolltes Ergebnis.
Würde man den § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG mit dem Beklagten dahingehend auslegen, dass die 1.
Alternative nicht nur das Verbringen von körperlichen Gegenständen, sondern auch das Verbringen von
Rechten durch den Gewahrsamsinhaber umfasse, verbliebe für die 2. Alternative kein
Anwendungsbereich mehr. Eine gesetzliche Regelung ohne eigenen Anwendungsbereich ist unsinnig
und zeigt sich als unvertretbares Auslegungsergebnis, denn es kann nicht ernsthaft angenommen
werden, dass es Wille des Gesetzgebers war, eine gesetzliche Regelung ohne eigenständigen
Regelungsbereich zu erlassen.
bbb) Ebenso wenig kann angenommen werden, dass dem Gesetzgeber eine Regelungslücke unterlief,
die durch Analogie zu schließen wäre, als er die Haftung des Gewahrsamsinhabers um die Fallgruppe der
2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG erweiterte.
Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt vor, wenn
eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre
Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände
widerspricht (st. Rspr.; vgl. z.B.: BFH vom 2. Juni 2005 III R 86/03, BStBl II 2005 S. 756, BFH vom 29.
Oktober 2008 II 34/08, BFH/NV 2009 S. 609; BFH vom 18. März 2009 III R 33/07, BStBl II 2009 S. 1010).
Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist
("rechtspolitische Fehler"), reicht nicht aus (vgl. z.B.: BFH vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BStBl II 1974,
295; BFH vom 13. Juli 1989 V R 110/84, BStBl II 1989 S. 1036; BFH vom 14. September 1994 I R 136/93,
BStBl II 1995 S. 382; BFH vom 25. Juli 1995 VIII R 25/94, BStBl II 1996 S. 684; BFH vom 12. Oktober 1999
VIII R 21/97, BStBl II 2000 S. 220; BFH vom 26. Februar 2002 IV R 39/01, BStBl II 2002 S. 697; BFH vom
29. März 2006 X R 55/04, BFH/NV 2006 S. 1641; BFH vom 11. Februar 2010 V R 38/08, BFH/NV 2010 S.
1376). Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter
Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die
Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist (BFH 12. Oktober 1999 VIII R 21/97, a.a.O.; BFH
vom 11. Februar 2010 V R 38/08, a.a.O.). Im Streitfall fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, weil
die Haftungslücke durchaus dem gesetzgeberischen Plan entspricht und die Einschränkung der 2.
Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG auf einen außerhalb des ErbStG wohnhaften Berechtigten sich
allenfalls als rechtspolitischen Fehler darstellt.
Der Gesetzgeber schränkte den von ihm neu in das Gesetz aufgenommenen Auffangtatbestand ein,
indem er die Haftung von einem Wohnsitz des Empfangsberechtigten im Ausland abhängig machte. Dass
es aufgrund der Einschränkung des Haftungstatbestandes zu einer Haftungslücke kommen kann, wenn
Guthaben des Erblassers von der Bank nicht in Form der 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG durch
Transfer von Geld als körperlicher Gegenstand, sondern in Form der 2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2
ErbStG durch bargeldlose Überweisung als unkörperlicher Gegenstand auf das Konto des anweisenden
Erben auf ein Konto des Erben im Ausland gelangt und der im Inland wohnhafte Erbe seinen Wohnsitz
noch vor Entrichtung der Steuerschuld in ein Ausland verlagert, musste dem Gesetzgeber dabei klar
gewesen sein; die Haftungslücke liegt nämlich offen auf der Hand. Zu einer offensichtlichen Haftungslücke
kommt es ferner, wenn der im Inland wohnhafte Erbe sich die Guthaben des Erblassers zunächst
auszahlen lässt und er sich noch vor Entrichtung der Steuer mit den ihm ausgezahlten Geldern des
Erblassers ins Ausland abgesetzt, oder wenn die Guthaben des Erblassers auf ein anderes im Inland
befindliches Konto gelangt, über das der im Inland wohnhafte Erbe verfügen kann, da in diesen Fällen das
Vermögen des Erblassers zu Vermögen des Erben geworden ist und der haftungsbegründende
Gewahrsam am Vermögen des Erblassers damit endet (vgl. zur letzt genannten Fallgruppe: BFH vom 11.
August 1993 II R 14/90, a.a.O.). Zeigt sich somit die Haftung des Gewahrsamsinhabers - für den
Gesetzgeber erkennbar - immer dann als lückenhaft, wenn der im Inland wohnhafte Erbe über das
Vermögen des Erblassers durch Sich-Auszahlen-Lassen, durch Überweisung oder durch sonstige
rechtsgeschäftliche Handlungen verfügt, liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die im Wege der
Analogie unter Heranziehung des Gesetzeszweckes geschlossen werden kann.
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet gleichfalls keine Schließung der vorgenannten Haftungslücken. Zieht man die
Entstehungsgeschichte der Haftung des Gewahrsamsinhabers heran (siehe dazu voranstehend unter I. 2.
a bb), zeigt es sich, dass der Gesetzgeber ein Bedürfnis für Absicherung des Erbschaftsteueranspruches
nur für erforderlich gehalten hat, wenn der Berechtigte seinen Wohnsitz im Ausland hat. Dass diese
Einschätzung des Gesetzgebers sich in den Fällen als unzureichend erweist, in denen der im Inland
wohnhafte Erbe (aufgrund fehlender inländischer Bindungen) noch vor der Entrichtung der
Erbschaftsteuer ins Ausland flüchtet, bevor der Steuergläubiger von der Möglichkeit der Absicherung der
Vollstreckung durch Beantragung des persönlichen Arrestes (§ 326 AO) überhaupt Gebrauch machen
kann, liegt hierin kein für die Fachgerichte ausreichender Grund, den rechtspolitischen Fehler des
Gesetzgebers durch eine weite Auslegung der 1. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG auszubessern.
b) Zwar erfüllt die Überweisung des Guthabens des Erblassers am 25. April 2002 in Höhe von 164.000 €
auf ein Konto der Erbin bei der W Bank/USA aus den voranstehenden unter I. 1. a) aa) näher dargelegten
Gründen das Tatbestandsmerkmal “zur Verfügung stellen“ im Sinne der 2. Alternative des § 20 Abs. 6 S. 2
ErbStG. Die Anwendung dieser Haftungsalternative scheitert im Streitfall aber daran, dass die
Zurverfügungstellung nicht an einen “außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhaften
Berechtigten“ geschah, sondern an einen im Inland wohnhaften Berechtigten, da die Erbin nach den
Meldedaten bis zum 15. Mai 2002 ihren Hauptwohnsitz in M in der S-Straße ... hatte und sich nach den
Angaben im Erbschein dort auch aufhielt.
aa) Hieran ändert auch nichts, dass die Erbin in ihrem Zahlungsauftrag vom 25. April 2002 (Bl. 204 PA)
angab, in den USA in “S“ einen weiteren Wohnsitz zu haben. Das Innehaben eines weiteren Wohnsitzes
im Ausland führt nämlich nicht zur Haftung nach § 20 Absatz 6 EStG.
Wie das FG München im Urteil vom 26. April 1989 (X 46/84, EFG 1989 S. 465) bereits entschied, setzt die
Haftung nach § 20 Absatz 6 ErbStG voraus, dass der “außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes
wohnhafte Berechtigte“ weder in Deutschland seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hatte. Zur Begründung führte das FG München aus, dass dies bereits für die Haftung nach der
Vorgängerregelung gegolten habe (siehe dazu z.B.: BFH vom 5. März 1981 II R 80/77, BStBl II 1981 S.
472) und die Änderung des Begriffs “ausländischer Berechtigter“ im § 15 Abs. 6 S. 2 ErbStG 1959 i.V.m. §
8 Abs. 1 S. 2 Buchstabe a EStG 1959 in den Begriff “außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes
wohnhaften Berechtigten“ im § 20 Abs. 6 ErbStG insoweit keine Änderung mit sich gebracht habe. Die
sprachliche Neufassung sei nur deshalb erfolgt, um auch Überweisungen an die in der (ehemaligen) DDR
sowie Zahlungen und Vermögensaushändigungen an die in der (ehemaligen) DDR wohnhafte
Berechtigte -- wie bisher -- mit zu erfassen (mit Hinweis auf: Meincke/Michel, ErbStG, 8. A., Rz 8 zu § 20).
Der erkennende Senat folgt den überzeugenden Ausführungen im Urteil des FG München vom 26. April
1989 vollumfänglich und nimmt zur weiteren Begründung hierauf Bezug.
bb) Soweit der Beklagte wegen der weiteren Wohnsitzangabe im Sitzungstermin “bezweifelte“, dass die
Erbin ihren Wohnsitz im Inland gehabt habe, und beantragte, die mit der Auszahlungsabwicklung befasst
gewesenen Sachbearbeiter der Klägerin als Zeugen “zum Wohnsitz“ der Erbin zu hören, sieht der
erkennende Senat keine Veranlassung, diesem Beweisantrag zu entsprechen.
Hierbei handelt es sich um einen unsubstantiierten Vortrag und einen unsubstantiierten Beweisantrag,
dem das Gericht nicht nachgehen muss (st. Rspr.; vgl. z.B.: BFH vom BFH vom 6. September 2005 IV B
14/04, BFH/NV 2005 S. 2166; BFH vom 29. Mai 2009 VIII B 205/98, juris; BFH vom 22. September 2009 VII
R 4/07, Juris; Gräber/Stapperfend, FGO, 7. A. 2010, Rz 29 zu § 76; mit jeweils weiteren zahlreichen
Nachweisen auf die Rspr.), denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die entscheidungserheblichen
Tatsachen erst durch die Beweiserhebung selbst aufzudecken.
Der Beklagte behauptete schon nicht, dass die Erbin zum Zeitpunkt der Durchführung des
Überweisungsauftrages am 15. April 2002 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt --
ausschließlich -- im Ausland hatte. Vielmehr wird der inländische Wohnsitz der Erbin (erstmals) im
Sitzungstermin lediglich in Zweifel gezogen und zwar mit dem Hinweis darauf, dass die Erbin im
Überweisungsauftrag vom 25. April 2002 einen (weiteren) ausländischen Wohnsitz angab. Wieso die
Angabe einer Wohnanschrift im Ausland einem weiteren Wohnsitz im Inland entgegenstehen soll,
erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. Auch ist weder vorgetragen worden noch nach Aktenlage
ersichtlich, warum die benannten Zeugen überhaupt in der Lage sein sollten, Angaben dazu machen zu
können, ob die Erbin zum Zeitpunkt der Ausführung des Überweisungsauftrages vom 25. April 2002 ihren
Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ausschließlich im Ausland hatte. Der Umstand, dass die als
Zeugen benannten Sachbearbeiter nach dem Vorbringen der Klägerin die Vorlage einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangt haben sollen, ist jedenfalls kein hinreichender Anhaltspunkt für
deren Kenntnisse über den ausschließlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Erbin im
Ausland. Insoweit zeigt sich der Beweisantrag des Beklagten als reiner Ausforschungsbeweis.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
2. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei
Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem
Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil
angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der
Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit
Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel
ergibt.
Für die Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem
Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof
berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte
Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des
Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln. Behörden und juristische Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.