Urteil des FG Niedersachsen vom 21.11.2013

FG Niedersachsen: echte rückwirkung, gestaltung, verfassungskonforme auslegung, missbrauch, körperschaft, dringlichkeit, geldanlage, vertrauensschutz, zumutbarkeit, verkündung

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Körperschaftsteuer 2007
Zur Frage der rückwirkenden Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG auf ein
abweichendes Wirtschaftsjahr 2006/2007.
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 21.11.2013, 6 K 366/12
§ 42 AO, § 34 Abs 7 S 9 KStG, § 8b Abs 10 KStG
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Steuerbescheid, der im Anschluss an
eine Feststellung der Außenprüfung ergangen ist; streitig ist die Anwendung
des § 8b Abs. 10 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) im Streitjahr 2007.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter
Haftung (GmbH) ein Unternehmen, dessen Gegenstand die Fabrikation und
der Vertrieb von Maschinen aller Art, insbesondere von Landmaschinen sowie
deren Reparatur ist. Die Gesellschaft wurde durch Gesellschaftsvertrag vom
xx.xx 19xx gegründet. Alleinige Gesellschafterin ist die X
Kommanditgesellschaft (KG). Zu Geschäftsführern sind bestellt: die Herren A
sowie B (seit 2006), C (seit 2007), D (seit 2008, einzelvertretungsberechtigt)
sowie E (seit 2013). Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch
Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KStG unter Zugrundelegung eines vom
Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres vom 1. August bis 31. Juli des
Folgejahres (§ 4a EStG in Verbindung mit § 7 Abs. 4 KStG).
Am 15. September 2006 schloss die Klägerin mit dem Finanzinstitut D W
Securities Limited, London einen Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen.
Nach der Regelung in Nr. 3 Abs. 2 des Rahmenvertrages waren die
Vertragsparteien sich einig, dass mit der Lieferung das unbeschränkte
Eigentum an den Darlehenspapieren auf den Darlehensnehmer übergehe.
Nach Nr. 5 des Rahmenvertrags hatte der Darlehensnehmer dem
Darlehensgeber für jedes Wertpapierdarlehen ein Entgelt zu zahlen. Nach
Nr. 6 der Vereinbarung sollte dem Darlehensgeber die während der Laufzeit
des Darlehens auf die Darlehenspapiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile
sowie sonstigen Ausschüttungen zustehen; der Darlehensnehmer hatte in
dieser Höhe Kompensationszahlung zu leisten.
Wegen der Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf die zu den
Akten des Beklagten gelangte Kopie des Rahmenvertrages Bezug genommen
(Bl. 18 bis 20 des Auszugs aus der Betriebsprüfungsarbeitsakte zur
Außendienst-Nr. 848-3/08).
In Abwicklung des Rahmenvertrags tätigte die Klägerin jeweils als
Darlehensnehmerin mehrere Einzelabschlüsse am 3. Oktober 2006, 17.
Oktober 2006, 31. Oktober 2006, 14. November 2006, 28. November 2006, 12.
Dezember 2006, 27. Dezember 2006, 10. Januar 2007, 24. Januar 2007, 7.
Februar 2007, 21. Februar 2007, 7. März 2007 und 21. März 2007. Die
Wertpapiergeschäfte beliefen sich jeweils auf einen Umfang von etwa 30
Millionen € und beinhalteten im 14-tägigen Wechsel Aktien unterschiedlicher
englischer Gesellschaften, bei denen jeweils in diesen Zeiträumen die
Stichtage der Dividendenberechtigungen (Record date) fielen.
Wegen der Einzelheiten der Einzelabschlüsse wird auf die zu den Akten des
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Beklagten gelangten Kopien der Abschlüsse (Bl. 33 ff. des Auszugs aus der
Betriebsprüfungsarbeitsakte) und eine Zusammenfassung der Außenprüfung
Bezug genommen (Bl. 30 des Auszugs aus der Betriebsprüfungsarbeitsakte).
Als Sicherheit diente eine mit einem Zinssatz von 3,693 v.H. verzinste
Geldanlage der Klägerin in Höhe von 25 Millionen €, aus der die Klägerin im
Wirtschaftsjahr 2006/2007 Zinserträge i.H.v. 474.447,92 € (davon 230.812,50
€ im Jahr 2006 und 243.635,42 € im Jahr 2007) erzielte.
Aus den geliehenen Wertpapieren erhielt die Klägerin im Wirtschaftsjahr
2006/2007 an Dividenden insgesamt 9.836.737,99 € (davon 5.853.062,31 € im
Jahr 2006 und 3.983.675,68 € im Jahr 2007). Entsprechend der Vereinbarung
der Nr. 5 und 6 des Rahmenvertrags mit der D W Securities Limited leistete die
Klägerin Kompensationszahlungen in Höhe der erhaltenden Dividenden
(davon 5.853.062,31 € im Jahr 2006 und 3.983.675,68 € im Jahr 2007) zzgl.
eines Darlehensentgelts in Höhe von jeweils 2 v.H. p.a. bezogen auf die
Marktwerte der Darlehenspapiere und die Darlehenszeiträume, insgesamt
305.069,30 € (davon 150.000 € im Jahr 2006 und 155.069,30 € im Jahr 2007).
Die Klägerin reichte am 30. Juni 2008 ihre Körperschaftsteuererklärung für
2007 beim Beklagten ein. In dieser erklärte sie u.a. die Dividendengutschriften
als steuerfreie Bezüge im Sinne des § 8b Abs. 1 KStG. Die
Kompensationszahlungen sowie die Darlehensentgelte behandelte die
Klägerin als Betriebsausgabe und berücksichtigte in Höhe von 5 v.H. der
Dividenden die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben gem. § 8b Abs. 5
KStG.
Der Beklagte folgte zunächst den Angaben der Klägerin in ihrer
Körperschaftsteuererklärung und setzte mit Bescheid vom 31. Juli 2008 die
Körperschaftsteuer für 2007 in Höhe von 566.406,00 € fest. Der Bescheid
erging nach § 164 Abs. 1 und der Abgabenordnung (AO) unter Vorbehalt der
Nachprüfung.
In der Zeit vom 16. Juni 2008 bis 15. April 2009 führte das Finanzamt für
Großbetriebsprüfung Y bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die die
Jahre 2005 bis 2007 umfasste. Im Rahmen dieser Außenprüfung kamen die
mit der Prüfung beauftragten Betriebsprüfer zu der Ansicht, dass die Regelung
in § 8b Abs. 10 KStG auf die im Wirtschaftsjahr 2006/2007 durchgeführten
Wertpapierdarlehen gem. § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG Anwendung finde. Die an
die D W Securities Limited gezahlten Entgelte seien somit nicht als
Betriebsausgaben abzuziehen; demgegenüber sei die pauschale Kürzung von
Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG nicht vorzunehmen (§ 8b
Abs. 10 Satz 3 KStG) und die nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben wie folgt
zu erhöhen:
Darlehensentgelt
305.069,00 €
Kompensationszahlung
9.836.738,00 €
Summe
10.141.807,00 €
bisherige pauschale Kürzung
- 491.836,00 €
Erhöhung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben 9.649.971,00 €
Wegen der Einzelheiten der Feststellung wird auf Textziffer 30 des Berichts
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über die Außenprüfung vom 23. April 2009 Bezug genommen (Bl. 7 ff. der
Berichtsakte des Beklagten).
Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ am 3.
August 2009 eine nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid für 2007 über
Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung von Körperschaftsteuer in Höhe von
3.071.262,00 €.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein
und wandte sich gegen die rückwirkende Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG
gem. § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG bereits ab dem Beginn des
Veranlagungszeitraums 2007, im Streitfall somit bereits ab dem Beginn des
abweichenden Wirtschaftsjahres 2006/2007 zum 1. August 2006. Dies stelle
einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und gegen den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) dar. Ergänzend
nahm die Klägerin Bezug auf eine von ihr in Auftrag gegebene gutachterliche
Stellungnahme von Prof. Dr. Dres. h.c. F vom November 2011 (Anlage zur
Klageschrift vom 8. Oktober 2012).
Der Einspruch hatte keinen Erfolg; nachdem der Beklagte zwischenzeitlich den
Körperschaftsteuerbescheid 2007 am 8. Februar 2010 gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2
AO durch Aufnahme eines weiteren Vorläufigkeitsvermerks geändert hatte,
wies er den Einspruch durch Einspruchsbescheid vom 12. September 2012
als unbegründet zurück. Zur Begründung vertrat er die Auffassung, die
Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG enthalte keine verfassungsrechtliche
unzulässige Rückwirkung. Vorliegend handele es sich um den Fall einer
sogenannten unechten Rückwirkung. Diese sei zulässig, da das Interesse der
Allgemeinheit höher einzuschätzen sei als der Vertrauensschutz der Klägerin
auf das Fortbestehen der alten Rechtslage. Im Übrigen handele es sich bei der
Wertpapierleihe um eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO, weil
das wirtschaftliche Ergebnis der eingegangenen Verpflichtungen – abgesehen
von den steuerlichen Auswirkungen – negativ sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 9. Oktober 2012 Klage erhoben. Zur
Begründung wiederholt sie ihre Ansicht, die rückwirkende Anwendung des
§ 8b Abs. 10 KStG gem. § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG bereits ab dem Beginn des
Veranlagungszeitraums 2007, im Streitfall somit bereits ab dem Beginn des
abweichenden Wirtschaftsjahres 2006/2007 zum 1. August 2006 stelle einen
verfassungswidrigen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und gegen Art. 3
GG dar. Wertpapierleihgeschäfte seien übliche und standardisierte
Kapitalmarkttransaktionen und keine unangemessenen Rechtsgestaltungen
i.S. des § 42 AO. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 15.
November 2013 Bezug genommen (Bl. 70 – 93 der Gerichtsakte).
[…]
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid für 2007 über Körperschaftsteuer vom 3. August
2009 in der Fassung vom 8. Februar 2010 und in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19. September 2012 ist rechtmäßig und verletzt
die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte ist zutreffend von der
Anwendbarkeit des § 8b Abs. 10 KStG ausgegangen. Ein verfassungswidriger
Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot oder gegen Art. 3 GG liegt nicht vor.
1. Nach § 8b Abs. 10 Satz 1 KStG in der Fassung des
Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007
(Bundesgesetzblatt I Seite 1912) dürfen die Entgelte nicht als Betriebsausgabe
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abgezogen werden, die eine Körperschaft einer anderen Körperschaft
(überlassende Körperschaft) für die Überlassung von Anteilen gewährt, auf die
bei letzterer Absatz 7 oder 8 anzuwenden ist oder auf die bei letzterer aus
anderen Gründen die Steuerfreistellungen der Absätze 1 und 2 oder
vergleichbare ausländische Vorschriften nicht anzuwenden sind. Weitere
Voraussetzung ist, dass bei der Körperschaft auf die Anteile Absatz 7 oder 8
nicht anzuwenden ist und die Körperschaft, der die Anteile zuzurechnen sind,
diese oder gleichartige Anteile zurückzugeben hat.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Klägerin, sind von der D W
Securities Limited, London, Beteiligungsrechte an englischen Körperschaften
und damit Anteile i.S. des § 8b Abs. 2 KStG im Rahmen eines Leihvertrags
überlassen worden, die sie zurückzugeben hatte. Bei der Klägerin sind auf die
Anteile der Absatz 7 oder 8 des § 8b KStG nicht anzuwenden, während bei der
D W Securities Limited, London, auf die Anteile die Steuerfreistellungen der
Absätze 1 und 2 des § 8b KStG oder vergleichbare ausländische Vorschriften
nicht anzuwenden sind. Für die Überlassung der Anteile hat die Klägerin als
Entgelt Kompensationszahlungen i.H.v. 9.836.737,99 € und Leihgebühren
i.H.v. 305.069,30 € geleistet. Über die Höhe der Entgelte und das Vorliegen
der Voraussetzungen der Regelung des § 8b Abs. 10 Satz 1 KStG besteht
zwischen den Beteiligten zu Recht Einigkeit.
Gemäß § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG ist die Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG
erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden. Danach fallen die
von der Klägerin im Wirtschaftsjahr 2006/2007 zwischen Oktober 2006 und
März 2007 getätigten Wertpapierdarlehensgeschäfte nach der gesetzlichen
Fiktion gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 KStG bereits in den Anwendungsbereich des
§ 8b Abs. 10 KStG n.F.
2. Entgegen der Ansicht der Klägerin verstößt die Anwendung des § 8b
Abs. 10 KStG i.V.m. § 34 Abs. 7 Satz 9 KStG vorliegend auch nicht gegen die
Verfassung.
a) Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) folgt das
sog. Rückwirkungsverbot. Dieses basiert auf der Verlässlichkeit der
Rechtsordnung. Einerseits schafft der Gesetzgeber verbindliche Regelungen
und erwartet vom Bürger, sein Verhalten danach auszurichten. Andererseits
muss der Bürger im Gegenzug darauf vertrauen können, dass sein im Hinblick
auf bestehende Gesetze ausgerichtetes Verhalten nicht durch rückwirkende
Gesetzesänderung mit anderen Rechtsfolgen belegt wird.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) ist zwischen „echter“ und „unechter“ Rückwirkung bzw.
Rückbewirkung der Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung zu
unterscheiden. Erstere liegt vor, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf
einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird. Von einer
unechten Rückwirkung bzw. einer tatbestandlichen Rückanknüpfung ist
auszugehen, wenn das Gesetz auf in der Vergangenheit begründete, aber
noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirkt (BVerfG-Beschlüsse vom 3.
Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67; vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02
u.a., BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, DStR 2010, 1727; vom 7. Juli 2010 2
BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, DStR 2010, 1733; vom 7.
Juli 2010 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31, DStR 2010, 1736; BFH-Beschluss
vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, BStBl II 2001, 552 m.w.N.).
(1) Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit
belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits
abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen").
Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Erst mit der
Verkündung ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt,
zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der von einem
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Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf
geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich
rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig
verändert wird (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a.,
BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, DStR 2010, 1727; vom 7. Juli 2010 2 BvR
748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, DStR 2010, 1733; vom 7. Juli
2010 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31, DStR 2010, 1736 m.w.N.).
(2) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten
Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine
"unechte" Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht
grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu
Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem
Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und
den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der
Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der
Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der
Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche
Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder
Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der
Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das
geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL
14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, DStR 2010, 1727; vom 7. Juli
2010 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, DStR 2010,
1733; vom 7. Juli 2010 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31, DStR 2010, 1736
m.w.N.).
(3) Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen
der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte
Rückwirkung daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene
Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommen- und
Körperschaftsteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit
Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten
Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO in Verbindung mit § 30 Nr. 3
KStG entsteht die Körperschaftsteuer erst mit dem Ablauf des
Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (BVerfG-Beschlüsse
vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, DStR
2010, 1727; vom 7. Juli 2010 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, BStBl II
2011, 86, DStR 2010, 1733; vom 7. Juli 2010 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127,
31, DStR 2010, 1736 m.w.N. jeweils zur Einkommensteuer).
bb) Nach diesen Kriterien führt die Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG auf die
von der Klägerin verwirklichten Sachverhalte im Rahmen der Wertpapierleihe
zu einer unechten Rückwirkung, da das Unternehmensteuerreformgesetz
2008 bereits im August 2007 und damit vor Ablauf des Jahres, für das es
Geltung beansprucht, in Kraft trat.
Entgegen der Ansicht der Klägerin beinhaltet § 8b Abs. 10 KStG i.V.m. § 34
Abs. 7 Satz 9 KStG auch dann keine echte Rückwirkung, wenn
Körperschaften – wie im Streitfall die Klägerin – ihren Gewinn aufgrund eines
Betriebsvermögensvergleichs nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr
ermitteln. Auch in diesem Fall gilt der Gewinn (insgesamt) als in dem
Kalenderjahr bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet (§ 7 Abs. 4 Satz 2
KStG). Die gesetzliche Regelung in § 8b Abs. 10 KStG beeinflusst somit auch
im Fall eines vor dem 1. Januar 2007 beginnenden und Jahr 2007 endenden
Wirtschaftsjahres lediglich den Gewinn des Veranlagungszeitraums 2007 und
damit nur die Körperschaftsteuerschuld dieses Jahres (vgl. BFH-Urteile vom
23. März 2011 X R 4-5/06, X R 43-44/07, BFH/NV 2011, 1485; vom 27. März
2012 I R 62/08, BFHE 236, 543, BStBl II 2012, 745). Unerheblich ist in diesem
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Zusammenhang, dass die Klägerin die Einzelabschlüsse im Rahmen der
Wertpapierleihe im Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Unternehmensteuerreformgesetz 2008 bereits getätigt hatte. Denn im Fall der
sog. unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung werden die
Rechtsfolgen einer Norm stets von einem bereits ins Werk gesetzten
Sachverhalt ausgelöst.
cc) Der Senat ist nicht der Überzeugung, dass die Anwendung des § 8b
Abs. 10 KStG auf die von der Klägerin im Zeitraum Oktober 2006 bis März
2007 an die D W Securities Limited, London, gezahlten Entgelte eine
verfassungsrechtlich unzulässige unechte Rückwirkung enthält.
(1) Eine solche unechte Rückwirkung ist nach der oben dargestellten
Rechtsprechung des BVerfG nicht grundsätzlich unzulässig. Indes bedarf es
auch in diesen Fällen nach Maßgabe des Rechtsstaatsprinzips einer
besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der
Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der
Gesetzgeber muss auch bei der unechten Rückwirkung, soweit er für künftige
Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem
verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß
Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung
verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der
Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss
gewahrt werden. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen
grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur
vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und
erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht
des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die
Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit
gewahrt bleibt (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a.,
BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, DStR 2010, 1727; vom 7. Juli 2010 2 BvR
748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, DStR 2010, 1733; vom 7. Juli
2010 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31, DStR 2010, 1736; BFH-Urteil vom 23.
März 2011 X R 4-5/06, X R 43-44/07, BFH/NV 2011, 1485).
Das ändert aber nichts daran, dass auch auf dem weiten und vielgestaltigen
Feld unechter Rückwirkungen, auf dem ein allgemeiner Grundsatz
unzulässiger Rückwirkung nicht gilt, die belastenden Wirkungen einer
Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden
Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit bedürfen. Das gilt
auch, wenn der Gesetzgeber das Körperschaftsteuerrecht während des
laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf
dessen Beginn bezieht. Auch hier muss der Normadressat eine Enttäuschung
seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund
besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher
Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Wäre dies
anders, so fehlte den Normen des Körperschaftsteuerrechts als
Rahmenbedingung wirtschaftlichen Handelns ein Mindestmaß an
grundrechtlich und rechtsstaatlich gebotener Verlässlichkeit (BVerfG-
Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011,
76, DStR 2010, 1727 zur Einkommensteuer m.w.N.). Ein erhöhter
Rechtfertigungsbedarf liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige einen konkret
vorhandenen Vermögensbestand erworben hat und eine solche konkret
verfestigte Vermögensposition nachträglich entwertet werden soll (BVerfG-
Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011,
76, DStR 2010, 1727).
(2) Bei der insoweit gebotenen Abwägung ist vorliegend das Interesse des
Gesetzgebers an der Beseitigung gesetzgeberischer Fehler schutzwürdiger
als das Vertrauen einzelner Steuerpflichtiger darauf, derartige Fehler
auszunutzen und materiell nicht sachgerechte und vom Gesetzgeber zuvor
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weder gewollte noch bedachte Steuervorteile in Anspruch nehmen zu können.
Nach der Gesetzesbegründung soll die Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG
Gestaltungen bei der Wertpapierleihe verhindern, bei denen insbesondere
Kreditinstitute ihre Anteile, bei denen die Erträge nach § 8b Abs. 7 und 8 KStG
steuerpflichtig sind, an einen anderen Steuerpflichtigen verleihen, bei dem die
Beteiligungserträge nach § 8b Abs. 1 oder 2 KStG steuerfrei sind. Der Vorteil,
der nach der Erkenntnis des Gesetzgebers darin liegt, dass die für die
entliehenen Anteile geleisteten Kompensationszahlungen beim Entleiher nach
§ 8b Abs. 5 KStG voll abziehbar sind, wurde vom Gesetzgeber als nicht
gewollt bewertet (Bundestagsdrucksache 16/4841 vom 27. März 2007, Seite
47, 75). Die zeitliche Anwendung der Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG
rechtfertigt die Gesetzesbegründung damit, dass diese zur wirksamen
Beendigung nicht vertrauensgeschützter professioneller
Steuerumgehungsgestaltungen erforderlich sei (Bundestagsdrucksache
16/4841, Seite 78). Die gesetzlichen Änderungen diente damit – wie auch Prof.
Dr. Dres. h.c. F in seinem Gutachten auf Seite 77 ausführt, „der steuerlichen
Belastungsgleichheit, schränkt steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten im Ziel
der unausweichlichen Steuerlast ein, dient der Einsichtigkeit und Ersichtlichkeit
überzeugender Besteuerungsprinzipien.“
Dieser Betrachtung schließt sich der erkennende Senat an. Die vom
Gesetzgeber angeführten und darüber hinaus die objektiv vorliegenden
sachlichen Gründe rechtfertigen es, diese bereits für den
Veranlagungszeitraum 2007 geltende Regelung unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten als verhältnismäßig zu bewerten.
Die Anwendung der Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG ab dem
Veranlagungszeitraum 2007 ist zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet
und erforderlich. Denn die frühzeitige Anwendung der Neuregelung war
geeignet und mangels milderer, gleich wirksamer Mittel auch erforderlich, um
eine Fortführung der vom Gesetzgeber erkannten professionellen
Steuerumgehungsgestaltungen zu verhindern und um Belastungsgleichheit zu
gewähren, indem bereits ins Werk gesetzten professionellen
Steuerumgehungsgestaltungen der Eintritt des erhofften
Steuerumgehungserfolgs verwehrt wird.
Der Senat ist der Auffassung, dass bei einer Gesamtabwägung zwischen dem
Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit
der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe auch die Grenze der
Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Dabei war zu berücksichtigen, dass durch die
tatbestandliche Rückanknüpfung der zeitlichen Anwendungsregel zur
Neuregelung des § 8b Abs. 10 KStG der Gesetzgeber keinen konkret
vorhandenen Vermögensbestand des Steuerpflichtigen nachträglich entwertet
hat, den der Steuerpflichtige zuvor erlangt hatte. Denn im Rahmen der
Wertpapierleihe hat der Steuerpflichtige keine konkret verfestigte
Vermögensposition erlangt, soweit er im Gegenzug für die erhaltenen
Dividenden Kompensationszahlungen und zusätzlich ein Entgelt für jedes
Wertpapierdarlehen leisten muss. Dies ist auch im Streitfall so, da die Klägerin
aus jedem Einzelgeschäft zur Wertpapierleihe keinen Vermögensvorteil
erlangt, sondern lediglich einen wirtschaftlichen Verlust i.H.v. des
Darlehensentgelts erlitten hat. Der wirtschaftliche Vorteil liegt bei
Wertpapierdarlehensgeschäften wie im Streitfall allein in der zukünftigen
steuerlichen Entlastung im Rahmen der Entstehung der Steuerschuld. Diese
Hoffnung auf einen steuerlichen Vorteil ist aber weder verfestigt noch
schutzwürdig.
Im Streitfall sind zudem keine außersteuerlichen Gründe vorgetragen oder
sonst erkennbar, die die vorgenommenen Wertpapiergeschäfte für die Klägerin
wirtschaftlich vernünftig erscheinen lassen. Vielmehr übersteigen – wie bereits
bei Vertragsabschluss offenkundig gewesen ist – die an die D W Securities
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Limited, London, als Entleiher zu zahlenden Entgelte und
Kompensationszahlungen die jeweils von der Klägerin vereinnahmten
Dividenden. Lukrativ werden diese Geschäfte für die Klägerin allein durch die
unterschiedliche steuerliche Behandlung der Einnahmen (Dividenden) und
Ausgaben (Kompensationszahlungen und Darlehensentgelte). Eine derartige
Gestaltung ist nicht schützenswert. Soweit in der Literatur auch
außersteuerliche Gründe für Wertpapierleihgeschäfte genannt werden (z.B. die
Absicherung von Termingeschäften), mag dies im Einzelfall zutreffen (vgl. Eckl
in Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2007/2008, Seite 278 f.; Füllbier,
BB 2012, 1769); vorliegend sind derartige Gründe jedoch nicht ersichtlich und
nicht vorgetragen.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die erzielten Zinserträge
aus der Geldanlage von 25 Millionen € Bezug nimmt, vermag der Senat dem
nicht zu folgen. Denn entsprechende Zinserträge hätte die Klägerin auch durch
eine Geldanlage ohne Wertpapierdarlehensgeschäfte erzielen können.
Gerade bei Gesetzesänderungen, bei denen nicht die bloße Abschöpfung von
Besteuerungspotentialen im Vordergrund steht, sondern die der typisierten
Missbrauchsabwehr dienen, muss mit einem einschränkenden Eingreifen des
Gesetzgebers gerechnet werden, so dass das Vertrauen des Steuerbürgers
auf den Bestand der missbrauchsanfälligen Norm als gering zu bewerten ist
(vgl. auch BFH-Urteil vom 27. August 2008 I R 78/01, BFH/NV 2009, 497).
Weiterhin ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Vertrauensschutz
des Steuerbürgers auch bereits durch entsprechende Ankündigungen des
Gesetzgebers erschüttert werden kann. So hat vorliegend die
Bundesregierung bereits bei der Benennung der Eckpunkte der
Unternehmenssteuerreform 2008 im sogenannten „Koch-Steinbrück-Papier“ im
November 2006 angekündigt, gesetzliche Änderungen im Zusammenhang mit
der Wertpapierleihe vornehmen zu wollen. Da diese Ankündigung bereits
hinreichend konkret war, kommt es auf die nachfolgenden Veröffentlichungen
des Referentenentwurfs zum Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (5.
Februar 2007) und dem Kabinettsbeschluss des Gesetzesentwurfes vom 14.
März 2007 und die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag am 25. Mai
2007 nicht mehr entscheidend an (a. A. Hahne, FR 2007, 819; derselbe in BB
2007, 2055; Obermann/Brill, BB 2007, 1647 und ausführlich Schlotter in
Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2008, Seite 610 ff.). Dies gilt
insbesondere auch im Hinblick darauf, dass die die
Unternehmenssteuerreform 2008 betreibenden Parteien CDU und SPD im
Rahmen einer großen Koalition sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat
über ausreichende Mehrheiten verfügten.
(3) Entgegen der Ansicht der Klägerin sieht der erkennende Senat auch keine
Notwendigkeit für eine verfassungskonforme Auslegung im Hinblick auf das im
Streitjahr vorliegende abweichende Wirtschaftsjahr.
Der BFH hat in seinen Urteilen vom 23. März 2011 (X R 4-5/06, X R 43-44/07,
BFH/NV 2011, 1485) und vom 27. März 2012 (I R 62/08, BFHE 236, 543,
BStBl II 2012, 745) entsprechende verfassungskonforme Auslegungen
zeitlicher Anwendungsnormen vorgenommen, um im Rahmen der
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und
dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden
Gründe auch die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt zu sehen.
Diese Notwendigkeit sieht der erkennende Senat im Streitfall nicht. Der
Gesetzgeber hat zur „wirksamen Beendigung nicht vertrauensgeschützter
professioneller Steuerumgehungsgestaltungen“ die rückwirkende Anwendung
für den Veranlagungszeitraum 2007 angeordnet. Entweder hat er dabei
bewusst auch die Anwendung auf die vom Kalenderjahr abweichenden
Wirtschaftsjahre angeordnet, die im Kalenderjahr 2007 enden oder er hätte
dies mit Blick auf eine wirksame Beendigung nicht vertrauensgeschützter
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professioneller Steuerumgehungsgestaltungen genau so geregelt. Die Grenze
der Zumutbarkeit ist auch bei abweichenden Wirtschaftsjahren aufgrund des
fehlenden schutzwürdigen Vertrauens des Steuerpflichtigen und aufgrund der
Dringlichkeit des die Rechtsänderung rechtfertigenden Zwecks der
Belastungsgleichheit gewahrt.
b) Es liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG vor.
aa) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des
Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen
weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des
Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz
dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert,
wird vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt:
durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen
Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im
Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf
abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich
hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler
Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der
Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der
Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss die einmal
getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der
Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen
folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes
(BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, BVerfGE 127, 1, BStBl II
2011, 76, DStR 2010, 1727 m.w.N.).
bb) Davon ausgehend ist die Entscheidung des Gesetzgebers für die
rückwirkende Anwendung von § 8b Abs. 10 KStG verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden.
Der Gesetzgeber hat mit Einführung der Regelung in § 8b Abs. 10 KStG einen
von ihm erkannten Missbrauch steuerlicher Regelungen durch professionelle
Steuerumgehungsgestaltungen entgegengewirkt. Dies an sich und auch die
Normierung der tatbestandlichen Rückanknüpfung verletzt nicht Art. 3 Abs. 1
GG. Vielmehr war der Gesetzgeber aufgrund des verfassungsrechtlichen
Gebots der steuerlichen Lastengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung
mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 GG verpflichtet, solchem Verhalten
Einhalt zu gebieten. Denn – wie der Streitfall zeigt – führten die
Steuerumgehungsgestaltungen im Rahmen der Wertpapierleihe dazu, dass
eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht mehr gewährleistet war
und ungerechtfertigte Steuervorteile durch die Gemeinschaft der Steuerzahler
aufgefangen werden mussten. Durch die rückwirkende Anwendung des § 8b
Abs. 10 KStG hat der Gesetzgeber auch insoweit Belastungsgleichheit
hergestellt mit denjenigen Steuerpflichtigen, die sich keiner
Steuerumgehungsgestaltung bedient und ihre Steuern nach ihrer tatsächlichen
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erbracht haben.
Art. 3 Abs. 1 GG ist – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht dadurch
verletzt, dass sie im Vergleich mit anderen Steuerpflichtigen, deren
Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, in größerem Umfang der
Körperschaftsteuer unterliegt.
Die unterschiedliche einkommen- und körperschaftsteuerrechtliche Erfassung
von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen nach § 4a EStG, § 7
Abs. 4 KStG ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Sie ist die systematische
und insofern folgerichtige Konsequenz aus dem Maßgeblichkeitsgrundsatz der
Handelsbilanz nach § 5 EStG. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers zur
Anknüpfung an den Inhalt und den Zeitraum der Handelsbilanz liegt innerhalb
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des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von
Steuerquellen zukommt.
c) Aber selbst wenn der erkennende Senat die Überzeugung gewonnen hätte,
dass die zeitliche Anwendungsregel zu § 8b Abs. 10 KStG gegen die
Verfassung verstoße, wäre er nicht zu einem anderen steuerlichen Ergebnis
gekommen. Denn die konkrete Ausgestaltung der Wertpapierleihgeschäfte
durch die Klägerin beurteilt der Senat als Missbrauch rechtlicher
Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des Art. 42 AO.
Nach § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten
des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch
vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen
Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes liegt ein
Missbrauch dann vor, wenn eine (zivilrechtliche und/oder steuerrechtliche)
Gestaltung gewählt wird, die - gemessen an dem erstrebten Ziel -
unangemessen ist, der Steuervermeidung dienen soll und durch wirtschaftliche
oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (z.B.
BFH-Urteile vom 29. Mai 2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789;
vom 15. Juli 2004 III R 66/98, BFH/NV 2005, 186). § 42 AO setzt letztlich
voraus, dass die gewählte Gestaltung nach den der jeweiligen
steuerrechtlichen Vorschrift zugrunde liegenden gesetzgeberischen
Wertungen der Steuerumgehung dienen soll. Hingegen ist für § 42 AO
grundsätzlich kein Raum, wenn der Steuerpflichtige einen vom Steuergesetz
vorgezeichneten Weg wählt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02,
BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980 m.w.N.). Allein das Motiv, Steuern zu
sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Eine
rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige
die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines
bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen
ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers
das Ziel nicht erreichbar sein soll (st. Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 29.
Mai 2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789). Der Steuerpflichtige
kann sich auf die von ihm gewählte Gestaltung nicht berufen, wenn
verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhaltes und der
wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in dieser Weise verfahren wären (BFH-Urteil
vom 7. Juli 1998 VIII R 10/96, BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729 m.w.N.). Eine
Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat,
kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden; sie ist per se
unangemessen (BFH-Urteil vom 21. August 2012 VIII R 32/09, BFHFE 239,
31, BStBl II 2013, 16 m.w.N.; Ratschow in Klein, AO, 11. Auflage 2012, § 42
Rz. 52).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt zur Überzeugung des
erkennenden Senats ein Gestaltungsmissbrauch vor. Die gewählte Gestaltung
im Streitfall ist wirtschaftlich ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der
Steuerersparnis nachvollziehbar.
Aus wirtschaftlicher Sicht machen die von der Klägerin getätigten
Wertpapierdarlehensgeschäfte keinen Sinn; die Klägerin erleidet bei jedem
Geschäft in Höhe des Darlehensentgelts einen Verlust. Lediglich aufgrund des
eintretenden steuerlichen Vorteils wird die Wertpapierleihe für die Klägerin
wirtschaftlich interessant. Die Ausgestaltung der Einzelgeschäfte zeigt, dass
es der Klägerin allein auf diesen steuerlichen Vorteil ankam. Das wird deutlich
durch die Auswahl der englischen Gesellschaften, an denen sich die Klägerin
über die Wertpapierleihe beteiligte und bei denen jeweils die Stichtage der
Dividendenberechtigungen in den 14-tägigen Leihzeitraum fielen. Außerdem
wird dies deutlich an dem häufigen und regelmäßigen Austausch der
Beteiligungen, die darauf angelegt waren, besonders viele Stichtage der
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Dividendenberechtigungen abzudecken, um den steuerlichen Vorteil zu
maximieren. Weder für die Wertpapierleihe an sich noch für den häufigen
Wechsel der Beteiligungen hat die Klägerin wirtschaftliche oder sonst
beachtliche nichtsteuerliche Gründe benannt; solche liegen ersichtlich auch
nicht vor. Soweit die Klägerin auf die verzinste Geldanlage von 25 Millionen €
verweist, ist festzuhalten, dass sie auch ohne Abschluss von
Wertpapierdarlehensgeschäften eine Verzinsung in entsprechender Höhe
hätte erzielen können.
Die Klägerin hat steuerfreie Dividenden durch eine unangemessene
Gestaltung erlangt. Würde die Steuer unter gewinnmindernder
Berücksichtigung der Aufwendungen aus der Wertpapierleihe festgesetzt, so
würde dies im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem
gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führen. Mit der in § 8b Abs. 1
KStG geregelten Steuerbefreiung für Dividenden hatte der Gesetzgeber nicht
die Absicht, Unternehmen eine Möglichkeit zu schaffen, durch kombinierte
Anlagemodelle nicht nur die Dividenden steuerfrei zu belassen, sondern durch
einen „generierten“ Betriebsausgabenabzug in gleicher Höhe auch anderweitig
erzielte Erträge aus dem operativen Geschäft der Besteuerung zu entziehen.
Da ein Missbrauch im Sinne des § 42 AO gegeben ist, entsteht der
Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen
angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre (§ 42 Abs. 1 AO).
Dies bedeutet im konkreten Fall, dass die steuerlich vorteilhaften, aber
ansonsten sinnlosen Wertpapiergeschäfte ohne steuerliche Folgen bleiben.
Die Klägerin hätte entsprechende Dividendenberechtigungen schließlich auch
durch eine direkte Beteiligung an den englischen Unternehmen erlangt, die
nicht zu Kompensationszahlungen und Darlehensgebühren geführt hätte. Dies
ist die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen der
Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG.
3. Der Beklagte war auch berechtigt, den ursprünglichen Bescheid für 2007
über Körperschaftsteuer nach § 164 Abs. 2 AO zu ändern, da dieser unter
Vorbehalt der Nachprüfung ergangen war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zur Frage der zeitlichen
Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG und zur Fortbildung des Rechts im
Zusammenhang mit § 42 AO zugelassen.