Urteil des FG Niedersachsen vom 28.11.2012

FG Niedersachsen: verbesserung des gesundheitszustandes, drogensucht, berufsausbildung, behinderung, inhaftierung, erwerb, wahrscheinlichkeit, haftentlassung, genehmigung, kompetenz

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Kindergeldbezug für ein drogensüchtiges, inhaftiertes
Kind
Eine Drogentherapie im Jugendstrafvollzug führt per se nicht zur
Kindergeldberechtigung.
Klage nach diesem Beschluss zurückgenommen.
Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Beschluss vom 28.11.2012, 2 K 240/12
§ 32 Abs 4 EStG, § 62 Abs 1 EStG
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Fortzahlung von Kindergeld für ihren Sohn über die
Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus. Dieser ist durch Urteil des
Jugendschöffengerichts wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes
gegen das Betäubungsmittelgesetzes zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt
worden. Er ist im geschlossenen Jugendstrafvollzug inhaftiert. Aufgrund seiner
Drogensucht nimmt er dort an der anstaltsinternen Suchttherapie teil und wird
arbeitstherapeutisch beschäftigt. Das Behandlungsende ist noch nicht
absehbar; nach der Entlassung plant er die Fahrerlaubnis für Lastkraftwagen zu
erwerben und eine Beschäftigung im Güterverkehr zu finden.
Die Klägerin ist entgegen der in den angefochtenen Bescheiden vertretenen
Auffassung der Meinung, dass die Suchttherapie ihres Sohnes als
ausbildungsvorbereitende Maßnahme zur Kindergeldberechtigung nach § 32
Abs. 4 S. 1 Nr. 2c EStG führe. Ohne die Therapie könne ihr Sohn keine
Ausbildung beginnen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen.
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der
Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei
summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht den
Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der
vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in
tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Für
die Gewährung der Prozesskostenhilfe kommt es wesentlich darauf an, ob bei
summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Tatumstände der vom
Antragsteller begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, eine
abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist insoweit jedoch nicht erlaubt
(BFH-Beschluss vom 23. Januar 1991, II S 15/90, BStBl. II 1991, 366 m.w.N.).
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2. Nach dieser Prämisse hat die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg. Der
Beklagte ist in dem angefochtenen Aufhebungsbescheid zu Recht davon
ausgegangen, dass der Klägerin für ihren Sohn kein Kindergeld mehr zusteht.
a) Eine Kindergeldberechtigung nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG (arbeitssuchende
Kinder unter 21 Jahren) kommt wegen der Inhaftierung und der ersichtlich
fehlenden entsprechenden Meldung bei der Agentur für Arbeit nicht in Betracht
(vgl. Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 12. Februar 2008, 4 K 435/06, EFG
2008, 1393f.).
b) Eine Suchterkrankung eines volljährigen Kindes als solche ist kein
Tatbestand, der zu einer Kindergeldberechtigung führt. Die Behandlung dieser
Sucht dient ersichtlich der Verbesserung der Gesundheit und auch der
Verhinderung weiterer Delinquenz.
aa) Die Suchtbehandlung ist keine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4
Nr. 2a EStG. Dies ist nur eine ernstlich betriebene, konkrete Vorbereitung auf
einen künftigen Beruf im Sinne des Erwerbs von Kenntnissen, Fähigkeiten und
Erfahrungen als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs oder
diesbezügliche (Weiter-)Qualifizierungen, nicht aber allgemeine Maßnahmen zur
Verbesserung des Gesundheitszustandes oder der sozialen Kompetenz (vgl.
Loschelder in Schmidt, EStG, 31. Aufl. 2012, Rz. 26 m.w.N., DA-FamEStG
63.3.2.1.1). Mithin dürfte (erst) der nach der Haftentlassung angestrebte Erwerb
der Fahrerlaubnis für Lastkraftwagen als Berufsausbildung im Sinne des § 32
Abs. 4 Nr. 2a EStG anzusehen sein.
Schon wegen der insgesamt nur zweijährigen Haftzeit ist - auch unter
Würdigung des vorgelegten Erziehungs- und Förderplans - nicht ersichtlich,
dass die Drogentherapie integraler Bestandteil einer konkreten, zur
Kindergeldberechtigung führenden, Berufsausbildung im Jugendstrafvollzug
sein könnte.
bb) Aus der Teilnahme an der Suchtbehandlung lässt sich auch keine
Kindergeldberechtigung nach § 32 Abs. 4 Nr. 2c EStG (keine Berufsausbildung
mangels Ausbildungsplatzes) ableiten.
Eine Kindergeldberechtigung nach § 32 Abs. 4 Nr. 2c EStG kommt nur in
Betracht, wenn ein ausbildungsfähiges Kind nur wegen Fehlens eines
Ausbildungsplatzes keine Ausbildung beginnen oder fortsetzen kann. Fehlt dem
Kind die objektive Fähigkeit zu der angestrebten Ausbildung, besteht kein
Kindergeldanspruch (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2003, VIII R 71/99, BFH/NV
2004, 473; FG Sachsen-Anhalt, a.a.O.; Loschelder, a.a.O., Rz. 33 m.w.N., DA-
FamEStG 63.3.4). Genau dies ist der Fall. Wohl auch wegen seiner
Drogensucht, aber vor allem wegen seiner Inhaftierung kann der Sohn der
Klägerin gegenwärtig keine Ausbildung beginnen; insbesondere der von ihm
angestrebte Erwerb der Fahrerlaubnis wird erst möglich sein, wenn er die
Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat.
c) Eine Drogensucht des Kindes kann als Behinderung im Sinne des § 32 Abs.
4 Nr. 3 EStG allerdings zu einem Kindergeldanspruch, sogar über die
Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus, führen.
Dass die gegenwärtige Drogensucht hierfür ausreichen könnte (vgl. zu den
diesbezüglichen Erfordernissen BFH-Beschluss vom 30. November 2005, III B
117/05, BFH/NV 2006, 540ff.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. Mai 2004, 5 K
2618/03, EFG 2004, 1627f.; FG Hamburg, Urteil vom 5. August 2008, 3 K
117/07, EFG 2010, 1052ff.), ist aus der beigezogenen Kindergeldakte und den
bisher vorgelegten weiteren Unterlagen, die allesamt nicht von einem Arzt
stammen oder die Anerkennung als Schwerbehinderten umfassen (vgl. zu
diesen Nachweiskriterien Loschelder, a.a.O., Rz. 39, DA-FamEStG 63.3.6.2
Abs. 1), nicht ersichtlich.
16 Zudem würde ein entsprechender Kindergeldanspruch auch daran scheitern,
dass hierfür erforderlich ist, dass das (volljährige) behinderte Kind sich wegen
seiner Behinderung nicht selbst unterhalten kann. Dies ist bei inhaftierten
Kindern nicht der Fall; bei einer Inhaftierung ist diese und nicht eine etwaige
Behinderung ursächlich für die fehlende Möglichkeit zur Deckung des eigenen
Existenzminimums (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Februar 2009, III B 47/08;
BFH/NV 2009, 929f.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Januar 2010, 6 K
2465/08, EFG 2010, 658f.; Loschelder, a.a.O., Rn. 47).