Urteil des FG Niedersachsen vom 24.04.2012
FG Niedersachsen: wohnung, parkplatz, fahrtkosten, anleger, gleichbehandlung, wohnsitznahme, reisekosten, einspruch, einfluss, räumlichkeit
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Fahrtkosten eines Hafenlotsen
Zur Frage, wann Fahrten eines Hafenlotsen in ein Hafengebiet als Fahrten zu
ständig wechselnden Einsatzstellen zu beurteilen sind.
Nichtzulassungsbeschwerde, BFH-Az. VIII B 73/12
Niedersächsisches Finanzgericht 8. Senat, Urteil vom 24.04.2012, 8 K 258/09
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Fahrtkosten bei den
Einkünften des Klägers aus selbstständiger Arbeit.
Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren gemeinsam zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte
aus selbstständiger Arbeit als Hafenlotse. Einsatzgebiet des Klägers war ein
gesamtes Hafengebiet. In den Streitjahren standen den Eheleuten zwei
Kraftfahrzeuge zur Verfügung, die sie – ohne feste Zuordnung – für ihre
beruflichen Fahrten nutzten. Für beide Fahrzeuge führten die Kläger
Fahrtenbücher. Die Fahrten zu seinen jeweiligen Einsatzorten im Hafengebiet
berücksichtigte der Kläger in seinen Gewinn- und Verlustrechnungen mit einem
Kilometersatz von 0,30 € je gefahrenen Kilometer. Für das Jahr 2005 setzte der
Kläger als Betriebsausgaben einen Betrag in Höhe von xxx € (xxx km x 0,30 €),
für das Jahr 2006 einen Betrag in Höhe von xxx € (xxx km x 0,30 €) und für das
Jahr 2007 einen Betrag in Höhe von xxx € (xxx km x 0,30 €) an. Die
Veranlagungen für die Jahre 2005 und 2006 erfolgten im Wesentlichen
antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Jahr 2008 fand bei dem Kläger eine Außenprüfung statt. Der Außenprüfer
sah die Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers und dessen Einsatzorten
im Hafengebiet als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an und
berücksichtigte diese mit einer Kilometerpauschale von 0,15 € je gefahrenen
Kilometer bzw. 0,30 € je Entfernungskilometer. Auf der Grundlage des
Ergebnisses der Außenprüfung erließ der Beklagte geänderte
Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 mit Datum vom ….
Am … reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 ein.
Im Rahmen der Veranlagung berücksichtigte der Beklagte die bei den
Einkünften aus selbstständiger Arbeit des Klägers geltend gemachten
Fahrtkosten ebenfalls in Höhe der Entfernungspauschale von 0,30 € je
Entfernungskilometer.
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 sowie
gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 vom … legten die Kläger Einspruch
ein und führten zur Begründung aus, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
sei das Hafengebiet nicht als einheitliche großräumige Arbeitsstätte anzusehen.
Als Lotse werde der Kläger an unterschiedlichen Orten innerhalb des
Hafengebiets eingesetzt, so dass diese Einsatzorte als ständig wechselnde
Beschäftigungsstellen anzusehen seien. Die Tätigkeit des Klägers sei durch
mehrfache tägliche Ortswechsel geprägt und nicht mit der Tätigkeit eines
Arbeitnehmers zu vergleichen, der täglich seine Arbeitsstätte anfahre und von
dort aus Fahrten zu unterschiedlichen Einsatzorten unternehme. Mit
Einspruchsentscheidung vom … folgte der Beklagte dem Einspruchsbegehren
der Kläger insoweit, dass die Fahrten innerhalb des Hafengebiets, die nicht zur
Lotsenstation erfolgten, wie Reisekosten mit einer Kilometerpauschale von
0,30 € je gefahrenem Kilometer berücksichtigt wurden. Im Übrigen wies der
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Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und behandelte die Fahrten zur
Lotsenstation weiter als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Dabei
handelte es sich um 119 Fahrten im Jahr 2005, 89 Fahrten im Jahr 2006 und
67 Fahrten im Jahr 2007. Die Fahrtstrecke betrug jeweils xx km. Diese Fahrten
berücksichtigte der Beklagte mit einer Kilometerpauschale von 0,30 € je
Entfernungskilometer. Die Fahrten zur Lotsenstation seien nur beschränkt
abzugsfähig, da es sich insoweit um eine regelmäßige Arbeitsstätte handele, die
der Kläger mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufgesucht habe.
Mit ihrer gegen die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage verfolgen die
Kläger ihr Begehren weiter, auch die Fahrten des Klägers zur Lotsenstation
nach den Grundsätzen über Reisekosten und Einsatzwechseltätigkeit mit einer
Kilometerpauschale von 0,30 € je gefahrenen Kilometer zu berücksichtigen. Der
Kläger sei für die Verrichtung seiner Tätigkeit nicht auf die Lotsenstation
angewiesen. Er erhalte seine Aufträge per Handy und verfüge über eigenes
Kartenmaterial. Aufträge und Berichte könnten per Fax oder E-Mail eingereicht
werden. Das Tätigkeitsfeld des Klägers umfasse eine Fläche von xx km².
Aufgrund der Größe handele es sich nicht um eine einheitliche großräumige
Arbeitsstätte. Für den Kläger gebe es verschiedene Stationen, an denen er sich
mit dem Lotsenboot abholen und wieder absetzen lassen könne. Seine Tätigkeit
sei durch einen täglich mehrfachen Ortswechsel geprägt, so dass die Fahrten
nicht vom Regelungsbereich der Entfernungspauschale erfasst würden. Es
ergäben sich auch laufend kurzfristige Änderungen, so dass sich kurzfristig
Einsatzorte änderten oder neue hinzukämen. Die Abfolge der einzelnen Fahrten
sei nicht planbar. Die vom Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen
Fahrten zur Lotsenstation und den übrigen Anlegern sei willkürlich und rechtlich
nicht haltbar. Der Fall des Klägers sei auch nicht mit dem vom Beklagten
angeführten Fall eines Seelotsen, der fast ausschließlich zu einer Lotsenstation
gefahren und von dort abgeholt worden sei, vergleichbar. Der Kläger fahre auch
nicht mindestens einmal wöchentlich die Lotsenstation an sondern lediglich den
in der Nähe gelegenen Parkplatz. Vom Tätigkeitsbild des Klägers ausgehend
sei es unerheblich, ob er seinen Pkw in der Nähe der Lotsenstation oder an
einem anderen Parkplatz im Hafengebiet abstelle.
Die Kläger beantragen,
weitere Betriebsausgaben für 2005 in Höhe von xxx €, für 2006 in Höhe
von xxx € und für 2007 in Höhe von xxx € zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages beruft sich der Beklagte auf seine
Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung vom …
Ergänzend verweist der Beklagte darauf, dass die Aufwendungen für die
Fahrten zur Lotsenstation zutreffend nur beschränkt zum Abzug zugelassen
worden seien, da die Lotsenstation durchschnittlich einmal je Arbeitswoche
aufgesucht worden sei.
Aus den von den Klägern im Klageverfahren vorgelegten Fahrtenbüchern
ergeben sich für das Jahr 2005 108 Fahrten zum Parkplatz an der
Lotsenstation, 37 Fahrten zum Terminal Y und 19 Fahrten zum Anleger Z, für
das Jahr 2005 98 Fahrten zum Parkplatz an der Lotsenstation, 26 Fahrten zum
Terminal Y und 15 Fahrten zum Anleger Z sowie für das Jahr 2007 109 Fahrten
zum Parkplatz an der Lotsenstation, 54 Fahrten zum Terminal Y und 15 Fahrten
zum Anleger Z. Zu den übrigen Anlegestellen erfolgten 27 Fahrten im Jahr 2005,
31 Fahrten im Jahr 2006 und 19 Fahrten im Jahr 2007. Der Kläger erläuterte die
Lage der Parkplätze in der mündlichen Verhandlung anhand einer von ihm
vorgelegten Übersichtskarte des Hafengebietes.
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Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat zutreffend zumindest in der von ihm ermittelten Anzahl von 119
Fahrten für das Jahre 2005, 89 Fahrten für das Jahr 2006 und 67 Fahrten für
das Jahr 2007 nur den Pauschbetrag in Höhe von 0,30 € je
Entfernungskilometer gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
als Betriebsausgaben berücksichtigt.
Zu den Betriebsausgaben, die den Gewinn nicht mindern dürfen, gehören nach
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr.6 EStG auch Aufwendungen für Fahrten des
Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte, soweit sie die bei
entsprechender Anwendung des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 EStG maßgeblichen
Beträge übersteigen. Jedenfalls für die vom Beklagten nur beschränkt
berücksichtigten Fahrten konnte der Kläger keine höheren Aufwendungen als
die Entfernungspauschale geltend machen.
Zwar ist es unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von
Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug geboten, die von der
Rechtsprechung für den Fahrtkostenabzug von Arbeitnehmern mit ständig
wechselnden Einsatzstellen entwickelten Grundsätze auch auf den
Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu übertragen und
Fahrtkosten ausnahmsweise zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug
zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden
Beschäftigungsstätten angefallen sind (BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 5/95,
BFH/NV 1997, 279). Hinsichtlich der vom Beklagten nur mit der
Entfernungspauschale berücksichtigten Fahrten liegen jedoch keine Fahrten zu
ständig wechselnden Beschäftigungsstellen vor.
Zur Frage der Besteuerung von Fahrten zwischen Wohnung und „regelmäßiger“
Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG hat der BFH in
neuester Zeit seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass ein
Arbeitnehmer anstatt mehrerer nur eine regelmäßige Arbeitsstätte haben könne.
Sei der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers
tätig, seien die Umstände des Einzelfalls zu würdigen und der ortsgebundene
Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei sei insbesondere zu
berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten
im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete
Gewicht dieser Tätigkeit zukommt. Der ortsgebundene Mittelpunkt der
beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers könne nur an einem Ort liegen. § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG stelle sich nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige
Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übe der Arbeitnehmer hingegen an
mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, sei es
ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten gering zu halten.
Denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit,
verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaube es dem
Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege einzustellen. In einem
solchen Fall lasse sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von
Wegekosten durch die Entfernungspauschale nicht rechtfertigen (z.B. BFH-Urteil
vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38).
Nach dem Gebot der Gleichbehandlung von Werbungskosten- und
Betriebsausgabenabzug ist unter Berücksichtigung der neueren BFH-
Rechtsprechung nach Auffassung des erkennenden Senats im konkreten
Einzelfall zu prüfen, von wo aus der Steuerpflichtige seine Tätigkeit ausübt.
Denn der Begriff der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG ist nicht
deckungsgleich mit dem Betriebsstättenbegriff des § 12 AO 1977. Anders als
dort ist unter Betriebsstätte die (von der Wohnung getrennte)
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Beschäftigungsstätte zu verstehen. Gemeint ist der Ort, an dem oder von dem
aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den
steuerbaren Einkünften zugrunde liegen. Eine abgrenzbare Fläche oder
Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des
Steuerpflichtigen ist im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage
i.S. des § 12 S. 1 AO nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 5/95,
BFH/NV 1997, 279). Maßgebend für die Unterscheidung von Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte und den Fahrten zu wechselnden Einsatzstellen ist
vornehmlich der Umstand, dass der Steuerpflichtige bei Dienstreisen nicht
laufend zur gleichen Arbeitsstätte fährt und deshalb nicht die Möglichkeit hat,
durch eine entsprechende Wohnsitznahme vorzusorgen und dadurch selbst die
Höhe seiner Fahrtaufwendungen zu bestimmen (BFH-Urteil vom 31. Juli 1996
a.a.O.).
Unstreitig verrichtet der Kläger seine Tätigkeit als Lotse auf ständig
wechselnden Einsatzstellen, nämlich den Schiffen, die der Kläger in das
Hafengebiet hinein und auch wieder hinaus lotst. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass der Kläger seine Fahrtkosten nach den Grundsätzen der
Einsatzwechseltätigkeit in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehen kann,
denn der Kläger hat mit seinem Pkw im Hafengebiet regelmäßig keine
wechselnden Einsatzstellen aufgesucht. Nach Auswertung der Fahrtenbücher
hat der Kläger Parkmöglichkeiten in der Nähe der Lotsenstation im Jahr 2005 zu
56,92 %, im Jahr 2006 zu 56,98 % und im Jahr 2007 zu 55,22 % aller Fahrten
ins Hafengebiet aufgesucht. Daneben hat der Kläger in den Streitjahren in 18,46
%, 15,12 % bzw. 26,37 % der Fälle den Terminal Y und in weiteren 9,74 %, 8,72
bzw. 7,46% den Anleger Z angefahren. Diese drei Stationen liegen in einem
Umkreis von weniger als 3 km und damit in unmittelbarer Nähe zueinander.
Nach dem Sinn- und Zweck der Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG liegt hier
kein Fall vor, in dem der Kläger nicht durch eine entsprechende Wohnsitznahme
vorzusorgen und dadurch selbst auf die Höhe seiner Fahrtaufwendungen
Einfluss nehmen könnte. Diese drei aufgeführten Anlaufstellen im Hafengebiet
bildeten in den Streitjahren mit insgesamt 85,13 %, 80,81 % bzw. 89,05 % den
wesentlichen Schwerpunkt als jeweiligem Ausgangspunkt der eigentlichen
selbständigen Tätigkeit des Klägers. Insoweit unterscheiden sich diese Fahrten
wirtschaftlich nicht von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Der Beklagte hat in den Streitjahren jeweils bei einer deutlich geringeren Anzahl
von Fahrten in das Hafengebiet (nur zu Lotsenstation) eine Beschränkung auf
die Pauschsätze nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG vorgenommen, wovon im Rahmen
dieser Entscheidung nicht zu Lasten der Kläger abzuweichen war.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.