Urteil des FG Niedersachsen vom 12.07.2013

FG Niedersachsen: auflage, masseverbindlichkeit, erbschaft, beendigung, ausschlagung, verfügungsbefugnis, niedersachsen, genehmigung, datenschutz, vervielfältigung

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Festsetzung einer während eines Insolvenzverfahrens
entstandenen Erbschaftsteuer
Eine während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des
Steuerpflichtigen entstandene Erbschaftsteuer kann nach Aufhebung des
Insolvenzverfahrens gegenüber dem Steuerpflichtigen festgesetzt werden.
Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 12.07.2013, 3 K 436/12
§ 251 AO, § 200 InsO, § 206 InsO, § 55 InsO
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine während des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen des Klägers entstandene Erbschaftsteuer nach
Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger festgesetzt
werden durfte.
Über das Vermögen des Klägers wurde durch Beschluss des Amtsgerichts H.
aus dem Dezember 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Im Dezember 2007 verstarb Frau S., die den Kläger in ihrem Testament als
Miterben und Vermächtnisnehmer ihres Barvermögens zu ½ eingesetzt hatte.
Die Erbschaft wurde vom Kläger ausgeschlagen, nicht jedoch das
Vermächtnis.
Durch Beschluss des Amtsgerichts H. aus dem November 2010 wurde das
Insolvenzverfahren aufgehoben, da die Schlussverteilung vollzogen war. Im
März 2011 wurde dem Kläger rechtskräftig die Restschuldbefreiung erteilt.
Mit Bescheid vom 11. April 2011 setzte das beklagte Finanzamt für das
genannte Vermächtnis eine Erbschaftsteuer i.H.v. 17.825 € fest.
Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, das gesamte Vermächtnis sei der Insolvenzmasse zugeflossen
und im Rahmen des Insolvenzverfahrens verwertet worden. Er habe somit
nichts aus dem Vermächtnis erhalten. Außerdem sei der
Erbschaftsteuerbescheid erst 3 ½ Jahre nach dem Tod der Frau S. ergangen,
obwohl das beklagte Finanzamt über das laufende Insolvenzverfahren
unterrichtet gewesen sei. Da es sich um Masseverbindlichkeiten handele,
seien diese aus der Insolvenzmasse zu zahlen und nicht von ihm.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über Erbschaftsteuer vom 11. April 2011 in Gestalt des
Einspruchsbescheides vom 12. September 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, das Vermächtnis sei dem Kläger erst nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens zugeflossen. Im Zeitraum des Insolvenzverfahrens
habe der Kläger nur keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein
Vermögen gehabt. Die Annahme bzw. Ausschlagung von Vermächtnissen
habe aber nur ihm als Insolvenzschuldner zugestanden. Irrelevant sei, dass
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das Vermächtnis im Rahmen des Insolvenzverfahrens verwertet worden sei.
Masseverbindlichkeiten und sonstige neue Schulden, die erst nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, - so wie die
Erbschaftsteuerschuld im Streitfall - fielen nicht unter die Restschuldbefreiung.
Da der Kläger im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung aufgrund der Aufhebung der
Insolvenz wieder die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein
Vermögen zurück erlangt habe, sei der Steuerbescheid zurecht ihm
gegenüber bekannt gegeben worden.
Die Beteiligten haben einvernehmlich einer Entscheidung durch den
Berichterstatter zugestimmt und auf die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die während des laufenden
Insolvenzverfahrens entstandene Erbschaftsteuer konnte nach Aufhebung
des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger durch Bescheid festgesetzt
werden.
1. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat nach § 80 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (im Folgenden: InsO) zur Folge, dass das Recht des
Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und
über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht. Ist dem Schuldner
während des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft oder ein Vermächtnis
zugefallen, so steht die Annahme oder Ausschlagung nach § 83 Abs. 1 InsO
dem Schuldner selbst zu. Wird die Erbschaft in diesem Fall angenommen,
stellt die Erbschaftsteuer eine Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO dar (Roth,
Insolvenzsteuerrecht, Rn. 4.611; Frotscher in Gottwald, Insolvenzrechts-
Handbuch, 4. Auflage 2010, § 125 Rz. 14). Die Steuerschuld als
Masseverbindlichkeit ist grds. durch Bescheid gegenüber dem
Insolvenzverwalter geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil. v. 21. Juli 1994 – V R
114/91, BStBl. II 1994, 878). Sie ist dann regelmäßig in voller Höhe aus der
Insolvenzmasse zu befriedigen (vgl. Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rn. 3.371).
Bleibt die während des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit
entstandene Steuerschuld unerfüllt, kann sie – nach herrschender
Literaturmeinung beschränkt auf die in der Insolvenzmasse verbleibenden
Mittel – gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden (vgl. u.a. Roth,
Insolvenzsteuerrecht, Rn. 3.206; Kießner in Braun, InsO. Kommentar, 4.
Auflage 2010, § 201 InsO Rz. 5, m.w.N.; Hintzen in Münchener Kommentar,
InsO. 2. Auflage 2008, § 206 InsO Rz. 8; Uhlenbrock Insolvenzordnung, 13.
Auflage 2010, § 206 InsO Rz. 5; a.A. wohl AEAO zu § 251 AO Tz. 14).
Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erhält der Schuldner seine
Verwaltungs- und Verfügungsmacht über die Massebestandteile zurück. Die
Befugnisse des Insolvenzverwalters enden (Kießner in Braun,
Insolvenzordnung. Kommentar, 4. Auflage 2010, § 200 InsO Rz. 8). Eine
Steuerforderung der Finanzverwaltung, die bis zur Beendigung des
Insolvenzverfahrens den Rang einer Masseforderung eingenommen hatte,
kann deshalb nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens wieder durch
Bescheid gegenüber dem Schuldner festgesetzt werden (Roth,
Insolvenzsteuerrecht, Rn. 3.206; so auch AEAO zu § 251 AO Tz. 14).
Die während des Insolvenzverfahrens entstandene Steuerschuld ist nicht
durch eine Restschuldbefreiung erfasst, da eine solche nach § 301 Abs. 1
InsO nur gegenüber den Insolvenzgläubigern wirkt, also nach § 38 InsO nur
den Gläubigern gegenüber, die einen zur Zeit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner
hatten. Keine Insolvenzgläubiger sind demnach auch die Massegläubiger (vgl.
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auch Niedersächsisches FG, Beschluss vom 18. August 2010 – 3 K 124/09,
EFG 2010, 2066, m.w.N.), so dass im Streitfall die Erbschaftsteuerschuld nicht
betroffen ist.
2. Im Streitfall durfte das beklagte Finanzamt daher die während des
Insolvenzverfahrens entstandene Erbschaftsteuer nach Aufhebung des
Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger selbst festsetzen, so dass das
Vorgehen des Beklagten insoweit rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Unabhängig davon – und in diesem Verfahren nicht zu klären – ist die
genannte Frage, in welchem Umfang der Schuldner letztlich noch für die als
Masseverbindlichkeit entstandene Steuer nachhaftet (vgl. hierzu noch einmal
Roth, Insolvenzsteuerrecht, Rn. 3.206, m.w.N.).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung.