Urteil des FG Niedersachsen vom 25.07.2014

FG Niedersachsen: vollziehung, aussetzung, treu und glauben, gefahr im verzug, sicherheitsleistung, aufschiebende wirkung, zuständigkeitsvereinbarung, wohnsitzwechsel, vollstreckungsverfahren

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Pfändungs- und Einziehungsverfügung -
(Aussetzung der Vollziehung)
1. Fehler der örtlichen Zuständigkeit können bis zur
Einspruchsentscheidung geheilt werden.
2. Eine Zuständigkeitsvereinbarung nach Wechsel des Wohnsitzes kann
ggf. auch für erstmalige Vollstreckungsmaßnahmen getroffen werden.
Niedersächsisches Finanzgericht 15. Senat, Beschluss vom 25.07.2014, 15 V 164/14
§ 126 Abs 1 Nr 2 AO, § 126 Abs 1 Nr 5 AO, § 26 S 2 AO
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Pfändungs- und
Einziehungsverfügung, die der Antragsgegner am 24. Juni 2014 gegenüber
dem Notar N erlassen hat.
Nach Angaben des Antragsgegners hatte der Antragsteller mit seiner Ehefrau
„bis Ende des Jahres 2013“ seinen Wohnsitz in X. Am 15. Oktober 2013
meldete der Antragsteller beim Bezirksamt Y seinen Einzug in die Wohnung Y
an.
Dem Antragsgegner wurde der Wechsel des Wohnsitzes nach Angaben des
Antragstellers spätestens im Rahmen einer „Abschlussbesprechung“ vom 12.
Dezember 2013 bekannt. Nach Angaben des Antragsgegners befindet sich in
den Akten über diese Besprechung dagegen kein Vermerk über einen
etwaigen Wohnsitzwechsel. Vielmehr sei am 10. Januar 2014 eine Vollmacht
des Prozessbevollmächtigten eingegangen, in der die Anschrift des
Antragstellers in Y genannt worden sei. Eine eindeutige Anzeige des
Wohnsitzwechsels sei erst mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom
24. April 2014 erfolgt.
Aus dem erkennenden Senat vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass der
Antragsgegner spätestens seit dem 14. April 2014 Y als Anschrift des
Antragstellers verwendet; dagegen wurde bei früherem Schriftverkehr - etwa im
Jahr 2013 - die Anschrift X verwendet.
Wann dem Finanzamt Y ein Wechsel des Wohnsitzes bekannt wurde, ist aus
den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Auch findet sich
darin kein Vermerk nach Maßgabe des Anwendungserlasses zur
Abgabenordnung (AEAO zu § 26 Nr. 1 Satz 2).
Der Antragsteller erzielte in den Jahren 2007 und 2008 u.a. Einkünfte aus
Gewerbebetrieb. Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 16. Februar 2011
wurde bei dem Antragsteller eine Betriebsprüfung (Bp) durchgeführt. Im Jahr
2011 wurde ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den
Antragsteller eingeleitet. Nach den Feststellungen des Außenprüfers hat der
Antragsteller seine gewerbliche Tätigkeit von seinem damaligen Wohnhaus in
X aus erbracht (Tz. 11 des Bp-Berichts).
Aufgrund des Ergebnisses der Außenprüfung erließ der Antragsgegner am
15. Juli 2013 u.a. geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007
und 2008. Die Einsprüche hiergegen wies er durch Einspruchsentscheidung
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und 2008. Die Einsprüche hiergegen wies er durch Einspruchsentscheidung
vom 14. Juli 2014 als unbegründet zurück. Einen Antrag des Antragstellers auf
Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer 2007 und 2008 lehnte der
Antragsgegner mit Bescheid vom 14. April 2014 ab. Einen hiergegen
eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung
vom 14. Juli 2014 als unbegründet zurück.
Bereits zuvor stellte der Antragsteller am 8. Juli 2014 beim Niedersächsischen
Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung u.a. der
Einkommensteuer 2007 bis 2008, der unter dem Aktenzeichen … erfasst
wurde. Über diesen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der ... Senat
noch nicht entschieden.
Mit dem Schreiben vom 14. April 2014, in dem der Antragsgegner die
Aussetzung der Vollziehung ablehnte, forderte der Antragsgegner den
Antragsteller dazu auf, die noch offenen Steuerbeträge u.a. wegen
Einkommensteuer 2007 und 2008 bis zum 30. April 2014 zu zahlen.
Der Antragsteller war zusammen mit seiner früheren Ehefrau … Eigentümer
eines im Grundbuch von X eingetragenen Grundstücks. Dieses Grundstück
verkauften der Kläger und seine frühere Ehefrau mit notariellem Vertrag vom
13. Juni 2014 zu einem Kaufpreis von … €. Die Käufer verpflichteten sich, den
Kaufpreis bis zum 30. Juni 2014 auf das Notaranderkonto des N zu zahlen.
Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 pfändete der
Antragsgegner Ansprüche des Antragstellers gegen N auf pflichtgemäße
Amtsausübung betreffend die Auszahlung des auf dem Notaranderkonto
hinterlegten oder verwahrten Kaufpreises gemäß dem Grundstückskaufvertrag
vom 17. Juni 2014 zwischen dem Antragsteller und den Eheleuten Z in Höhe
von … €.
Mit Drittschuldnererklärung vom 26. Juni 2014 erkannte N die gepfändeten
Forderungen als begründet an. Weiter erklärte er: „Der genaue Betrag lässt
sich derzeit noch nicht beziffern, da uns hierfür zunächst die abzulösenden
Darlehensbeträge der Grundschuldgläubiger aufgegeben werden müssen.
Hiermit dürfte bis Mitte/Ende Juli 2014 gerechnet werden. Die Abführung eines
etwaigen noch dem Schuldner zustehenden Restbetrages werden wir an Sie
gemäß den Auszahlungsanweisungen des Notaranderkontos vornehmen.“
Außerdem weist die Drittschuldnererklärung darauf hin, Ansprüche an die
gepfändete Forderung würden von Grundschuldgläubigern gemäß der
Auszahlungsanweisung des Kaufvertrags erhoben.
Mit weiterer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014
pfändete der Antragsgegner Ansprüche des Antragstellers gegen die Eheleute
Z in Höhe von … € aus dem Grundstückskaufvertrag vom 17. Juni 2014. Mit
Drittschuldnererklärung vom 27. Juni 2014 erklärten die Eheleute Z, der
Kaufpreis werde entsprechend dem Kaufvertrag auf das Notaranderkonto
überwiesen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 informierte der Antragsgegner den Antragsteller
über die erfolgten Pfändungen. Zugleich wurde eine Rückstandsaufstellung
beigefügt, auf der Steuerrückstände aus Einkommen- und Kirchensteuer des
Klägers wegen der Jahre 2007 und 2008 und Nebenleistungen, die seit
19. August 2013 fällig seien, in Höhe von insgesamt … € nebst
Säumniszuschlägen … ausgewiesen sind. Insgesamt ergeben sich aus dieser
Rückstandsaufstellung vollstreckbare Ansprüche in Höhe von … €. Außerdem
wies der Antragsteller darauf hin, die Pfändungsmaßnahmen hätten (jeweils)
Kosten in Höhe von 23,45 € ausgelöst.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2014 teilte der Antragsgegner den
Prozessbevollmächtigten mit, er habe eine Abgabe der Personensteuerakten
des Antragstellers und dessen Ehefrau an das zuständige Finanzamt
eingeleitet. Für die Abwicklung der Betriebsbesteuerung und im Hinblick auf
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die Umsatzsteuer verbleibe es bei der bisherigen Zuständigkeit. Wegen der
Einkommensteuer stehe der Antragsteller in Kontakt mit dem zuständig
gewordenen Finanzamt wegen einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2
Abgabenordnung (AO).
Mit Schreiben vom 14. Juli 2014 teilte der Antragsgegner dem
Prozessbevollmächtigten mit, das Finanzamt Y habe gemäß § 26 Satz 2 AO
zugestimmt, dass die Rechtsbehelfsverfahren wegen Einkommensteuer und
Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer vom
Antragsgegner durchgeführt werden.
Gegen „die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014“ legte
der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 8. Juli 2014 Einspruch ein,
über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 8. Juli 2014 stellte der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung „der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom
24. Juni 2014“, die sich ausweislich einer beigefügten Kopie der
angefochtenen Verfügung gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung
des Antragsgegners vom 24. Juni 2014 gegenüber dem Notar N wendet.
Diesen Antrag begründet der Antragsteller wie folgt: Die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 sei nichtig, da der Antragsgegner
nach § 26 AO nicht mehr örtlich zuständig sei. Der Antragsteller habe seinen
Wohnsitz am 15. Oktober 2013 nach Y verlegt. Gemäß § 26 Satz 2 AO müsse
die bisher zuständige Finanzbehörde vor der Amtshandlung eine Zustimmung
der nunmehr zuständigen Behörde herbeiführen. Der Antragsgegner sei nach
dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers nicht für die
Vollstreckungsmaßnahme örtlich zuständig gewesen. Abgesehen von dem
Fehlen einer Zuständigkeitsvereinbarung sei der Antragsteller auch nicht im
Hinblick auf eine derartige Vereinbarung angehört worden.
Der Antragsgegner habe lediglich nach der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung eine Zustimmung des Finanzamts Y zur Fortführung
des Verfahrens wegen Einkommensteuer und Aussetzung der Vollziehung der
Einkommensteuer behauptet, nicht jedoch eine Zuständigkeitsvereinbarung
wegen etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen.
Die Heilungsvorschrift des § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO beziehe sich auf sog.
mehrstufige Verwaltungsakte und sei im Streitfall deshalb nicht einschlägig.
Darüber hinaus sei dem Antragsteller keine Vollstreckungsankündigung
zugegangen.
Außerdem sei die Vollstreckung unbillig. Der Antragsteller benötige die
gepfändete und eingezogene Kaufpreiszahlung dringend, um ein anderes
bereits gekauftes Objekt zu bezahlen. Falls die Zahlung nicht fristgerecht
erfolge, drohe ihm die Inanspruchnahme zur Zahlung von Schadensersatz.
Der Antragsteller legte die Kopie eines „Sale-purchase agreement of property
under construction“ vor, das in englischer und spanischer Sprache abgefasst
ist, wobei die spanische Sprache im Zweifelsfall maßgeblich sein soll. In
diesem Vertrag verpflichtet sich der Antragsteller, am 28. Juli 2014
Kaufpreisraten in Höhe von … € zu zahlen.
Ferner legte der Antragsteller einen weiteren Vertrag vor, nach dem er am
19. Mai 2014 eine Optionsprämie in Höhe von … € gezahlt hat.
Nach vorläufigen Einschätzung des Prozessbevollmächtigten ergebe sich aus
dem in spanischer Sprache nebst englischer Übersetzung verfassten
Kaufvertrag, dass der
Antragsteller bis zum 28. Juli 2014 einen Kaufpreisanteil in Höhe von … € zu
bezahlen habe. Der andere Teil … werde durch eine Bank vorfinanziert. Dem
Antragsteller sei von der Verkäuferseite mitgeteilt worden, die Kaufoption
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verfalle und die angezahlten … € würden als Vertragsstrafe einbehalten, falls
die Zahlungsfrist nicht eingehalten werde. Zwischenzeitlich sei eine deutliche
Wertsteigerung des Objekts eingetreten, die zu einem entgangenen Gewinn
des Antragstellers im Falle eines Verlustes der Kaufoption führen würde.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2014 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, der
Verkäufer sei bereit, die Kaufoption und die Anzahlung „nicht gleich nach dem
28. Juli 2014 verfallen zu lassen, sondern noch etwas zu warten“. Angesichts
der zeitlichen Nähe ändere dies aber nichts an der besonderen Eilbedürftigkeit
des Falles.
Der Antragsteller macht weiter geltend, die Vollstreckung sei auch aufgrund
der persönlichen Belastung des Antragstellers und seiner Ehefrau unbillig. Die
Ehefrau des Antragstellers habe durch die Pfändungsmitteilung einen
Nervenzusammenbruch erlitten und befinde sich in ärztlicher Behandlung. Der
Antragsteller und seiner Ehefrau fühlten sich durch den Antragsgegner
schikaniert und seien deshalb nach Y umgezogen. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten verwiesen.
Es bestehe kein Sicherungsbedürfnis des Antragsgegners, da der
Antragsteller weiterhin über beträchtliches Grundvermögen in Deutschland
verfüge, das entsprechende Miet- und Pachteinnahmen abwerfe. Der
Antragsteller beabsichtige, demnächst die beiden ihm gehörenden
Grundstücke in … zu verkaufen. Zum jetzigen Zeitpunkt würde allerdings ein
Notverkauf zu deutlichen Verlusten führen. Der Antragsteller legte eine
„Vermögensaufstellung Direkt-Baufinanzierung“ vom 4. Mai 2014 vor und eine
„Ermittlung des Veräußerungsschadens im Falle eines Notverkaufs“.
Außerdem zeige schon die Tatsache, dass der Antragsgegner erst im April
bzw. Juli 2014 über die Anträge des Antragstellers auf Aussetzung der
Vollziehung der Steuerbescheide vom 15. Juli 2013 entschieden habe, dass
eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht gegeben sei. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Antragstellers vom 21. Juli 2014
nebst Anlagen und 22. Juli 2014 verwiesen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014
gegenüber dem Notar N ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen
Sicherheitsleistung von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner macht geltend, es beständen keine ernstlichen Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24.
Juni 2014.
Hierzu verweist der Antragsgegner auf ein Schreiben an den
Prozessbevollmächtigten vom 15. Juli 2014. In diesem Schreiben brachte der
Antragsgegner zum Ausdruck, dass er den Einspruch des
Prozessbevollmächtigten als Einspruch sowohl gegen die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 24. Juni 2014 gegenüber den Eheleuten Z als
auch gegenüber dem Notar N betrachtet. Zu diesen Einsprüchen nahm der
Antragsgegner wie folgt Stellung: Die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen seien nicht deshalb nichtig, weil Vorschriften über die
örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden seien. Hierzu verweist der
Antragsgegner auf § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO. Außerdem teilte er mit: „Eine
Aktenabgabe an das Finanzamt Y habe ich veranlasst.“
Der Antragsgegner sei nach § 249 AO zur Vollstreckung befugt gewesen. Der
Antragsteller habe die vom Antragsgegner durch Leistungsgebote
angeforderten Abgaben am Fälligkeitstag nicht entrichtet und nach teilweiser
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Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 14.
April 2014 die Zahlungsaufforderung des Antragsgegners unbeachtet
gelassen. Einer weiteren Mahnung bzw. Ankündigung der Vollstreckung habe
es daher nicht bedurft. Wegen der fehlenden Zahlungsbereitschaft des
Antragstellers sei der Antragsgegner verpflichtet gewesen,
Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Voraussetzungen für den Beginn
der Vollstreckung (§ 254 AO) hätten spätestens seit dem 1. Mai 2014
vorgelegen. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien erst
ausgebracht worden, nachdem der Antragsteller fast zwei Monate später noch
keine Zahlungen geleistet habe. Mangelnde Zahlungsbereitschaft des
Antragstellers ergebe sich auch aus dessen widersprüchlichen Darstellungen
gegenüber dem Antragsgegner: Der Prozessbevollmächtigte habe mit
Schreiben vom 11. Februar 2014 dargelegt, der Antragsteller sei bei
Vollziehung der Steuerbescheide zum Notverkauf von Grundstücken
gezwungen, was Mindererlöse von … € herbeiführen würde. Bei der mit den
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen belegten Kaufpreisforderung aus
dem Grundstückskaufvertrag vom 13. Juni 2014 handele es sich jedoch nicht
um Forderungen aus einem Notverkauf. Der Antragsteller sei nicht bereit, den
Veräußerungserlös zur Tilgung seiner Abgabenrückstände zu verwenden,
sondern wolle diesen zum Erwerb eines anderen Objekts verwenden.
Steuerschulden seien gegenüber anderen Geldschulden nicht nachrangig.
Eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung nach § 258
AO sei nicht gerechtfertigt. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller die
Gelegenheit, seine Einsprüche bis zum 31. Juli 2014 weitergehend zu
begründen oder zurückzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2014 macht der Antragsgegner weiter geltend, die
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24. Juni 2014 seien
rechtmäßige Ermessensentscheidungen über die Frage, ob, wann und auf
welche Weise die Vollstreckung bei Vorliegen der formellen
Vollstreckungsvoraussetzungen erfolge. Die Abgabenforderungen, die den
Pfändungen zugrunde lagen, seien vor Zustellung der Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen durch Leistungsgebote (Einkommensteuerbescheide
2007 und 2008 vom 15. Juli 2013 und Ablehnung der Aussetzung der
Vollziehung vom 14. April 2014 mit Zahlungsaufforderung zum 30. April 2014)
angefordert worden. Der gegen die Ablehnung der Aussetzung der
Vollziehung eingelegte Einspruch habe insoweit keine aufschiebende Wirkung
gehabt. In Anbetracht einer Höhe der Steuerschuld von rd. … € (zzgl.
Säumniszuschlägen) für die Veranlagungsjahre 2007 bis 2011 seien die
ausgebrachten Pfändungen erfolgversprechende Maßnahmen gewesen. Die
Forderungspfändung entspreche auch dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Die Finanzbehörde müsse nicht berücksichtigen, dass
der Kaufpreis bereits für ein anderes Kaufobjekt vorgesehen gewesen sei. Im
Vordergrund müsse eine zügige und erfolgreiche Beitreibung der
Steuerforderungen stehen. Die Finanzbehörde müsse nicht hinter anderen
Gläubigern zurückstehen und bei der Höhe der Steuerrückstände auf die
persönlichen Dispositionen des Vollstreckungsschuldners keine Rücksicht
nehmen. Die Vollstreckungsmaßnahme sei daher ermessensgerecht und nicht
unbillig gewesen.
Dass die in den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aufgeführten
Abgaben streitig sind, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Einlegung
von Rechtsbehelfen hemme eine Vollziehung von Steuerbescheiden nicht.
Etwaige Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Steuerbescheide seien
nach § 256 AO im Vollstreckungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Allein ein
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung führe auch nicht zu einer Unbilligkeit
der Vollstreckung i.S.d. § 258 AO. Vielmehr seien Verwaltungsakte, deren
Vollziehung nicht ausgesetzt sind, nach § 251 AO zu vollstrecken.
Eine Aussetzung der Vollziehung könne nicht mit der Begründung
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beansprucht werden, die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien
unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ausgebracht
worden und deshalb nichtig. Nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO sei ein
Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche
Zuständigkeit nicht eingehalten wurden. Das nach dem Wohnsitzwechsel
zuständige Finanzamt Y hätte nach Ansicht des Antragsgegners keine andere
Entscheidung in der Sache treffen können. „Vollstreckungsmaßnahmen in den
Kaufvertrag“ durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen seien
geboten gewesen.
Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2014 macht der Antragsgegner geltend, die
Pfändungen seien wegen Gefahr in Verzug in sinngemäßer Anwendung des
§ 29 AO erfolgt.
Ergänzend führt der Antragsgegner aus, im Falle einer Aussetzung der
Vollziehung werde beantragt, diese von einer Sicherheitsleistung abhängig zu
machen. In Anbetracht der Höhe der insgesamt bestehenden Steuerschulden
sei bei einem Unterliegen des Antragstellers der Steueranspruch gefährdet.
Außerdem habe der Antragsteller nach den Feststellungen der
Steuerfahndung regelmäßig unversteuerte Einnahmen nach Spanien geleitet.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom
23. Juli 2014 Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt eine Entscheidung durch den Vorsitzenden nach
Maßgabe des § 69 Abs. 3 Satz 5 Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen
besonderer Eilbedürftigkeit.
Dem Senat wurde zur Entscheidung ein Band Vollstreckungsakten vorgelegt.
Die Steuerakten des Antragstellers wurden weder angefordert noch vorgelegt.
Der Antragsgegner teilte am 25. Juli 2014 telefonisch mit, eine Auszahlung
aufgrund der Pfändung sei bisher nicht erfolgt. Nach telefonischer Auskunft
des Drittschuldners sei mit einer Zahlung in der Zeit zwischen dem 30. Juli
2014 und dem 1. August 2014 zu rechnen.
II.
Der Antrag ist begründet.
1. Der Senat entscheidet gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO durch den
Vorsitzenden.
Eine Entscheidung durch den Senatsvorsitzenden kann insbesondere in
Vollstreckungsfällen wegen der sich aus dem Vorbringen des Antragstellers
ergebenden Dringlichkeit geboten sein (vgl. BFH-Beschluss vom 22.
November 1994 VII S 28/94, BFH/NV 1995, 532). Der Antragsteller hat eine
Entscheidung durch den Vorsitzenden insbesondere im Hinblick auf die am
28. Juli 2014 fällig werdende Kaufpreisforderung beantragt. Der Antragsgegner
hat hierzu nicht Stellung genommen. Außerdem würde der Rechtsstreit durch
die unmittelbare bevorstehende Zahlung des Drittschuldners erledigt (vgl.
BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BStBl. II 2001, 525) und wäre
damit keiner Sachentscheidung mehr zugänglich. Nicht zuletzt angesichts des
derzeitigen Jahresurlaubs des Berichterstatters, der erst im August 2014 -
nach dem Zeitpunkt der telefonisch angekündigten Auszahlung - wieder im
Dienst ist, erscheint eine Entscheidung durch den Vorsitzenden gemäß § 69
Abs. 3 Satz 5 FGO sachgerecht.
2. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3
Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn
die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
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Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen,
wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben
für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe
zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von
Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken
(vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B
40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II
1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.
Bei summarischer Prüfung bestehen sowohl ernstliche Zweifel an der örtlichen
Zuständigkeit des Antragsgegners für die angefochtene Pfändungs- und
Einziehungsverfügung als auch an einer ermessensfehlerfreien Begründung
dieser Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
a) Es bestehen ernstliche Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des
Antragsgegners für die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
aa) Nach § 249 Abs. 1 Satz 3 AO ist das Finanzamt zwar die für die
Beitreibung der Steuerrückstände des Abgabenschuldners sachlich
zuständige Vollstreckungsbehörde.
bb) Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des
Antragsgegners.
(1) Da die AO insoweit für das Vollstreckungsverfahren keine besonderen
Vorschriften enthält, richtet sich die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich nach
den §§ 17 ff. AO (vgl. Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor
§ 16 AO Rn. 33).
(2) Gemäß § 19 Abs. 1 AO ist für die Besteuerung natürlicher Personen nach
dem Einkommen und Vermögen das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen
Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines
Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Wohnsitzfinanzamt). Bei
mehrfachem Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ist der Wohnsitz
maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält; bei
mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten Steuerpflichtigen, der von seinem
Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem
sich die Familie vorwiegend aufhält.
(3) Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie
begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere
Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit nach § 26 Satz 1
AO in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon
erfährt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen der geänderten Umstände
genügt für einen Zuständigkeitswechsel nicht. Aus Gründen der
Rechtssicherheit ist für einen Zuständigkeitswechsel erforderlich, dass die die
Zuständigkeit ändernden Umstände aus der Sicht der betroffenen Finanzämter
zweifelsfrei feststehen (BFH-Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BStBl. II
1989, 483; BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2008 V B 29/07, BFH/NV 2008,
1451; vom 11. Oktober 2007 V B 68/07, BFH/NV 2008, 343).
Nach diesen Maßstäben ist bei summarischer Prüfung von einem Wechsel der
Zuständigkeit spätestens im April 2014 auszugehen, da die Beteiligten -
insoweit übereinstimmend - vortragen, der Antragsteller habe seinen Wohnsitz
im 4. Quartal 2013 nach Y verlegt und der Antragsgegner habe hiervon
spätestens am 24. April 2014 verlässliche Kenntnis gehabt.
(4) Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren
fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der
einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die
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nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt (§ 26 Satz 2 AO).
Die Zustimmung ist ein behördeninterner Vorgang, für den keine bestimmte
Form vorgeschrieben ist. Sie muss aber ausdrücklich erfolgen. Schweigen
oder bloße Duldung genügt nicht (Sunder-Plasmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 42 u. 44; ebenso - zu § 27 AO -
BFH-Urteil vom 13. Februar 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406). Die
Zustimmung muss vor der Amtshandlung herbeigeführt werden, für die die
örtliche Zuständigkeit übergegangen ist (Kruse in Tipke/Kruse, § 26 AO Rn.
12; FG Berlin Urteil vom 16. Juli 1982 III 263/82, EFG 1983, 268).
Beim Erlass der streitbefangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung lag
keine Zustimmung des Finanzamts Y zur Fortführung des Verfahrens durch
den Antragsgegner vor.
(5) Eine Zuständigkeit des Antragsgegners ergibt sich bei summarischer
Prüfung auch nicht aus § 29 AO.
(a) Bei Gefahr im Verzug ist für unaufschiebbare Maßnahmen jede
Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die
Amtshandlung hervortritt. Die sonst örtlich zuständige Behörde ist unverzüglich
zu unterrichten (§ 29 Satz 1 und 2 AO).
Diese Vorschrift greift dann ein, wenn entweder die Zuständigkeit nicht sofort
eindeutig zu klären ist oder eine sonst nicht zu bewältigende Notsituation
vorliegt (BFH-Urteil vom 13. Dezember 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406,
407).
Der Anwendungsbereich des § 29 AO ist auf Not- und Ausnahmesituation
beschränkt und kommt bei eiligen Fahndungs- und
Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht (Sunder-Plasmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 29 AO Rn. 2; Kruse in Tipke/Kruse, § 29 AO
Rn. 1 m.w.N.). Die an sich zuständige Behörde darf voraussichtlich nicht in der
Lage sein, die erforderlichen Maßnahmen so rechtzeitig zu treffen, dass der
Erfolg nicht in Frage gestellt ist (Sunder-Plasmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 29 AO Rn. 4).
Bei summarischer Prüfung lag keine derartige Not- oder Ausnahmesituation
vor. Nach eigenen Angaben hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 24.
April 2014 eindeutige Erkenntnis über den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit
erlangt. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung erfolgte am 24. Juni 2014.
Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, weshalb in der Zwischenzeit weder die
Herbeiführung einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO (s. hierzu unten 3. b)
aa) (2) (a)) noch eine Abgabe der Zuständigkeit erfolgte.
(b) Außerdem ergeben sich erhebliche Zweifel an einer örtlichen Zuständigkeit
des Antragsgegners für eine etwaige Maßnahme nach § 29 AO. Gemäß § 29
Satz 1 AO ist die Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass
für die Amtshandlung hervortritt. Im Streitfall erfolgte in Y eine Vollstreckung
wegen einer Steuerforderung gegenüber einem in Y ansässigen
Steuerpflichtigen. Ein hinreichender örtlicher Bezug zum Antragsgegner war -
abgesehen von der früheren Zuständigkeit des Antragsgegners, die zum
Zeitpunkt der Pfändungs- und Einziehungsverfügung jedoch nicht Gegenstand
einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO war - zum Zeitpunkt
der Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht festzustellen. Allein die
Tatsache, dass ein im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners belegenes
Grundstück veräußert wurde, erscheint i.S.d. § 29 Satz 1 AO bei summarischer
Prüfung nicht als hinreichender Anlass für eine Vollstreckungsmaßnahme.
Darüber hinaus ergibt sich aus den Vollstreckungsakten kein Anhaltspunkt
dafür, dass der Antragsgegner nach § 29 AO vorgegangen ist und die nach
§ 29 Satz 2 AO erforderliche Benachrichtigung vorgenommen hat.
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(6) Der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit ist nicht nach § 127 AO
unbeachtlich, da diese Vorschrift auf Ermessensentscheidungen nach
ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht anwendbar ist (BFH-Beschluss
vom 14. Januar 2010 VIII B 104/09, BFH/NV 2010, 605 m.w.N.).
Bei der streitbefangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung handelt es
sich um eine Ermessensentscheidung. Anhaltspunkte für eine etwaige
Ermessensreduzierung auf Null liegen nicht vor, wie nachfolgend unter b) im
Einzelnen dargelegt wird.
b) Bei summarischer Prüfung bestehen auch ernstliche Zweifel an einer
ermessensfehlerfreien Begründung der angefochtenen Pfändungs- und
Einziehungsverfügung.
aa) Wenngleich es zweifelhaft ist, ob den Finanzbehörden für das „Ob“ der
Vollstreckung ein Ermessen eingeräumt ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
22. Oktober 2002 VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109, unter 3. b), so liegt
gleichwohl die Entscheidung über die weiteren Fragen des „Wann“ und des
„Wie“ der Vollstreckung im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörden;
dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Werth in Klein,
Komm. zur AO, 12. Aufl. 2014, Vor § 249 Rz. 6 u. § 249 Rz. 2, jeweils mit
Rechtsprechungsnachweisen).
bb) Ist - wie im Bereich der Auswahl zwischen verschiedenen möglichen
Vollstreckungsmaßnahmen nach § 249 AO - für die Finanzbehörde ein
Ermessensspielraum eröffnet, so hat sie nach § 5 AO das Ermessen
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dabei ist eine Entscheidung nur dann
frei von Ermessensfehlern, wenn die Behörde sie auf der Grundlage einer
einwandfreien und umfassenden Sachverhaltsermittlung getroffen hat. Zwar ist
dann jede innerhalb des Ermessensrahmens und unter Berücksichtigung des
Ermächtigungszwecks von der Behörde für sachgerecht erachtete Maßnahme
rechtmäßig. Die Behörde muss aber ihre Maßnahmen in jedem Einzelfall auf
das unumgänglich Notwendige beschränken und prüfen, welche der zur
Erreichung des verfolgten Zwecks geeigneten Maßnahmen den Betroffenen
am wenigsten belasten (BFH-Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90,
BStBl. II 1992, 57). Verkennt die Behörde, dass ihr Ermessen eingeräumt ist,
liegt eine sog. Ermessensunterschreitung vor, die zur Rechtswidrigkeit der
Entscheidung führt. Verfehlt die Behörde den Zweck der Ermächtigung oder
überschreitet sie die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens
(Ermessensfehlgebrauch/Ermessensüberschreitung), ist dies ebenfalls
rechtswidrig.
cc) Damit der Betroffene und gegebenenfalls die Gerichte die
Ermessenserwägungen der Finanzbehörde überprüfen können, muss eine
Ermessensentscheidung grundsätzlich begründet werden. Die Begründung
muss zeigen, dass die Finanzbehörde den Ermessensspielraum erkannt hat
und von welchen Gesichtspunkten sie bei ihrer Ermessensentscheidung
ausgegangen ist (Klein/Gersch, AO, § 5 Rz. 13). Zwar ist unter den
Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 AO oder in Fällen, in denen die
Ermessenserwägungen dem Betroffenen bereits bekannt sind, eine
Begründung der Entscheidung nicht erforderlich. Daneben ist in bestimmten
Bereichen des den Finanzbehörden eingeräumten Ermessens wie der
Anordnung von Außenprüfungen oder der Inhaftungnahme von
Steuerhinterziehern die Ermessensentscheidung in einer Weise vorgeprägt,
die eine besondere Begründung in der Regel entbehrlich macht (vgl. näher
Klein/Gersch a.a.O.). Der Bereich der Vollstreckung nach den Vorschriften der
§§ 249 ff. AO zählt hierzu jedoch nicht.
dd) Nach diesen Grundsätzen bestehen ernstliche Zweifel an der
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Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte, weil der Antragsgegner
bei deren Erlass nicht diejenigen Erwägungen dargelegt hat, die der Auswahl
und dem Zeitpunkt der Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde lagen und die
Ermessenserwägungen, die im vorliegenden Verfahren in dem Schriftsatz vom
21. Juli 2014 dargelegt wurden, bei summarischer Prüfung nicht frei von
Widersprüchen sind.
(1) Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wurde dem Drittschuldner
zugestellt. Dabei wurde der beizutreibende Geldbetrag nach § 309 Abs. 2
Satz 2 i.V.m. § 314 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AO nur in einer Summe genannt.
In Anbetracht des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) besteht nicht die Möglichkeit,
die Pfändungs- und Einziehungsverfügung mit einer Begründung zu versehen.
Dagegen besteht eine solche Möglichkeit bei der Mitteilung an den
Vollstreckungsschuldner (§ 309 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 314 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 AO).
Bei der Mitteilung an den Antragsteller wurden im Streitfall zwar die Steuern
und Nebenleistungen, wegen derer die Pfändung erfolgte, im Einzelnen
benannt. Ermessenserwägungen wurden jedoch nicht dargelegt.
(2) Die Behörde kann fehlende oder unzutreffende Ermessenserwägungen
gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO i.V.m. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m.
§ 102 Satz 2 FGO spätestens in der Einspruchsentscheidung nachholen.
Da das Einspruchsverfahren gegen die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Antragsgegner
fehlende Ermessenserwägungen dem Antragsteller noch mitteilen, ggf. auch
durch Schriftsätze im Rahmen dieses Verfahrens wegen Aussetzung der
Vollziehung dieser Verfügung.
(3) Die Ermessenserwägungen, die im vorliegenden Verfahren in dem
Schriftsatz vom 21. Juli 2014 dargelegt wurden, sind bei summarischer
Prüfung nicht frei von Widersprüchen.
So stellt der Antragsgegner zunächst Ermessenserwägungen an (S. 1 f. des
Schriftsatzes vom 21. Juli 2014), führt dann jedoch aus, das nach dem
Wohnsitzwechsel zuständige Finanzamt habe keine andere Entscheidung in
der Sache treffen können (S. 3 des Schriftsatzes vom 21. Juli 2014). Damit
behauptet der Antragsgegner - ohne inhaltliche Begründung - eine
Ermessensreduzierung auf Null dahingehend, dass bei Rückständen von
mehr als … € zwei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber
bestimmten Drittschuldnern in Höhe von genau … €, also weniger als 20 % der
insgesamt bestehenden Rückstände, die alleinige ermessensfehlerfreie
Entscheidung seien. Bei summarischer Prüfung hat der Antragsgegner durch
diese Behauptung den Umfang seines Ermessens nicht hinreichend
gewürdigt.
3. Die Aussetzung der Vollziehung wird von einer Sicherheitsleistung abhängig
gemacht.
a) Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann die
Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht
werden.
Die Entscheidung über die Sicherheitsleistung ist eine
Ermessensentscheidung, bei der das Gericht eigenes Ermessen ausübt (Seer
in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rn. 111). Durch die Verknüpfung mit einer
Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen
ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines
angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung
auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine
konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des
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Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des
Steueranspruchs gefährdet wäre (st. Rspr., vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom
21. November 2013 II B 46/13, BStBl. II 2014, 263 m.w.N.).
Im Streitfall wird die Aussetzung der Vollziehung wird von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht, da bei summarischer Prüfung die
Möglichkeit einer Heilung der zu 2. dargelegten Verfahrensfehler im derzeit
noch anhängigen Einspruchsverfahren gegen die streitbefangene Pfändungs-
und Einziehungsverfügung nicht ausgeschlossen erscheint (hierzu unten b)
und bei einem Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache konkrete
Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen (hierzu
unten c).
b) Bei summarischer Prüfung erscheint die Möglichkeit einer Heilung der zu 2.
dargelegten Verfahrensfehler im derzeit noch anhängigen
Einspruchsverfahren gegen die streitbefangene Pfändungs- und
Einziehungsverfügung nicht ausgeschlossen.
Eine Heilungsmöglichkeit besteht bei summarischer Prüfung sowohl
hinsichtlich des Verstoßes gegen die örtliche Zuständigkeit (hierzu aa) als
auch hinsichtlich der mängelbehafteten Ermessenserwägungen (hierzu bb).
Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Pfändung aus anderen Gründen,
insbesondere für eine Unbilligkeit der Vollstreckung i.S.d. § 258 AO liegen bei
summarischer Prüfung nicht vor (hierzu cc).
aa) Bei summarischer Prüfung kann der Verstoß des Antragsgegners gegen
die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im Einspruchsverfahren noch
geheilt werden.
(1) Der Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit führt gemäß § 125 Abs. 3
Nr. 1 AO nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Rechtswidrigkeit der
Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
Verwaltungsakte, die unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 26 AO erlassen
werden, sind nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig (ebenso Sunder-
Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 73 u. 75; Kruse in
Tipke/Kruse, § 26 AO Rn. 15).
(2) Die Zustimmung der nunmehr örtlich zuständigen Finanzbehörde nach
§ 26 Satz 2 AO kann bei summarischer Prüfung bis zum Abschluss des
Einspruchsverfahrens gegen den Verwaltungsakt, der unter Verletzung der
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit erfolgte, nachgeholt werden.
Bei summarischer Prüfung kommt sowohl in Betracht, dass noch eine
Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO (u.a.) für die hier
streitbefangene Vollstreckung der Einkommensteuer 2007 und 2008 getroffen
wird (hierzu unten (a)) als auch eine Heilungsmöglichkeit nach § 126 Abs. 1
Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO (hierzu unten (b)).
(a) Bei summarischer Prüfung kommt noch eine Zuständigkeitsvereinbarung
(u.a.) für die Vollstreckung der Einkommensteuer 2007 und 2008 nach § 26
Satz 2 AO in Betracht, obwohl die Vollstreckung dieser Steuer erst begonnen
hat, nachdem der Wohnsitzwechsel des Antragstellers dem Antragsgegner
bereits bekannt war.
(aa) Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie
begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere
Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit nach § 26 Satz 1
AO in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon
erfährt. Die bisher zuständige Finanzbehörde kann ein Verwaltungsverfahren
fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der
einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die
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nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt (§ 26 Satz 2 AO).
§ 26 Satz 2 AO erlaubt nur die „Fortführung“ eines bereits begonnen
Verwaltungsverfahrens, nicht jedoch den Beginn eines Verwaltungsverfahrens
(BFH-Urteil vom 13. Dezember 2001 III R 13/00, BStBl. II 2002, 406, 407;
Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO, 2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 17;
Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).
Für den Beginn eines Verwaltungsverfahrens ist ein Tätigwerden mit
Außenwirkung erforderlich, das auf den Erlass eines Verwaltungsaktes
gerichtet ist (Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 25;
Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO, 2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 17).
Jede Steuerart und jeder Besteuerungszeitraum sind gesondert zu betrachten
(Sunder-Plasmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 23;
Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).
(bb) Soweit ersichtlich, ist bisher nicht abschließend geklärt, in welchem
Verhältnis dabei Vollstreckungs- und Festsetzungsverfahren zueinander
stehen.
Einerseits wird die Auffassung vertreten, Steuerfestsetzungs- und
Vollstreckungsverfahren seien i.S.d. § 26 Satz 2 AO jeweils selbständige, in
sich abgeschlossene Verfahren (so Wünsch in Pahlke/Koenig, Komm. zur AO,
2. Aufl. 2009, § 26 AO Rn. 16). Die Gegenauffassung betont dagegen den
Zusammenhang zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren jedenfalls
für solche Fälle, in denen sich die Vollstreckung unmittelbar an die im
Festsetzungsverfahren ergangene Entscheidung anschließt. In derartigen
Fällen sei auch die Vollstreckung noch Bestandteil der Verwirklichung der im
Besteuerungsverfahren ergangenen Entscheidung (so Sunder-Plasmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO Rn. 22). Wohl noch weitergehend wird
auch die Auffassung vertreten, als Verwaltungsverfahren sei das
Besteuerungsverfahren anzusehen, das mit der Aufforderung zur Abgabe der
Steuererklärung beginne und mit der Verwirklichung - ggf. im Wege der
Vollstreckung - ende (so Schmieszek in Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 11).
(cc) Im Streitfall hat der Antragsgegner spätestens am 24. April 2014 Kenntnis
von dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erhalten (hierzu oben 2. a) bb)
(3)). Vor dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers hatte das
Steuerfestsetzungsverfahren zur Einkommensteuer der Jahre 2007 - 2011
begonnen und zu Änderungsbescheiden geführt, die Gegenstand eines noch
anhängigen Einspruchs gegen die Steuerfestsetzungen und eines noch
anhängigen Einspruchs gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung
waren. Erste Vollstreckungsmaßnahmen nach außen wurden dagegen -
soweit aus der dem Gericht vorgelegten Vollstreckungsakte ersichtlich -
erstmals mit den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 24. Juni 2014
getroffen. Nach diesen Pfändungen wurde im Juli 2014 vom Antragsgegner
über die Einsprüche entschieden, nachdem das nunmehr für den Wohnsitz
des Antragstellers einer Fortführung der Rechtsbehelfsverfahren wegen
Einkommensteuer und Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der
Einkommensteuer zugestimmt hatte.
Gleichwohl kommt bei summarischer Prüfung nach Auffassung des
erkennenden Senats der Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung (auch)
für das Vollstreckungsverfahren in Betracht, da im Streitfall die Vollstreckung
unmittelbar mit den Entscheidungen über die Gewährung einer Aussetzung
der Vollziehung der streitbefangenen Steuern verknüpft ist und die Pfändungs-
und Einziehungsverfügungen kurze Zeit nach der Ablehnung der beantragten
Aussetzung der Vollziehung erfolgten. Der Senat schließt sich insoweit der
Auffassung von Sunder-Plasmann (in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 26 AO
Rn. 22) an. Für diese Ansicht spricht insbesondere die enge Verzahnung von
Rechtsbehelfs- und Vollstreckungsverfahren gemäß § 251 und § 258 AO.
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Solange Aussetzung der Vollziehung gewährt ist, können Verwaltungsakte
nicht vollstreckt werden (§ 251 Abs. 1 Satz 1 AO). Anträge auf Aussetzung der
Vollziehung als solche, die noch nicht beschieden sind, stehen einer
Vollstreckung zwar grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings hat die
Vollstreckungsstelle derartige Anträge bei ihrer Ermessensentscheidung nach
Maßgabe des Abschnitts 5 Abs. 4 der Vollstreckungsanweisung (VollstrA) zu
berücksichtigen. Außerdem ist eine Vollstreckung unbillig i.S.d. § 258 AO,
wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit hoher Wahrscheinlichkeit
Aussicht auf Erfolg hat (s. hierzu unten cc (1)).
(b) Bei summarischer Prüfung besteht auch die Möglichkeit, den Mangel der
örtlichen Zuständigkeit durch Abschluss einer Vereinbarung nach § 26 Satz 2
AO gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO zu heilen.
Nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 AO kann die erforderliche Mitwirkung
einer anderen Behörde bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines
finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dies gilt auch für die nach
§ 26 Satz 2 AO erforderliche Zustimmung der nunmehr örtlich zuständigen
Behörde für ein Handeln der früher zuständigen Behörde (ebenso Rätke in
Klein, Komm. zur AO, 12. Aufl. 2014, § 26 Rn. 12; Schmieszek in
Beermann/Gosch, § 26 AO Rn. 23 sowie - zur früheren Rechtslage, als § 126
Abs. 2 AO eine Nachholung nur bis zur Einspruchsentscheidung vorsah - FG
Hamburg Urteile vom 13. April 1989 II 7/87, EFG 1989, 490, 491; vom 22. Mai
1997 II 5/97, EFG 1997, 1418).
Der gegenteiligen Ansicht von Seer (in Tipke/Kruse, § 126 AO Rn. 8), § 126
Abs. 1 Nr. 5 AO betreffe nur sog. mehrstufige Verwaltungsakte und sei deshalb
im Steuerrecht nicht anwendbar, vermag sich der erkennende Senat bei
summarischer Prüfung nicht anzuschließen.
bb) Da das Einspruchsverfahren gegen die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung noch nicht abgeschlossen ist, besteht noch die
Möglichkeit der Heilung der bisher fehlenden bzw. fehlerbehafteten
Begründung dieser Verfügung.
Die Behörde kann fehlende oder unzutreffende Ermessenserwägungen
gemäß
§ 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO i.V.m. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO spätestens in der
Einspruchsentscheidung nachholen. Im Klageverfahren darf die Behörde ihre
Ermessenserwägungen nach § 102 Satz 2 FGO bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung dagegen nur noch „ergänzen“. Die Vorschrift des
§ 102 Satz 2 FGO gestattet es der Finanzbehörde nur, bereits an- oder
dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu
verdeutlichen. Nicht dagegen ist sie befugt, Ermessenserwägungen im
finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe
auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH-Urteil vom 11. März 2004
VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579).
cc) Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Pfändung aus anderen als den
oben zu 2. genannten Gründen, insbesondere solchen, hinsichtlich derer
keine Heilungsmöglichkeit bestände, oder für eine Unbilligkeit der
Vollstreckung i.S.d. § 258 AO liegen bei summarischer Prüfung nicht vor.
(1) Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich eine Vollstreckung auch
dann als unbillig i.S.d. § 258 AO erweisen, wenn sich der Steuerschuldner auf
die Rechtswidrigkeit des der Vollstreckung zugrunde liegenden
Verwaltungsaktes beruft und rechtzeitig einen AdV-Antrag gestellt hat und
dieser zwar noch nicht beschieden ist, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
angenommen werden kann, dass er Erfolg haben wird (BFH-Beschluss vom
12. Juni 1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156, unter II. 2. der Gründe; BFH-
Urteil vom 27. Oktober 2004 VII R 65/03, BStBl II 2005, 198, unter 2. c der
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Gründe). In einem solchen Fall verstieße die Vollstreckung gegen den auch im
Rahmen des § 258 AO zu berücksichtigenden Grundsatz von Treu und
Glauben. Denn das durch die Vollstreckung Erlangte müsste dem
Steuerpflichtigen alsbald zurückgewährt werden (vgl. BFH-Beschluss in
BFH/NV 1992, 156, unter II. 2. der Gründe). Eine etwaige Unbilligkeit der
Vollstreckung ist vom Antragsgegner bei der erforderlichen
Ermessensentscheidung über die Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen.
(2) Im Streitfall beruhen die Steuerfestsetzungen u.a. auf Hinzuschätzungen
nach einer Betriebs- und Fahndungsprüfung, gegen die der Antragsteller
zahlreiche Einwendungen erhebt. Insoweit macht er gegen die Pfändungs-
und Einziehungsverfügung - neben dem Fehlen der örtlichen Zuständigkeit
des Antragsgegners - auch die Unbilligkeit der Vollstreckung geltend, da die
Steuerfestsetzungen fehlerhaft seien. Im Rahmen der nur sehr beschränkten
Zeit, die dem Senat angesichts der Eilbedürftigkeit des Falles (hierzu oben 1.)
zur Prüfung zur Verfügung steht, vermag der erkennende Senat die für eine
Unbilligkeit der Vollstreckung erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit eines
Erfolgs des Antragstellers in dem beim … Senat unter dem Aktenzeichen …
anhängigen Verfahren nicht festzustellen. Bei summarischer Prüfung kann der
Antragsteller deshalb mit seinen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der
zu vollstreckenden Verwaltungsakte nach § 256 AO im
Vollstreckungsverfahren nicht gehört werden.
Nicht zuletzt, da der Drittschuldner in seiner Drittschuldnererklärung
angekündigt hat, dass ggf. noch im Juli 2014 eine Zahlung aufgrund der
Pfändungs- und Einziehungsverfügung erfolgen soll, durch die der Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung dieser Pfändung erledigt würde (vgl. BFH-
Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BStBl. II 2001, 525), hat der
erkennende Senat im Streitfall von einer Anforderung der Steuer- und
Ermittlungsakten hinsichtlich der Fahndungsmaßnahmen bei dem
Antragsteller und einer inhaltlichen Prüfung der Steuerfestsetzungen
abgesehen, um zeitnah über die Einwendungen des Antragstellers gegen die
Pfändungs- und Einziehungsverfügung entscheiden zu können, die sich
insbesondere gegen die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners wenden.
Außerdem hat der Antragsteller bei der gebotenen summarischen Prüfung
nicht glaubhaft gemacht, dass die in dem Verfahren … streitbefangenen
Steuerfestsetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit so fehlerbehaftet sind, dass
eine Sicherheitsleistung in Höhe von weniger als 20 % der streitigen Steuern -
die allein Gegenstand der Pfändungs- und Einziehungsverfügung und damit
dieser Prüfung ist - unzumutbar wäre.
c) Bei einem Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache liegen konkrete
Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueraufkommens vor.
Der Antragsteller möchte die gepfändeten Mittel nach eigenen Angaben dazu
verwenden, am 28. Juli 2014 einen Teil des Kaufpreises für den Erwerb einer
Immobilie in Spanien zu bezahlen. Nach einem Unterliegen des Antragstellers
im Hauptsacheverfahren wäre eine erneute Vollstreckung in die derzeit
gepfändeten Vermögenswerte bzw. deren Surrogat nur noch im Ausland
möglich. Jede Notwendigkeit einer Vollstreckung im Ausland lässt eine
Gefährdung des Steueraufkommens nach der Wertung des Gesetzgebers als
zumindest möglich erscheinen (BFH-Beschluss vom 24. März 1999 I B 113/98,
BFH/NV 1999, 1314, unter III. 2. a) und rechtfertigt deshalb z.B. Anordnungen
nach § 50a Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG).
Zwar macht der Antragsteller in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten
vom 21. Juli 2014 geltend, er verfüge im Inland über weitere Vermögenswerte,
insbesondere Grundbesitz, die jederzeit eine Befriedigung der Steuerforderung
ermöglichten. Diese Behauptung ist jedoch nicht hinreichend substantiiert und
lässt insbesondere keine Überprüfung des Werts und der Vorbelastungen der
in Deutschland befindlichen Vermögenswerte zu. Es ist jedenfalls nicht
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nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller einerseits geltend macht, er sei
dringend auf die Auszahlung der gepfändeten Forderung angewiesen, um den
Kaufpreis für einen Immobilienerwerb in Spanien zu bezahlen, wenn
andererseits in Deutschland hinreichend liquide Vermögenswerte vorhanden
sein sollen, die eine jederzeitige Befriedigung des Finanzamts ermöglichen
sollen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Dass der Antragsteller mit seinem Begehren, von einer Sicherheitsleistung
freigestellt zu werden, unterlegen ist, wirkt sich kostenmäßig nicht aus (BFH-
Beschluss vom 26. Mai 1988 V B 26/86, BFH/NV 1989, 403; Koch in Gräber,
Komm. zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 161).
5. Die Zulassung der Beschwerde erfolgt gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115
Abs. 2 Nr. 1 AO.
Die Frage, ob eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 26 Satz 2 AO im
Hinblick auf Vollstreckungsmaßnahmen auch getroffen werden kann, wenn ein
Wechsel der örtlichen Zuständigkeit während eines Rechtsbehelfsverfahrens,
aber noch vor dem Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen eintritt, hat
grundsätzliche Bedeutung.
Alleine die telefonische Ankündigung des Drittschuldners, in der kommenden
Woche eine Auszahlung vorzunehmen, durch die der Rechtsstreit in der
Hauptsache erledigt würde (vgl. BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B
304/00, BStBl. II 2001, 525), steht der Zulassung der Beschwerde nicht
entgegen.