Urteil des FG Niedersachsen vom 21.05.2014

FG Niedersachsen: kapitalvermögen, insolvenz, rückzahlung, übertragung, ausnahme, anwendungsbereich, kaufpreis, wertminderung, geschäft, realisierung

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Verluste bei der Veräußerung von Lehman Brothers
Zertifikaten
Für Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 2, 4
EStG i.d.F. des UntStRefG (Abgeltungssteuer) ist es ohne Bedeutung, ob der
Wertverzehr außerhalb des Kapitalmarkts eingetreten ist, wenn er durch eine
Veräußerung realisiert wird.
Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Urteil vom 21.05.2014, 2 K 309/13
§ 42 AO, § 20 Abs 2 Nr 7 EStG, § 20 Abs 4 EStG, § 52a Abs 10 EStG
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Verlusten bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen.
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Am 28.
April 2008 erwarben die Kläger von der X-Bank ein von der „Lehman Bros.
Treasury Co. BV“ emittiertes Zertifikat (Lehman Bros. Bull NTS 09 DAX, WKN
A0SJS7, ISIN XS0347064924) zu einem Preis von 180.900 €. Bei der
Emittentin handelt es sich um ein Tochterunternehmen der in den USA
ansässigen Lehman-Brothers-Gruppe, über deren Vermögen im Oktober 2008
das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Falls der DAX-Stand am
Beobachtungstag ein Verhältnis von mindestens 90% eines Referenzkurses
erreichte, sollten die Kläger eine Rückzahlung über dem eingesetzten Kapital
erhalten. Im Falle eines niedrigeren Stands des DAX wäre es hingegen zu
einem weitgehenden Ausfall des Kapitals gekommen. Wegen der Details zur
Funktionsweise des Zertifikats wird auf den Prospekt verwiesen.
Am 13. Juli 2009 veräußerten die Kläger die Papiere wieder an die X-Bank zu
einem Preis von 18 €, entsprechend 0,50 € je 5.000 € Nennwert. Zu diesem
Zeitpunkt war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin
bereits eröffnet und auch der im Prospekt genannte Beobachtungstag (1. Juni
2009) war bereits eingetreten, wobei der DAX-Stand bis zum Beobachtungstag
deutlich, d.h. unter 90% des Referenzkurses, gesunken war.
Transaktionskosten fielen nicht an.
Der auf diesen Geschäften beruhende Verlust von 180.882 € ist in einer
entsprechenden Bescheinigung der X-Bank als steuerrelevant im Sinne von §
20 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ausgewiesen worden. In der
Bescheinigung verrechnete die X-Bank den Verlust mit positiven
Kapitalerträgen und wies einen verbleibenden Verlust von 165.430,77 € aus.
Dementsprechend wies die X-Bank in der Jahressteuerbescheinigung für das
Gemeinschaftsdepot bzw. -konto der Kläger Kapitalerträge von 0 € aus. Die
positiven Kapitalerträge bei der X-Bank, welche durch der Verluste aufgezehrt
wurden, betrugen insgesamt 15.451,23 €. Daneben erzielten die Kläger
weitere Kapitalerträge von anderen Banken sowie Stückzinsen in Höhe von
jeweils 3.049 € bei der X-Bank. Im Rahmen der Steuererklärung beantragten
die Kläger für die Kapitalerträge die Günstigerprüfung.
Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – erkannte diesen Verlust, welchen die
Kläger jeweils zur Hälfte erklärten, im Rahmen der
Einkommensteuerveranlagung, zuletzt im Änderungsbescheid vom 3. Mai
2013, nicht an. Die Stückzinserträge blieben dabei im Ergebnis aufgrund von
zum 31. Dezember 2008 festgestellten Verlusten aus privaten
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Veräußerungsgeschäften außer Ansatz.
Das - schon gegen einen zuvor ergangenen Bescheid - angestrengte
Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Nach Ansicht des FA in der
Einspruchsentscheidung vom 20. November 2013 handelt es sich im Streitfall
nicht um einen Veräußerungsvorgang im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG,
sondern um einen steuerlich unbeachtlichen Forderungsausfall. Denn das
Papier sei durch die Insolvenz der Emittentin entwertet worden. Gemäß den
Ausführungen des BMF-Schreibens vom 9. Oktober 2012, BStBl I 2012, 953,
Rz. 60, komme daher eine Berücksichtigung des Verlusts nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage. Die vom FA gegebene Begründung
überzeuge nicht und stehe auch nicht im Einklang mit dem Gesetz. Es habe
ein Verkauf unter Fremden stattgefunden, mit dem ein steuerlicher Verlust
realisiert worden sei. Hieran könne der geringe Kaufpreis nichts ändern. Es
stehe nicht zu vermuten, dass die Finanzverwaltung zögern würde, einen
möglichen Veräußerungsgewinn zu besteuern, wenn der Erwerber die Anteile
nach dem Erwerb von 0,50 € je 5.000 € zu einem höheren Betrag
weiterveräußert hätte.
Das Papier habe trotz Insolvenz rechtlich fortbestanden und sei handelbar
gewesen. Die Kläger hätten mit der Anmeldung zur Insolvenztabelle und
Verfolgung der Abwicklung nichts zu tun haben wollen und sich daher
entschlossen, das Papier zu einem sehr günstigen Preis zu veräußern.
Da die X-Bank eine Bescheinigung im Sinne von § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG
nicht erteilt habe, beschränke sich der mögliche Verlustausgleich auf die bei
der X-Bank erzielten Kapitalerträge.
Der Beklagte verweist auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung. Es
habe abgegrenzt werden müssen zwischen einem Veräußerungsvorgang und
einem sonstigen Vorgang, bei dem die Kläger ihr Eigentum an einer Forderung
einbüßen oder übertragen, ohne dass eine steuerrelevanter Vorgang im Sinne
von § 20 Abs. 2 EStG vorliege. Eine gegenüber dem BMF-Schreiben vom 9.
Oktober 2012, BStBl I 2012, 953, abweichende Auslegung des
Veräußerungsbegriffs sei dem Beklagten verwehrt.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig
und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1
Finanzgerichtsordnung - FGO-).
1. Die Veräußerung der Zertifikate führt im Streitfall zu Einkünften aus
Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG.
a) Die Veräußerung von den hier in Rede stehenden Zertifikaten fällt dem
Grunde nach unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, wovon auch die Beteiligten
übereinstimmend ausgehen.
Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen
Forderungen jeder Art im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Unter die
letztgenannte Vorschrift fallen Erträge, wenn die Rückzahlung des Vermögens
oder ein Entgelt für die Überlassung des Vermögens zur Nutzung zugesagt
oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des
Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
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Die Vorschriften sind im Streitfall aufgrund der Regelung des § 52a Abs. 10
Sätze 6 und 7 EStG in der zitierten Fassung anzuwenden. Grundsätzlich ist
die zitierte Fassung anwendbar, da die streitige Veräußerung nach dem 31.
Dezember 2008 war (§ 52a Abs. 10 Satz 6 EStG). Aus § 52a Abs. 10 Satz 7
EStG folgt im Streitfall keine Ausnahme, weil es sich bei dem Zertifikat auch um
eine Kapitalforderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG in der am
31. Dezember 2008 anzuwenden Fassung (= EStG a.F.) handelte.
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Alt. 2 EStG a.F.
zählten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der
Veräußerung oder Einlösung von sonstigen Kapitalforderungen i.S. des § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen
Ereignis abhängt. Hier liegt eine Kapitalforderung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr.
7 EStG a.F. vor. Denn ausweislich des Prospekts ist jedenfalls ein
Mindestbetrag in Abhängigkeit vom Stand des DAX am Bewertungszeitpunkt
zu zahlen. Dies reicht sowohl für die Annahme einer Kapitalforderung sonstiger
Art (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl
II 2008, 563) als auch für die Einordnung zu § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F.
aus (vgl. dazu § 52a Abs. 10 S. 7, 2. Hs., 1. Alt. EStG: nur teilweise garantierte
Rückzahlung). Die Abhängigkeit von einem ungewissen Ereignis ergibt sich im
Streitfall durch die Einbeziehung des DAX-Schlussstands an einem
bestimmten Tag.
b) Ebenso unstreitig erfüllen der Verkauf und die anschließende Übertragung
der Zertifikate von den Klägern an die X-Bank den Begriff der Veräußerung.
Denn darunter wird die entgeltliche Übertragung von Kapitalvermögen
verstanden (vgl. etwa BMF-Schreiben vom 9. Oktober 2012, BStBl I 2012, 953,
Rz. 58 zu § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG: „neben der entgeltlichen Übertragung“;
Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rn. 422; Moritz/Strohm in
Frotscher, § 20 EStG Rn. 261). Ein weitergehendes Tatbestandsmerkmal
enthält das Gesetz an dieser Stelle nicht.
Die Übertragung ist im Streitfall zur Überzeugung des Senats auch entgeltlich,
da ein - nach kaufmännischen Gesichtspunkten - abgewogener Kaufpreis
(siehe dazu Moritz/Strohm in Frotscher, § 20 EStG Rn. 261) zugrunde gelegt
worden ist. Schon angesichts der eingetreten Insolvenz der Emittentin
bestehen keine Bedenken, einen Preis von 0,50 € pro 5.000 € Nennwert als
realitätsgerecht anzusehen, zumal bei einem Geschäft zwischen fremden
Dritten eine Teil- oder Unentgeltlichkeit auch nicht naheliegt. Dem ist das FA
nicht entgegengetreten, sondern geht vielmehr aufgrund der Insolvenz von der
Wertlosigkeit der Anteile aus und bestätigt damit im Ergebnis die Entgeltlichkeit
des Geschäfts.
c) Eine Einschränkung, wie sie das FA im Streitfall aufgrund der unstreitig im
Zuge des Insolvenzverfahrens der Emittentin eingetretenen Wertminderung
annimmt, kommt nach Ansicht des Senats nicht in Betracht.
aa) Es ist schon nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das FA die Verluste,
welche im Rahmen der hier in Streit stehenden Einkünfte erst mit der
Veräußerung realisiert werden, von der Besteuerung ausnehmen möchte. Die
eingetretene Wertminderung der Anteile ist jedenfalls zum Teil auf die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzuführen, worauf das FA zutreffend
hinweist. Inwieweit dies einen Einfluss auf die Besteuerung haben soll, bleibt
aber im Dunkeln. Der Beklagte hat letztlich auch keine tragfähige Begründung
für den verwehrten Abzug geliefert, was vornehmlich an die Bindung des
Beklagten an die Auffassung von OFD und BMF zurückzuführen ist.
So führt die OFD aus: „Der Stpfl. hat zwar ein Entgelt für die Veräußerung der
Papiere an das Kreditinstitut erhalten. […] Die Anlage war daher zum
Veräußerungszeitpunkt bereits durch Einflüsse, die außerhalb des
Kapitalmarkts liegen, wertlos geworden. Dies hat zur Folge, dass gemäß Rz.
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60 des BMF-Schreibens „Einzelfragen zur Abgeltungssteuer“ vom 9. Oktober
2012 keine Veräußerung gegeben ist und die entstandenen Verluste
steuerlich nicht anzuerkennen sind“. Rz. 60 des BMF-Schreibens (BStBl I
2012, 953) lautet: „Der Forderungsausfall ist keine Veräußerung i.S. des § 20
Abs. 2 Satz 2 EStG. Die Anschaffungs- und Anschaffungsnebenkosten der
Forderung sind einkommensteuerrechtlich insoweit ohne Bedeutung.“
Zwar ist es nicht Sache des Senats, die Frage zu beantworten, wie die
Verwaltung ein BMF-Schreiben auszulegen hat. Jedoch bezieht sich die
zitierte Regelung des BMF-Schreibens auf Fälle des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG,
in welchem geregelt ist, was auch als Veräußerung gilt. Der
Anwendungsbereich der Vorschrift ist bereits deswegen nicht tangiert, weil im
Streitfall eine Veräußerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG vorliegt und es daher
nicht auf die einer Veräußerung gleichgestellten Vorgänge ankommt. Darüber
hinaus ist es im Streitfall, wie es die OFD selbst ausführt, zu einer Veräußerung
gekommen, welche über einen bloßen Forderungsausfall hinausgeht.
bb) Es scheint damit insgesamt, als wolle die Verwaltung die Vorschriften des
§ 20 Abs. 2 EStG dergestalt verstehen, dass Wertminderungen, welche
außerhalb des Kapitalmarkts liegen, auch bei anschließender Realisierung der
Verluste aufgrund einer Veräußerung nicht der Besteuerung unterliegen. Dem
folgt der Senat nicht. Eine solche Auffassung ist weder mit dem schon
dargestellten Wortlaut der Vorschrift, noch mit dem Sinn und Zweck der
Regelung vereinbar.
Durch die im Rahmen des UntStRefG vorgenommen Änderungen des § 20
EStG im Zuge der Einführung der Abgeltungssteuer ist neben die schon bisher
vorgenommene Besteuerung der laufenden Erträge (§ 20 Abs. 1 EStG) die
Versteuerung von Veräußerungsgewinnen als Einkünfte aus Kapitalvermögen
hinzugekommen (§ 20 Abs. 2 und 4 EStG). Die bis 2008 geltende Fassung
des § 20 Abs. 2 EStG enthielt hingegen nur Regelungen für bestimmte
Einnahmen aus der Veräußerung von Erträgen, wobei aber dem Grunde nach
eine Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensebene erhalten blieb
(vgl. Weber-Grellet in Schmidt, 33. Aufl. 2014, § 20 Rn. 126). Demgegenüber
waren (realisierte) Gewinne auf der Vermögensebene nur im Rahmen der §§
17 und 23 EStG zu versteuern.
Die Umgestaltung des § 20 EStG hat, noch dazu im Gegensatz zu § 23 EStG
ohne zeitliche Einschränkung, zur Folge, dass realisierte Wertveränderungen
von Kapitalanlagen steuerwirksam sind und zwar sowohl als Gewinn (im
engeren Sinne) als auch als Verlust. In der Gesetzesbegründung wird hierzu
ausgeführt:
„[§ 20] Absatz 2 regelt, dass neben den Einnahmen aus den in Absatz 1
angeführten Kapitalanlagen zukünftig auch die Wertzuwächse, die dem
Steuerpflichtigen durch die Veräußerung der Kapitalanlagen […] zufließen, der
Einkommensteuer unterworfen werden“ (BR-Drs. 220/07, S. 87).
„Die Regelung [§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG] ist […] als Auffangtatbestand
ausgestaltet, um […] auch die Besteuerung des Vermögenszuflusses aus der
Veräußerung […] von sonstigen Kapitalforderungen zu sichern“ (BR-Drs.
220/07, S. 89).
„[§ 20] Absatz 4 bestimmt die Steuerbemessungsgrundlage für die
Veräußerungsfälle des [§ 20] Absatzes 2. […] Dieser Betrag kann sowohl
positiv - Gewinn im engeren Sinne - als auch negativ - Verlust - sein“ (BR-Drs.
220/07, S. 91).
Dementsprechend diente die Reform der Besteuerung der Kapitaleinkünfte
gerade auch der Erfassung der realisierten Vermögenszuwächse und damit
einhergehend der realisierten Vermögenseinbußen. Dieses Verständnis des
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Gesetzgebers findet sich aus Sicht des Senats auch deutlich im maßgeblichen
Gesetzeswortlaut wieder.
Einen Grund, bei „außerhalb des Kapitalmarkts“ liegenden Umständen, also
insbesondere der Insolvenz, welche zu einem (zunächst noch nicht
realisierten) Verlust führen (können), eine Ausnahme von diesen Grundsätzen
zu machen, ist für den Senat nicht ersichtlich. So war schon nach bisheriger
Rechtslage, etwa bei der Veräußerung von Aktien innerhalb der
Spekulationsfrist ein Verlust zu erfassen, wenn der Veräußerungspreis hinter
Anschaffungs- und Werbungskosten zurückblieb (vgl. § 23 Abs. 3 EStG). Dies
konnte etwa auch dann der Fall sein, wenn der Kurs einer Aktie aufgrund der
Insolvenz des Unternehmens deutlich unter dem Anschaffungspreis lag. Dies
hat sich auch in der Neuregelung fortgesetzt (vgl. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG), mit
der Ausnahme, dass nur noch bestimmte Aufwendungen und nicht jegliche
Werbungskosten (vgl. § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG) in Abzug gebracht werden
können. Ein grundlegend anderes Verständnis hinsichtlich der
steuerrelevanten Veräußerungsvorgänge liegt dem neuen Recht jedenfalls
nicht dergestalt wie es das FA für sich in Anspruch nimmt zugrunde. Der Senat
sieht daher keinen Anlass, die durch eine Veräußerung realisierten Verluste
aufgrund von Umständen „außerhalb des Kapitalmarkts“ vom
Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 EStG auszunehmen.
Im Übrigen wird in der steuerrechtlichen Literatur folgerichtig eher das
Gegenteil diskutiert: So wird nachdrücklich vertreten, aufgrund der
Neuregelung der Besteuerung von Kapitaleinkünften im Gegensatz zum
früheren Recht nunmehr auch ausgefallene Kapitalforderungen einer
Veräußerung gleichzustellen (vgl. etwa Ratschow in Blümich, § 20 EStG Rn.
427a m.w.N.; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rn. 531), mithin
aufgrund der Neuregelung von einem weiten Veräußerungsbegriff
auszugehen, da die Steuerpflichtigen ansonsten zu einer Veräußerung ggf.
gegen einen symbolischen Kaufpreis gedrängt würden, welche bloßer
Formalismus sei (Moritz/Strohm in Frotscher, § 20 EStG Rn. 268f).
Demgegenüber vertritt das FA im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung eine
gegenüber der früheren Rechtslage einschränkende Auslegung des
Veräußerungsbegriffs, welcher der Senat nicht folgt.
d) Nur zur Vervollständigung sei hier angeführt, dass ein Missbrauch von
rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 Abs. 1
Abgabenordnung (AO) nicht ersichtlich ist. Voraussetzung hierfür wäre eine
unangemessene rechtliche Gestaltung im Sinne von § 42 Abs. 2 Satz 1 AO, zu
welcher es im Streitfall nicht kommt. Sowohl die Kläger als auch die X-Bank
hatten nachvollziehbare Gründe, das hier in Streit stehende Geschäft wie
geschehen abzuschließen.
Für die Kläger ergibt sich dies offensichtlich daraus, dass das Zertifikat nur
noch einen gegenüber dem eingesetzten Kapital äußerst geringen Wert hatte.
Zur Realisierung des Restwerts wäre es erforderlich gewesen, die Forderung
im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend zu machen. Dass die Kläger
angesichts einer ungewissen Quote und des damit verbundenen Aufwands,
welcher noch dazu für die rechtlich offenbar nicht vorgebildeten Kläger nur
schwierig zu verwirklichen gewesen wäre, sich für eine Veräußerung
entschieden, ist nachvollziehbar.
Gleiches gilt für die X-Bank. Denn ausweislich des Vermerks des FA vom 13.
März 2013, welchen sich der Senat insoweit zu Eigen macht, hätte sich
aufgrund eines sich aus dem Prospekt ergebenden Restwerts des Zertifikats
bei einer Insolvenzquote von mehr als 10% bereits ein - wenn auch
bescheidener - Gewinn auf Seiten der X-Bank realisieren lassen.
Dementsprechend geht auch das FA zutreffend davon aus, dass der
Missbrauch im Sinne von § 42 Abs. 1 AO im Streitfall nicht gegeben ist.
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2. Der Gewinn aus der Veräußerung ist gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu
berechnen. Da es an Veräußerungskosten fehlt, ergibt sich der Verlust im
Streitfall aus den Einnahmen aus der Veräußerung (18 €) abzüglich den
Anschaffungskosten (180.900 €) in Höhe von 180.882 €.
3. Aufgrund der Zugehörigkeit der Verluste zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen ist im Rahmen der von den Klägern beantragten
Günstigerprüfung (§ 32d Abs. 6 EStG) - im Ergebnis wie von der X-Bank in der
Steuerbescheinigung ausgewiesen - von Kapitalerträgen bei der X-Bank in
Höhe von 0 € auszugehen. Demzufolge vermindern sich, wie von den Klägern
beantragt, die im Rahmen der Steuerberechnung nach § 32d EStG zu
berücksichtigen Kapitalerträge um 15.451,23 €.
Ausweislich § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist zunächst die Verrechnung nach § 43a
Abs. 3 EStG vorzunehmen. Nach dessen Satz 2 hat die auszahlende Stelle –
im Streitfall die X-Bank – die negativen Kapitalerträge bis zur Höhe der
positiven Kapitalerträge auszugleichen. Entsprechend ist die X-Bank auf der
Steuerbescheinigung vorgegangen, welche daher auch der Besteuerung zu
Grunde zu legen ist. Eine weitergehende Verrechnung, namentlich mit den
Kapitalerträgen anderer Kreditinstitute, welche von den Klägern ohnehin nicht
beantragt worden ist, war im Streitfall nicht möglich, da eine Bescheinigung im
Sinne von § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG der X-Bank nicht vorliegt (vgl. § 20 Abs. 6
Satz 6 EStG).
4. Die festgesetzten Zinsen sind entsprechend zu korrigieren.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung
(FGO), § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO, § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Revision wird wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen. Die Frage, ob
bestimmte Veräußerungen, insbesondere wenn es zuvor einen
Forderungsausfall gegeben hat, in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2
EStG fallen, ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt.