Urteil des FG Niedersachsen vom 24.04.2013
FG Niedersachsen: wohnung, reparaturkosten, mittelpunkt der lebensinteressen, pauschalierung, systematische auslegung, arbeitsstelle, teleologische auslegung, grammatikalische auslegung
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Abzug von außergewöhnlichen Kfz-Kosten als
Werbungskosten neben der Entfernungspauschale /
Umfang der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG
1. Durch eine Falschbetankung auf dem Weg vom Wohnort zur Arbeitsstelle
und den dadurch herbeigeführten Motorschaden verursachte
Reparaturaufwendungen sind als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG steuermindernd bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger
Arbeit zu berücksichtigen (entgegen seit Einführung der
Entfernungspauschale ergangener FG-Rechtsprechung; entgegen BMF-
Schreiben vom 3. Januar 2013 IV C 5 - S 2351/09/10002 - DOK 2012/11700915,
FR 2013, 190 Tz. 4).
2. Außergewöhnliche Wegekosten, die einer Pauschalierung grundsätzlich
nicht zugänglich sind, sind nicht durch den Ansatz der
Entfernungspauschale von 0,30 Euro (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG)
abgegolten, denn sie werden durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gesetzlich
normierte Abgeltungswirkung nicht erfasst.
3. Der in den Gesetzesbegründungen anlässlich der Einführung der
Entfernungspauschale im Jahr 2001 und den folgenden Gesetzesänderungen
des § 9 EStG zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers
gebietet eine entsprechende Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen
den scheinbar klaren Wortlaut.
4. Da außergewöhnliche Wegekosten bei beruflicher Veranlassung
grundsätzlich Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen,
würde bei einer durch die bisherige FG-Rechtsprechung vorgenommenen
(einschränkenden) Auslegung ansonsten § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in seiner
Wirkung einem Abzugsverbot für Werbungskosten gleichkommen.
5. Zur Vermeidung eines sachlich nicht gerechtfertigten Verstoßes gegen das
objektive Nettoprinzip ist daher § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in
verfassungskonformer Weise über den Wortlaut hinaus so auszulegen, dass
lediglich laufende Kfz- und Wegekosten, die grundsätzlich einer
Pauschalierung zugänglich sind, von der Abgeltungswirkung erfasst werden.
Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 24.04.2013, 9 K 218/12
§ 9 Abs 1 S 1 EStG, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG, § 9 Abs 2 S 1 EStG
Tatbestand
Streitig ist der Werbungskostenabzug von Reparaturkosten, die infolge einer
Falschbetankung auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
entstanden sind.
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2010 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt werden. Die Kläger beziehen beide Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger ist Angestellter der X-AG.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 beantragte
der Kläger den Abzug von 4.264 € für die Reparatur seines Pkw´s als
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den
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Angaben des Klägers war die Reparatur durch eine Falschbetankung auf dem
Weg zur Arbeitsstätte verursacht.
Der Steuererklärung beigefügt war eine Unfall-/Schadenmeldung an die X-
Versicherungsvermittlungs-GmbH. Danach hatte der Kläger am 5. November
2009 auf dem Weg zur Arbeitsstelle in W an der Tankstelle in C irrtümlich anstatt
Diesel Benzin getankt und diese Falschbetankung erst kurz vor F bemerkt, als
das Fahrzeug „unregelmäßig“ fuhr. Der Pkw wurde nach der
Schadensschilderung des Klägers anschließend beim Autohaus W in F zur
Reparatur abgegeben.
Nach den Feststellungen des Senats ereigneten sich sowohl die
Falschbetankung als auch der anschließende Motorschaden am 5. November
2009 auf dem Weg vom Wohnort des Klägers in R zur Arbeitsstelle in W. Dieser
Sachverhalt ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig (vgl. Protokoll der
mündlichen Verhandlung von 24. April 2013).
Die Reparaturkosten betrugen nach der Rechnung des Autohauses W vom 30.
November 2009 insgesamt 4.263,19 € (Arbeitspreis: 614,87 €; Materialkosten:
2.967,64 € inkl. 15,26 € für Betankung nach Reparatur; Umsatzsteuer: 680,68
€). Bezüglich der Einzelpositionen wird auf die Rechnung vom 30. November
2009 Bezug genommen.
Der Steuererklärung beigefügt war zudem ein Schreiben der X-AG vom 4.
Januar 2010, in dem mitgeteilt wurde, dass der Kläger für seinen Schaden
unbeschränkt selbst hafte und die Reparaturkosten selbst zu zahlen habe.
Das beklagte Finanzamt ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Diese
Entscheidung wurde damit begründet, dass die Kosten mit dem Ansatz der
Kilometerpauschale abgegolten seien und es sich auch nicht um einen
Verkehrsunfall gehandelt habe.
Der gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid 2010 gerichtete
Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Abzug der
Reparaturkosten als Werbungskosten weiter. Zur Begründung tragen sie im
Wesentlichen Folgendes vor:
Die durch die Falschbetankung verursachten Reparaturkosten seien wie
Unfallkosten zu behandeln und damit steuerlich neben der
Entfernungspauschale abzugsfähig. Ein Unfall sei ein unerwünschtes, von
außen auf einen und/oder mehrere Menschen oder Dinge rasch einwirkendes
Ereignis, dass zu einem unfreiwilligen Schaden führe. Genauso sei die
Falschbetankung passiert. Für den Abzug solcher Unfallkosten als
Werbungskosten sei es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob neben der
beruflichen Veranlassung weitere Umstände den Unfall herbeigeführt hätten,
insbesondere, ob der Unfall auf das Verhalten eines Dritten oder eines
Naturereignisses zurückzuführen seien. Auch das eigene Verhalten des
Steuerpflichtigen, z.B. bei der Unfallverursachung, sei steuerlich ohne
Bedeutung, wenn und solange dieses Verhalten nicht dem Bereich der privaten
Lebensführung zuzurechnen sei. Das sei vorliegend nicht der Fall. Der Schaden
sei auch nicht abwendbar gewesen. Zu einem Unfall zählten nicht nur
Verkehrsunfälle, sondern auch vergleichbare Ereignisse.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2010 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2012 abzuändern und weitere
Werbungskosten in Höhe von 4.248 € bei den Einkünften des Klägers
aus nichtselbständiger Arbeit steuermindernd zu berücksichtigen und
die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist darauf hin, dass gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG klargestellt
sei, dass durch die Entfernungspauschalen sämtliche Aufwendungen
abgegolten seien, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und
durch die Familienheimfahrten veranlasst seien. Auf die Frage, ob der
entstandene Schaden am Fahrzeug durch die Falschbetankung mit einem
Unfall vergleichbar sei, komme es nicht an. Im Übrigen habe der Kläger eine
erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung begangen. Das habe auch dazu geführt,
dass die Versicherung den Schaden nicht übernommen habe. Der Schaden sei
abwendbar gewesen, wenn der Kläger nicht losgefahren wäre. Der beantragte
Werbungskostenabzug führe vorliegend ausschließlich zur Belastung der
Allgemeinheit und sei deshalb zu versagen. Bezüglich des weiteren Vorbringens
verweist der Beklagte auf seinen Einspruchsbescheid vom 2. Juli 2012.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 vom 23. Dezember 2011
und die Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2012 sind rechtwidrig und verletzen
die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -
).
Die durch die Falschbetankung auf dem Weg vom Wohnort zur Arbeitsstelle und
den dadurch herbeigeführten Motorschaden verursachten
Reparaturaufwendungen sind als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG steuermindernd bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger
Arbeit zu berücksichtigen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 EStG).
a. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Zu den
Erwerbsaufwendungen zählen beruflich veranlasste Fahrtkosten. Sie sind nach
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG mit den tatsächlich entstandenen Aufwendungen oder
mit 0,30 € pro gefahrenen Kilometer als Werbungskosten abzugsfähig.
Allerdings begrenzt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG die Abzugsfähigkeit der
Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte (ab VZ 2014: erste Tätigkeitsstätte). Diese sind nur in
Höhe der Entfernungspauschale abzugsfähig.
Bei den streitbefangenen Reparaturkosten, die infolge der Falschbetankung auf
dem Weg zur Arbeitsstelle entstanden sind, handelt es sich dagegen um
außergewöhnliche, nicht durch die vorgenannten Kilometerpauschbeträge
abgegoltenen Aufwendungen.
Mit diesen Kilometerpauschbeträgen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind
nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dazu die normalen,
voraussehbaren Kosten, die dem Arbeitnehmer bei Benutzung des eigenen
privaten PKW für berufliche Zwecke entstehen, abgegolten. Deshalb können
insbesondere Kraftfahrzeugsteuern, Haftpflichtversicherungsprämien, übliche
Reparaturkosten, Parkgebühren und Absetzung für Abnutzung nicht neben den
Kilometer-Pauschbeträgen als Werbungskosten abgezogen werden. In den
Pauschbeträgen sind indessen nicht berücksichtigt Unfallkosten und sonstige
Kosten, die ihrer Natur nach außergewöhnlich sind und sich einer
Pauschalierung entziehen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1982 VI R 133/79,
BStBl II 1982, 325, m.w.N.; BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09,
BStBl. II 2011, 354). Zu den durch diese Norm nicht abgegoltenen
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Aufwendungen gehören – ähnlich den Reparaturkosten bei Motorschäden (vgl.
hierzu BFH-Urteil vom 29. Januar 1982 VI R 133/79, BStBl II 1982, 325, m.w.N) -
auch die im Streitfall durch die Falschbetankung verursachten Aufwendungen.
Auch derartige Kosten sind einer Pauschalierung nicht zugänglich und können
daher neben der Entfernungspauschale als (normale) Werbungskosten gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abgezogen werden, denn sie sind ohne Zweifel durch
das Arbeitsverhältnis veranlasst. Entscheidend ist insoweit der Anlass der Fahrt
(vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1994 VI R 54/94, BFH/NV 1995, 668 betr. Pkw-
Unfallschaden bei der Fahrt zu einer Betriebsveranstaltung).
Da nach den Feststellungen des Senats sowohl die Falschbetankung als auch
der dadurch verursachte Motorschaden am 5. November 2009 auf dem
(direkten) Weg zur Arbeitsstelle in W stattgefunden haben, steht diese
Veranlassung durch das Arbeitsverhältnis fest.
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Werbungskostenabzug nicht
entgegen, dass die Falschbetankung und damit der Schaden am Motor ggf.
durch ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers verursacht worden ist (vgl.
BFH-Urteil vom 24. Mai 2007 VI R 73/05, BStBl. II 2007, 766 betr. Schadensfahrt
unter Alkoholeinfluss). Ausnahmsweise kommt der Werbungskostenabzug nur
dann nicht in Betracht, wenn das auslösende Moment die alkoholbedingte
Fahruntüchtigkeit war. Hierfür hat der Senat keine Anhaltspunkte.
Ebenso hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Kenntnis
der Falschbetankung losgefahren ist und damit der Schaden vermeidbar
gewesen wäre.
Da die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihren Klageantrag eingeschränkt
haben und auf Hinweis des Senats die Betankungskosten von 15,26 € nicht
mehr geltend machen, ist im Übrigen die Höhe des Werbungskostenabzugs
zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit hat auch der Senat keine
Bedenken, da es sich um reine Reparaturkosten handelt.
b. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind derartige außergewöhnliche
Wegekosten nicht durch den Ansatz der Entfernungspauschale von 0,30 € (§ 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung)
abgegolten, denn sie werden durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das
Streitjahr geltenden Fassung gesetzlich normierte Abgeltungswirkung nicht
erfasst.
aa. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG (in der für das Streitjahr
geltenden Fassung) sind Werbungskosten auch die Aufwendungen des
Arbeitnehmer für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung
dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die
Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der
Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen,
höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr; ein höherer Betrag ist anzusetzen,
soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen
Pkw benutzt. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt, dass durch die
Entfernungspauschalen sämtliche Aufwendungen abgegolten sind, die durch
die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und durch die
Familienheimfahrten veranlasst sind.
Die Rechtsentwicklung bis zu der vorstehenden Gesetzesfassung, die
historische Gesetzesentstehung und die jeweiligen gesetzgeberischen Motive
geben nach Überzeugung des Senats Aufschluss über das Verständnis der
streitentscheidenden Vorschriften.
(1) Nach der
bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 2000
Fassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 EStG unterschied der Gesetzgeber vom
Verkehrsmittel abhängig wie folgt:
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„Werbungskosten sind auch …
4. Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte. Fährt der Arbeitnehmer an einem Arbeitstag mehrmals zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte hin und her, so sind die zusätzlichen Fahrten nur zu
berücksichtigen, soweit sie durch einen zusätzlichen Arbeitseinsatz außerhalb
der regelmäßigen Arbeitszeit oder durch eine Arbeitszeitunterbrechung von
mindestens vier Stunden veranlaßt sind. Hat ein Arbeitnehmer mehrere
Wohnungen, so sind die Fahrten von oder zu einer Wohnung, die nicht der
Arbeitsstätte am nächsten liegt, nur zu berücksichtigen, wenn sie den
Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und nicht nur
gelegentlich aufgesucht wird. Bei Fahrten mit einem eigenen oder zur Nutzung
überlassenen Kraftfahrzeug sind die Aufwendungen mit den folgenden
Pauschbeträgen anzusetzen:
a)bei Benutzung eines Kraftwagens 0,70 Deutsche Mark,
b)bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers 0,33 Deutsche Mark“
Mit diesen Kilometerpauschbeträgen waren nach der ständigen
Rechtsprechung des BFH dazu die normalen, voraussehbaren Kosten, die dem
Arbeitnehmer bei Benutzung des eigenen privaten PKW für berufliche Zwecke
entstehen, abgegolten. Deshalb konnten insbesondere Kraftfahrzeugsteuern,
Haftpflichtversicherungsprämien, übliche Reparaturkosten, Parkgebühren und
Absetzung für Abnutzung nicht neben den Kilometer-Pauschbeträgen als
Werbungskosten abgezogen werden. In den Pauschbeträgen waren indessen
nicht berücksichtigt Unfallkosten und sonstige Kosten, die ihrer Natur nach
außergewöhnlich sind und sich einer Pauschalierung entziehen (vgl. etwa BFH-
Urteile vom 29. Januar 1982 VI R 133/79, BStBl. II 1982, 325, m.w.N. betr.
Motorschaden; vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354 betr.
Kosten eines Chauffeurs; vom 21. August 2012 VIII R 33/09, BFH/NV 2013, 114
betr. Unfallkosten). Diese außergewöhnlichen Kosten waren daneben als
Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig.
Dieser Auffassung war auch die Finanzverwaltung gefolgt (siehe H 42 -
außergewöhnliche Kosten – LStH 2000).
(2) Durch das Gesetz zur Einführung der Entfernungspauschale erfolgte aus
umwelt- und verkehrspolitischen Gründen
ab dem Veranlagungszeitraum
2001
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie für Familienheimfahrten von
einem Kilometerpauschbetrag auf eine einheitliche verkehrsmittelunabhängige
Entfernungspauschale. Aus sozialen Erwägungen wurde die
Entfernungspauschale auf 0,80 DM angehoben, um die zusätzlichen
Belastungen der Kraftfahrzeugnutzer durch die erhöhten Treibstoffkosten
abzufedern (BT-Drucks. 14/4242 S. 5).
Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG lautete nun wie folgt:
„4. Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an
dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für
jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von
0,70 DM für die ersten 10 Kilometer und 0,80 DM für jeden weiteren Kilometer
anzusetzen, höchstens jedoch 10.000 DM; ein höherer Betrag als 10.000 DM ist
anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung
überlassenen Kraftwagen benutzt. … „
Zusätzlich wurden die Sätze 1 und 2 wie folgt in § 9 Abs. 2 EStG neu eingefügt:
„(2) Durch die Entfernungspauschalen sind sämtliche Aufwendungen
abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und durch
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die Familienheimfahrten veranlasst sind. Aufwendungen für die Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel können angesetzt werden, soweit sie den als
Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. …“
Nach dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Einführung einer
Entfernungspauschale war zunächst dem neuen § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nach
einem Semikolon angefügt worden:
„dies gilt auch für Aufwendungen in Folge eines Verkehrsunfalls.“
Nach der Begründung dieses Entwurfs sollten mit der Entfernungspauschale
sämtliche Aufwendungen, die durch die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte bzw. Familienheimfahrten veranlasst sind, abgegolten sein. Sie
sollte danach auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung sein, weil sie zukünftig
Rechtsstreitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über
die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten)und
außergewöhnlicher Kosten (z.B. Unfallkosten) bei den Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte und Familienheimfahrten vermeidet (vgl. BT-Drucks.
14/4242, S. 6).
Auf Empfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages wurde
jedoch später der zweite Halbsatz des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG im
Regierungsentwurf wieder gestrichen, „um eine Schlechterstellung von Pkw-
Nutzern gegenüber der ursprünglichen Regelung“ zu vermeiden (vgl. BT-
Drucks. 14/4631 S.11).
Diesem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragend hat die Finanzverwaltung
die Gesetzesfassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG so ausgelegt, dass zumindest
Unfallkosten als außergewöhnliche Kosten auch weiterhin neben der
Entfernungspauschale zu berücksichtigen sind (vgl. BMF 11. Dezember 2001 IV
C 5-S 2351-300/01, BStBl. I 2001, 994 Tz. 3).
(3) Im Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BStBl. I 2006, 432)
wurden
ab VZ 2007
Arbeitsstätte nicht mehr als Werbungskosten anerkannt. Diese Aufwendungen
wurden als Entfernungspauschale nur noch ab dem 20 km Entfernung „wie“
Werbungskosten berücksichtigt (vgl. § 9 Abs. 2 EStG in der Fassung des
StÄndG 2007).
In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BT-Drucks. 16/1545, 14 linke
Spalte 2. Absatz):
In den Beratungen zum Gesetz zur Einführung einer
Entfernungspauschale (BGBl. 2000 I S. 1918) ist zum Ausdruck gebracht
worden, dass neben der Entfernungspauschale weiterhin Unfallkosten als
außergewöhnliche Kosten berücksichtigt werden sollen
(Bundestagsdrucksache 14/4631), obwohl § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimmt,
dass mit der Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen für das
Zurücklegen der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für
Familienheimfahrten abgegolten sind. An dieser Ausnahmeregelung wird,
auch im Hinblick auf die Streichung der Sonderregelung für die Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel, nicht mehr festgehalten. Ab 2007 sollen auch
die Unfallkosten unter die Abgeltungswirkung fallen.
Gesetzesänderung soll die Ausnahmeregelung nach Textziffer 3 des BMF-
Schreibens vom 11. Dezember 2001 (BStBl I S. 994) aufgehoben werden.“
(4) Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2008
(2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210) die unter (3)
dargestellte Gesetzeslage für verfassungswidrig erklärt und vorläufig durch die
vor 2007 bestehende Regelungslage ersetzt hatte, führte der Gesetzgeber
durch das Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der
Entfernungspauschale die alte Gesetzeslage rückwirkend ab 2007 fort.
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Im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung heißt es unter anderem (BT-
Drucks. 16/12099 S. 6):
„Der wesentliche materielle Unterschied zu der vorläufigen Regelung des
Bundesverfassungsgerichts besteht darin, dass nach der Gesetzeslage 2006
– Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch abziehbar
sind, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen,
und
Unfallkosten als außergewöhnliche Aufwendungen nicht durch die
Entfernungspauschale abgegolten sind
…
„Durch die Entfernungspauschale sind weiterhin sämtliche Aufwendungen
abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger
Arbeitsstätte und Familienheimfahrten entstehen“
Entsprechend diesem gesetzgeberischen Willen lässt die Finanzverwaltung
Unfallkosten auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wieder als
außergewöhnliche Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zum
Werbungskostenabzug zu. Sonstige gewöhnliche (z.B. Parkkosten,
Finanzierungskosten, Versicherungsbeiträge, Beiträge für Kraftfahrerverbände)
oder außergewöhnliche Aufwendungen (z.B. Diebstahl, Motorschaden) sollen
aber von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst sein (so
BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 IV C 5 – S 2351/09/10002 – DOK
2012/11700915, FR 2013, 190 Tz. 4).
bb. Seit der Einführung der Entfernungspauschale ist die steuerliche Bewertung
der vorstehenden Gesetzesentwicklung im Hinblick auf die Frage der
Reichweite der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG umstritten.
(1) Soweit ersichtlich hatte sich der Bundesfinanzhof für Zeiträume ab VZ 2001
nicht mit Fällen der Abgeltungswirkung für außergewöhnliche Kosten für Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu befassen. Im Übrigen vertritt der
Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich aus
der Formulierung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 “zur Abgeltung … ist für jeden
Arbeitstag … anzusetzen“ unmissverständlich ergebe, dass der Abzugsbetrag
ungeachtet tatsächlich höherer oder niedriger Aufwendungen je Arbeitstag
berücksichtigt werde. Dies wird nach Auffassung des BFH zudem durch § 9
Abs. 2 Satz 1 EStG bestätigt. Danach greift die Abgeltungswirkung der
Entfernungspauschale auch dann ein, wenn wegen atypischer Dienstzeiten
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zweimal arbeitstäglich erfolgen.
Sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seien damit
abgegolten. Eine Einschränkung des Anwendungsbereiches im Wege einer
teleologischen Reduktion auf „normale“ oder „typische“ Arbeitsverhältnisse sei
nicht möglich. Der Gesetzgeber sei von Verfassungswegen nicht verpflichtet, für
atypische Dienstzeiten eine Ausnahme von der Abgeltungswirkung der
Entfernungspauschale vorzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. September
2003 VI B 101/03, BStBl. II 2003, 893 betreffend Abgeltungswirkung der
Entfernungspauschale bei einem Opernchorsänger; BFH-Beschluss vom 11.
September 2012 VI B 43/12, BFH/NV 2012, 2023). Im Urteil vom 15. April 2010
(VI R 20/08, BStBl. II 2010, 805) hat der BFH die Abgeltungsreichweite der
Entfernungspauschale insoweit präzisiert, als regelmäßig sämtliche mit dem
Betrieb des Fahrzeugs verbundenen Aufwendungen abgegolten sind. Diese
Abgeltungswirkung erfasse auch eine Leasingsonderzahlung. Dagegen ist nach
Auffassung des BFH der Abzug der Kosten für ein in der Semestergebühr
gegebenenfalls enthaltendes Semesterticket nicht von der Abgeltungswirkung
des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst, wenn die Entrichtung eines gegebenenfalls
in der Semestergebühr mitenthaltenen Betrags für ein Semesterticket auf einem
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anderen Veranlassungszusammenhang (z.B. der für das Studium erforderlichen
Erlangung des Studentenstatus) beruht (vgl. BFH-Urteil vom 22. September
2011 III R 38/08, BStBl. II 2012, 338).
(2) Die bislang mit der Rechtsproblematik befassten Finanzgerichte sind bis auf
eine Ausnahme (siehe unten) der Auffassung, dass durch außergewöhnliche
Ereignisse wie Diebstahl, Unfall oder Motorschaden verursachte Aufwendungen
nicht zusätzlich als Werbungskosten neben der Entfernungspauschale geltend
gemacht werden können (vgl. u.a. FG München, Urteil vom 21. April 2009 13 K
4357/07, juris, betr. Motorschaden aufgrund vorzeitigem Verschleiß; FG
Hamburg, Urteil vom 5. Juli 2006 1 K 4/06, EFG 2006, 1822 betr. auf der Fahrt
zur Arbeit gestohlener PKW; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010 4 K 1497/08,
EFG 2010, 1125 betr. Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit; Hessisches
Finanzgericht, Urteil vom 18. März 2005 8 K 4194/04, DStRE 2006, 258 betr.
Diebstahl eines Motorrollers; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Mai 2008 3 K
1699/05, DStRE 2008, 1498 betr. Kfz-Unfall).
Soweit ersichtlich, ist nur das FG Schleswig–Holstein (Urteil vom 30. September
2009 2 K 386/07, DStRE 2010, 147) der Auffassung, dass die
Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nur gewöhnliche Kosten
umfasst, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehen.
Danach könnten außergewöhnliche Kosten neben der Entfernungspauschale
abgezogen werden. Diese Auffassung stützt sich auf die ältere Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofes zur Rechtslage bis einschließlich VZ 2000. Im dortigen
Streitfall spielte dies jedoch keine Rolle, da die streitbefangenen
Mautgebühren als gewöhnliche Kosten angesehen und damit als mit der
Entfernungspauschale abgegolten gewertet wurden. Eine Auseinandersetzung
mit der bereits zur Zeit der Urteilsabfassung vielfachen entgegenstehenden FG-
Rechtsprechung zur Erfassung auch der außergewöhnlichen Kosten und dem
entgegenstehenden Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfolgte nicht.
Die übrige FG-Rechtsprechung stellt in erster Linie auf den Wortlaut des § 9
Abs. 2 Satz 1 EStG ab. Dieser eindeutige Wortlaut schließe die
Geltendmachung weiterer – auch außergewöhnlicher – Aufwendungen aus (vgl.
FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O., m.w.N.). Die frühere
Rechtsprechung des BFH, die neben den alten Kilometerbeträgen den Ansatz
außergewöhnlicher Aufwendungen gestattete, beziehe sich auf einen anderen
Gesetzestext und sei daher durch die Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
mit Wirkung ab dem 1. Januar 2001 überholt (so ausdrücklich FG München,
Urteil vom 21. April 2009, a.a.O.; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O.).
Durch die Entfernungspauschale seien nach der ausdrücklichen Bestimmung
und nach dem unmissverständlichen Wortsinn
sämtliche
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Diese der
Steuervereinfachung dienende Abgeltungswirkung habe angesichts des
Wortlaut
neben der Entfernungspauschale nicht mehr abziehbar seien. Neben dem
Wortsinn des § 9 Abs. 2. Satz 1 EStG spreche auch die Systematik des
Gesetzes dagegen, außergewöhnliche Kosten neben den Pauschalen für
abzugsfähig zu halten. Ausnahmen von der in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
geregelten umfassenden Abgeltungswirkung seien in § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3
EStG geregelt. Daraus werde deutlich, dass eine Ausnahme für
außergewöhnliche Kosten, wenn es denn eine geben sollte, dort bei den
weiteren Ausnahmen hätte geregelt werden können und müssen. Das sei
jedoch nicht geschehen, was auch jenseits des klaren Wortlauts dafür spreche,
dass es für außergewöhnliche Kosten keine Ausnahme geben solle (vgl.
Hessisches FG, Urteil vom 18. März 2005, a.a.O.).
Auch aus der
Entstehungsgeschichte
Auffassung der vorgenannten FG-Rechtsprechung nichts anderes ergeben.
Zwar ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, dass eine Schlechterstellung
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von PKW-Benutzern gegenüber der ursprünglichen Regelung nicht gewollt sei
(BT-Drucksache 14/4631, S.11). Da die Abgeltungswirkung nun aber
ausdrücklich gesetzlich verankert sei, liege die Schlussfolgerung nahe, dass
darüber hinausgehende Aufwendungen nicht mehr abziehbar sein sollen. Ein
möglicherweise bestehender anderweitiger Wille des Finanzausschusses helfe
nicht über den klaren Wortlauts des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG hinweg. Es seien
auch keine vernünftigen Gründe dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber
angesichts des klaren Wortlautes nicht das zum Ausdruck gebracht habe, was
er zum Ausdruck habe bringen wollen (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 18. März
2005, a.a.O.).
Die
Gesetzeshistorie
des Gesetzes widersprechenden Ergebnisses herangezogen werden. Das
Bundesverfassungsgericht habe wiederholt ausgesprochen, dass die
Gesetzesmaterialien mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern
herangezogen werden dürften, als sie auf einen objektiven Gesetzesinhalt
schließen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am
Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, könne bei der Interpretation nur insoweit
berücksichtigt werden, als er im Text Niederschlag gefunden habe. Die
Materialien dürften nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der
gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen.
Auch der BFH folge dieser Formel vom objektivierten Willen des Gesetzgebers.
Eine Auslegung gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut sei nur in einem
äußerst beschränkten Maße, und zwar dann zulässig, wenn die wortgetreue
Auslegung zu einem offenbar unrichtigen bzw. zu einem jeder wirtschaftlichen
Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde, dass dem Sinn und Zweck
der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufe (vgl. FG
Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O., unter Bezugnahme auf BFH-Urteil
vom 3. September 1999 I B 169/98, BFH/NV 2000, 42).
Nach Auffassung der bisherigen FG-Rechtsprechung bestätigt der objektivierte
Regelungswille, der in dem eindeutigen Wortlaut („sämtliche Aufwendungen“)
seinen Niederschlag gefunden habe, schließlich auch den
Sinn und Zweck
Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Sie diene dadurch
der Vereinfachung, dass grundsätzlich nur noch die Entfernung zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte und die Anzahl der Arbeitstage festgestellt werden
müsse. Dadurch entfalle für den Steuerpflichtigen das Erfordernis, seine
Aufwendungen zu belegen und für die Verwaltung eine diesbezügliche
Überprüfung. Sinn und Zweck der Einführung der Abgeltungswirkung in § 9 Abs.
2 Satz 1 EStG sollte nach den gesetzgeberischen Motiven auch die Vermeidung
zukünftiger Rechtsstreitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und dem Finanzamt
über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und
außergewöhnliche Kosten (z. B. Unfallkosten) bei den Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte sein (vgl. FG Münster, Urteil vom 19. Dezember
2012 11 K 1785/11 F, EFG 2013, 419, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 12/13
betr. sog. Dreiecksfahrten). Wenn jedoch eine derartige Typisierung zur
Verwaltungsvereinfachung vorgenommen werde, seien auch Unschärfen und
von dem typischen Geschehensablauf abweichende
Konstellationen hinzunehmen. Der Gesetzgeber dürfe sich im Übrigen
grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen
Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Der
Gesetzgeber habe vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und
deren Abwicklung einen Raum für generalisierende, typisierende und
pauschalierende Regelungen. Dabei fordere der Gleichheitssatz nicht eine
immer mehr individualisierende und spezialisierende Gesetzgebung, die letztlich
die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs gefährde. Es habe dem Gesetzgeber
auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) freigestanden,
für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte eine
typisierende Abgeltungsregelung zu treffen, auch wenn dadurch nicht in allen
Fällen die tatsächlich angefallenen Aufwendungen abgedeckt werden, selbst
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wenn es sich hierbei um nach der früheren Rechtslage berücksichtigungsfähige
außergewöhnliche Aufwendungen handele (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 18.
März 2005, a.a.O.).
Selbst
Unfallkosten
nach der FG-Rechtsprechung trotz großzügiger Handhabung durch die
Finanzverwaltung aus den vorstehenden Gründen nicht zum
Werbungskostenabzug zugelassen (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010
a.a.O.; möglicherweise anderer Auffassung: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.
Mai 2008 3 K 1699/05, DStRE 2008, 1498 betr. Anrechnung von
Entschädigungsleistungen der privaten Vollkaskoversicherung auf entstandene
Unfallkosten).
(3) Die Auffassungen zum Umfang der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG sind in der steuerrechtlichen Literatur geteilt.
(a) Teilweise wird ausgehend vom Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG und dem
Fehlen einer Abgeltungsregelung bis 2001 geschlossen, dass über die
Entfernungspauschale hinaus ein Abzug auch außergewöhnlicher
Aufwendungen unter Berufung auf die Grundvorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG nicht möglich ist (so u.a. Bergkemper in Hermann/Heuer/Raupach,
Kommentar zum EStG/KStG, § 9 Anm. 641; ders., FR 2011, 288, 289; Zimmer in
Littmann/Bitz/Pust, Kommentar zum EStG, Stand Febr. 2013, 98 Erg. Lfg., § 9
Rz. 901; Urban, FR 2011, 289; Kettler, DStZ 2002, 677; Fuchsen, StB 2001,
122). Dies bedeute eine Schlechterstellung gegenüber der bis 2000 geltenden
Rechtspraxis. Die Systematik (andere Ausnahmen sind explizit im Gesetz
aufgeführt) und der Regelungszweck (Steuervereinfachung) werden zudem als
Begründung angeführt. Die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG sei nicht entscheidend, weil es bei der Auslegung eines Gesetzes in erster
Linie nicht auf den historischen, sondern einen objektivierten Willen des
Gesetzgebers ankomme (so ausdrücklich Zimmer, a.a.O.).
(b) Ein anderer Teil, insbesondere der Kommentarliteratur, ist dagegen der
Auffassung, dass auch nach Einführung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
Aufwendungen, die ihrer Natur durch außergewöhnliche, nicht pauschalierbare
Ereignisse entstehen, neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen sind
(so Thürmer in: Blümich, Kommentar zum EStG/KStG/GewStG, § 9 EStG Rz.
510; Schmidt/Drenseck, EStG, 30. Auflage 2011, § 9 Rz. 126;
Schmidt/Loschelder, EStG, 32. Auflage 2013, § 9 Rz. 126 jeweils unter Berufung
auf BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354;
Frotscher, EStG-Kommentar, § 9 Rz. 148; v. Bornhaupt in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG-Kommentar, § 9 Rdnr. F90 ff.). Ungewöhnliche
Kosten führten zu einer ungleichen Belastung des Steuerpflichtigen und
müssten daher neben der Entfernungspauschale ansetzbar sein (so Frotscher,
a.a.O.). Zudem werden die Gesetzesmaterialien zur Begründung herangezogen
(so v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.).
cc. Nach der Überzeugung des Senats werden die streitbefangenen
Reparaturkosten als außergewöhnliche Kosten entgegen der von den
vorgenannten Finanzgerichten und einem Teil der steuerrechtlichen Literatur
vertretenen Auffassung nicht von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG erfasst.
(1) Zunächst ist den Vertretern der gegenteiligen Auffassung zuzugestehen,
dass der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG („sämtliche Aufwendungen“)
scheinbar eine vom Senat vorgenommene Auslegung nicht zulässt (so wohl u.a.
Bergkemper in Hermann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Anm. 641; ders. FR 2011,
288, 289; Urban, FR 2011, 289). Maßgebend für die Interpretation einer
gesetzlichen Vorschrift ist aber nicht nur der reine Wortlaut, sondern
entscheidend ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des
Gesetzgebers (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BFHE 231,
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544, BStBl II 2011, 277). Der Feststellung dieses Willens dienen die Auslegung
aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem
Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische
Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien (vgl. hierzu Kanzler, FR 2007,
525) und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Zur Erfassung
des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen
Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (vgl. BFH-Urteil
vom 21. Oktober 2010, a.a.O.; Geserich, Beihefter zu DStR Heft 31/2011, 59).
Gegen den Wortlaut ist die Auslegung eines Gesetzes deshalb nur
ausnahmsweise möglich, wenn nämlich die wortgetreue Auslegung zu einem
sinnwidrigen (offenbar unrichtigen bzw. zu einem jeder wirtschaftlichen Vernunft
widersprechenden, so unverständlichen Ergebnis führen würde, dass ein
verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so hätte auffassen können)
Ergebnis führt, dass vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt sein
kann, oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden, etwa eine
verfassungskonforme Auslegung, dies verlangen (Geserich, a.a.O., m.w.N.).
Aus Sicht des Senats wird der objektivierte Wille des Gesetzgebers in Bezug auf
die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nur im Zusammenhang mit der
historischen Gesetzesentwicklung und der diesbezüglichen
Gesetzesbegründung deutlich. Wie bereits unter 1. b. aa. oben dargestellt
wurde, waren zunächst bis zum Jahr 2000 mit den unterschiedlichen
Kilometerpauschsätzen für Kraftwagen bzw. Motorräder oder Motorroller
lediglich die normalen, voraussehbaren Kosten, die dem Arbeitnehmer bei der
Benutzung der Verkehrsmittel für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
entstehen, abgegolten. Ausnahmsweise ließ das Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 EStG a.F. auch mehrmalige Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
an einem Arbeitstag zum Werbungskostenabzug zu. Außergewöhnliche Kosten,
die ihrer Natur nach einer Pauschalierung nicht zugänglich waren (z.B.
Motorschaden, Unfallkosten und Ähnliches), waren daneben entsprechend der
langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als Werbungskosten gem. § 9
Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig. Mit der Gesetzesänderung ab dem
Veranlagungszeitraum 2001 und der Einführung der einheitlichen,
verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale wollte der Gesetzgeber mit
der erstmaligen Einführung einer Abgeltungswirkung in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
offensichtlich eine Steuervereinfachung erzielen, und zwar zunächst im Hinblick
auf die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen
und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten
für Abholfahrten) und außergewöhnliche Kosten (z.B. Unfallkosten) bei Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (BT-Drucks. 14/4242, Seite 6). Im Entwurf
der Bundesregierung enthielt § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG insoweit jedoch nach dem
Semikolon den Nachsatz „dies gilt auch für Aufwendungen in Folge eines
Verkehrsunfalls“. Ausweislich der vorgenannten Gesetzesbegründung ist klar
zum Ausdruck gekommen, dass die Unfallkosten lediglich als Beispiel für
außergewöhnliche Wegekosten gemeint sind. Um eine Schlechterstellung
gegenüber der vorgenannten Rechtslage bis einschließlich VZ 2000 zu
vermeiden, wurde dieser Nachsatz schließlich in der endgültigen
Gesetzesfassung wieder weggelassen. Dadurch hat der Gesetzgeber in
objektivierbarer Weise zum Ausdruck gebracht, dass mit dem schließlich Gesetz
gewordenen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG – anders als zunächst
beabsichtigt – außergewöhnliche Kosten wie Unfallkosten nicht von der
Abgeltungswirkung erfasst werden sollen. Anders wäre nicht erklärlich, warum
der Gesetzgeber in der Ausgangsfassung des Regierungsentwurfes die
Notwendigkeit gesehen hatte, die Unfallkosten ausdrücklich in die Umfang der
Abgeltungswirkung mit aufzunehmen. Diesen Willen des Gesetzgebers
entsprechend hat auch das maßgeblich an Gesetzesvorhaben beteiligte
Bundesfinanzministerium gehandelt und zumindest Unfallkosten als
außergewöhnliche Kosten auch weiterhin neben der Entfernungspauschale
berücksichtigt. So gesehen ist auch nicht verwunderlich, dass der
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entgegenstehende Wortlaut der Regelung aus Kreisen der Finanzverwaltung als
offensichtliches Redaktionsversehen dargestellt wird (vgl. Morsch, DStR 2001,
245). Danach war eine derartige Ausweitung der Abzugsbeschränkung vom
Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigt.
Das wird auch dadurch erkennbar, dass bei der Bemessung der
Entfernungspauschale der Höhe nach der Gesetzgeber – gegenüber der bis VZ
2000 geltenden Kilometerpauschale – lediglich eine Steigerung der
Benzinkosten berücksichtigt hat. Eine Einrechnung eines Betrags für
außergewöhnliche Kosten hat – zutreffender Weise (weil nicht
pauschalierungsfähig) – gar nicht stattgefunden.
Zweifel an diesem objektivierten Willen des Gesetzgebers, der in verunglückter
Weise scheinbar im Wortlaut keinen klaren und eindeutigen Niederschlag
gefunden hat, können aus Sicht des Senates nicht bestehen, denn der
Gesetzgeber hat in mehrfacher Weise bei späteren Gesetzesänderungen in den
Begründungen zum Ausdruck gebracht, dass weiterhin außergewöhnliche
Kosten für Wege zwischen Wohnung und Arbeit abzugsfähig sein sollen (so z.B.
in der Gesetzesbegründung zum Steueränderungsgesetz 2007, BT-Drucks.
16/1545, 14). Ab dem VZ 2007 sollten ausdrücklich auch die Unfallkosten unter
die Abgeltungswirkung fallen.
Noch deutlicher wird dieser objektivierte Wille in der Gesetzesbegründung zum
Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale
(BT-Drucksache 16/12099, Seite 6). Hier führt der Gesetzgeber weiterhin aus,
dass bis 2006 und auch zukünftig Unfallkosten als außergewöhnliche
Aufwendungen nicht durch die Entfernungspauschale abgegolten sind. Durch
die Entfernungspauschale sollen weiterhin sämtliche Aufwendungen abgegolten
werden, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte
und Familienfahrten entstehen. Dies kann (bei gleichzeitiger Geltung des
unveränderten Wortlauts „sämtliche Aufwendungen“) nur so verstanden werden,
dass nach dem Willen des Gesetzgebers die üblichen, normalen, einer
Pauschalierung zugänglichen Aufwendungen abgegolten sein sollen, nicht
jedoch außergewöhnliche Kfz-Kosten wie z.B. Unfallkosten. So hat auch das
Bundesfinanzministerium die aktuelle Gesetzesfassung – bezogen auf die
Unfallkosten - im BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 (FR 2013, 190 Tz. 4)
ausgelegt.
Im Ergebnis gebieten die vorgenannten Gesetzesentwicklungen und –
begründungen aus Sicht des Senates zwingend eine Auslegung dahingehend,
dass außergewöhnliche Aufwendungen nicht mit der Entfernungspauschale
abgegolten sind.
Sinn und Zweck und Systematik des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG stehen dem nicht
entgegen. Wie die Entscheidungen des BFH und der Finanzgerichte im
Anschluss an die Gesetzesänderung im Jahr 2001 zeigen, bleibt der
Steuervereinfachungszweck des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erhalten. Dies gilt
sowohl hinsichtlich sämtlicher laufenden Kfz-Kosten als auch hinsichtlich der
Problematik von Mehrfach-, Umweg-, Dreiecks- oder Abholfahrten.
Aus systematischer Sicht vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die
Gesetzessystematik dem gefundenen Auslegungsergebnis widerspricht. Allein
aus der Aufnahme weiterer tatsächlich neben der Entfernungspauschale zu
berücksichtigender Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kann
nicht geschlossen werden, dass alle anderen Kosten vom
Werbungskostenabzug ausgeschlossen sein sollen.
(2) Obwohl für den Senat nicht bindend, hat die Finanzverwaltung den Umfang
der Abgeltungswirkung in ähnlicher Weise interpretiert, insbesondere
ausgehend ebenfalls von der Gesetzeshistorie und der Gesetzesbegründung,
jedoch beschränkt auf die Unfallkosten. Entgegen der Auffassung des Klägers
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kann der Senat jedoch nicht prüfen, ob die im vorliegenden Streitfall relevanten
Reparaturkosten unfallkostenähnlich sind und der Kläger aus diesem Grund
ebenfalls in den für ihn sachlichen Anwendungsbereich des BMF-Schreibens
vom 3. Januar 2013 gelangt. Norminterpretierende oder typisierende
Verwaltungsvorschriften oder BMF-Schreiben mit materiell-rechtlichem Inhalt
dürfen durch die Gerichte weder wie Gesetze ausgelegt noch verändert werden
(BFH-Beschluss vom 15. März 2011 VI B 145/10, BFH/NV 2011, 983).
Für eine solche Beschränkung der Abzugsfähigkeit außergewöhnlicher
Wegekosten im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG auf Unfallkosten ergeben
sich für den Senat dagegen auch keinerlei Anhaltspunkte im Gesetz oder der
Steuerrechtsprechung. Nach der Terminologie des EStG sind Unfallkosten keine
eigenständige Kategorie von Erwerbsaufwendungen, die einer gesonderten
steuerlichen Behandlung zugänglich wären. Sie stellen vielmehr – so schon die
BFH-Rechtsprechung für VZ bis 2000 – eine (wenn auch die wohl
praxisrelevanteste) Fallgruppe der außergewöhnlichen Wegekosten dar, die
nicht vorhersehbar und für den Steuerpflichtigen unabwendbar sind (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 28. Oktober 1994 VI R 54/94, BFH/NV 1995, 668).
Diese Rechtsauffassung wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung des
Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale.
Hier heißt es in der Begründung zur Ausgangsfassung des § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG (vgl. BT-Drucks. 14/4242, S. 6) wörtlich:
„Sie ist deshalb auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung, weil sie zukünftig
Rechtsstreitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über
die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und
außergewöhnlicher Kosten (z.B. Unfallkosten)
Wohnung und Arbeitsstätte und Familienheimfahrten vermeidet.“
(3) Da die streitbefangenen Reparaturkosten unstreitig Werbungskosten gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen (s.o.), würde bei einer durch die bisherigen
FG-Rechtsprechung vorgenommenen (einschränkenden) Auslegung ansonsten
§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in seiner Wirkung einem Abzugsverbot für
Werbungskosten gleichkommen (vgl. z.B. zur Verfassungswidrigkeit des
Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG: FG Baden-Württemberg, Urteil vom
17. Dezember 2012 9 K 1637/10, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 13/13; zur
Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbots des § 9 Abs. 6 EStG siehe
Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Anm. 711 u. Kreft in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Anm. 9). Ein damit einhergehender
Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip wäre jedoch nicht gerechtfertigt.
Die vom Gesetzgeber (einzig) angeführten Vereinfachungszwecke können
lediglich eine geringfügige Mehrbelastung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 12. Oktober 2010 1 BvR 12/07, BVerfGE 127, 224 unter D.III.3.b.dd. der
Entscheidungsgründe). Ein Ausschluss aller außergewöhnlichen Wegekosten
vom Werbungskostenabzug verlässt diesen dem Gesetzgeber eröffneten
Rahmen jedoch deutlich. Die Fälle von Aufwendungen in Folge von Unfall,
Diebstahl oder Motorschaden auf dem Weg zur Arbeitsstelle erscheinen dem
Senat zum einen nicht vernachlässigbar gering. Zum anderen hätte der
Gesetzgeber nicht in ausreichendem Maße dargelegt, dass es sich nur um eine
kleine Zahl von Fällen handelt, die im Rahmen einer Pauschalierung aufgehen
kann. Eine entsprechende Erhebung hierzu ist dem Senat jedenfalls nicht
bekannt.
Außerdem tritt durch eine Einbeziehung der außergewöhnlichen Wegekosten in
die Abgeltungswirkung ein großer Vereinfachungseffekt nicht ein. Die
außergewöhnlichen Wegekosten beruhen auf einem besonderen, isolierten
Ereignis. Deshalb sind die Kosten in aller Regel leicht von den übrigen
laufenden Kfz-Kosten zu trennen. Nur der einheitliche berufliche Anlass – die
Fahrt zur Arbeitsstelle - verbindet die laufenden mit den außergewöhnlichen
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Kosten.
Auch unter diesem Aspekt kann § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in
verfassungskonformer Weise daher über den scheinbar klaren Wortlaut der
Vorschrift hinaus nur so ausgelegt werden, dass lediglich laufende Kfz- und
Wegekosten, die grundsätzlich einer Pauschalierung zugänglich sind, von der
Abgeltungswirkung erfasst werden.
Im Ergebnis folgt der Senat in diesem Punkt der Auffassung von Frotscher (ESt-
Kommentar, § 9 Rz. 148), der ebenfalls in einer Einbeziehung
außergewöhnlicher Kosten in die Pauschalierung einen Verstoß gegen das
Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sieht.
Danach belasten ungewöhnliche Kosten die Steuerpflichtigen ungleich und
müssen daher als Einzelkosten neben der Pauschale angesetzt werden.
(4) Für die vorgenommene Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG spricht nach
Überzeugung des Senats auch, dass für den Fall, dass der Gesetzgeber
tatsächlich eine Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Wegekosten und damit
eine Schlechterstellung gegenüber der jahrzehntelang bestehenden BFH-
Rechtsprechung gewollt hätte, dies deutlich entweder im Gesetz selber (wie
zunächst beabsichtigt durch den Nachsatz) oder zumindest in der
Gesetzesbegründung hätte zum Ausdruck gebracht müssen werden. Das
Gegenteil ist der Fall. Objektiv erkennbar ist das in den Gesetzesbegründungen
der Folgeänderungen bewusst nicht geschehen, da sich der Gesetzgeber
vielmehr für den Erhalt der Abzugsfähigkeit der Unfallkosten als Teil der
außergewöhnlichen Kosten ausgesprochen hat.
Nach alledem hat die Klage in vollem Umfang Erfolg.
Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2010 wird dem
beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Finanzgerichtsordnung
(FGO) übertragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3
FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des
Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO). Im Rahmen des
Revisionsverfahrens hätte der BFH die Möglichkeit, den derzeitigen, aus Sicht
des Senats unhaltbaren Rechtszustand zu beenden und für Rechtsklarheit zu
sorgen. Nach aktueller Rechtslage entscheidet die Finanzverwaltung (über den
Wortlaut hinweg) nach eigenem, nicht überprüfbaren und nicht justiziablen
Ermessen, welche Reparaturkosten über den Begriff „Unfallkosten“ als
außergewöhnliche Wegekosten abzugsfähig sind und welche nicht.