Urteil des FG Münster vom 05.07.2005

FG Münster: ausländische gesellschaft, einkünfte, belgien, eugh, betriebsstätte, niederlassungsfreiheit, beschränkung, nahe stehende person, gesellschafter, zwischengesellschaft

Finanzgericht Münster, 15 K 1114/99 F,EW
Datum:
05.07.2005
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 K 1114/99 F,EW
Tenor:
I.) Das Klageverfahren wird ausgesetzt.
II.) Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wird gemäß Artikel 234 Abs.
2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG)
folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Widerspricht es den Bestimmungen in Art. 52 EG-Vertrag (EGV), jetzt
Art. 43 EG, und in Art. 73 b bis 73 d EGV, jetzt Art. 56 bis 58 EG, wenn
die Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 des Außensteuergesetzes
(AStG) in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs- und
Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 (BGBl 1993 I, S. 2310) die
Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter in der ausländischen Betriebsstätte
eines im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen, die als
Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären, falls die Betriebsstätte eine
ausländische Gesellschaft wäre, entgegen dem
Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Belgien vom 11.04.1967 nicht durch
Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung, sondern
durch Anrechnung der auf die Einkünfte erhobenen ausländischen
Ertragsteuer von der Doppelbesteuerung befreien?
Gründe:
1
I.
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Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung
sowie einer Festsetzung des Einheitswertes des Betriebsvermögens gemäß § 20 Abs. 2
und Abs. 3 Außensteuergesetz (AStG) in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs-
und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 (BGBl 1993 I, S. 2310).
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§ 20 Abs. 2 AStG lautet:
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"Fallen Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 2 in der
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ausländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen an und wären sie als
Zwischeneinkünfte steuerpflichtig, falls diese Betriebsstätte eine ausländische
Gesellschaft wäre, ist insoweit die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern
durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern zu
vermeiden."
§ 20 Abs. 3 AStG lautet:
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"In den Fällen des Absatzes 2 ist bei Vermögen, das Einkünften mit
Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 zugrunde liegt, die
Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf dieses
Vermögen erhobenen ausländischen Steuern zu vermeiden. ..."
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§ 10 Abs. 6 AStG lautet:
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"Absatz 5 gilt nicht, soweit im Hinzurechnungsbetrag Zwischeneinkünfte mit
Kapitalanlagecharakter enthalten sind und die ihnen zugrunde liegenden Bruttoerträge
mehr als 10 vom Hundert der den gesamten Zwischeneinkünften zugrunde liegenden
Bruttoerträgen der ausländischen Zwischengesellschaft betragen oder die bei einer
Zwischengesellschaft oder bei einem Steuerpflichtigen hiernach außer Ansatz zu
lassende Beträge insgesamt 120.000 DM übersteigen;... Zwischeneinkünfte mit
Kapitalanlagecharakter sind Einkünfte der ausländischen Zwischengesellschaft, die aus
dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln,
Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen oder ähnlichen Vermögenswerten stammen,
es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass sie
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1. aus einer Tätigkeit stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 fallenden
eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dient, ausgenommen
Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Kreditwesengesetzes,
2. aus Gesellschaften stammen, an denen die ausländische Zwischengesellschaft zu
mindestens einem Zehntel beteiligt ist, oder
3. einem nach dem Maßstab des § 1 angemessenen Teil der Einkünfte entsprechen,
der auf die von der ausländischen Zwischengesellschaft erbrachten Dienstleistung
entfällt.
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Soweit im Hinzurechnungsbetrag Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter
enthalten sind, für die der Steuerpflichtige nachweist, dass sie aus der Finanzierung von
ausländischen Betriebsstätten oder ausländischen Gesellschaften stammen, die in dem
Wirtschaftsjahr, für das die ausländische Zwischengesellschaft diese
Zwischeneinkünfte bezogen hat, ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast
ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 fallenden Tätigkeiten oder aus unter § 8
Abs. 2 fallenden Beteiligungen beziehen und zu demselben Konzern gehören wie die
ausländische Zwischengesellschaft, ist Satz 1 nur für den Teil des
Hinzurechnungsbetrages anzuwenden, dem 60 vom Hundert dieser Zwischeneinkünfte
zugrunde liegen."
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§ 8 Abs. 1 AStG lautet:
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"Eine ausländische Gesellschaft ist Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer
niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht stammen aus:
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1. der Land- und Forstwirtschaft,
2. der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Montage von Sachen, der
Erzeugung von Energie sowie dem Aufsuchen und der Gewinnung von
Bodenschätzen,
3. dem Betrieb von Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen, die für ihre
Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhalten, es sei
denn, die Geschäfte werden überwiegend mit unbeschränkt Steuerpflichtigen, die
nach § 7 an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind, oder solchen
Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 2 nahestehenden Personen betrieben,
4. dem Handel, soweit nicht
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a) ein unbeschränkt Steuerpflichtiger, der gemäß § 7 an der ausländischen
Gesellschaft beteiligt ist, oder eine einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne des §
1 Abs. 2 nahe stehende Person, die gehandelten Güter oder Waren aus dem
Geltungsbereich dieses Gesetzes an die ausländische Gesellschaft liefert, oder
b) die Güter oder Waren von der ausländischen Gesellschaft in den Geltungsbereich
dieses Gesetzes an einen solchen Steuerpflichtigen oder eine solche
nahestehende Person geliefert werden,
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es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass die ausländische Gesellschaft
einen für derartige Handelsgeschäfte in kaufmännischer Weise eingerichteten
Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält
und die zur Vorbereitung, dem Abschluss und der Ausführung der Geschäfte
gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung eines solchen Steuerpflichtigen oder einer
solchen nahe stehenden Person ausübt,
5. Dienstleistungen, soweit nicht
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a) die ausländische Gesellschaft für die Dienstleistung sich eines unbeschränkt
Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen
Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 2 nahestehenden Person bedient, die mit
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ihren Einkünften aus der von ihr beigetragenen Leistung im Geltungsbereich dieses
Gesetzes steuerpflichtig ist,
oder
b) die ausländische Gesellschaft die Dienstleistung einem solchen Steuerpflichtigen
oder einer solchen nahestehenden Person erbringt, es sei denn, der
Steuerpflichtige weist nach, dass die ausländische Gesellschaft einen für das
Bewirken derartiger Dienstleistungen eingerichteten Geschäftsbetrieb unter
Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und die zu der
Dienstleistung gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung eines solchen
Steuerpflichtigen oder einer solchen nahestehenden Person ausübt,
6. der Vermietung und Verpachtung, ausgenommen
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a) die Überlassung der Nutzung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren,
Erfahrungen und Kenntnissen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass
die ausländische Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- oder
Entwicklungsarbeit auswertet, die ohne Mitwirkung eines Steuerpflichtigen, der
gemäß § 7 an der Gesellschaft beteiligt ist, oder einer einem solchen
Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 2 nahestehenden Person unternommen
worden ist,
b) die Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken, es sei denn, der
Steuerpflichtige weist nach, dass die Einkünfte daraus nach einem Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerbefreit wären, wenn sie von den
unbeschränkt Steuerpflichtigen, die gemäß § 7 an der ausländischen Gesellschaft
beteiligt sind, unmittelbar bezogen worden wären, und
c) die Vermietung oder Verpachtung von beweglichen Sachen, es sei denn, der
Steuerpflichtige weist nach, dass die ausländische Gesellschaft einen
Geschäftsbetrieb gewerbsmäßiger Vermietung oder Verpachtung unter Teilnahme
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und alle zu einer solchen
gewerbsmäßigen Vermietung oder Verpachtung gehörenden Tätigkeiten ohne
Mitwirkung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist,
oder einer einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 2 nahestehenden
Person ausübt,
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7. der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital, für das der
Steuerpflichtige nachweist, dass es ausschließlich auf ausländischen
Kapitalmärkten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft
nahestehenden Person im Sinne des § 1 Abs. 2 aufgenommen und außerhalb des
Geltungsbereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten, die
ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter die Nummern 1
bis 6 fallenden Tätigkeiten beziehen, oder innerhalb des Geltungsbereichs dieses
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Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wird."
§ 8 Abs. 2 AStG lautet:
"Eine ausländische Gesellschaft ist nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte aus
einer Beteiligung an einer anderen ausländischen Gesellschaft, an deren
Nennkapital sie mindestens zu einem Viertel unmittelbar beteiligt ist, wenn die
Beteiligung ununterbrochen seit mindestens zwölf Monaten vor dem für die
Ermittlung des Gewinns maßgebenden Abschlussstichtag besteht und wenn der
Steuerpflichtige nachweist, dass 1. diese Gesellschaft Geschäftsleitung und Sitz in
demselben Staat wie die aus- ländische Gesellschaft hat und ihre Bruttoerträge
ausschließlich oder fast aus- schließlich aus den unter Absatz 1 Nr. 1 bis 6 fallenden
Tätigkeiten bezieht oder 2. die ausländische Gesellschaft die Beteiligung in
wirtschaftlichem Zusammen- hang mit eigenen unter Absatz 1 Nr. 1 bis 6 fallenden
Tätigkeiten hält und die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, ihre
Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus solchen Tätigkeiten
bezieht."
§ 8 Abs. 3 AStG lautet:
"Eine niedrige Besteuerung im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn die Einkünfte
weder im Staat der Geschäftsleitung noch im Staat des Sitzes der ausländischen
Gesellschaft einer Belastung durch Ertragsteuern von 30 vom Hundert oder mehr
unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen
beruht, oder wenn die danach in Betracht zu ziehende Steuer nach dem Recht des
betreffenden Staates um Steuern gemindert wird, die die Gesellschaft, von der die
Einkünfte stammen, zu tragen hat...."
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Die Klägerin (Klin.) wurde am 28.04.1989 laut Art. 1 des Gesellschaftsvertrages in Form
einer Kommanditgesellschaft unter der Firma "......................................... B.V.B.A. & Co
Comm.V." gegründet und im Jahr 1991 in "........................ Services B.V.B.A. & Co
Comm.V." umbenannt. Sie war im Streitjahr in A-Stadt (B) in Belgien ansässig und
wurde als "Commanditaire Vennootschap" (nachfolgend Comm.V.) ins Handelsregister
A-Stadt (B) eingetragen. Beteiligte der laut Art. 5 des Gesellschaftsvertrages mit einem
Kapital von 3 Milliarden 150 Millionen Belgische Franken ausgestatteten Klin. waren im
Streitjahr als Komplementärin die in A-Stadt (B) ansässige ................. B.V.B.A. mit einem
Kapitalanteil von 0 % und als Kommanditisten die im Inland ansässige X............................
KG mit einem Anteil von 20 % sowie jeweils mit einem Anteil von 10 % Frau B1, Frau
B2, Herr B3, Herr B4, Herr B5, Herr B6, Herr B7 und Frau B8. Laut Art. 3 des
Gesellschaftsvertrages ist Geschäftszweck der Klin. die Koordination der Aktivitäten der
Y......-Gruppe und umfasst die Zentralisierung der finanziellen Transaktionen und die
Finanzierung der Liquidität der Tochtergesellschaften oder der Zweigniederlassungen,
die Zentralisierung und Koordination der Buchführung sowie von Verwaltungsaufgaben
und der elektronischen Datenverarbeitung, das Sammeln und Verteilen der
Informationen, den Kontakt mit nationalen und internationalen Organisationen und die
Zentralisierung sowie Koordination der Werbe- und Marketingaktivitäten.
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Die belgische Steuerverwaltung behandelte die Klin. für ertragsteuerliche Zwecke als
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Kapitalgesellschaft im Sinne des belgischen Rechts und darüber hinaus als
"Coordination Centre" im Sinne des Königlichen Erlasses Nr. 187 vom 30.12.1982
(Arrete Royal 187, veröffentlicht im Moniteur Belge vom 13.01.1983). Nach diesem
Erlass bildete für die Ertragsbesteuerung in Belgien nicht der vom "Coordination Centre"
tatsächlich erwirtschaftete Gewinn im Sinne des deutschen Steuerrechts, sondern ein
nach der Kostenaufschlagmethode ermittelter Gewinn die steuerliche
Bemessungsgrundlage, so dass die Klin. im Streitjahr 1996 in Belgien mit weniger als
30 % des tatsächlich erzielten Gewinns besteuert wurde. Das beklagte Finanzamt (FA)
behandelte die Klin. als Personengesellschaft. Unter Bezug auf die Regelung in § 20
Abs. 2 AStG in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs- und
Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 stellte es für die Gesellschafter der Klin.
mit gesondertem und einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid 1996 vom 08.06.1998
von der Klin. in Belgien erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 8.044.619 DM und
sonstige Einkünfte von 53.477 DM fest. Nur letztere qualifizierte das FA als steuerfrei,
aber als dem Progressionsvorbehalt unterliegend. Den Gewinn von 8.044.619 DM
besteuerte es dagegen voll, allerdings unter Anrechnung der darauf in Belgien
entfallenden Steuer. Durch Bescheid vom 16.06.1998 stellte das FA außerdem nach §
20 Abs. 3 AStG für vermögenssteuerliche Zwecke den Einheitswert des
Betriebsvermögens der Klin. auf den 01.01.1996 fest. In den Vorjahren hatte das FA die
von der Klin. in Belgien erzielten Einkünfte nach dem zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Belgien abgeschlossenen
Doppelbesteuerungsabkommen vom 11.04.1967 (BGBl 1969 II, S. 18) (im folgenden
DBA-Belgien) unter Progressionsvorbehalt in vollem Umfang von der inländischen
Besteuerung freigestellt.
Die Klin. legte gegen die Bescheide mit der Begründung Einspruch ein, die Regelungen
in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG verstießen gegen den Vertrag zur Gründung der
Europäischen Union bzw. gegen den Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft, weil die deutschen Steuervorschriften die Niederlassungsfreiheit der
Gesellschafter der Klin. in der Europäischen Gemeinschaft verletzten. Durch
Einspruchsentscheidung (EE) vom 03.02.1999 wies das FA die Einsprüche als
unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung war der deutsche Gesetzgeber berechtigt,
die in Belgien für "Coordination Centre" geltenden Steuervergünstigungen bezüglich
der Besteuerung in Deutschland zu relativieren, indem er die im DBA-Belgien
festgelegte Freistellungsmethode durch die Anrechnungsmethode ersetzte. Deshalb
habe er durch das Steueränderungsgesetz 1992 vom 25.02.1992 (in BGBl 1992 I, S.
297) § 10 AStG um einen Absatz 6 ergänzt und § 20 AStG für die Einkünfte mit
Kapitalanlagecharakter zu dem Zwecke neu gefasst, ein missbräuchliches Unterlaufen
der inländischen Steuerpflicht durch eine Berufung auf das jeweils einschlägige
Doppelbesteuerungsabkommen, im Streitfall das DBA-Belgien, zu verhindern. Das FA
verwies dazu auf den Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom
01.11.1991 (Bundestagsdrucksache 12/1506), in dem es zu Art. 13 des Gesetzentwurfes
- Änderung des § 20 des Außensteuergesetzes - u.a. heißt: "Diese Regelung kann
umgangen werden, indem zur Umqualifizierung nicht ausländische Gesellschaften,
sondern ausländische Betriebsstätten (einschließlich Personengesellschaften)
eingesetzt werden. Ein solches missbräuchliches Unterlaufen unter Berufung auf
Doppelbesteuerungsabkommen schließt § 20 Abs. 2 AStG aus; dies folgt aus dem
Grundsatz, dass Abkommen nicht missbräuchlich beansprucht werden können. Im
Bereich der Vermögensteuer ist eine Zugriffsbesteuerung nicht vorgesehen. Auch auf
diesem Gebiet kann jedoch eine Umqualifizierung von Kapitalvermögen in steuerfreie
Beteiligungen nicht hingenommen werden. Deshalb sieht § 20 Abs. 3 AStG für das den
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Einkünften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegende Vermögen der
Betriebsstätte......ebenso einen solchen Methodenwechsel vor."
Hiergegen richtet sich die Klage mit folgender Begründung: Nach § 20 Abs. 2 AStG in
Verbindung mit § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs-
und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 seien ausländische Einkünfte mit
Kapitalanlagecharakter ganz oder teilweise unter Anwendung der
Anrechnungsmethode in der Bundesrepublik steuerpflichtig. Die Regelungen in § 20
Abs. 1 und Abs. 2 AStG konkretisierten keinen allgemeinen völkerrechtlichen
Umgehungsvorbehalt unter dem Gesichtspunkt eines innerhalb des einschlägigen DBA-
Belgien durchgeführten "rule shoppings". Der Gesetzgeber sehe in § 20 Abs. 1 und 2
AStG nicht die vom Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung, sondern die Anwendung der
im DBA-Belgien festgelegte Freistellungsmethode als unangemessen an. Somit
schreibe § 20 AStG nicht eine inländische Besteuerung auf der Grundlage einer
angemessenen Rechtsgestaltung vor, sondern verändere steuerverschärfend die
Besteuerungsmethode. § 20 AStG stelle einen Eingriff in die als ein allgemeines
Beschränkungsverbot verstandene Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 EGV, jetzt Art.
43 EG, dar. Der Eingriff erfolge durch eine unzulässige Beschränkung der Gründung
von Tochtergesellschaften bzw. Betriebsstätten durch die in einem Mitgliedsstaat, hier
Deutschland, ansässigen und im Herkunftsland unbeschränkt steuerpflichtigen
Personen in einem anderen Mitgliedsstaat, hier Belgien. Wer sich mittels Gründung
einer Tochtergesellschaft bzw. Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedsstaat
niederlassen könne, der könne sich auch gegenüber seinem Herkunftsstaat auf Art. 52
EGV berufen, wenn er sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu seinem
Herkunftsland in einer Rechtsbeziehung befinde, die mit der Rechtsbeziehung eines
anderen Steuerpflichtigen vergleichbar sei, der sich gegenüber dem Aufnahmestaat auf
die gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundfreiheiten berufen könne. Um die in Art. 52
EGV garantierte Niederlassungsfreiheit vollumfänglich zu gewährleisten, reiche das
Gebot der Inländergleichbehandlung dann nicht aus, wenn nicht der Aufnahmestaat,
sondern der Herkunftsstaat die Niederlassungsfreiheit einschränke. Über seinen
Wortlaut hinaus enthalte Art. 52 EGV ein allgemeines Belastungsverbot, dass sich auch
an den Herkunftsmitgliedsstaat richte. Dieser dürfe seine Staatsangehörigen nicht dafür
steuerlich belasten, dass sie sich in einem anderen Mitgliedsstaat niederließen. Eine
solche unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsstaat
liege insbesondere im Fall einer verschärften Besteuerung der in diesem Staat
ansässigen Muttergesellschaft oder ihrer im Herkunftsstaat ansässigen Gesellschafter
vor, wenn die verschärften Besteuerungsvorschriften an einen gemeinschaftlichen
Auslandstatbestand anknüpften und dadurch verhindern wollten, dass sich die deutsche
Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat niederlasse oder eine in einem
anderen Mitgliedsstaat bereits gegründete Niederlassung beibehalte. Das DBA-Belgien
habe eine gemeinschaftsrechtliche Funktion, in dem es durch Beseitigung der
Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Belgien dem Funktionieren des
Binnenmarktes entgegenstehende Hindernisse abbaue und damit zugleich die
Personenverkehrs- einschließlich der Niederlassungsfreiheit für grenzüberschreitende
wirtschaftliche Aktivitäten gewähre. Hätten zwei Mitgliedsstaaten ein
Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen, so gebiete es die Pflicht zur
Gemeinschaftstreue, das Doppelbesteuerungsabkommen einzuhalten. Indem der
inländische Gesetzgeber die grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigung der in
seinem Geltungsbereich ansässigen Personen und Gesellschaften zum Anlass einer
hierauf bezogenen unilateralen Steuerverschärfung nehme, beeinträchtige er
gemeinschaftswidrig die in Art. 52 EGV verbürgte Niederlassungsfreiheit. Dies gelte
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selbst dann, wenn die von Belgien für die "Coordination Centre" gewährte
Steuervergünstigung ihrerseits gemeinschaftsrechtswidrig sein sollte. Das
Gemeinschaftsrecht gebe dem einzelnen Mitgliedsstaat kein Selbsthilferecht, die von
einem anderen Mitgliedsstaat - in Form einer Steuervergünstigung für "Coordination
Centre" - eventuell gemeinschaftsrechtswidrig gewährte Beihilfe durch unilaterale
Gegenmaßnahmen in Form der Regelungen des § 20 AStG zu sanktionieren.
Deutschland müsse eine gemeinschaftsrechtswidrige Maßnahme eines anderen
Mitgliedsstaates nicht rechtlos hinnehmen. Werde die EG-Kommission aufgrund eines
gemeinschaftswidrigen Verhaltens des Mitgliedsstaates Belgien nicht tätig, so könne
Deutschland gegen die Kommission vor dem EuGH Untätigkeitsklage erheben bzw. vor
dem EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien anstrengen. Von beiden
Möglichkeiten habe die Bundesrepublik Deutschland aber erkennbar keinen Gebrauch
gemacht. Aus den vorgenannten Gründen sei auch § 20 Abs. 3 AStG in der bis zum
01.01.1997 geltenden Fassung bezüglich der inländischen Erfassung des
ausländischen Vermögens, das den Einkünften mit Kapitalanlagecharakter im Sinne
des § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG zugrunde liege, gemeinschaftsrechtswidrig. Der EuGH
habe im "AMID-Urteil" vom 14.12.2000 (C-141/99) festgestellt, dass Niederlassungen in
anderen Mitgliedsstaaten hinsichtlich des Verlustausgleichs nicht schlechter gestellt
werden dürften als Niederlassungen im Sitzstaat des Unternehmers.
Am 31.01.2002 erließ das FA einen im Streitpunkt unveränderten Einheitswertbescheid
hinsichtlich des Betriebsvermögens auf den 01.01.1996.
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Die Klin. beantragt,
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eine Vorabentscheidung des EuGH zur Vereinbarkeit der Regelungen in § 20
Abs. 2 und Abs. 3 AStG mit der Vorschrift in Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG,
einzuholen,
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und in der Sache selbst,
30
den Gewinnfeststellungsbescheid 1996 vom 08.06.1998 in der Fassung der
EE vom 03.02.1999 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus der
belgischen Betriebsstätte im Gesamtbetrag von 8.098.096 DM (Einkünfte aus
Gewerbebetrieb von 8.044.619 DM und sonstige Einkünfte von 53.477 DM)
lediglich dem Progressionsvorbehalt unterworfen werden, und den
Einheitswertbescheid auf den 01.01.1996 in der Fassung des
Änderungsbescheides vom 31.01.2002 ersatzlos aufzuheben,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
32
Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen,
34
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Als Begründung trägt es vor: Die Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG
normierten lediglich die Rechtsfolge, dass bei erzielten Einkünften mit
kapitalersetzendem Charakter eine Doppelbesteuerung allein durch die Anwendung der
Anrechnungsmethode und nicht durch die Anwendung der Freistellungsmethode
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verhindert werde. Demgegenüber wolle die Klin. grenzüberschreitende Sachverhalte mit
dem Ziel vergleichen, auf vergleichbare Sachverhalte die jeweils günstigere
Rechtsfolge anwenden zu können. Die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten
geböten die Gleichbehandlung in- und ausländischer Sachverhalte, nicht jedoch die
günstigste Behandlung aller vergleichbarer grenzüberschreitender Sachverhalte. Die
Vorschrift des § 20 Abs. 2 AStG führe nicht zu einer Ungleichbehandlung, weil in- und
ausländische Einkünfte des im Inland ansässigen Unternehmers gleichbehandelt
würden. Der Anspruch der Klin. auf Steuerfreistellung im Inland für alle in einem
anderen Mitgliedsstaat erwirtschafteten Einkünfte sei unbegründet, weil die
Freistellungs- und die Anrechnungsmethode als gleichwertig anzusehen seien, soweit
sie keine Diskriminierung bewirkten. Der EuGH orientiere sich an international
anerkannten Besteuerungsgrundsätzen bei der Prüfung, ob die
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten verletzt seien. Im Urteil vom 12.05.1998 (C-
336/96) habe er ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten die Kriterien für die Besteuerung
des Einkommens festlegen und gegebenenfalls im Vertragswege eine
Doppelbesteuerung vermeiden könnten. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung
könnten sich die Mitgliedsstaaten an dem OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung orientieren. Laut dem OECD-Musterabkommen seien die
Freistellungs- und die Anrechnungsmethode gleichwertig anerkannte Methoden zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung, so dass die Mitgliedsstaaten zwischen beiden
Methoden frei wählen könnten. Ob die Besteuerung nach § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG
die Bestimmungen des DBA-Belgien verletze, sei bedeutungslos, weil - europarechtlich
betrachtet - die abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen zum jeweiligen
innerstaatlichen Recht eines Vertragsstaates gehörten.
II.
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I.) Das Klageverfahren wird in entsprechender Anwendung des § 74 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Entscheidung des EuGH in dieser Sache
ausgesetzt.
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II.) Gemäß Art. 234 Abs. 2 EG wird eine Vorabentscheidung des EuGH über die im
Tenor des Beschlusses genannte Rechtsfrage eingeholt.
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Gemäß Art. 234 Abs. 2 EG ist die Anrufung des EuGH geboten, weil die Auslegung der
Vorschriften in Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, und in Art. 73 b - 73 d EGV, jetzt Art. 56 - 58
EG, in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft ist. Bei Bejahung der vorgelegten
Rechtsfrage müsste der Klage in Form einer antragsgemäßen Abänderung der
angefochtenen Bescheide stattgegeben werden. Die Auslegung des EGV bzw. des EG
ist dem EuGH vorbehalten, wenn eine vernünftige Vertragsauslegung nicht derart
offenkundig ist, dass keinerlei Raum mehr für einen vernünftigen Zweifel an der
richtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechtes verbleibt (vgl. BFH-Beschluss vom
28.04. 2004, I R 39/04, in BFHE 206, 120 = BStBl II 2004, 878, Ziffer II; vgl. auch FG
Hamburg, Urteil vom 29.04.2004, VI 53/02, in EFG 2004, 1639 (1641 rechte Spalte)). Zur
Frage der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der grenzüberschreitenden
Hinzurechnungsbesteuerung erscheint dem Senat die Auslegung des
Gemeinschaftsrechtes durch den EuGH noch nicht als abschließend geklärt.
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A.) Entscheidung nach der deutschen Rechtslage
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Die angefochtenen Bescheide sind nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts
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rechtmäßig und verletzten die Klin. nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
A.I.) Nach § 20 Abs. 2 AStG findet die Vermeidung der Doppelbesteuerung für
angefallene Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter durch die Anrechnung der auf diese
Einkünfte erhobenen ausländischen Steuer statt.
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Die im Gewinnfeststellungsbescheid erfassten Einkünfte sind in einer ausländischen
Betriebsstätte im Sinne des § 20 Abs. 2 AStG angefallen. Der Begriff der ausländischen
Betriebsstätte bestimmt sich nach § 12 der Abgabenordnung (AO), weil für die
Beantwortung dieser Frage die Vorschriften des nationalen deutschen
Gewinnermittlungsrechts und nicht des jeweils anwendbaren
Doppelbesteuerungsabkommens maßgeblich sind (vgl. Flick/Wassermeyer/Geist,
Kommentar zum AStG, § 20 Rdn. 50). Bei Personengesellschaften ist für die Prüfung
der Betriebsstättenvoraussetzungen auf die Mitunternehmerschaft als solche
abzustellen, wobei es für die Verfügungsmacht unerheblich ist, ob diese bei der
Personengesellschaft oder einem ihrer Gesellschafter liegt (vgl. BFH-Urteil vom
26.02.1992, I R 85/91, in BFHE 168, 52 = BStBl II 1992, 937, Ziffer II 2). Die Klin. erfüllt
den Betriebsstättenbegriff im Sinne des § 12 AO insoweit, als sie im Ausland - A-Stadt
(B) in Belgien - über eine feste Geschäftseinrichtung verfügt. Die betriebene
Koordinierungsstelle dient laut Gesellschaftsvertrag der wirtschaftlichen Betätigung ihrer
deutschen Muttergesellschaft bzw. deren Gesellschafter und nicht dem Geschäftsbetrieb
der ausländischen Töchtergesellschaften der deutschen Muttergesellschaft. Die
inländischen Gesellschafter der Klin. verfügten im Sinne des § 12 AO über die in
Belgien belegene Betriebsstätte (vgl. dazu Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur
AO, § 12 Rdn. 19). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz
(EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind im Inland ansässige und
unbeschränkt Steuerpflichtige Mitunternehmer der nach belgischem Recht gegründeten
Comm.V., die ihrem Typus nach einer Kommanditgesellschaft deutschen Rechts
entspricht (vgl. dazu Debatin/Wassermeyer, Kommentar zur Doppelbesteuerung, Art. 3
DBA-Belgien, Rdn. 46; Froesch in IStR 1996, 366, Tz. 2.1.2.), so dass dahinstehen
kann, ob die Mitunternehmerschaft unmittelbar aufgrund der Beteiligung an der Klin.
oder über die Beteiligung an der Muttergesellschaft der Klin. begründet wird. Auch die
Beteiligten gehen davon aus, dass die Klin. im Streitjahr eine ausländische
Betriebsstätte im Sinne des § 20 Abs. 2 AStG darstellte.
44
Die in A-Stadt (B) gelegene Betriebsstätte ist im Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen
zuzurechnen. Unerheblich ist es, ob es sich bei den unbeschränkt Steuerpflichtigen um
natürliche Personen oder eine Personengesellschaft handelt. Soweit die ausländische
Betriebsstätte einer Personengesellschaft zuzurechnen ist, ist darauf abzustellen, ob an
dieser unbeschränkt Steuerpflichtige beteiligt sind (vgl. Flick/Was- sermeyer/Geist,
a.a.O., § 20 Rdn 52). Ist die ausländische Betriebsstätte einer Personengesellschaft
zuzurechnen, so ist § 20 Abs. 2 AStG auf den Teil des Gewinns im Sinne des § 15 Abs.
1 Nr. 2 EStG des unbeschränkt Steuerpflichtigen anzuwenden, der den anteiligen
Einkünften mit Kapitalanlagecharakter entspricht, d.h. die von der Personengesellschaft
erzielten Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG
sind den an der Personengesellschaft beteiligten Gesellschaftern entsprechend der
gesellschaftsrechtlich vereinbarten Gewinnverteilungsquote zuzurechnen (vgl.
Flick/Wassermeyer/Geist, a.a.O., § 20 Rdn. 53). Die an der Klin. beteiligten natürlichen
Personen waren im Jahr 1996 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig, weil sie ihren Wohnsitz im Inland unterhielten. Mangels
entgegenstehender Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass auch die
45
Gesellschafter der als Kommanditistin an der Klin. beteiligten X............................
unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Personen waren, weil sie als natürliche
Personen ihren Wohnsitz im Inland unterhielten bzw. als Körperschaften im Sinne
deutschen Körperschaftssteuerrechts ihren Firmensitz im Inland unterhielten bzw.,
soweit Personengesellschaften beteiligt waren, deren Gesellschafter ihrerseits
unbeschränkt steuerpflichtige Personen waren.
Die von der Klin. erzielten Einkünfte sind Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne
des § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG. Als Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter definiert diese
Vorschrift Einkünfte, die aus dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder
Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen oder
ähnlichen Vermögenswerten stammen, d.h. Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 2
AStG liegen vor, wenn es sich um Einkünfte aus dem Halten und Verwalten von
Vermögenswerten handelt, die geeignet sind, Einnahmen aus Kapitalvermögen im
Sinne des § 20 EStG abzuwerfen. Als Zwischeneinkünfte werden nur die passiven
Einkünfte zugerechnet, die nicht unter den in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG normierten
Katalog aktiver Einkünfte der ausländischen Gesellschaft fallen. Von der
Hinzurechnungsbesteuerung nimmt § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG die Einkünfte aus
Finanzierungsleistungen (Aufnahme und darlehensweise Vergabe von Kapital) dann
aus, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die ausländische Gesellschaft das
Kapital ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten und nicht bei ihm oder der
ausländischen Gesellschaft nahe stehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG
aufgenommen hat, so dass konzerninterne Finanzierungen steuerschädlich sind.
Zusätzlich zu einer konzernexternen Kapitalaufnahme muss der Steuerpflichtige nach §
8 Abs. 1 Nr. 7 AStG nachweisen, dass die ausländische Gesellschaft das Kapital
entweder inländischen oder nur solchen im Ausland belegenen Betrieben zur
Verfügung stellt, die ihre Bruttoerträge fast ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten im
Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 - 6 AStG beziehen. Wird eine Darlehensvergabe durch das
"Coordination Centre" konzernintern finanziert, haben die daraus erzielten Einkünfte
zwar grundsätzlich Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 AStG. Keinen
Kapitalanlagecharakter haben nach § 10 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AStG ausnahmsweise
solche Einkünfte, für die dem unbeschränkt Steuerpflichtigen der sog.
Dienstleistungsnachweis gelingt. Darunter sind nicht aktive Dienstleistungen im Sinne
des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG zu verstehen, weil diese von vorneherein nicht unter den
Tatbestand des § 10 Abs. 6 AStG fallen. Vielmehr betrifft § 10 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AStG
nur die "passiven" Dienstleistungen, die als Teil der Kapitalverwaltung erbracht werden.
Wie die Formulierung "insoweit" und "angemessener Teil" belegt, ist damit nur der
eigentliche Dienstleistungsertrag, nicht aber der auf das zur Verfügung gestellte Kapital
entfallende Ertrag gemeint. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FA die Einkünfte
mit Kapitalanlagecharakter ermittelt und hat die Klin. keine Einwendungen gegen die
Richtigkeit der Ermittlung erhoben.
46
Die Anrechnungsmethode gemäß § 20 Abs. 2 AStG ist auf die Einkünfte der Klin. mit
Kapitalanlagecharakter anzuwenden, weil die Klin. als ausländische Gesellschaft im
Sinne des § 7 Abs. 1 AStG anzusehen ist. Eine Gesellschaft im Sinne dieser Vorschrift
liegt vor, wenn die unbeschränkt Steuerpflichtigen an einer Körperschaft bzw.
Personenvereinigung, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich des
AStG hat und zudem nicht nach § 3 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) von der
Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist, zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Nach §
7 Abs. 2 Satz 1 AStG liegt eine Beteiligung zu mehr als der Hälfte vor, wenn den
unbeschränkt Steuerpflichtigen allein oder zusammen mehr als 50 vom Hundert der
47
Anteile oder Stimmanteile an der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind. Diese
Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, da sämtliche Geschäftsanteile an der Klin. von im
Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen gehalten werden und die Klin. nicht im
Geltungsbereich des AStG, sondern in Belgien ansässig und auch nicht von der
Körperschaftsteuerpflicht nach § 3 Abs. 1 KStG befreit ist.
Die in der ausländischen - belgischen - Betriebsstätte erzielten Einkünfte wurden von
der belgischen Steuerverwaltung im Sinne des § 8 Abs. 1 AStG nicht hoch, sondern
niedrig besteuert. Nach § 8 Abs. 3 AStG liegt eine niedrige Besteuerung im Sinne des §
8 Abs. 1 AStG vor, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung
durch Ertragsteuern von weniger als 30 vom Hundert unterliegen. Zur Beantwortung
dieser Frage ist auf die Steuern abzustellen, die der ausländische Betriebsstättenstaat
erhebt (vgl. Flick/Wassermeyer/Geist, a.a.O., § 20 Rdn. 55). Die Klin. unterlag im
Streitjahr 1996 in Belgien einer Besteuerung mit weniger als 30 % des von ihr erzielten
Gewinns.
48
In Abweichung von den Vorschriften des DBA-Belgien bestimmt die Vorschrift in § 20
Abs. 2 AStG in der Fassung des Missbrauchs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom
21.12.1993, dass die Doppelbesteuerung steuerpflichtiger Einkünfte mit
Kapitalanlagecharakter durch die Anrechnung der auf die Einkünfte erhobenen
ausländischen Steuern vermieden wird.
49
Zwar sind nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DBA-Belgien die in
Belgien erzielten Gewinne einer Comm.V. allein in Belgien steuerpflichtig. Denn
abweichend vom deutschen Ertragsteuerrecht ist für Zwecke der Vermeidung der
Doppelbesteuerung nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit Nr. 4 DBA-Belgien nicht
nur die belgische Comm.V., sondern auch die deutsche Kommanditgesellschaft als
selbständiger Rechtsträger (vgl. Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Belgien, Art. 3 Rdn.
13 ff) mit der Folge anzusehen, dass nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien der dem
deutschen Anteilseigner, sofern er Gesellschafter einer deutschen
Personenhandelsgesellschaft ist, gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zuzurechnende
Gewinnanteil steuerfrei bleibt. Diese Rechtsfolge leitet sich ab aus der Bestimmung in
Art. 12 Ziffer 2 a des Schlussprotokolls zum DBA-Belgien vom 11.04.1967, die
ausdrücklich klarstellt, dass die Vermeidung der Doppelbesteuerung nach Maßgabe
des Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien auch auf Gesellschafter einer in Deutschland
ansässigen Personengesellschaft anzuwenden ist.
50
Nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Belgien bleiben aber solche Gewinnanteile von der
Freistellung nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien unberührt, die als "Dividenden" im
Sinne des Art. 10 DBA-Belgien anzusehen sind und im Wohnsitzstaat des
Anteilseigners versteuert werden. Zu den Dividenden im Sinne des Art. 10 Abs. 5 DBA-
Belgien gehören nicht nur die Anteile an einer Kapitalgesellschaft, sondern auch die
Einkünfte aus sonstigen Gesellschaftsanteilen, die nach dem Steuerrecht des Staates,
in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, wie Einkünfte aus Kapitalvermögen
behandelt werden. Weil nach belgischem Recht die Comm.V. der Körperschaftssteuer
unterliegt, behandelt das DBA-Belgien deren Gewinnausschüttungen als "Dividenden"
im Sinne des Art. 10 (vgl. Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 10 DBA-Belgien, Rdn. 41
und 42; Froesch, a.a.O., Tz. 2.1.1. und Tz. 2.1.2.). Über Art. 10 Abs. 5 DBA-Belgien wirkt
der Dividendenbegriff des Quellenstaates in die Besteuerung des Wohnsitzstaates, in
dem er für den Wohnsitzstaat verbindlich bestimmt, welche bestimmten Einkünfte
abkommensrechtlich als Dividenden anzusehen sind. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 a 2.
51
HS. DBA-Belgien löst den sich in diesem Zusammenhang ergebenden
Qualifikationskonflikt, dass abweichend vom belgischen Recht nach deutschem
Steuerrecht Personengesellschaften keine Rechtssubjekte mit der Folge darstellen,
dass nach dem für die innerstaatliche deutsche Wohnsitzbesteuerung maßgeblichen
Steuerrecht keine Dividenden, sondern Entnahmen aus einer Personengesellschaft
vorliegen, auf der abkommensrechtlichen Ebene. Die Vorschrift statuiert eine
Rückausnahme von der Anrechnungsmethode für Einkünfte, die auf das in eine
belgische Comm.V. investierte Kapital entfallen, mit der Folge, dass die Vermeidung der
Doppelbesteuerung durch Freistellung der Ausschüttung von der deutschen
Steuerpflicht nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien erfolgt (vgl. Debatin/Wassermeyer,
a.a.O., Art. 23 DBA-Belgien, Rdn. 9). Davon gehen auch die Beteiligten
übereinstimmend aus.
Um den im Ausland niedrig besteuerten Gewinn auf das höhere inländische
Steuerniveau hoch zu schleusen, ersetzt § 20 Abs. 2 AStG für die von der Vorschrift
erfassten Einkünfte die Freistellungs- durch die Anrechnungsmethode. Allerdings
kommt es zur unilateralen Durchbrechung der in Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien
vorgesehenen Freistellungsmethode jedoch nur insoweit, als dergestalt ein
Ausweichverhalten vorliegt, dass an Stelle von Kapitalgesellschaften
Personengesellschaften oder rechtlich unselbständige Betriebsstätten als
Konzernfinanzierungs- und Koordinierungsstellen im Ausland gegründet werden (vgl.
dazu Bericht des Finanzausschusses vom 01.11.1991, a.a.O.), so dass im Rahmen der
Besteuerung unter Anrechnung nach § 20 Abs. 2 AStG auch die Zwischeneinkünfte mit
Konzernfinanzierungscharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG 1993 zu erfassen
sind. Zwar blieben bei Einführung der §§ 10 Abs. 6 und 20 Abs. 2 AStG durch das
Steueränderungsgesetz 1992 Einkünfte aus der Finanzierung innerhalb eines Konzerns
gemäß § 10 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AStG 1992 ausgeklammert und gehörten damit nicht zu
den Einkünften mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 20 Abs. 2 AStG. Erst das
Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21.12.1993 ersetzte den
Rückausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 AStG 1992 in § 10 Abs. 6 Satz 3
AStG 1993 dahingehend, dass auch erzielte Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter
erfasst, zugleich aber die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter in Höhe von 40 % von
der Besteuerung freigestellt wurden. Entsprechend dieser Regelung hat das FA auch
die von der Klin. aus Konzernfinanzierungen erzielten Zwischeneinkünfte der
inländischen Besteuerung unterworfen. Ausweislich seiner Berechnung der
steuerpflichtigen Einkünfte der Klin. in der Anlage zum Gewinnfeststellungsbescheid hat
das FA im Streitfall auch die nach § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG 1993 gebotene
Teilfreistellung berücksichtigt. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Berechnung hat
die Klin. nicht erhoben.
52
A.II.) Nach § 20 Abs. 3 AStG ist in Fällen des Abs. 20 Abs. 2 AStG bei Vermögen, dem
Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 2 mit Ausnahme der
Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG zugrunde
liegen, die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der
auf dieses Vermögen erhobenen ausländischen Steuer zu vermeiden. Entsprechend
diesen Vorschriften ergingen die Feststellungsbescheide über den Einheitswert des
Betriebsvermögens vom 16.06.1998 bzw. 31.01.2002, in denen das FA die Einkünfte im
Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 AStG von der Einheitswertfeststellung ausgenommen hat.
53
B.) Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit dem europäischen
Vertragsrecht
54
Da die angefochtenen Bescheide mit der deutschen Rechtslage übereinstimmen, kann
die Klage kann nur dann Erfolg haben, wenn die Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3
AStG gegen die europäischen Grundfreiheiten verstoßen, auf die sich die Klin. im
vorliegenden Verfahren berufen kann.
55
Der Senat hat Zweifel, ob die in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG niedergelegten nationalen
Vorschriften mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, bzw. mit
der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß den Art. 73 b bis 73 d EGV, jetzt Art. 56 - 58 EG,
vereinbar sind.
56
Zwar fallen die direkten Steuern als solche nicht unter die Regelungszuständigkeit der
Europäischen Gemeinschaft (vgl. EuGH-Urteil vom 11.03.2004, C-9/02, in BFH/NV
2004, Beilage 3, Seite 211, Rdn. 44). Die Mitgliedsstaaten müssen aber die ihnen
verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechtes, insbesondere unter
Berücksichtigung der Grundfreiheiten, ausüben (vgl. EuGH-Urteil vom 15.07.2004, C-
315/02, in BFH/NV 2004, Beilage 3, Seite 351, Rdn. 19).
57
Die in Art. 52 EGV statuierte Niederlassungsfreiheit umfasst nach der Rechtsprechung
des EuGH das Recht für die Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten zur Aufnahme und
Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den gleichen Bestimmungen, wie sie
der Niederlassungsstaat für dessen Angehörigen festgelegt hat (EuGH-Urteile vom
13.04.2000, C-251/98, in EuGHE I, 2000, 2822, Rdn. 27, und vom 11.03.2004, C-9/02,
a.a.O., Rdn. 42). Die Niederlassungsfreiheit umfasst insbesondere das Recht,
wahlweise Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften oder Agenturen nach den
im Niederlassungsstaat für dessen Staatsangehörige geltenden Bedingungen
einzurichten (vgl. EuGH-Urteil vom 05.10.2004, C-442/02, in EWS 2004, 505, Rdn. 10
und 11). Zwar sollen die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit ihrem Wortlaut
nach die Inländerbehandlung im Aufnahmestaat sicherstellen. Sie enthalten darüber
hinaus aber auch das Verbot für den Herkunftsstaat, die Niederlassung seiner
Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedsstaat zu behindern (vgl. EuGH-Urteil vom
14.12.2000, C-141/99, in EuGHE I, 2000, 11619 = BFH/NV 2001, Beilage 1, Seite 1,
Rdn. 20 und 21 mit weiteren Nachweisen der EuGH-Rechtsprechung). Aus den
europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten folgt nicht nur ein Diskriminierungsverbot für
grenzüberschreitende oder ausländische Aktivitäten inländischer Steuersubjekte durch
den Aufnahmestaat. Die Grundfreiheiten verbieten auch die Diskriminierung
grenzüberschreitender bzw. ausländischer Aktivitäten von Inländern im Vergleich zu
rein inländischen Aktivitäten derselben Personen, d.h. die Grundfreiheiten schützen
auch die grenzüberschreitende ausländische Wirtschaftstätigkeit von Inländern vor
steuerlicher Benachteiligung durch ihren Herkunftsstaat im Inland (vgl. dazu EuGH-
Urteile vom 16.07.1998, C-264/96, in EuGHE I, 1998, 4995 = HFR 1998, 861, Rdn. 21,
und vom 11.03.2004, C-9/02, a.a.O., Rdn. 45, und vom 14.12.2000, in EuGHE I, 2000,
11779 = BFH/NV 2003, Beilage 2, Seite 98, C-324/00, Rdn. 32). Als Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen zu qualifizieren, welche die Ausübung
dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (EuGH-Urteil vom
05.10.2004, C-442/02, a.a.O., Rdn. 11; Schlussantrag des Generalanwaltes Maduro
vom 07.05.2005 im Verfahren C-446/03, Rdn. 35 mit Nachweisung der EuGH-
Rechtsprechung). In Anwendung dieser Grundsätze hat der EuGH beispielsweise zu
der Regelung des § 8 a Abs. 1 Nr. 2 KStG in der für die Jahre 1996 bis 1998 geltenden
Fassung entscheiden, dass die an den Sitz der Muttergesellschaft anknüpfende
unterschiedliche Behandlungsweise der gebietsansässigen Tochtergesellschaft eine
58
durch Art. 43 EG grundsätzlich untersagte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
darstellt (Urteil vom 12.12.2002, C-324/00, a.a.O., Rdn. 32).
Ein Verstoß gegen die in dieser Weise verstandene Niederlassungsfreiheit durch die
Regelungen in den § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG ist nicht auszuschließen, weil das
nationale Recht eine Aufnahme wirtschaftlicher Betätigung in einer ausländischen
Betriebsstätte erschweren will. Beide Vorschriften sollen verhindern, dass sich ein im
Inland ansässiger und unbeschränkt Steuerpflichtiger zur Vermeidung der Anwendung
der Hinzurechnungsbesteuerung der §§ 7 ff AStG anstelle einer in einem
Niedrigsteuerland ansässigen Gesellschaft einer in einem Niedrigsteuerland gelegenen
Betriebsstätte bedient. Weil die von in Deutschland ansässigen, unbeschränkt
Steuerpflichtigen in einer ausländischen Betriebsstätte erzielten Einkünfte in der Regel
in Deutschland von der Besteuerung freigestellt sind, ließe sich nämlich das
Steuergefälle zwischen Deutschland und dem Ausland ebenso mittels einer in einem
Niedrigsteuerland belegenen Betriebsstätte ausnutzen wie durch die Gründung einer in
einem Niedrigsteuerland ansässigen Tochtergesellschaft. Aus diesem Grund
bestimmen § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG, dass erzielte "passive" Einkünfte, die in einer
ausländischen Betriebsstätte nach deutschem Rechtsverständnis niedrig besteuert
werden, im Inland mittels der Anrechnungsmethode und nicht mit der
Freistellungsmethode mit der Folge erfasst werden, dass sich die Auslandsinvestition
verteuert und damit weniger attraktiv wird (vgl. Körner in IStR 2004, 697, Tz. 3). Durch
den in § 8 Abs. 3 AStG festgelegten Tatbestand der zusätzlichen inländischen
Besteuerung der in einem anderen Mitgliedsstaat niedrig besteuerten Einkünften im
Herkunftsstaat schreckt der Herkunftsstaat Deutschland von der Aufnahme solcher
Tätigkeiten ab, die auf die Erzielung von Einkünften in einem anderen Mitgliedsstaat
ausgerichtet sind. Insbesondere werden Finanzierungsgesellschaften durch die im
Rahmen des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG anwendbaren Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 7
AStG belastet, in dem nur der Handel mit bestimmten Steuerinländern für "passiv"
erklärt wird. Hinzu kommen die Sonderlasten, die inländische Gesellschafter
ausländischer Gesellschaften bzw. ausländischer Betriebsstätten tragen müssen, etwa
die Verpflichtung, den Gewinn der ausländischen Gesellschaft nach deutschem
Steuerrecht ermitteln und den zahlreichen Feststellungslastumkehrungen Rechnung
tragen zu müssen (vgl. dazu Wassermeyer in GmbHR 2004, 613, Tz. X).
59
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit zulässig, wenn die Beschränkung ein legitimes Ziel verfolgt, das
mit dem EG-Vertrag vereinbar ist und zwingenden Gründen des Allgemeininteresses
dient, zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist und nicht über die zur Erreichung eines
Ziels erforderlichen Maßnahmen hinausgeht (vgl. EuGH-Urteile vom 11.03.2004, C-
9/02, a.a.O., Rdn. 49, und vom 21.11.2002, C-436/00, in EuGHE I 2002, 10829 =
BFH/NV 20003, Beilage 3, Seite 400, Rdn. 49, und vom 12.12.2002, C-324/00, a.a.O.,
Rdn. 33). Nach ständiger Rechtsprechung der EuGH rechtfertigt aber der Verlust von
Steuereinnahmen nicht die Beschränkung von Grundfreiheiten (vgl. Urteil vom
11.03.2004, C-9/02, a.a.O., Rdn. 60 m.w.N.). Die Schlechterstellung durch die
Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG wurde aber gerade damit gerechtfertigt,
dass anderenfalls Verluste von Steuereinnahmen drohten (vgl. Bericht des
Finanzausschusses vom 01.11.1991 zu Art. 13 des Gesetzentwurfes betreffend die
Änderung des § 20 AStG - BT-Drucksache 12/1596 - ). Selbst wenn der Senat mit dem
FA davon ausgeht, dass es sich bei der Regelung im Königlichen Erlass Nr. 187 vom
30.12.1982 über die belgische inländische Besteuerung der "Coordination Centre" um
eine unzulässige staatliche Beihilfe steuerlicher Art handelt (zum Begriff siehe EuGH-
60
Urteil vom 15.04.1994, C-387/92, in ABl EG 1994, Nr. C 120, 2 = HFR 1994, 431, Rdn.
13), ist die Erhebung einer kompensatorischen Abgabe in Form einer inländischen
Nachbesteuerung unzulässig, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine
genehmigte oder eine nicht genehmigte Beihilfe handelt (so auch Körner a.a.O., Tz.
1.4.4.1.). Die Regelung in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG dürfte gegen das Gebot zur
Gemeinschaftstreue verstoßen und die in Art. 5 Abs. 2 EGV, jetzt 10 EG, niedergelegte
Pflicht, gemeinschaftswidrige Maßnahmen zu unterlassen, verletzen. Nach Art. 93 EGV,
jetzt 88 EG, ist die Unterbindung unzulässiger Beihilferegelungen einschließlich
unzulässiger Beihilfen steuerlicher Art Aufgabe der EG-Kommission und des EuGH und
nicht die Aufgabe eines Mitgliedsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland, etwa
durch Erlass einer inländischen Steuervorschrift. Nach Meinung des Senats gibt das
Gemeinschaftsrecht dem einzelnen Mitgliedsstaat kein Selbsthilferecht, von einem
anderen Mitgliedsstaat gemeinschaftswidrig gewährte Beihilfen durch unilaterale
Gegenmaßnahmen zu sanktionieren, durch die jedenfalls für im Inland unbeschränkt
Steuerpflichtige die Rechtswirkung der als rechtswidrig empfundenen belgischen
Steuervorschrift aufgehoben werden soll. Eine Rechtfertigung für eine unilaterale
Gegenmaßnahme ist schon deshalb nicht vorhanden, weil der Vertrag zur Gründung der
Europäischen Union der Bundesrepublik Deutschland einen
gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsschutz gegen die von einem anderen
Mitgliedsstaat gewährten Beihilfen gewährt. Unabhängig davon, ob die EG-Kommission
die im königlichen Erlass möglicherweise getroffene Beihilferegelung genehmigt hat
oder nicht, hätte die Bundesrepublik eine Untätigkeitsklage gegen die EG-Kommission
nach Art. 175 EGV, jetzt Art. 232 EG, oder eine Anfechtungsklage gegen das Königreich
Belgien nach Art. 173 EGV, jetzt Art. 227 EG, erheben und mittelbar auf diesem Weg die
Abschaffung der als gemeinschaftswidrig empfundenen Regelung betreiben können.
Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des FA, die Regelung des § 20 Abs. 2 und
Abs. 3 AStG könne als Instrument zur Bekämpfung von Gestaltungsmissbräuchen
gerechtfertigt werden. Steuerrechtliche Regelungen, welche nicht rein künstliche
Konstruktionen, die auf die Umgehung des Steuerrechts gerichtet sind, sondern generell
bestimmte Fallgestaltungen erfassen, können keinen Eingriff in die Grundfreiheiten
rechtfertigen. Insbesondere begründet die Tatsache, dass sich - wie im Streitfall - der
Sitz der Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedsstaat als der Sitz der Gesellschaft
befindet, noch keinen Missbrauch (vgl. EuGH Urteile vom 12.12.2002, C-324/00, a.a.O.,
Rdn. 37, und vom 21.11.2002, C-436/00, a.a.O., Rdn. 62). Auch die Wirksamkeit der
steuerlichen Kontrolle (vgl. EuGH-Urteil vom 12.12.2002, C-324/00, a.a.O., Rdn. 44)
vermag die Regelung des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG nach Meinung des Senats nicht
zu rechtfertigen. Das Prinzip der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle rechtfertigt zwar
verfahrensrechtliche, aber keine materiellrechtlichen Beschränkungsregelungen (vgl.
EuGH-Urteil vom 11.03.2004, C-9/02, a.a.O., Rdn. 49 ff). Im Übrigen wäre der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt, wenn es nur um die Ermittlung von
Besteuerungsgrundlagen ginge, da ein Auskunftsersuchen an den anderen
Mitgliedsstaat in Betracht käme (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 04.03.2004, C-334/02, in
BFH/NV 2004, Beilage 3, Seite 208, Rdn. 31). Auch der Grundsatz der Kohärenz (vgl.
dazu EuGH-Urteile vom 11.03.2004, C-9/02, a.a.O., Rdn. 62, und vom 15.07.2004, C-
315/02, a.a.O., Rdn. 35) dürfte die Regelung in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG nicht
rechtfertigen. Hiernach ist ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zwischen
konkreten Steuervorteilen und Steuernachteilen bei derselben Person erforderlich.
Fraglich ist zunächst, ob es sich bei dem in Belgien steuerpflichtigen "Coordination
Centre" und deren im Inland ansässigen Gesellschaftern um unterschiedliche
Steuerpflichtige im Sinne der EuGH-Rechtsprechung handelt, mit der Folge, dass deren
61
steuerliche Belastung getrennt von einander zu betrachten wäre (vgl. EuGH-Urteil vom
15.07.2002, C-315/02, a.a.O., Rdn. 36). Zur Beantwortung dieser Frage hat der EuGH
bisher allein auf die inländische Belastungsgleichheit abgestellt (vgl. EuGH-Urteil vom
28.01.1992, C-204/90, in EuGHE I, 1992, 249 = HFR 1993, 735, Rdn. 23). Festzustellen
ist in diesem Zusammenhang, dass das deutsche Steuerrecht für vergleichbare
Inlandssachverhalte keine Hinzurechnungsmaßnahmen im Sinne der in §§ 7 ff AStG
vorgesehenen Art kennt. Allerdings kann der Senat nicht ausschließen, dass der EuGH
in seinem Urteil vom 07.09.2004 (C-319/02, in BFH/NV 2005, Beilage 1, Seite 1, Rdn.
43 ff.) insoweit eine differenzierende Modifizierung seiner Rechtsprechung
vorgenommen hat, als dass er einen supranationalen Belastungsvergleich unter den
Bedingungen der Kapitalexportneutralität mit der Folge vorgenommen hat, dass die
ausländische Minderbelastung die inländische Mehrsteuer rechtfertigen könnte (vgl.
Wagner in DStZ 2005, 325, Tz. 3.7). Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ist
aber darüber hinaus eine Rechtfertigung nach dem Prinzip der Kohärenz
ausgeschlossen, wenn sie von der Personen- auf die Abkommensrechtsebene
übertragen wird (vgl. EuGH-Urteil vom 21.11.2002, C-436/00, a.a.O., Rdn. 53). Die im
DBA-Belgien vorgenommene Aufteilung des Besteuerungssubstrats bewirkt eine
Verlagerung der Kohärenz auf die Abkommensebene mit der Folge, dass die unilaterale
Abweichung von dieser Regelung durch die in § 20 Abs. 2 und 3 AStG statuierte
Umschaltklausel unzulässig sein dürfte, weil das DBA-Belgien eine abschließende
Regelung enthält (vgl. EuGH-Urteil vom 21.11.2002, C-436/00, a.a.O., Rdn. 53 ff;
Körner, a.a.O., Tz. 1.5.). Schließlich ist zu beachten, dass sich die Mitgliedsstaaten für
nationale Beschränkungsmaßnahmen gerade nicht auf die zuvor zwischen ihnen bzw.
mit Drittstaaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen berufen können,
sofern die Ungleichbehandlung gerade auf das Doppelbesteuerungsabkommen
zurückzuführen ist (vgl. EuGH-Urteil vom 21.09.1999, C-307/97, in EuGHE I, 1999, 6161
= BStBl II 1999, 844, Rdn. 56 ff). Eine solche Situation dürfte im Streitfall anzunehmen
sein. Die Regelungen im DBA-Belgien haben die vom Herkunftsstaat Deutschland als
berichtigungsbedürftig angesehene Situation zumindest dadurch mit verursacht, dass in
Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 a 2. Hs. DBA-Belgien eine Rückausnahme von der
grundsätzlich geltenden Anrechnungsmethode für Einkünfte, die auf das in eine
belgische Comm.V. investierte Kapital entfallen, vereinbart wurde, so dass nach Art. 23
Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien die Einkünfte aus dem in eine Comm.V. investierten Kapital
von der deutschen inländischen Besteuerung freizustellen sind.
Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst die in Art. 73 b bis 73 d EGV, jetzt 56 bis
58 EG, statuierte Kapitalverkehrsfreiheit das Verbot, den freien Kapitalverkehr durch
nationale Maßnahmen zu beschränken, die geeignet sind, einen Gebietsansässigen
davon abzuhalten, in einem anderen Mitgliedsstaat Darlehen aufzunehmen oder
Anlagen zu tätigen (vgl. EuGH-Urteile vom 26.09.2000, C-478/98, in EuGHE I 2000,
7887 = EWS 2000, 503, Rdn. 45, und vom 02.06.2005, C-174/04, veröffentlicht auf der
Internetseite des EuGH, Rdn. 30). Denn Grundvoraussetzung für den sachlichen
Schutzbereich der einzelnen Grundfreiheiten ist immer, dass die zu schützende
Tätigkeit in irgendeiner Weise einen grenzüberschreitenden Charakter aufweist (vgl.
Cordewener in DStR 2004, 6 Tz. 2.1.1. mit weiteren Nachweisen). Die Regelungen des
§ 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG dürften gegen den in dieser Art verstandenen
Kapitalverkehrsfreiheitsgrundsatz verstoßen, weil die in ihnen angeordnete
Nachversteuerung ausländischer Einkünfte geeignet ist, Gebietsansässige von einer
Investition in einem anderen Mitgliedsstaat abzuhalten.
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Nach Meinung des Senats können die Regelung des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG nicht
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unter Hinweis auf die Bestimmungen in Art. 73 d EGV, jetzt Art. 58 EG, gerechtfertigt
werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 15.07.2004, C-315/02,
a.a.O., Rdn. 24 ff, und vom 02.06.2005, C-174/04, a.a.O., Rdn. 35 mit weiteren
Rechtsprechungsnachweisen) ist zwischen erlaubter Ungleichbehandlung nach Art. 73
d Abs. 1 EGV, jetzt Art. 58 Abs. 1 EG, und verbotener willkürlicher Diskriminierung nach
Art. 73 d Abs. 3 EGV, jetzt Art. 58 Abs. 3 EG, zu unterscheiden. Art. 73 d Abs. 1 EGV ist
als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit restriktiv
auszulegen. Zu beachten ist dabei, dass die Ausnahmeregelung in Art. 73 d Abs. 1 EGV
ihrerseits wiederum durch Art. 73 d Abs. 3 EGV eingeschränkt wird, wonach die in Art.
73 d Abs. 1 EGV genannten Maßnahmen weder ein Mittel zur willkürlichen
Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und
Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 73 b EGV darstellen dürfen. Eine nationale
Steuerregelung, die - wie vorliegend - danach unterscheidet, ob die Einkünfte im
Herkunftsstaat oder in einem anderen Mitgliedsstaat, dem Ansiedlungsstaat, erzielt
werden und die darüber hinaus danach unterscheidet, ob es sich um "aktive" oder
"passive" Einkünfte handelt, ist nur dann mit den Bestimmungen über den freien
Kapitalverkehr vereinbar, wenn die unterschiedliche Behandlung objektiv nicht
vergleichbare Situationen betrifft oder durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls,
wie die Notwendigkeit der Gewährleistung der Kohärenz der Steuerregelungen, der
Bekämpfung der Steuerhinterziehung oder der Wirksamkeit, die steuerlichen Kontrollen
zu sichern, gerechtfertigt ist. Nach der Entscheidung des EuGH im Urteil vom
15.07.2004, C-315/02, a.a.O., Rdn. 27 zur Auslegung der Art. 73 b und 73 d EGV ist eine
steuerliche Regelung, welche eine unterschiedliche Behandlung von im Sitzstaat
unbeschränkt Steuerpflichtigen danach vorsieht, ob sie die Kapitalerträge von einer im
Sitzstaat oder von einer in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Gesellschaft
beziehen, nicht als eine die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigende
unterschiedliche Situation im Sinne des Art. 73 d Abs. 1 a EGV anzusehen. Unter
Berücksichtigung dieser Grundsätze bezweifelt der Senat, ob im hiesigen Streitfall eine
solche "unterschiedliche Situation" vorliegt, weil die unterschiedliche Besteuerung
daran anknüpft, in welchem Mitgliedsstaat der im Inland unbeschränkt Steuerpflichtige
seine Einkünfte erzielt. Nach Meinung des Senats kann die in den Regelungen des § 20
Abs. 2 und Abs. 3 AStG liegende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit auch nicht
aus den Gründen gerechtfertigt werden, die der deutsche Gesetzgeber zur
Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angeführt hat. Zwar kann
insbesondere die Missbrauchsbekämpfung bzw. die Wirksamkeit der steuerlichen
Kontrolle eine Beschränkung der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten
Grundfreiheiten rechtfertigen (vgl. dazu zuletzt EuGH-Urteil vom 02.06.2005, C-174/04,
a.a.O., Rdn. 35). Wie aber bereits darlegt, rechtfertigen diese Gründe wegen Verstoßes
der Regelungen in § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
keine Beschränkung der Grundfreiheiten in Form der Niederlassungsfreiheit und somit
auch nicht eine Beschränkung der Grundfreiheit in Form der Kapitalverkehrsfreiheit (vgl.
dazu EuGH-Urteil vom 21.11.2002, C-436/00, a.a.O., Rdn. 72).