Urteil des FG Münster vom 20.11.2003

FG Münster (Einsichtnahme, Recht auf Akteneinsicht, Finanzielles Interesse, Innerstaatliches Recht, Dsg, Ermittlungsverfahren, Verwaltungsverfahren, Abgabenordnung, Auskunftserteilung, Steuergeheimnis)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 12 K 6405/02 S
20.11.2003
Finanzgericht Münster
12. Senat
Urteil
12 K 6405/02 S
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger ein Recht auf Einsicht in die beim Beklagten hinsichtlich seiner
Person geführten Akten und einen Anspruch auf Auskunft über die beim Beklagten
gespeicherten bzw. vorhandenen Daten hinsichtlich seiner Person hat.
Der Kläger ist als Arzt freiberuflich tätig. Er betreibt seine Praxis im Erd- und
Kellergeschoss des eigenen Hauses X, L-straße ... Die Obergeschosswohnung des
Hauses war nach seinen Angaben in den Kalenderjahren 1996 bis 1999 an seine spätere
Schwiegermutter vermietet. Aus dieser Vermietung ergaben sich nach Darstellung des
Klägers in den Streitjahren Verluste bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung
in Höhe von 201.875,- DM.
Der Beklagte begann am 23. April 2001 mit einer Betriebsprüfung - Bp -, die sich auf die
Einkommensteuer - ESt - der Jahre 1996 bis 1999 erstreckte. Auf Grund des Umstandes,
dass die Mieterin ihren Hauptwohnsitz in O unterhielt, vermuteten die Prüfer, dass der
Kläger die Obergeschosswohnung nur zum Schein vermietet habe, und teilten diesen
Anfangsverdacht dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N - STRAFA-
FA - mit. Dieses leitete am 30. April 2001 ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger ein.
Dessen Strafverteidiger nahm in die diesbezüglichen Ermittlungsakten Akteneinsicht. Das
Strafverfahren wurde am 31. Mai 2002 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung -StPO -
eingestellt.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2002 - eingegangen beim Beklagten am 1. März 2002 -
beantragte der Kläger Einsicht in seine Steuerakten sowie Auskunft über die beim
Beklagten vorhandenen bzw. gespeicherten Daten hinsichtlich seiner Person und berief
sich dabei auf das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land
Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen) - IFG NRW - vom
27. November 2001 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
2001, 806).
Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Mai 2002 ab. Er führte zur
Begründung im Wesentlichen aus: Das Bundesrecht (hier: die Abgabenordnung - AO -)
habe Vorrang vor der landesrechtlichen Regelung über den Informationszugang nach § 4
Abs. 1 IFG NRW. Die AO sehe aber keinen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht vor.
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Vielmehr sei die Gewährung einer Einsichtnahme in die Steuerakten in das Ermessen der
Finanzbehörde gestellt. Akteneinsicht werde nur gewährt, wenn das Gesuch auf
Akteneinsicht in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Gegenstand des steuerlichen
Verwaltungsverfahrens stehe, wofür im Streitfall keine Anhaltspunkte ersichtlich seien.
Zudem genüge der Antrag des Klägers nicht den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 IFG
NRW, weil er nicht erkennen lasse, auf welche Informationen er gerichtet sei. Wegen der
weiteren Einzelheiten des ohne eine Rechtsbehelfsbelehrung versehenen
Ablehnungsbescheides wird auf Bl. 54 bis 55 des Verwaltungsvorgangs verwiesen.
Der Kläger legte hiergegen am 22. Juli 2002 unter Bezugnahme auf ein Schreiben vom 6.
Juni 2002 der von ihm angerufenen Landesbeauftragten für den Datenschutz Nordrhein-
Westfalen Einspruch ein. Diese vertrat die Auffassung, der Kläger habe grundsätzlich einen
allgemeinen, "voraussetzungslosen" und "verfahrensunabhängigen" Anspruch auf Zugang
zu seiner Steuerakte nach dem IFG NRW, sofern keine Verweigerungsgründe nach §§ 6
bis 9 IFG NRW in Betracht kämen. Daneben stehe dem Kläger auch ein
Akteneinsichtsrecht nach § 18 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten
(Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen) - DSG NRW - zu. Außerdem habe der Kläger
den Informationsgegenstand seines Gesuchs durch die Bezeichnung "unter der [o.g.]
Steuernummer geführte Steuerakte" hinreichend bestimmt.
Mit weiterem Schreiben vom 8. August 2002 begründete der Kläger seinen Einspruch
damit, dass er durch die Einsichtnahme in seine Steuerakten erfahren möchte, auf welche
Weise konkrete Verdachtsmomente für das Vorliegen einer Steuerstraftat entstanden seien.
Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren sei für ihn belastend und auch
rufschädigend gewesen. Zur Kenntnisnahme der konkreten Verdachtsmomente erscheine
ihm der Einblick in seine Steuerakte ein geeignetes Mittel.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einpruchsentscheidung vom 31. Oktober 2002 als
unbegründet zurück. Er führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Für das im
Besteuerungsverfahren anzuwendende Verfahren habe das Bundesrecht, nämlich die AO,
Vorrang vor dem jeweiligen Landesrecht. Die AO sehe jedoch keinen Anspruch auf
Akteneinsicht vor. Dem Kläger stehe insoweit lediglich ein Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Der Kläger habe durch die begehrte Akteneinsicht
in Erfahrung bringen wollen, auf welche Weise konkrete Verdachtsmomente für die
Einleitung des gegen ihn gerichteten Steuerstrafverfahrens entstanden seien. Die
Einleitung des Steuerstrafverfahrens sei aber nicht auf Hinweise, Anzeigen o.Ä. von
außerhalb der Steuerbehörde stehenden Dritten zurückzuführen gewesen. Vielmehr habe
sich für die zuständigen Betriebsprüfer im Rahmen der Bp ein Anfangsverdacht hinsichtlich
eines vermuteten Scheinmietverhältnisses ergeben, der zur Einschaltung des STRAFA-FA
geführt habe. Dies sei dem Kläger bereits durch die Einsichtnahme seines Strafverteidigers
in die Ermittlungsakten des STRAFA-FA bekannt geworden. Die nunmehr begehrte
Akteneinsicht sei deshalb nicht geeignet, dem Kläger Kenntnisse darüber zu verschaffen,
auf welche Weise das gegen ihn eingeleitete und mittlerweile eingestellte
steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren durch etwaige Hinweisgeber verursacht worden
sei. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Akteneinsicht sei deshalb nicht zu
erkennen. Der Antrag auf Akteneinsicht sei dementsprechend ermessensgerecht abgelehnt
worden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Einspruchsentscheidung wird auf Bl. 4 bis
12 des Verwaltungsvorgangs verwiesen.
Der Kläger hat am 2. Dezember 2002 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein
Begehren weiter verfolgt.
Zur Begründung trägt er vor: Sein Informationsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW werde
durch die AO nicht ausgeschlossen. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 4 Abs.
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2 IFG NRW, nach dem bestehende gesetzliche Sonderregelungen über die Gewährung
von Akteneinsicht den Vorschriften des IFG NRW vorgehen, nicht erfüllt, weil die AO keine
ausdrücklichen Regelungen über die Akteneinsicht enthalte und die bestehenden
Verwaltungsanweisungen, wie beispielsweise der Anwendungserlass des
Bundesfinanzministeriums zur AO - AEAO -, keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2
IFG NRW seien. Darüber hinaus lasse die Nichtregelung eines Akteneinsichtsrechts in der
AO nicht den Schluss zu, dass die Möglichkeit einer Akteneinsicht generell
ausgeschlossen sei. Zudem stünde einem Anspruch auf Akteneinsicht das nach § 30 AO
zu schützende Steuergeheimnis nicht entgegen, weil dieses nur die Verhältnisse eines
anderen erfasse. Da ein Steuerpflichtiger nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO auch einer
Offenbarung seiner Verhältnisse gegenüber Dritten zustimmen könne, dürfe er erst recht
über eine Offenbarung der dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen an sich
selbst entscheiden. Im Übrigen habe er zusätzlich einen Anspruch auf Akteneinsicht
gemäß § 18 DSG NRW.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 31.
Oktober 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Akteneinsicht in die
Steuerakten zu gewähren und mitzuteilen, welche Daten über den Inhalt der Steuerakte
hinaus über ihn gespeichert worden sind oder sonst beim Beklagten vorhanden sind,
hilfsweise,
ihm Akteneinsicht in seine Steuerakten für den Zeitraum vom 23. April 2001 bis zum 3. Juni
2002 und in die über ihn geführte Akte der Betriebsprüfung für die Steuerjahre 1997 bis
1999 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Kläger könne einen Anspruch auf Akteneinsicht weder aus § 18
DSG NRW noch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW herleiten. Diese Landesgesetze könnten vor dem
Hintergrund des Art. 31 des Grundgesetzes - GG - die vom Bundesgesetzgeber bewusst
getroffene Entscheidung, in der AO keinen generellen Anspruch auf Akteneinsicht zu
normieren, nicht durchbrechen. Der Bundesgesetzgeber habe insoweit durch einen
absichtsvollen Regelungsverzicht von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend
Gebrauch gemacht. Zudem habe der Beklagte das Akteneinsichtsbegehren des Klägers
durch den Ablehnungsbescheid vom 2. Mai 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 31.
Oktober 2002 ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Begründung des Antrags des Klägers auf
Akteneinsicht lasse nur einen Bezug zu dem gegen ihn durchgeführten und inzwischen
abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, nicht aber zum steuerlichen
Verwaltungsverfahren erkennen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2002,
die Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2002, die gewechselten Schriftsätze und den
Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen. Auf die Niederschrift über die mündliche
Verhandlung am 20. November 2003 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Für die vorliegende Klage, mit der der Kläger Einsicht in die beim Beklagten hinsichtlich
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seiner Person geführten Steuerakten und Auskunft über beim Beklagten hinsichtlich seiner
Person eventuell gespeicherte bzw. vorhandene Daten begehrt, ist der Finanzrechtsweg
gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - gegeben. Zwar
kommen als streitentscheidende Normen auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des §
4 Abs. 1 IFG NRW und § 18 DSG NRW in Betracht, die grundsätzlich den
Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
eröffnen.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai
2002 - 21 E 349/02 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 2003, 23.
Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um eine Abgabenangelegenheit im Sinne des §
33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO. Eine Abgabenangelegenheit umfasst alle mit der Verwaltung
der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die
Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten (§ 33 Abs. 2 FGO). Dazu gehört
auch die Einsichtnahme in Steuerakten, insbesondere in einen Betriebsprüfungsbericht,
soweit diese außerhalb eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erfolgt.
Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 2. Dezember 1976 - IV R 2/76 -,
Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1977, 318; Finanzgericht - FG - Münster, Urteil vom 5.
November 2002 - 1 K 7155/00 S -, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2003, 499.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hält seinen beim Beklagten am 1. März
2003 gestellten Antrag auf Einsicht in die hinsichtlich seiner Person geführten Steuerakten
auch nach der Einstellung des gegen ihn gerichteten steuerstrafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens am 31. Mai 2002 weiter aufrecht.
Das Begehren des Klägers ist mit einer Verpflichtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Fall 2 FGO
geltend zu machen. Der Kläger will unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des
Beklagten vom 2. Mai 2002 und der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 31.
Oktober 2002 die Einsichtnahme in seine Steuerakten und eine Auskunftserteilung über
eventuell beim Beklagten gespeicherte oder vorhandene Daten, die seine Person betreffen,
erreichen. Dieses Begehren hat der Kläger auch durch die Formulierung seiner
Klageanträge verdeutlicht. Bei den ablehnenden Entscheidungen des Beklagten handelt
es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 118 AO. Der Erlass eines begünstigenden
Verwaltungsaktes unter Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes ist durch eine
Verpflichtungsklage zu verfolgen. Eine demgegenüber subsidiäre allgemeine
Leistungsklage ist unzulässig, wenn der Kläger sein Klageziel durch eine
Verpflichtungsklage verfolgen könnte.
BFH, Urteil vom 16. Dezember 1987 - I R 66/84 -, Sammlung der nicht
veröffentlichen Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1988, 319.
Die im vorliegenden Fall vom Kläger begehrte Akteneinsicht und Auskunftserteilung unter
Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 2. Mai 2002 und der Einspruchsentscheidung
vom 31. Oktober 2002 erfüllt die Voraussetzungen des § 118 AO, weil dadurch eine
Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts eine Entscheidung zur Regelung eines
Einzelfalls trifft, die unmittelbare Rechtswirkung nach außen entfaltet. Aufgrund dessen
kommt es hier nicht mehr darauf an, dass der einem stattgebenden Verwaltungsakt
nachfolgende Vorgang der Akteneinsicht lediglich eine tatsächliche Handlung darstellt.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Akteneinsicht und
Auskunftserteilung. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 2. Mai 2002 und die
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Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 31. Oktober 2002 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
Ein Anspruch des Klägers auf Einsichtnahme in seine Steuerakten ergibt sich nicht aus § 4
Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes
gegenüber den öffentlichen Stellen des Landes Anspruch auf Zugang zu den bei dieser
Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW tritt dieser
Anspruch hinter bestehenden, besonderen Rechtsvorschriften über die Gewährung von
Akteneinsicht zurück.
Die Voraussetzungen der Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW sind im
vorliegenden Fall erfüllt. Die Vorschriften des IFG NRW sind aufgrund der abschließenden
Negativregelung des Akteneinsichtsrechts in der für das Besteuerungsverfahren
ausschließlich maßgeblichen AO nicht anwendbar.
Der Bundesgesetzgeber hat durch den Erlass der Abgabenordnung von seiner
Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 108 Abs. 5 Satz 1 GG Gebrauch gemacht, ein von
den Landesfinanzbehörden bei der Verwaltung der übrigen Steuern im Sinne des Art. 108
Abs. 2 Satz 1 GG anzuwendendes, abschließendes Verfahrensrecht zu schaffen. Dabei hat
er keine Regelungen über die Einsichtnahme von Akten aufgenommen. Insbesondere hat
er davon abgesehen, einen Anspruch der Steuerpflichtigen auf Einsichtnahme in die
Steuerakten der Finanzverwaltung zu normieren. Das Fehlen von ausdrücklichen
Bestimmungen in der AO hinsichtlich der Akteneinsicht lässt aber nicht den Schluss zu, der
Bundesgesetzgeber habe von seiner Kompetenz zur Regelung des Auskunfts- und
Akteneinsichtsrechts der Steuerpflichtigen insoweit keinen Gebrauch gemacht bzw.
machen wollen. Vielmehr hat er ausweislich der Gesetzesbegründung (Bundestags-
Drucksache 7/4092, Seite 9) bewusst keine diesbezüglichen Vorschriften in die AO
aufgenommen. Hierin liegt ein erkennbarer, absichtsvoller Regelungsverzichts des
Bundesgesetzgebers, der als eine Ausnutzung der ihm eingeräumten
Regelungskompetenz zur Schaffung abschließender Regelungen für Auskunfts- und
Akteneinsichtsrechte im Bereich der AO anzusehen ist.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790; vgl. zur
Sperrwirkung eines erkennbaren,
absichtsvollen Regelungsverzichts des Bundes gegenüber den Ländern:
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 1998 - 1 BvR 2306/96 - u.a., Neue
Juristische Wochenschrift 1999, 841.
Darüber hinaus kann eine in der für das Besteuerungsverfahren maßgeblichen
Abgabenordnung zum Ausdruck kommende abschließende Entscheidung des
Bundesgesetzgebers durch ein Landesgesetz weder geändert noch ergänzt werden. Dies
wäre mit Art. 31 GG nicht vereinbar.
Mangels Anwendbarkeit des IFG NRW hat der Kläger gegen den Beklagten auch keinen
Anspruch auf Auskunft über die bei diesem vorhandenen oder gespeicherten Daten
hinsichtlich seiner Person.
Aus den gleichen Erwägungen steht dem Kläger gegen den Beklagten auch kein Anspruch
auf Einsichtnahme in seine Steuerakten gemäß § 18 Abs. 1 DSG NRW zu. Die Vorschriften
des DSG NRW treten gemäß § 2 Abs. 3 dieses Gesetzes gegenüber besonderen
Rechtsvorschriften, die auf die Verarbeitung personenbezogener Daten anzuwenden sind,
zurück. Wie bereits oben ausgeführt hat der Bundesgesetzgeber durch einen
absichtsvollen Regelungsverzicht in der AO eine abschließende Regelung für den
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Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten geschaffen, die sämtliche
entgegenstehende Regelungen der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder zum
Auskunfts- und Akteneinsichtsanspruch verdrängt.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790.
Des Weiteren hat der Kläger keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die vom Beklagten
hinsichtlich seiner Person geführten Steuerakten oder auf Auskunft über die dort über ihn
gespeicherten bzw. vorhandenen personenbezogenen Daten aus Art. 12 der Richtlinie
95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen
bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Abl. Nr. L
281 vom 23. November 1995) - Datenschutzrichtlinie. Zum einen ist zu berücksichtigen,
dass die konkrete Ausgestaltung der Umsetzung dieser Richtlinie dem nationalen
Gesetzgeber vorbehalten ist. Zum anderen würde ein sich aus der unmittelbaren
Anwendung des Art. 12 der Datenschutzrichtlinie ergebender Auskunftsanspruch durch die
Regelung des Art. 13 der Datenschutzrichtlinie begrenzt. Die Mitgliedsstaaten der
Europäischen Gemeinschaft haben nach Art. 13 Abs. 1 Buchstabe e der
Datenschutzrichtlinie die Befugnis, bei der Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches
Recht Rechtsvorschriften zu erlassen, die eine Beschränkung des sich aus Art. 12 der
Datenschutzrichtlinie ergebenden Auskunfts- und Akteneinsichtsanspruchs unter anderem
dann ermöglichen, wenn dies für ein wichtiges finanzielles Interesse des Mitgliedsstaates
einschließlich der Steuerangelegenheiten notwendig ist.
Eine derartige Einschränkung hat der Bundesgesetzgeber im Geltungsbereich der AO
geschaffen, indem er es im Rahmen eines absichtsvollen Regelungsverzichts bewußt
unterlassen hat, in dieses Gesetz Vorschriften über ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht
aufzunehmen.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790.
Schließlich kann der Kläger keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die vom Beklagten
hinsichtlich seiner Person geführten Steuerakten aus den Vorschriften der AO herleiten.
Insbesondere ergibt sich ein derartiger Anspruch nicht aus §§ 91, 364 AO in Verbindung
mit dem dazu erlassenen AEAO.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790.
Dem Kläger steht auch kein Recht auf Akteneinsicht auf Grundlage einer
Ermessensentscheidung des Beklagten über seinen diesbezüglichen Antrag vom 28.
Februar 2002 zu.
Eine Finanzbehörde ist trotz fehlender Regelungen in der AO nicht daran gehindert, in
Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren. Nach ständiger Rechtsprechung, der sich die
Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO angeschlossen hat, hat ein Steuerpflichtiger
unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs aber nur einen
Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Akteneinsicht.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790; Hessisches
Finanzgericht, Beschluss vom 16. März 1999 - 2 K 3171/96 -, Zeitschrift für Wirtschaft.
Steuer. Strafrecht - wistra - 1999, 320.
Dabei hat die Finanzbehörde nach Maßgabe des § 5 AO ihr Ermessen entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen einzuhalten. Dies setzt
voraus, dass sie ihre eigenen Belange und die des Steuerpflichtigen im Rahmen einer
Interessenabwägung gegeneinander abgewogen hat.
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BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790; BFH,
Beschluss vom 8. Juni 1995 - IX B 168/94 -, BFH/NV 1996, 64; BFH, Urteil vom 7. Mai 1985
- VII R 25/85 -, BStBl. II 1985, 571.
Einem Steuerpflichtigen fehlt das für eine Akteneinsicht berechtigte Interesse, wenn er sich
nach Abschluss eines gegen ihn gerichteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens
durch die Einsichtnahme in die Steuerakten über die Umstände der Eröffnung dieses
Verfahrens informieren will, weil zwischen der begehrten Akteneinsicht und dem
steuerlichen Verwaltungsverfahren kein innerer Zusammenhang besteht.
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 16. März 1990 - 1 K 4538/89 -, EFG 1990,
503.
Ein Gericht kann die Ermessensentscheidung einer Finanzbehörde gemäß § 102 Satz 1
FGO nicht umfassend, sondern nur darauf prüfen, ob die Ablehnung oder Unterlassung des
Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschreitet oder nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht hat.
BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - VII B 138/01 -, BStBl. II 2003, 790 mit weiteren
Nachweisen; Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 16. März 1999 - 2 K 3171/96 -,
wistra 1999, 320.
Der Beklagte hat in seinem Ablehnungsbescheid vom 2. Mai 2002 und seiner
Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2002 den Antrag des Klägers auf Einsichtnahme
in die hinsichtlich seiner Person geführten Steuerakten ohne einen nach § 102 Satz 1 FGO
beachtlichen Ermessensfehler abgelehnt.
Dabei hat er zu Recht die landesrechtlichen Regelungen des IFG NRW und des DSG
NRW nicht berücksichtigt. Wären die Finanzbehörden bei einer Ermessensentscheidung
auf Grundlage der bundeseinheitlich geltenden AO verpflichtet, auch Erwägungen
einzustellen, die sich ausschließlich aus einer länderspezifischen Rechtslage ergäben,
wäre eine bundeseinheitliche Verwaltung der Steuern durch alle Finanzbehörden nicht
mehr gewährleistet, weil für Ermessensentscheidungen der Landesfinanzbehörden in
verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Maßstäbe gelten würden. Weiterhin steht
der Berücksichtigung des IFG NRW und DSG NRW bei der Ermessensentscheidung des
Beklagten über das Akteneinsichtsgesuch des Klägers auch die Sperrwirkung des
absichtsvollen Regelungsverzichts entgegen. Diese durch die abschließende
Nichtregelung eines Akteneinsichtsrechts in der AO durch den Bundesgesetzgeber
ausgelöste Sperrwirkung, die die Anwendbarkeit von länderspezifischen Gesetzen bei
einer Ermessensentscheidung über einen Antrag auf Akteneinsicht im steuerlichen
Verwaltungsverfahren ausschließt, ist so umfassend, dass sie auch auf der
Rechtsfolgenseite, d.h. auf der Ebene des Ermessens, einen Rückgriff auf bestehende
länderspezifische Gesetze verhindert.
Darüber hinaus hat sich der Beklagte in dem Ablehnungsbescheid vom 2. Mai 2002 und in
der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2002 in nicht zu beanstandender Weise mit
den erkennbaren Belangen des Klägers auseinandergesetzt und diese mit den eigenen
Belangen im Rahmen einer Interessenabwägung gegeneinander abgewogen. Der Kläger
hat sein Interesse an einer Einsichtnahme in seine Steuerakten gegenüber dem Beklagten
mit Schreiben vom 8. August 2002 dargelegt. Er möchte dadurch erfahren, auf welche
Weise konkrete Verdachtsmomente für das Vorliegen einer Steuerstraftat entstanden sind,
die dann zur Einleitung des gegen ihn gerichteten steuerstrafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens geführt haben. Dieses nur auf die Aufklärung von Umständen des
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bereits abgeschlossenen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gerichtete Begehren
des Klägers stellt kein berechtigtes Interesse dar, weil der für eine Akteneinsicht
erforderliche innere Zusammenhang mit dem steuerlichen Verwaltungsverfahren nicht
erkennbar ist.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Strafverteidiger des Klägers bereits im
steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Akteneinsicht genommen hat. Der Beklagte hat
dem Kläger auch mehrfach mitgeteilt, dass das gegen ihn gerichtete Steuerstrafverfahren
nicht aufgrund von Hinweisen Dritter, sondern ausschließlich aufgrund des sich bei der Bp
im Jahr 2001 für die Betriebsprüfer ergebenden Anfangsverdachts hinsichtlich eines
vermuteten Scheinmietverhältnisses zwischen ihm und seiner späteren Schwiegermutter
über die in seinem Haus gelegene Wohnung im Obergeschoss eingeleitet worden ist.
Zudem hat der Beklagte zutreffend auf die erhebliche Beeinträchtigung seiner
Aufgabenerledigung durch die Gewährung eines allgemein gehaltenen
Akteneinsichtsgesuchs hingewiesen. Er wäre vor dem Hintergrund des § 30 AO
verpflichtet, sämtliche Unterlagen nach Informationen Dritter zu untersuchen, die dem
Steuergeheimnis unterliegen, und diese vor der Akteneinsicht auszusondern.
Schließlich kann sich ein Interesse des Klägers an der Einsichtnahme in die
Verwaltungsvorgänge nicht daraus ergeben, dass er nur dadurch Kenntnis von
gegebenenfalls darin bestehenden internen Vermerken und Aufzeichnungen,
beispielsweise in der Prüferhandakte, und dem Grund für die Anordnung der Bp erhalten
kann. Dabei handelt es sich um Motive für ein Verwaltungshandeln, die, soweit sie sich
nicht aus der Begründung einer späteren Entscheidung der Finanzverwaltung ergeben,
nicht überprüfbar sind. Aufgrund dessen stellt sich das Begehren eines Steuerpflichtigen, in
derartige Unterlagen Akteneinsicht zu nehmen, nicht als berechtigtes Interesse dar.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 5. November 2002 - 1 K 7155/00 S -, EFG 2003,
499; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 16. März 1990 - 1 K 4538/89 -, EFG 1990, 503.
Mangels Bestehen eines Rechts des Klägers auf Akteneinsicht hat auch der Hilfsantrag,
mit dem der Kläger lediglich den Informationsgegenstand seines Akteneinsichtsantrags auf
bestimmte Verwaltungsvorgänge konkretisiert, keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.