Urteil des FG Münster vom 23.01.2006

FG Münster: fahrtkosten, belastung, privatwirtschaft, einspruch, mitgliedschaft, unabhängigkeit, familie, erkenntnis, steuerrecht, parlament

Finanzgericht Münster, 10 K 2114/04 E
Datum:
23.01.2006
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
10 K 2114/04 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Gründe:
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Streitig ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2000 (Streitjahr) die Gewährung
einer steuerfreien Kostenpauschale.
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Die zusammenveranlagten Kläger erzielten im Streitjahr im wesentlichen Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit des Klägers als Richter am X***************** Finanzgericht in
I******** bzw. der Klägerin als Ärztin an den Y*********** Kliniken in E********. Als
Werbungskosten beantragte der Kläger, neben Telefon-, Anwalts- und
Fortbildungskosten insbesondere Aufwendungen für 230 Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte zu berücksichtigen. Die Höhe der Werbungskosten bezifferte der
Kläger auf insgesamt 23.374,- DM. Der Beklagte veranlagte die Kläger insoweit wie
beantragt und erließ am 05.08.2002 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid
2000. Anderweitig geänderte Einkommensteuerbescheide ergingen am 20.03.2003 und
am 06.10.2003. Gegen den zuletzt geänderten Bescheid erhoben die Kläger erneut
Einspruch mit der Begründung, sie beantragten hinsichtlich der Werbungskosten eine
Gleichstellung mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Diese erhielten zu
ihren steuerpflichtigen Bezügen eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von rund
einem Drittel ihrer Gesamtbezüge. Gleiches müsse für sie - die Kläger - gelten, denn
einen sachlichen Grund für die Privilegierung der Volksvertreter gebe es nicht. Der
Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 25.03.2004 zurück.
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Mit der Klage tragen die Kläger vor, der Kläger sei mit den Parlamentariern
Deutschlands vergleichbar. Auch ihm stünde deshalb eine steuerfreie Kostenpauschale
in Höhe eines Drittels seiner erzielten Berufseinnahmen zu. Die anzuerkennenden
Werbungskosten seien dementsprechend auf 40.553,- DM zu erhöhen.
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Die Steuerfreiheit der Kostenpauschale gemäß § 3 Nr. 12 Satz 1
Einkommensteuergesetz (EStG) verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie
führe zu einer Ungleichbehandlung zwischen Abgeordneten und einer laut beigefügtem
Gutachten aus Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Richtern der obersten
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Gutachten aus Richtern des Bundesverfassungsgerichts, Richtern der obersten
Gerichtshöfe, bestimmten höheren Beamten und leitenden Angestellten der
Privatwirtschaft heranzuziehenden Vergleichsgruppe. Zwar sei der Kläger als Richter
am Finanzgericht kein Bundesrichter. Er sei aber mit den nach dem vorgelegten
Gutachten von Professor C******** in die Vergleichsgruppe einbezogenen "höheren
Beamten" vergleichbar. Außerdem sei mit der Steuerprivilegierung eine Diskriminierung
aller erwerbstätigen Steuerbürger unabhängig von deren Berufsstand verbunden. Auch
sei die gegenwärtige Pauschalierung weder durch das "freie Mandat" noch aus
Vereinfachungsgesichtspunkten gerechtfertigt. Im übrigen sei die konkrete
Ausgestaltung der Kostenpauschale nicht gleichheitsgerecht, denn diese umfasse
Positionen, die die Angehörigen der Vergleichsgruppe nicht geltend machen könnten.
Der Verfassungswidrigkeit der steuerfreien Kostenpauschale sei in den noch offenen
Fällen durch Ausdehnung des geltenden Rechts auf alle betroffenen Steuerbürger zu
begegnen. Sollte jedoch der Staat durch eine solche Regelung seine finanzielle
Handlungsfähigkeit verlieren, könnte das Bundesverfassungsgericht die die
Abgeordneten begünstigende Regelung für nichtig erklären.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
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unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2000 idF der
Einspruchsentscheidung bei den Einkünften des Klägers Werbungskosten iHv
40.553,- DM pauschal zu berücksichtigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er meint, die beanspruchten pauschalen Berufsausgaben in Höhe eines Drittels der
Einnahmen können von der Versteuerung nur ausgenommen werden, soweit in § 3
EStG eine entsprechende Steuerbefreiung gesetzlich geregelt sei. Hieran fehle es im
Streitfall.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2000 ist rechtmäßig. Der Beklagte hat
zutreffend bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit lediglich die
geltend gemachten und nachgewiesenen Werbungskosten in Höhe von 23.374,- DM
zum Abzug gebracht. Ein pauschaler Werbungskostenabzug in Höhe des prozentualen
Betrages der beruflichen Einnahmen entsprechend dem Verhältnis der steuerpflichtigen
Bezüge der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu ihrer steuerfreien
Aufwandsentschädigung gemäß § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der
Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz - AbgG -) kommt nicht in
Betracht. Eine Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht wegen der
von den Klägern behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 3 Nr. 12 EStG scheidet aus,
da die Frage der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift, selbst wenn diese unterstellt wird,
im Streitfall nicht entscheidungserheblich ist. Dies gilt auch aus dem vorgetragenen
Gesichtspunkt der Verfassungswidrigkeit der Grundnormen der §§ 8, 9 EStG i.V.m. § 3
Nr. 12 EStG und des Rechts auf Abwehr einer eigenen gleichheitswidrigen Belastung.
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Die isolierte Betrachtung der drittbevorzugenden Norm des § 3 Nr. 12 EStG führt selbst
bei unterstellter Verfassungswidrigkeit nicht zu einer Entscheidungserheblichkeit. Aus
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der behaupteten Verfassungswidrigkeit der die Steuerfreiheit von Aufwandspauschalen
für Bundestagsabgeordnete gewährenden Norm des § 3 Nr. 12 EStG können die Kläger
keinen Anspruch auf Einbeziehung in den begünstigten Personenkreis der
Bundestagsabgeordneten und damit nicht die Gewährung einer vergleichbaren
Steuervergünstigung erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem
Beschluss vom 20. Juni 1978 (2 BvR 314/77, BVerfGE 49, 1; BStBl. II 1979, 92)
ausdrücklich zu dieser Problematik Stellung genommen und ausgeführt, neben der
Ungleichbehandlung müsse auch dargelegt werden, dass im Fall der
Nichtigkeitserklärung der angegriffenen Norm eine Besserstellung des
Beschwerdeführers erfolgen würde. Davon ist im Streitfall nicht auszugehen. Eine
Änderung der entsprechenden Regelung im AbgG betrifft Dritte, die nicht Mitglied des
Bundestages sind, nicht, so dass eine Gesetzesänderung zu Gunsten des Klägers
offensichtlich ausscheidet.
Die Kläger können auch nicht aus dem Gesichtspunkt heraus, eine eigene
gleichheitswidrige Belastung abzuwehren, eine vergleichbare Gewährung eines
Steuerabzugs erreichen. Die Kläger stützen - wie das vorgelegte Gutachten nahe legt -
ihr Begehren darauf, dass der Kläger einer den Abgeordneten vergleichbaren Gruppe
angehöre und die Typisierungen der §§ 8, 9 EStG im Vergleich mit der Sonderregelung
des § 3 Nr. 12 EStG für die Abgeordneten zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen
Ungleichbehandlung führten. Bei einer wegen der Verfassungswidrigkeit notwendigen
Neuregelung sei seine Besserstellung nicht ausgeschlossen. Die Kläger verkennen
dabei, dass zum einen die Grundnormen in ihrer konkreten Ausgestaltung den für die
Einkommensbesteuerung verfassungsrechtlich geforderten Grundsätzen, insbesondere
zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (Urteil des BVerfG vom 06.03.2002 - 2 BvL
17/99, BStBl II 2002, 618; Beschluss vom 04.12.2002 - 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, 2
BvR 400/98, HFR 2003, 603; Beschluss vom 11.11.1998 - 2 BvL 10/95, BStBl II 1999,
502) entsprechen und verfassungsgemäß sind, und zum anderen, dass für die Kläger
eine gleichheitswidrige Belastung mangels Vergleichbarkeit mit der Gruppe der
Abgeordneten nicht vorliegt, so dass auch unter dem Gesichtspunkt der Typisierung von
Aufwendungen eine Verfassungswidrigkeit nicht gegeben ist.
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Selbst wenn den Klägern darin zuzustimmen ist, dass die nach der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehlende Überprüfbarkeit bestimmter,
drittbevorzugender Normen unbefriedigend ist, weil kein Rechtsschutz gegenüber
gleichheitswidrigen Steuerprivilegien besteht, kann diese Erkenntnis nicht dazu führen,
jedem - wie die Kläger meinen - erwerbstätigen Steuerpflichtigen den Rechtsweg
hiergegen zu eröffnen. Denkbar wäre, um keine unserer Rechtsordnung fremde
Popularklage gegen jegliche Ungleichbehandlungen im Steuerrecht zuzulassen,
allenfalls die Möglichkeit, dass bestimmte Steuerpflichtige in vergleichbaren Umständen
drittbevorzugende Normen überprüfen lassen können. Erforderlich wäre hiernach eine
Personengruppe, die gemessen an den Vorschriften der §§ 8, 9 EStG mit den
Abgeordneten des Deutschen Bundestages vergleichbar ist.
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Ob im Streitfall, wie in dem von den Klägern vorgelegten Gutachten ausgeführt, als
Vergleichsgruppe die Richter am Bundesverfassungsgericht sowie an den obersten
Gerichtshöfen des Bundes geeignet sind, ist nach Ansicht des erkennenden Senats
zweifelhaft. Selbst wenn sich bei diesen in vergleichbarer Weise wie bei Abgeordneten
häufig Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung,
Verpflegungsmehraufwendungen sowie erhebliche Fahrtkosten ergeben können,
verkennen die Kläger doch die weitergehende Funktion der Aufwandsentschädigung für
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Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wie das Bundesverfassungsgericht schon in
seiner Entscheidung vom 05. November 1975 (2 BvR 193/74, BVerfGE 40, 296, 328)
ausgeführt hat, haben diese Bezüge im wesentlichen den Charakter einer Alimentation
angenommen, um den Abgeordneten und ihrer Familie die wirtschaftliche
Unabhängigkeit und Existenzgrundlage für die Dauer ihrer Mitgliedschaft im Parlament
zu sichern. Die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung dient damit nicht mehr als
bloße Entschädigung für Mehraufwand und Verdienstausfall. Vielmehr handelt es sich
nach dieser Auffassung um Einkommen. Einen hiermit vergleichbaren, der Besteuerung
unterliegenden Einkommensteil enthalten die als Vergleichsgruppe von den Klägern
herangezogenen Richtergehälter nicht.
Letztlich kann der Senat jedoch die Frage, ob die Richter am Bundesverfassungsgericht
sowie die Richter an den obersten Gerichtshöfen mit den Mitgliedern des Deutschen
Bundestages vergleichbar sind, dahinstellen. Der Kläger, für den ein entsprechender
Werbungskostenbetrag pauschal geltend gemacht wird, gehört jedenfalls dieser Gruppe
von Steuerpflichtigen nicht an. Auch soweit im Gutachten von weiteren höheren
Beamten und leitenden Angestellten der Privatwirtschaft - sofern sie an mehreren Orten
beruflich tätig sind und Kosten für eine doppelte Haushaltsführung anfallen - als einer
mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vergleichbaren Gruppe die Rede ist,
unterfällt der Kläger nicht dieser Gruppierung. Weder hat er Kosten einer doppelten
Haushaltsführung geltend gemacht noch sind Verpflegungsmehraufwendungen
angefallen. Allenfalls hinsichtlich dieser Kosten wäre aber für Angehörige einer
benachteiligten Vergleichsgruppe, wenn es diese überhaupt gibt, eine Abweichung von
der Typisierung der §§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, § 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG
gerechtfertigt.
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Soweit der Kläger im Streitfall erhebliche Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte geltend macht, ist er nicht schon deshalb mit der Gruppe der
Bundestagsabgeordneten vergleichbar. Während die Aufwandspauschale für
Abgeordnete den Sinn hat, für die begrenzte Zeit der Wahlperiode die Aufwendungen
der Politiker für ihre Zweitwohnung, für Dienstfahrten und für ihr Wahlkreisbüro zu
decken - die Tätigkeit als Abgeordneter findet am Parlamentssitz und im Wahlkreis statt-
, hat der Kläger allein aus privaten Gründen dauerhaft die Entfernung zwischen Wohn-
und Arbeitsort in Kauf genommen. Im übrigen sind hohe arbeitstägliche Fahrtkosten mit
dem Berufsbild eines Richters am Finanzgericht auch nicht verbunden. Höhere
Fahrtkosten lassen deshalb keinen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss des
Klägers und damit keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vermuten. Vielmehr kann der
Gesetzgeber typisierend an unterschiedliche Sachverhalte unterschiedliche
Rechtsfolgen knüpfen. Insbesondere hat der Gesetzgeber dann einen entsprechenden
Gestaltungsspielraum, wenn bei der Zuordnung von Aufwendungen Kosten der
Lebensführung berührt werden. Bei einer notwendigerweise verallgemeinernden
gesetzlichen Regelung können durchaus vereinzelt Fallgestaltungen auftreten, die
einen einzelnen Steuerbürger mit höheren Kosten belasten, die aber hinzunehmen und
nicht verfassungswidrig sind. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall
orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch
Sonderregelungen Rechnung zu tragen.
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Auf die Frage, ob die Steuerfreiheit der Kostenpauschale für Abgeordnete des
Deutschen Bundestages insgesamt oder hinsichtlich bestimmter Teile gegen Art. 3 Abs.
1 GG verstößt, kam es nach allem nicht mehr an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
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Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zugelassen.
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