Urteil des FG Münster vom 09.07.2004

FG Münster (Freiwillige Leistung des Arbeitgebers, Barlohn, Arbeitslohn, Betriebsrat, Geschäftsführung, Einspruch, Form, Tarifvertrag, Verzicht, Bemessungsgrundlage)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 4 K 5742/01 L
09.07.2004
Finanzgericht Münster
4. Senat
Urteil
4 K 5742/01 L
Der Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 21.09.2000 in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19.09.2001 wird nach
Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert. Die Berechnung der
Haftungs- und Nachforderungsbeträge wird dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob Warengutscheine, die Arbeitnehmer der Klägerin anstelle von Urlaubs-geld
erhalten haben, als Vorteile im Sinne des § 8 Abs. 3 S. 2 Einkommensteuer-gesetz (EStG)
zu qualifizieren sind.
Die Klägerin (Klin.) betreibt in mehreren Möbelhäusern den Handel mit
Einrichtungsgegenständen aller Art. Den Arbeitsverhältnissen mit ihren Arbeitnehmern
liegen die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zugrunde. Am
19.06.1996 vereinbarten die Geschäftsführung und der Betriebsrat der Klin., dass das den
Arbeitnehmern zustehende Urlaubsgeld wahlweise ganz oder teilweise als
Warengutschrift/-gutschein in Anspruch genommen werden könne. Diese Regelung galt
auch für die Jahre 1997, 1998 und 1999 (Höhe des Urlaubsgeldes für diese Jahre: 1.780
DM, 1.810 DM und 1.850 DM brutto). In einer Mitteilung der Geschäftsführung vom
04.03.1999 heißt es, der Tausch von (Brutto-) Urlaubsgeld in Ware bringe wertmäßig
erhebliche Vorteile, weil das Urlaubsgeld dann lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei
bleibe. Voraussetzung sei, dass der Warenverkauf einschließlich Lieferung oder Mitnahme
noch im Jahr 1999 erfolge. Eine Übertragung auf Dritte sei nicht möglich. Der steuerliche
Gesamtfreibetrag für Belegschaftsrabatte von 2.400 DM im Jahr dürfe nicht überschritten
werden. Andernfalls sei der überschreitende Betrag lohnsteuerpflichtig. Die Arbeitnehmer,
die Interesse hätten, würden gebeten, sich bis zum 23.06.1999 zu melden und anzugeben,
in welcher Höhe das Urlaubsgeld in einen Warengutschein umgewandelt werden solle.
Die Klin. behandelte die ausgegebenen Warengutscheine, soweit der jeweilige Wert -
zusammen mit Vorteilen im Sinne des § 8 Abs. 3 EStG - 2.400 DM pro Arbeitnehmer im
Kalenderjahr nicht überstieg, als lohnsteuerfrei.
Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung, die sich auf den Zeitraum 01.01.1995 bis
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31.07.1997 bezog und die im August 1997 stattfand, wurde diese Handhabung nicht
beanstandet. Die Anschlussprüfung, die den Zeitraum 01.08.1997 bis 31.03.2000 betraf,
führte der Beklagte (Bekl.) im Jahr 2000 durch. Die Prüferin gelangte zu dem Schluss, dass
die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 EStG im Hinblick auf die Warengutscheine nicht
vorlägen. In dem Lohnsteueraußenprüfungsbericht vom 08.09.2000 heißt es hierzu, zwar
habe der Bundesfinanzhof (BFH) eine Umwandlung von Barlohn in Sachbezüge
grundsätzlich zugelassen. Barlohn müsse es sich allerdings um eine Zuwendung handeln,
die zusätzlich zum tarifvertraglich geschuldeten Arbeitslohn geleistet werde. Geldwerte
Vorteile aus Warengutscheinen, die anstelle von vertraglich vereinbartem Arbeitsentgelt
gewährt würden, fielen nicht unter § 8 Abs. 3 EStG und gehörten in voller Höhe zum
lohnsteuerpflichtigen Lohn. Dies sei der Fall. Die Klin. schulde das Urlaubsgeld nach den
Tarifverträgen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen. Vor Ergehen des
Prüfungsberichts hatte sich die Klin. im Anschluss an die Schlussbesprechung mit
Schreiben vom 07.07.2000 wie folgt geäußert: Nachdem mit dem jeweiligen Arbeitnehmer
eine mündliche Vereinbarung über die Umwandlung des Urlaubsgeldes getroffen worden
sei, habe dieser eine Bestätigung in Form eines Warengutscheins erhalten. Es werde
darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer nicht auf tarifliche Ansprüche (Urlaubsgeld)
verzichtet, sondern diese umgewandelt habe.
Der Bekl. folgte dem Ergebnis der Lohnsteueraußenprüfung und erließ einen
entsprechenden Haftungs- und Nachforderungsbescheid. Der in dem Bescheid
ausgewiesene Gesamtbetrag belief sich auf 211.691 DM, wobei ein Nachforderungsbetrag
von 210.384 DM auf den hier streitigen Sachverhalt entfiel. Die Klin. legte Einspruch ein
und machte geltend, nach der Rechtsprechung des BFH stehe der Austausch von Barlohn
in Sachbezüge einer Anwendung des § 8 Abs. 3 EStG nicht entgegen. Die Ansicht, dass es
sich um Arbeitslohn handeln müsse, der zusätzlich zum tarifvertraglichen Arbeitslohn
geschuldet werde, sei unzutreffend. Darüber hinaus sei in § 2 Abs. 6 des
Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen geregelt, dass die
Gewährung von Sachbezügen auf die zu zahlenden Entgelte nach dem Tarifvertrag
angerechnet werden könne. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie, die Klin., mit den
betreffenden Arbeitnehmern jeweils eine Änderung der Vergütungsabrede vereinbart habe.
Barlohn sei in Sachbezüge umgewandelt worden. Darüber hinaus sei zu beachten, dass
bei der Berechnung des Nachforderungsbetrags auch Sachverhalte berücksichtigt worden
seien, die in den Lohnzahlungszeitraum Januar bis Juli 1997 fielen. Insofern greife - wegen
der Vorprüfung - die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 Abgabenordnung (AO).
Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als der Bekl. den Nachforderungsbetrag im
Hinblick auf § 173 Abs. 2 AO um 41.090 DM herabsetzte. Im Übrigen sei der Einspruch
jedoch unbegründet. Der BFH habe eine Anwendung des § 8 Abs. 2 und 3 EStG nur dann
für möglich gehalten, wenn der Arbeitnehmer unter Änderung seines Anstellungsvertrags
auf einen Teil seines Barlohns verzichte und ihm der Arbeitgeber stattdessen Sachlohn
gewähre. Wegen des Verzichts auf den Barlohn sei der Sachbezug als freiwillige Leistung
des Arbeitgebers anzusehen. Sei Grundlage des Arbeitverhältnisses ein Tarifvertrag,
müsse der Arbeitnehmer mehr erhalten, als ihm tarifvertraglich zustehe. Nur dann liege ein
"Vorteil" i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG vor. Zudem sei erforderlich, dass die
Vergütungsabrede getroffen werde, bevor der Anspruch auf die Vergütung entstehe, also
beim Monatsgehalt beispielsweise vor Beginn des Kalendermonats, für den das Gehalt
gezahlt werde. Hiernach lägen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 EStG im Wesentlichen
nicht vor, weil die Arbeitnehmer nicht vor Beginn des Lohnzahlungszeitraums auf das ihnen
arbeitsvertraglich zustehende Urlaubsgeld verzichtet hätten. Es liege kein Verzicht,
sondern eine Verwendung bzw. ein Tausch vor. Dies ergebe sich sowohl aus dem
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Schreiben der Klin. vom 07.07.2000 als auch aus der Betriebsvereinbarung.
Zur Begründung ihrer Klage macht die Klin. geltend, § 8 Abs. 3 EStG erfordere weder, dass
die Zuwendung freiwillig erfolge, noch dass sie zusätzlich zu dem ohnehin tarifvertraglich
geschuldeten Arbeitslohn gewährt werde. Zudem sei die Barlohnumwandlung vor der
Entstehung des Vergütungsanspruchs vereinbart worden. In den Tarifverträgen für den
Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen sei geregelt, dass das Urlaubsgeld auf Verlangen des
Arbeitnehmers vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen sei. Es werde fällig, wenn dem
Arbeitnehmer mindestens die Hälfte des ihm tariflich zustehenden Jahresurlaubs gewährt
werde. Durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag könnten jedoch andere
Fälligkeitstermine vereinbart werden. Unter Inanspruchnahme dieser Öffnungsklausel sei
zwischen ihr, der Klin., und dem Betriebsrat vereinbart worden, dass das Urlaubsgeld mit
der Juniabrechnung Anfang Juli fällig werde.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klin. zudem erstmals vorgetragen
und dargelegt, dass es zu einer Doppelerfassung von Beträgen gekommen sei. Die
Bemessungsgrundlage für 1997 sei um 4.805 DM, die für 1998 um 7.637 DM und die für
1998 um 5.350 DM zu mindern. Der Bekl. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass
er sich der Auffassung der Klin. hinsichtlich der Doppelerfassung von Beträgen anschließe
und insoweit zu einer Änderung des angefochtenen Bescheids bereit sei. Auf die
Niederschrift der Sitzung vom 09.07.2004 wird Bezug genommen.
Die Klin. beantragt,
den Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 21.09.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19.09.2001 dahingehend zu ändern, dass der
Nachforderungsbetrag um 169.293,99 DM herabgesetzt wird,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt sinngemäß,
die Klage insoweit abzuweisen, als die Klin. eine Herabsetzung des
Nachforderungsbetrags begehrt, der über eine Minderung der Bemessungsgrundlage um
4.805 DM für 1997, um 7.637 DM für 1998 und um 5.350 DM für 1999 hinausgeht.
Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung Bezug.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet. Der Haftungs- und
Nachforderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist nur insoweit
rechtswidrig, als Beträge doppelt erfasst wurden. Hierüber besteht zwischen den
Beteiligten Einigkeit. Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung rechtmäßig und verletzt die Klin. nicht in ihren Rechten (§ 100
Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Bekl. ist im Ergebnis zu Recht davon
ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 EStG nicht vorlagen.
Gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG sind bei der Ermittlung des Überschusses der Einnahmen
über die Werbungskosten Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost, Waren,
Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge), mit den um übliche Preisnachlässe
geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG
gelten, wenn ein Arbeitnehmer auf Grund seines Dienstverhältnisses Waren oder
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Dienstleistungen, erhält, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner
Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, als Werte abweichend von § 8
Abs. 2 EStG die um 4 % geminderten Endpreise, zu denen die Waren oder
Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten
werden. Gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG (in der für die Streitjahre geltenden Fassung) sind die
sich nach Abzug der vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile steuerfrei,
soweit sie aus dem Dienstverhältnis 2.400 DM im Kalenderjahr nicht übersteigen.
Warengutscheine fallen unter § 8 Abs. 3 EStG, wenn sie sich auf Waren beziehen, die der
Arbeitgeber herstellt oder vertreibt (Schimdt/Drenseck, EStG, 23. Aufl. 2004, § 8 Rn. 68).
Nach der Rechtsprechung des BFH ist es grundsätzlich möglich, dass Barlohn in Sachlohn
umgewandelt wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer unter
Änderung des Anstellungsvertrags auf einen Teil seines Barlohns verzichtet und ihm der
Arbeitgeber stattdessen Sachlohn gewährt. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass
Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Rechtsgeschäft wie unter fremden Dritten schließen und
zur Erfüllung dieses Rechtsgeschäfts Barlohn verwendet wird (BFH Beschluss vom
20.08.1997 VI B 83/97, BFHE 183, 568, BStBl. II 1997, 667).
Vorliegend fehlt es an einer Änderung der Arbeitsverträge des Inhalts, dass Urlaubsgeld
künftig nicht mehr gezahlt, sondern Sachlohn in Form von Waren / Warengutscheinen
gewährt wird. Dass den Arbeitnehmern der Klin. auf Grund der Vereinbarung zwischen
Geschäftsführung und Betriebsrat - faktisch - die Möglichkeit eingeräumt wurde, unter
Anrechnung auf das Urlaubsgeld einseitig eine Warengutschrift für Waren abzurufen,
beinhaltet keine Änderung der Arbeitsverträge dahingehend, dass das Urlaubsgeld nicht
mehr als Barlohn gewährt wird. Auch durch die formlose (mündliche) Mitteilung des
Arbeitnehmers, er wolle für das Urlaubsgeld oder einen Teil des Urlaubsgeldes einen
Warengutschein, ist das Arbeitsverhältnis nicht dahin abgeändert worden, dass dem
Arbeitnehmer kein Urlaubsgeld zusteht, weil er auf das Urlaubsgeld verzichtet hat.
Vielmehr hat sich der Arbeitnehmer in dem Moment, in dem er den Warengutschein
angefordert hat, für eine bestimmte Art der Verwendung des Barlohnbestandteils
"Urlaubsgeld" entschieden. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem
Sachverhalt, der der zitierten Entscheidung des BFH zugrunde lag: Dort hatte der
Arbeitgeber Arbeitnehmern Firmenfahrzeuge zur privaten Nutzung überlassen; die
Arbeitnehmer verzichteten für die Dauer der Nutzungsüberlassung auf einen Teil der ihnen
zustehenden Sonderzuwendungen. Die Anstellungsverträge waren zuvor entsprechend
geändert worden.
Auf die Beantwortung der Frage, ob einer Änderung der Vergütungsabrede hinsichtlich des
Urlaubsgeldes nicht bereits der Umstand entgegensteht, dass das Urlaubsgeld bei "Abruf"
des Warengutscheins möglicherweise noch nicht fällig, jedoch bereits (anteilig) entstanden
war und ein Verzicht sich daher als problematisch darstellt, kommt es hiernach nicht an.
Da es an der erforderlichen Änderung der Arbeitsverträge fehlt, muss der Senat zudem
nicht entscheiden, ob die Auffassung des Bekl., § 8 Abs. 3 EStG sei nur anwendbar, wenn
der Arbeitnehmer mehr erhalte, als ihm nach den tarifvertraglichen Vereinbarungen
zustehe, zutrifft. Der Bekl. weist in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf hin,
dass den Arbeitnehmern der Klin., die sich für einen Warengutschein entschieden haben,
insoweit kein Vorteil i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG zugeflossen ist. Dem Sachbezug (zum
"normalen" Belegschaftspreis) stand der Wegfall des Urlaubgeldes in entsprechender
Höhe als Entgelt gegenüber.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 136 Abs. 1, 137 Satz 1 FGO. Soweit die Klage
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(hinsichtlich der Doppelerfassung) Erfolg hat, beruht dies auf Tatsachen, die die Klin.
vorher hätte geltend machen können und sollen.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch
erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH.